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Dass unser Sehen immer ein Sehen von etwas ist, unser Denken ein Denken an etwas und unser Sprechen ein Sprechen über etwas, scheint selbstverständlich zu sein. Unsere Wahrnehmungen, Gedanken und sprachlichen Äußerungen sind stets auf etwas bezogen. Doch warum können wir auf etwas beziehen? Worauf beziehen wir uns? Und wie entsteht durch die Bezugnahme ein Inhalt? Diese Fragen, die auf den Kern der Intentionalitätsproblematik abzielen, stehen nicht nur im Mittelpunkt der heutigen philosophischen und kognitionstheoretischen Debatten. Sie wurden bereits im Mittelalter scharfsinnig diskutiert, ja…mehr

Produktbeschreibung
Dass unser Sehen immer ein Sehen von etwas ist, unser Denken ein Denken an etwas und unser Sprechen ein Sprechen über etwas, scheint selbstverständlich zu sein. Unsere Wahrnehmungen, Gedanken und sprachlichen Äußerungen sind stets auf etwas bezogen. Doch warum können wir auf etwas beziehen? Worauf beziehen wir uns? Und wie entsteht durch die Bezugnahme ein Inhalt? Diese Fragen, die auf den Kern der Intentionalitätsproblematik abzielen, stehen nicht nur im Mittelpunkt der heutigen philosophischen und kognitionstheoretischen Debatten. Sie wurden bereits im Mittelalter scharfsinnig diskutiert, ja die scholastischen Autoren prägten als Erste die Fachausdrücke 'Intentionalität' und 'intentionale Existenz' und entwarfen verschiedene Modelle, um das Rätsel der kognitiven Bezugnahme zu lösen.

Dieses Buch stellt fünf einflussreiche Intentionalitätsmodelle vor, die im 13. und 14. Jahrhundert entstanden sind. Dabei werden so unterschiedliche Autoren wie Thomas von Aquin, Petrus Johannis Olivi, Dietrich von Freiberg, Johannes Duns Scotus, Petrus Aureoli, Hervaeus Natalis, Wilhelm von Ockham und Adam Wodeham berücksichtigt. Die Theorien dieser Philosophen werden einerseits in ihrem historischen Kontext rekonstruiert und erklärt, andererseits aber auch auf ihre spezifischen Thesen hin geprüft und mit Blick auf heutige Debatten analysiert. Besonderes Gewicht wird dabei auf den vielschichtigen Ansatz der mittelalterlichen Autoren gelegt. Sie widmeten sich der Intentionalitätsproblematik nämlich nicht nur im Rahmen der Intellekttheorie, sondern auch in der Wahrnehmungstheorie und Semantik. Mit ihren Erklärungsmodellen in allen diesen Kontexten legten sie die Grundlagen für Debatten, die weit über das Mittelalter hinaus reichten und durch die Vermittlung F. Brentanos auch Eingang in die moderne Philosophie des Geistes fanden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.11.2002

Schnurrli, was macht dich zuinnerst aus?
Von wegen einheitliches Weltbild: Dominik Perlers großartige Studie zur Philosophie des Mittelalters

Über die Philosophie des Mittelalters zu schreiben, das war immer schon etwas schwerer als über Marx, Scheler oder gar Guardini. Dazu gehört ein gesteigerter Tatsachensinn, der unter deutschsprachigen Philosophen nicht so häufig vorkommt. Wichtige Texte liegen noch ungedruckt in den Bibliotheken; sie sind schwer zu entziffern; die gedruckten Texte sprechen eine fremde, eine komplizierte Sprache. Selten kennen wir die biographischen und sozialen Umstände genau, unter denen sie entstanden sind. Aber selbst wenn sie ediert und von uns übersetzt sind, lasten jahrhundertealte Vorurteile auf ihnen. Vor allem zwei Ansichten erweisen sich als fast unausrottbar: Die Denker des Mittelalters, meint man, hätten eine einheitliche Weltansicht besessen, und sie seien im Grunde Theologen und gar keine Philosophen gewesen.

Auch in diesen Vorurteilen steckt ein wahrer Kern, aber wer sich überzeugen möchte von der Vielfalt der Ansichten und von der genuin philosophischen Argumentationskunst mittelalterlicher Denker, der lese das neue Buch des Baseler Professors Dominik Perler. Es stellt eine einfache philosophische Frage: "Wie gelingt es uns denn, uns im Sehen, Denken und Sprechen auf etwas zu beziehen?" Unser Denken ist immer das Denken von etwas; unser Sehen ist das Sehen von etwas: Wie läßt sich dieser Gegenstandsbezug erklären? Schon Philosophen des dreizehnten Jahrhunderts bezeichneten diese Frage als die nach der "Intentionalität" des Wahrnehmens und Denkens; Franz Brentano hat diesen Begriff der neuesten Philosophie übermittelt.

Perler gelingt nun der Spagat: Er blickt sowohl auf diese Diskussionen der angelsächsischen Gegenwartsphilosophie wie auf die subtilen Erörterungen des Mittelalters. Er untersucht fünf Erklärungsmodelle für gegenständliche Korrektheit aus der Zeit zwischen 1250 und 1330. Die Vorstellung, es habe im Mittelalter nur eine einzige Philosophie oder nur Theologie gegeben, wischt er damit vom Tisch. Allein schon in den achtzig Jahren, die er dokumentiert, gab es lebhafte und sachhaltige Kontroversen.

Eine Theorie löste die andere ab. Perlers Untersuchung beginnt mit der Intentionalitätstheorie des Thomas von Aquino, die auf dem Weg über Franz Brentanos Theorie der Intentionalität die modernen Debatten beeinflußt hat. Thomas erklärte, Wissen komme zustande durch Angleichung des Wissenden an das Gewußte; er interpretierte Erkenntnis als das gegenständliche Haben der Wesensform des Erkannten. Die sachlichen Schwierigkeiten dieser Identitätsthese haben die intellektuelle Entwicklung vorangetrieben. Dietrich von Freiberg hat dann tätige Konstitution der Gegenstände an die Stelle rezeptiver Assimilation gesetzt. Perler verfolgt den Gang der Diskussion über Scotus und die Scotisten bis hin zur Zeichentheorie Wilhelms von Ockham.

Wer in einem späteren Stadium des Diskussionsprozesses in diese Debatten eintritt, hat es schwer, ihren sachlichen Kern zu erfassen; die Kontroversen werden zunehmend komplizierter und setzen polemisch die früheren Positionen voraus. Durch chronologische Anordnung gelingt es Perler, die Vielfalt der Antworten als sachliche Auseinandersetzung zu begreifen und auf einen einheitlichen Fragepunkt zu beziehen. Das Besondere der Arbeit liegt darin: Sie arbeitet den argumentativen Gehalt der mittelalterlichen Diskussionsbeiträge durch den Blick auf die Philosophie der Gegenwart schärfer heraus, als es gewöhnlich geschieht; gar zu viele Autoren bleiben im philologischen Detail stecken und begnügen sich dann auch noch mit einer Mischsprache von scholastischen Ausdrücken und moderner Umgangssprache. Perler profitiert von der objektiven Affinität, die besteht zwischen mittelalterlichen Subtilitäten und dem seit Frege, Russell und Wittgenstein gestiegenen Präzisionsbedürfnis der philosophischen Sprache. Das bedeutet einen erheblichen Gewinn an Sachlichkeit und Genauigkeit. Es wird unübersehbar, daß auch mittelalterliche Denker ihre Positionen argumentativ aufgebaut und weder aus Willkür noch aus bloß theologischen Interessen entwickelt haben.

Der Verfasser ist aus der Schule von Ruedi Imbach in Fribourg hervorgegangen; er hat einige Jahre in den Vereinigten Staaten gearbeitet und wurde in Göttingen habilitiert; er bewegt sich daher sicher in mehreren philosophischen Idiomen. Er führt an den Texten selbst, orientiert an Problemen, die Harmonie vor, die zwischen der Oxford Philosophy des vierzehnten und des zwanzigsten Jahrhunderts besteht. Dies ergibt einen außerordentlich erhellenden Effekt, der den Leser belehrt und erfreut. Aber gelegentlich reproduziert es auch das skeptische Lächeln des Erasmus über seine allzu genauen Lehrer an der Sorbonne anno 1495. Da wird uns umständlich und mit wissenschaftlichem Ernst erklärt, daß wir bei dem Satz "Menschen sind nicht geflügelt" das Geflügeltsein von den Menschen abstrahieren und wir damit den Menschen eine bestimmte Eigenschaft absprechen. Auf diese Idee wären wir vielleicht ohne die Scholastiker und ihren modernen Darsteller kaum gekommen.

Zum Glück ist der Autor ein Katzenliebhaber und löst mit einigen schnurrigen Sätzen die Frage: "Was ist das Katzenhafte an der Katze?" Seine beruhigende Antwort: "Genau diese Frage kann ich beantworten, wenn ich eine intelligible Species abstrahiere; denn dank dieser Species bin ich in der Lage, das Wesen der Katze zu erfassen." Er erklärt uns kenntnisreich und geduldig, was hierbei das unübersetzbare Wort "Species" bedeutet, und zeigt uns, wie die Katze auf sanften Pfoten den Bereich der Gegenstände unserer Wahrnehmung und Gedanken betritt und sich auf dem Parkett des scotistischen intentionalen Seins bewegt.

Die anschauliche und präzise Art, in der Perler mit den Denkern des Mittelalters und der Gegenwart argumentierend spricht, lockert seine gestrenge Gedankenarbeit auf, ohne darüber hinwegzutäuschen, daß dieses Buch eine Reihe von Entdeckungen und Klärungen enthält, wie sie auf diesem schwierigen Feld selten vorkommen. Selbst bekannte Philosopheme des Thomas von Aquino oder des Duns Scotus treten in neues Licht, weil Perler sie einfügt in die Diskussionen ihrer Zeit und zugleich in die des zwanzigsten Jahrhunderts. Vielverhandelte Probleme wie das der Universalien, der schon genannten Species-Theorie oder Ockhams Zeichenphilosophie erhalten hier sachliches Gewicht. Daß es im Mittelalter eine selbständig-philosophische und variantenreiche Erörterung des Gegenstandsbezugs der menschlichen Erkenntnis und Sprache gab, wird nach diesem bedeutenden Wurf des Schweizer Gelehrten, der die theologischen Implikationen deswegen nicht verschweigt, niemand mehr bestreiten. Wie nebenbei redimensioniert er Vorstellungen vom spätmittelalterlichen Willkürgott, wie Hans Blumenberg sie stilisiert hat, um die Legitimität der Neuzeit gegen sie zu behaupten.

Der Verfasser hat mit sicherem Griff die Textbasis seiner Untersuchung eingeschränkt. Er benutzt einen Text, der nur handschriftlich überliefert ist; er blickt immer wieder in die Werke kleinerer Autoren; er kennt Scotisten und Ockham-Schüler, aber nie verliert er sich im Uferlosen. Er bietet eine Meisterleistung an Konzentration und Darstellungskunst; er macht die immanente Entwicklung im Medium des philosophischen Denkens begreiflich. Einige Wünsche freilich mußte er offenlassen. Vielleicht hätte er Albert dem Großen mehr Aufmerksamkeit schenken und ausführlicher auf Heinrich von Gent eingehen sollen. Aber die klare Struktur seines Werkes und seine Kunst, die Gründe der jeweiligen Weiterentwicklung plausibel zu machen, entschädigen den Leser für ein Mehr an Details. Wenige Bücher zur Philosophie des Mittelalters vereinen so glücklich wie dieses geschichtlichen Takt und Problemsinn.

Philosophischen Büchern gereicht es nicht zum Tadel, wenn der Leser sie mit Zweifeln aus der Hand legt. Zwei Momente begründen den besonderen Wert dieses Buches, einmal die Konzentration auf die genannten dramatischen achtzig Jahre und zweitens, daß es mittelalterliche Sätze verdeutlicht mit Hilfe der neuesten angelsächsischen Philosophie. In beiden Hinsichten löst es produktive Zweifel aus: Lief die Entwicklung wirklich so glatt, fast teleologisch auf Ockham zu? Perler behauptet das nicht einmal, sondern zeigt die Mängel der Theorie Ockhams, wonach wir über intentionale Akte nur deshalb verfügen sollen, weil materielle Gegenstände auf uns einwirken. Und was den Vergleich von Theorien des vierzehnten Jahrhunderts mit Theorien des endenden zwanzigsten Jahrhunderts angeht, so weckt Perlers besonnener Versuch maximaler Annäherung zuletzt doch die Frage: Vergrößert sich nicht, je näher man herantritt, der Unterschied wieder?

KURT FLASCH

Dominik Perler: "Theorien der Intentionalität im Mittelalter". Philosophische Abhandlungen, Band 82. Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2002. 435 S., geb., 42,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Intentionalität beschreibt das Gerichtetsein der menschlichen Wahrnehmung, der Sprache, des Denkens auf die Welt. Wie das funktioniert, das ist Gegenstand einer ausdifferenzierten Diskussion in der angelsächsischen analytischen Philosophie. Dass die Frage jedoch eine überaus ehrwürdige Tradition hat und bereits im Mittelalter von den führenden Philosophen ausführlich erörtert wurde, führt diese Studie vor. Ja, Dominik Perler unternimmt die Engführung der mittelalterlichen und der aktuellen Diskussion, mit staunenswerten Ergebnissen, wie der Rezensent Kurt Flasch meint. Lernen könne man gerade durch den Vergleich, neben vielem anderen, wie komplex (und rational) diese Probleme bereits bei Thomas von Aquin, Duns Scotus und Wilhelm von Ockham verhandelt wurden. Auch die Darstellung sowie die Eingrenzung des Stoffes ist, so Flasch, dem Autor bestens gelungen. Dass man (sich) nach der Lektüre weitere Fragen stellt, gereiche dem Buch als philosophischem nur zur Ehre. Es handelt sich, stellt der Rezensent fest, um einen "bedeutenden Wurf".

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"Die anschauliche und präzise Art, in der Perler mit den Denkern des Mittelalters und der Gegenwart argumentierend spricht, lockert seine gestrenge Gedankenarbeit auf, ohne darüber hinwegzutäuschen, daß dieses Buch eine Reihe von Entdeckungen und Klärungen enthält, wie sie auf diesem schwierigen Feld selten vorkommen. Er bietet eine Meisterleistung an Konzentration und Darstellungskunst. Wenige Bücher zur Philosophie des Mittelalters vereinen so glücklich wie dieses geschichtlichen Takt und Problemsinn." Kurt Flasch