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Eine Familiensaga zwischen Orient und Okzident
Das hat man so noch nicht gelesen: Feridun Zaimoglu führt seine Leser ins Istanbul der 30er-Jahre und mitten hinein in eine fremde und faszinierende Welt, in der sich ein deutscher Junge behaupten muss. Eine Familiensaga der besonderen Art, emotionsgeladen, abgründig und spannend. Wolf weiß nicht, wie ihm geschieht. Nach dem Tod seiner Mutter hat er mit seinem Vater gelebt, der aber nach einer Warnung vor der Gestapo plötzlich Deutschland verlassen muss. Es ist das Jahr 1939, und Wolf findet sich in Istanbul wieder, in der Familie von Abdullah…mehr

Produktbeschreibung
Eine Familiensaga zwischen Orient und Okzident

Das hat man so noch nicht gelesen: Feridun Zaimoglu führt seine Leser ins Istanbul der 30er-Jahre und mitten hinein in eine fremde und faszinierende Welt, in der sich ein deutscher Junge behaupten muss. Eine Familiensaga der besonderen Art, emotionsgeladen, abgründig und spannend. Wolf weiß nicht, wie ihm geschieht. Nach dem Tod seiner Mutter hat er mit seinem Vater gelebt, der aber nach einer Warnung vor der Gestapo plötzlich Deutschland verlassen muss. Es ist das Jahr 1939, und Wolf findet sich in Istanbul wieder, in der Familie von Abdullah Bey und mitten im Siebentürmeviertel, einem der schillerndsten Stadtteile der Metropole, in der Religionen und Ethnien in einem spannungsreichen Nebeneinander leben. Was als vorübergehende Maßnahme gedacht war, wird zu einer Dauerlösung, und Wolf muss sich zurechtfinden in diesem überwältigenden Kosmos. Er wird von Abdullah Bey an Sohnes statt angenommen, besucht die Schule und erobert sich seine Stellung unter den Jugendlichen des Viertels. Als er langsam zu begreifen beginnt, welche Rolle Abdullah Bey wirklich spielt, gerät er in große Gefahr. Nach »Leyla«, dem Bestseller über den Weg einer jungen Türkin von Anatolien ins Deutschland der 60er-Jahre, wendet sich Feridun Zaimoglu wieder der Türkei zu und greift dabei die deutsche Emigration auf. Mit großer Sprachkraft und Poesie führt er den Leser in eine Welt, in der Kulturen und Religionen, aber vor allem menschliche Leidenschaften und Sehnsüchte aufeinanderprallen.
Autorenporträt
Zaimoglu, FeridunFeridun Zaimoglu, geboren 1964 im anatolischen Bolu, lebt seit seinem sechsten Lebensmonat in Deutschland. Er studierte Kunst und Humanmedizin in Kiel und schreibt für Die Welt, die Frankfurter Rundschau, Die Zeit und die FAZ. 2002 erhielt er den Hebbel-Preis, 2003 den Preis der Jury beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt und 2005 den Adelbert-von Chamisso-Preis. Im Jahr 2005 war er Stipendiat der Villa Massimo in Rom. Zahlreiche weitere Preise folgten, u.a. der Grimmelshausen-Preis (2007), der Corine-Preis (2008), der Jakob-Wassermann Literaturpreis (2010) sowie der Preis der Literaturhäuser (2012). 2016 erhielt er den Berliner Literaturpreis sowie die Ehrenprofessur des Landes Schleswig-Holstein. Nach »Leyla«, »Liebesbrand«, »Siebentürmeviertel« und »Evangelio« erschien zuletzt sein Roman »Die Geschichte der Frau« (nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2019).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.09.2015

Dieses Land ist verflucht
„Richte die Schneide nicht gen Himmel, die Engel verletzen sich die Zehen“:
Feridun Zaimoglus Istanbul-Roman „Siebentürmeviertel“ steht auf der Longlist zum Buchpreis
VON INSA WILKE
Feridun Zaimoglu ist der Filou der deutschsprachigen Literatur. Ein Trickser und Spieler, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, den „Aromatresor“ der deutschen Sprache zu öffnen. Der Drang seiner Romane, ihre Maßlosigkeit und Unbedingtheit, zeugen aber auch von einem fast schon unheimlichen Ernst. Vor dem Ernst rasch noch die Anekdote: Auf die Frage, was es denn damit auf sich habe, dass er seinen neuen Roman „Siebentürmeviertel“ in 99 mit den Namen Allahs überschriebene Kapitel unterteilt habe, gab Zaimoglu an, er dächte nun einmal stets an seine Leser: Er habe ihnen nicht 800 Seiten am Stück zumuten wollen. Im Sinne der Leserfreundlichkeit sei er daher auf die Idee mit den 99 Gottesnamen verfallen, um die Episoden seines Romans wie Perlen auf eine Kette aufzufädeln.
  Leserfreundlichkeit?! Das fällt einem nun wirklich nicht zuerst ein, wenn man sich ächzend durch Zaimoglus „Siebentürmeviertel“ gekämpft hat. Um den deutschen sechsjährigen Jungen Wolf, der im Jahr 1939 mit seinem Vater, einem kaisertreuen Sozialdemokraten, der wegen einer abfälligen Bemerkung gegen Hitler ins Istanbuler Arme-Leute-Viertel fliehen musste, spinnt Zaimoglu in der für ihn typischen rhythmischen Prosa ein dichtes Gewirr von Figuren und Geschichten, die gar nicht episodenhaft, sondern unverfugt aufeinanderfolgen und ineinander übergehen. Wie im echten Leben.
  Wer aber nun glaubt, bei Zaimoglu etwas über Istanbul zu erfahren oder über die politische Situation 1939 (Teil 1) und 1949 (Teil 2), wird klagend und zeternd von dannen ziehen müssen. Zwar wuchs Zaimoglus Vater in Yedikule (Siebentürme) auf, zwar erwanderte sich der Autor das Vielvölkerviertel, lauschte den Menschen dort und recherchierte den historischen Hintergrund, doch so gut wie nichts davon taucht in Form einer Kulisse auf. Insofern handelt es sich bei diesem Buch auch nicht wirklich um einen historischen Roman, sondern um eine Mischung aus Adoleszenzgeschichte, Räuberpistole, Rührstück und erzählerischer Reflexion über Fremde und Heimat.
  Während nämlich Wolfs Vater das Exil nur als Unterbrechung seines Lebens in Deutschland sieht und sich zunehmend feindselig gegen seine Gastgeber verhält, behauptet Wolf sich auf den Straßen des Siebentürmeviertels und wird von seiner muslimischen Pflegefamilie an Sohnes statt angenommen. Er entscheidet sich zu bleiben und wandelt sich vom „deutschen Kind, das die Düsternis vertreibt“ zum abergläubisch beäugten Todesboten. „Das Viertel ist mein Land“, bekennt er trotzdem. Ein Satz wie dieser bringt einen Teil von Zaimoglus Poetik auf den Punkt: die Abwendung von der großen Politik und das Bekenntnis zur Nachbarschaft, zum Mikrokosmos. Die apokalyptischen Zuspitzungen des Zweiten Weltkriegs spiegeln sich dieser Logik folgend darin, dass die Stimmung im Viertel kippt, und Zaimoglus Einschätzung der türkischen Politik darf man wohl in dieser düsteren Prophezeiung vermuten: „Dies Land ist verflucht. (. . .) Es wird sich nichts ändern.“
  Die große Politik schleicht sich also durch die Hintertür wieder ein, wenn es um Blut und Ehre, um Freundschaft und Verrat geht. Wolfs Jugendgang trägt ihre Kämpfe aus und sein türkischer Vater, der „Siebentürmemonarch“ Abdullah Bey, sorgt mit allen anderen Mitteln, nur nicht mit Worten für Recht und Ordnung im Viertel und nebenbei auch für die eigene Machtposition. Zugleich aber erzählt Zaimoglu eben auch, wie die soziale Hierarchie verhandelt und wie Sicherheit jenseits staatlicher Strukturen garantiert wird.
  Zaimoglus Frauenfiguren, die überwiegend die „neue Zeit“ repräsentieren, stellen diese archaischen Praktiken ebenso infrage wie die Männlichkeitsrituale, die von der türkischen Soziologin und Autorin Pınar Selek mal als „Feste der Angst, um Angst zu unterdrücken“ bezeichnet wurden. Aber das klingt schon viel zu analytisch. Zaimoglu ist ein wilder Erzähler des groben Strichs auf der großen historischen Bühne und des feinen Pinsels in den Details. Ihm unterläuft zum Beispiel einerseits, dass er im Eifer des Sprachgefechts den deutschen Vater trotz seines Abgrenzungsbedürfnisses sprachlich überhaupt nicht von den Siebentürmern unterscheidet. Dafür sind die Dialoge der Krämer und Armenier, der Irren und Clan-Führer, der Huren und Mütter oft von hinreißender Originalität.
  Der Roman „Siebentürmeviertel“ besteht überwiegend aus diesen Dialogen, die, wie es Zaimoglus Eigenart seit jeher ist, eine als solche erkennbare Kunstsprache mit dem Gestus der Straßensprache verbinden. Mancher Kritiker wird wieder einwenden, dass so doch keiner spricht und schon gar nicht die „einfachen“ Leute, denen Zaimoglus Herz gehört. Stimmt vielleicht, macht aber nichts, wenn Wolfs Pflegemutter Bayka Hanim ihren angenommenen Sohn mit dem Satz ermahnt: „Richte die Schneide nicht gen Himmel, die Engel verletzen sich die Zehen“, und wenn der sechsjährige Wolf seinen deutschen Vater mit dem Ausspruch zitiert: „Ich und dies Land – das passt wie der Geier ins Taubenhaus.“ Unglücklich der Leser, der sich an solchen Redewendungen nicht freuen kann und nicht über die Komik mancher Szenen in schallendes Gelächter ausbricht, zum Beispiel die eines der ersten Kinoereignisse im Viertel: „Der Held wird am Arm getroffen, läuft die Kellertreppe hinunter, und kommt gerade rechtzeitig: Der Boss will die entführte Heldin schänden. Entsetzensschreie der Frauen. Er schießt ihm in den Hals. Hochrufe der Männer. Minutenlanger Beifall.“
  In der Komik dieser Skizze verbirgt sich zugleich eine Würdigung des Kinos als gemeinschaftsstiftende Unterhaltungskunst. Ihr steht Zaimoglu näher als dem Epos mit bildungsbürgerlichem Anspruch. Seine ausufernden Romane gleichen trotz der Dialoge im Gestus eher dem Stummfilm oder dem Marionettentheater, das aus seiner Künstlichkeit keinen Hehl macht, trotzdem deftigst mitten aus dem Leben erzählt und im Subtext durchaus gewieft die politische Gegenwart kommentiert.
  Denn was anderes macht Feridun Zaimoglu, dieser clevere Meister im Spiel mit Erwartungen, als den herablassenden Blick der westlich-aufgeklärten Welt mit seiner balkan-romantischen Tragik-Burleske und der unendlichen Geschichte der Blutrache zu bedienen und damit bloßzustellen? „Große Worte. Große Gefühle. Und am Ende doch nur Gewalt“, sagt Wolf über die Türken. Sein Autor lehnt sich zurück, belässt es bei den 99 Namen Allahs und überantwortet anderen die Aufklärung des Abendlandes.
Zaimoglu verbindet wieder
eine erkennbare Kunstsprache mit
dem Gestus der Straßensprache
Badende an der Theodosianische Mauer, am Ufer von Yedikule, dem Istanbuler Viertel, in dem Feridun Zaimoglus Vater aufwuchs.
Foto: Andrea Kuenzig/laif
  
  
  
  
  
Feridun Zaimoglu:
Siebentürmeviertel. Roman. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2015.
800 Seiten, 24,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2015

Oma in Tschernobyl
Der zweite Abend von "Literatur im Römer"

Oskar geht betteln: auf der Gucci-Straße. Die Zürcher Bahnhofstraße mit ihren Luxusläden sei der richtige Ort, um seine Impulskontrolle zu überprüfen, meint sein Psychotherapeut. Eigentlich nicht seiner, sondern der von Viktor. Denn der beste Freund hat ein Eheproblem, aber keine Zeit für die Therapie. Deshalb soll Oskar ihn vertreten. So geht es an der Goldküste des Zürichsees zu, wo der Schweizer Schriftsteller Philipp Tingler logiert. Jetzt hat sich der offenbar gutbetuchte Autor in den sozialen Brennpunkt Frankfurt begeben, um sein Buch über "Schöne Seelen" (Kein & Aber) vorzustellen. Im Gespräch mit Alf Mentzer vom Hessischen Rundfunk amüsierte er das Publikum am zweiten Abend von "Literatur im Römer", der Veranstaltung, mit der die Stadt traditionell ihre Bürger zur Buchmesse beglückt. Tingler präsentiert ein Völkchen, das mit gelifteten Seelen sein Unglück auf hohem Niveau bejammert.

In Zürich ist alles besser: zum Beispiel das Licht zum Lesen. Jedenfalls musste sich der Autor ziemlich verrenken, ehe er sein eigenes Buch entziffern konnte. Auch mancher Gast in der VIP-Loge rutschte ungeduldig hin und her, weil es von hinten jedes Mal eisig hereinzog, wenn sich das Tor zu den Römerhallen öffnete und schloss. Aber das Kommen und Gehen ist typisch für den Leseabend mit acht Autoren im Viertelstundenrhythmus, den Mentzers Kollegin Cécile Schortmann regelmäßig überzog - zum Bedauern all derer, die ihre Rückenmuskeln auf den lehnenlosen Bierzeltbänken schmerzhaft spürten. Dabei konnte noch froh sein, wer rechtzeitig einen Sitzplatz ergattert hatte. Viele Besucher, wenn auch nicht mehr so viele wie am ersten Abend, standen sich auch in diesem Jahr die Beine in den Bauch - sogar die schon etwas betagteren. Das ist immer wieder bewundernswert.

Immerhin: Der zweite Abend war kurzweiliger als der erste. Das war neben Tingler vor allem Alina Bronsky zu verdanken. Nach einer peinlichen Selbstdarstellung Friedrich Anis mit seinem Groschenroman "Der namenlose Tag" (Suhrkamp) hievten Katharina Hacker und Feridun Zaimoglu die Veranstaltung auf seriöseres Niveau. Die deutsche Schriftstellerin mit dem Faible für Israel hat ein Buch über einen Mann verfasst, dessen Gespür für Sterbende ihn stets an den rechten Ort führt, um Beistand zu leisten, ob Mensch oder Tier. "Skip" (S. Fischer), der, wie sein Name sagt, manches überspringt, erinnert an den biblischen Bileam, der von seiner hellsichtigen Eselin geadelt wird. Zaimoglus poetisch dichter Achthundertseitenroman über das "Siebentürmeviertel" (Kiepenheuer & Witsch) von Istanbul lässt zwischen 1939 und 1949 archaische Mythen durch ein deutsches Flüchtlingskind raunen.

Aufatmen nach dieser gewöhnungsbedürftigen Rhapsodie samt kleinem Werwolf. Alina Bronsky erzählt in ihrem Roman "Baba Dunjas letzte Liebe" (Kiepenheuer & Witsch) von einer Ukrainerin, die auf ihre alten Tage nach Tschernobyl zurückkehrt. Dass die Tomaten verstrahlt sind, kümmert sie nicht, Hauptsache, der aufdringliche Hahn der Nachbarin landet im Kochtopf. Woher die junge russische Autorin die Erfahrungsweisheit, die Gelassenheit und den selbstkritisch trockenen Witz ihrer Ich-Erzählerin nimmt, bleibt ihr Geheimnis, aber sie gibt zu: "So eine Oma hätte ich gern gehabt."

Als Matthias Nawrat "Die vielen Tode des Opa Jurek" (Rowohlt) zur Hand nahm, war der Brezelkorb der Zuhörer leer. Konstantin, der gesottene Hahn, hatte offenbar den Appetit angeregt, nun aber stand "Todeshunger" an. Der deutsche Autor polnischer Herkunft hat seinem Großvater genau zugehört, und der hat ihm von Auschwitz erzählt. Nach solch schwerer Kost lieferte die Literaturkritikerin Ursula März einen albernen Kontrast. In ihrem Buch "Für eine Nacht oder fürs ganze Leben" (Hanser) erzählt sie von Leuten, die im Internet nach Partnern suchen - ein schwacher Abgesang.

CLAUDIA SCHÜLKE

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Rezensentin Wiebke Porombka hält Feridun Zaimoglu für ein Phänomen. Nicht nur, dass der Autor in jedem seiner Romane einen "ungebrochen intensiven, glühenden Ton" anschlage, nein: Nach Meinung der Kritikerin erfinde er dabei auch jedes Mal seine Sprache und sich selbst neu. Für das neueste Werk "Siebentürmeviertel" über einen deutschen, mit seinem Vater vor dem NS-Regime nach Istanbul geflohenen Jungen namens Wolf, bedeutet das eine von Metaphern gesättigte Sprache, die auf fast jeder Seite den Geruch von Körperflüssigkeiten versprüht, so die Rezensentin. Zwar seien die Worte, mit denen Zaimoglus junger Protagonist von der fremden neuen Heimat berichtet, eher "poetisch-dräuend" als die eines 6-Jährigen, befindet Porombka, doch den Blick des Kindes erzeuge der Autor dafür auf andere Weise beim Leser: durch eine Vielzahl an Figuren und das damit einhergehende Gefühl der Überforderung.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Zaimoglu zwingt den Leser an einen Ort mit beklemmender Atmosphäre, umgarnt ihn mit seiner dunklen Sprachgewalt und faszinierender Armut zugleich.« buchreport 20150910