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Wer war Joseph Caspar Witsch? Eine Spurensuche
Dies ist die Geschichte eines der innovativsten Verleger der frühen Bundesrepublik, in der es um Autoren, kulturellen und politischen Einfluss sowie um wirtschaftlichen Erfolg geht. Aber der Lebensweg des J.C. Witsch ist viel mehr als das - es ist eine schwindelerregende Reise durch die historischen Abgründe des 20. Jahrhunderts.Geboren und aufgewachsen in Köln geriet der junge Bibliothekar J.C. Witsch früh in Konflikt mit dem aufkommenden Nazi-Regime, stieg aber noch 1936 zum obersten »Volksbibliothekar« Thüringens auf. Zurückgekehrt von…mehr

Produktbeschreibung
Wer war Joseph Caspar Witsch? Eine Spurensuche

Dies ist die Geschichte eines der innovativsten Verleger der frühen Bundesrepublik, in der es um Autoren, kulturellen und politischen Einfluss sowie um wirtschaftlichen Erfolg geht. Aber der Lebensweg des J.C. Witsch ist viel mehr als das - es ist eine schwindelerregende Reise durch die historischen Abgründe des 20. Jahrhunderts.Geboren und aufgewachsen in Köln geriet der junge Bibliothekar J.C. Witsch früh in Konflikt mit dem aufkommenden Nazi-Regime, stieg aber noch 1936 zum obersten »Volksbibliothekar« Thüringens auf. Zurückgekehrt von seinem Kriegseinsatz in Italien führte er seine Ämter sogleich unter der sowjetischen Besatzungsmacht in Jena weiter, floh dann nach heftigen Auseinandersetzungen um ein neues Büchereigesetz und über seine Rolle in der NS-Zeit nach Westdeutschland, wo 1951 in Köln die ersten Bücher unter dem Verlagsnamen Kiepenheuer & Witsch erschienen. Er wird sofort zum Verleger großer belletristischer Autoren der Vor- und Nachkriegszeit (Heinrich Böll, Czewslaw Milosz, Joseph Roth, Erich Maria Remarque, Saul Bellow, J.D. Salinger, Vicki Baum, Ignazio Silone u.v.a.), war aber zugleich einer der einflussreichsten Netzwerker des Kalten Krieges gegen den Kommunismus. In diesem Zusammenhang publizierte er viele Klassiker der Kommunismuskritik wie Wolfgang Leonhards »Die Revolution entlässt ihre Kinder«, gründete einen Nebenverlag, der weitgehend vom Ministerium für gesamtdeutsche Fragen finanziert wurde und war der Kölner Statthalter des »Kongresses für kulturelle Freiheit«, dessen europäische Zentrale in Paris von der CIA gesteuert und finanziert wurde.Zugleich war er ein großer Kenner der Weltliteratur, ein Entdecker und Verführer, ein inspirierender öffentlicher Intellektueller und ein erfolgreicher Unternehmer.
Autorenporträt
Möller, FrankFrank Möller, Jahrgang 1954, Historiker, Germanist, Verlagskaufmann; zwei Jahre Redakteur der taz, sieben Jahre Verleger des Kölner Volksblatt Verlags, zwanzig Jahre freier Autor des Deutschlandfunks; Produktion und Management wissenschaftlicher Ausstellungen, Forschung und Prozessorganisation zu erinnerungspolitischen Themen und Fragestellungen. Nach seinem Buch Das Buch Witsch über die frühen Jahre von Joseph Caspar Witsch widmet er sich nun dem Verlagsprogramm.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Reinhard Wittmann weiß, dass mit dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs auch siebenundsechzig Regalmeter des Verlagsarchivs von Kiepenheuer & Witsch verloren gingen, die für eine quellengedeckte Verlagsgeschichte wichtig gewesen wären. Ob und wie Frank Möller mit diesem Umstand umgeht, wird sich aber erst im zweiten "Buch Witsch" zeigen, so der Rezensent, das erste widmet sich vor allem Joseph Caspar Witschs Lebensgeschichte im Nationalsozialismus, in der DDR und schließlich in der Bundesrepublik, dem Zusammenschluss mit Gustav Kiepenheuer und dem Streit mit der Witwe nach dessen Tod, fasst Wittmann zusammen. Besonders interessant findet der Rezensent, wie sich der "Antikommunismus als Verlagsprogramm und Dienstleistung", wie es bei Möller heißt, mit der bedeutenden Finanzierung durch US-Mittel fügt. Es wären hier Vergleiche zu anderen und ähnlichen publizistischen Strategien während des Kalten Krieges spannend, findet Wittmann.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.06.2014

Identifikation eines Ehrgeizigen
Exemplarische Aufstiegsgeschichte und großes Gesellschaftspanorama aus den frühen Jahren der Bonner Republik:
Frank Möllers Biografie erzählt das abenteuerliche Leben des Verlegers Joseph Caspar Witsch
VON LOTHAR MÜLLER
Im Jahr 1951 erschien im Verlag Kiepenheuer & Witsch in Köln das Buch „Berliner Kreml“. Als Autor firmierte Gregory Klimow, verfasst hatte es unter diesem Pseudonym Ralph Werner, der nach dem Krieg Mitarbeiter von Marschall Georgi Konstantinowitsch Schukow gewesen war, dem Oberkommandierenden der Sowjetischen Besatzungstruppen mit Sitz in Berlin-Karlshorst.
  Der Insider-Bericht aus der sowjetischen Militäradministration – er erreichte bis 1953 das 91.-130. Tausend der Gesamtauflage – erschien als Leinenausgabe mit Schutzumschlag, auf dem die Quadriga des Brandenburger Tores durch einen roten Stern ersetzt war, als Kleinformat in der Reihe „Rote Weissbücher“, um in der Westentasche weit herumzukommen, auch über die innerdeutsche Grenze hinaus, und als Billigdruck, dessen 40 000 Exemplare anlässlich der im August 1951 in Ost-Berlin stattfindenden Weltfestspiele der Jugend und Studenten im Westteil der Stadt verteilt wurden.
  Der Regierende Bürgermeister, Ernst Reuter, hatte mit Blick auf die Versorgungsengpässe in der DDR Suppenküchen einrichten. Aber nicht nur deshalb kamen Festspielteilnehmer und Mitglieder der DDR-Jugendorganisationen nach Westberlin, sondern auch, weil der damalige FDJ-Vorsitzende Erich Honecker Aktivisten dorthin geschickt hatte, um dort propagandistisch tätig zu werden.
  Auf Schritt und Tritt führen in dieser Biografie über den Verleger Joseph Caspar Witsch die Buchgeschichten mitten hinein in die deutsche Zeitgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Und wie später seine Bücher bis in die Details ihrer Formate und Finanzierung sind das Leben und die geistige wie die berufliche Existenz des Joseph Caspar Witsch bis in die Kapillaren hinein vom „Zeitalter der Extreme“ geprägt. Mit dieser Biografie tritt er aus dem Bereich der buch- und verlagswissenschaftlichen Spezialstudien heraus und wird für das allgemeine Publikum greifbar.
  Bisher war er das Appendix hinter dem Geschäfts- & im Verlagsnamen „Kiepenheuer & Witsch“. Dessen erster Teil führt zurück in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als Gustav Kiepenheuer in Weimar seinen Verlag gründet, dessen erstes Buch im Frühjahr 1910 erschien, der 1918 nach Potsdam umzog und zu einem der prägenden Verlage der Weimarer Republik wurde, als er Ernst Toller und Georg Kaiser verlegte, 1924 die Anthologie „Junge deutsche Erzähler“ herausbrachte und 1925 den Almanach „Europa“, in dem die literarische und künstlerische Moderne sich ineinander spiegelten.
  Joseph Caspar Witsch wurde am 17. Juli 1906 in Köln geboren, er gehörte demselben Jahrgang an wie Wolfgang Koeppen, René König, Hannah Arendt und Herbert Wehner. Aus bildungsbürgerlichen Verhältnissen kam er nicht, sein Vater war Dachdeckermeister und Inhaber eines Baugeschäftes. Der Vater fiel 1915 in Frankreich, die Firma ging bald darauf in Konkurs, der Sohn verließ im Jahr 1921 das Internat in Süddeutschland, das er dank eines Stipendiums besuchte, um eine Lehre in der Verwaltung der Stadt Köln zu machen. Er hatte ein Berufsziel, das er Anfang der Dreißigerjahre erreichte: Volksbibliothekar.
  Verleger wurde Joseph Caspar Witsch erst nach dem Zweiten Weltkrieg, mit über vierzig Jahren. Für seinen Biografen Frank Möller, Historiker, Germanist und Medienwissenschaftler und zwei Jahre lang Redakteur der taz , wird er nicht erst damit interessant. Er erzählt die Herkunftsgeschichte, die Bildungs- und Berufsgeschichte des Volksbibliothekars in Weimarer Republik und Nationalsozialismus breit und ausführlich. Zu Recht. Denn erst so wird die breite Amplitude dieses Lebens zwischen Sozialismus und rabiatem Antikommunismus, Anpassung und Eigensinn, Büchermachen und Politikmachen deutlich.
  Manchmal wirkt es arg ausschweifend, wenn der Biograf die Prägung des jungen Witsch durch den katholischen Zweig der Jugendbewegung durch einen Exkurs zur Jugendbewegung überhaupt anreichert, und arg detailverliebt, wenn er alle Reibereien und finanziellen Streitereien in der aufsteigenden Karriere des jungen Volksbibliothekars verfolgt. Aber ein Detail möchte man nicht missen: die frühe Identifikation des Joseph Caspar Witsch mit Julien Sorel, dem Helden in Stendhals Roman „Rot und Schwarz“. Es ist die Identifikation eines Ehrgeizigen mit einem Ehrgeizigen, der auszieht, um in die oberen Kreise aufzusteigen, sie zu erobern. Eleganz und Geschmack sind dabei nicht nur ästhetische Kategorien, sie sind Instrumente der Selbstbehauptung, des Aufstiegs und des Erwerbs von sozialem Kapital.
  Wie sein Bruder, der am Beginn des Nationalsozialismus verhaftet wurde, war der junge Witsch ein Sympathisant der SAP, der Partei Willy Brandts, seine Schrift „Berufs- und Lebensschicksale weiblicher Angestellter in der schönen Literatur“ (1932) wurde 1933 verbrannt, und er hatte zeitweilig Karrierenachteile zu befürchten, aber er gelangte im Nationalsozialismus über ein Zwischenspiel in der Stralsunder Volksbibliothek in eine kulturpolitische Schlüsselposition: 1936 wurde er Direktor der Ernst-Abbe-Bücherei in Jena und zugleich Leiter der Landesstelle für das Büchereiwesen in Thüringen.
  Hier hat dieses Leben einen ersten Höhepunkt, das dem Biografen Rätsel aufgibt, die er nicht alle lösen kann. In Jena lebt damals die mehr als eine Generation ältere Schriftstellerin Ricarda Huch, wahrlich keine Sympathisantin der Nationalsozialisten, sie schenkt den Töchtern von Witsch Käthe-Kruse-Puppen. Eine Beziehung beginnt, die nach dem Krieg zur Ricarda- Huch-Gesamtausgabe des Verlegers führen wird. Aber die Karriere des Joseph Caspar Witsch beruht nicht nur darauf, dass er seine in der Republik erworbenen Fähigkeiten als Modernisierer der Volksbibliotheken in sein neues Amt einbringt. Sie beruht auch darauf, dass er in Vorworten, Reden und Broschüren die Sprache des Nationalsozialismus spricht, bis weit in die Kriegsjahre hinein – zur „Tarnung“, wie er nach dem Krieg sagen wird.
  In einer Fülle von Dokumenten, auch solchen, die aus dem unmittelbaren Familienumkreis stammen, bringt Frank Möller dieses Lavieren zwischen „Tarnung“ und „Anpassung“ zur Darstellung – und lässt keinen Zweifel daran, dass bei Witsch nach 1945 die – an vielen Stellen berechtigte – Selbstapologie die Energien kritischer Selbstreflexion nachhaltig blockierte.
  Ein Mann von gut vierzig Jahren, der es zu einer wichtigen Position im NS-Staat gebracht hat und an der Front in Italien gewesen ist, macht nach Kriegsende 1945 in Thüringen die Bekanntschaft des Verlegers Gustav Kiepenheuer. Kiepenheuer erhielt zwar 1947 eine neuerliche Verlagslizenz von den sowjetischen Behörden, sah aber angesichts der politischen und ökonomischen Lage Schwierigkeiten voraus und fand in Witsch einen Partner, mit dem er im Februar 1948 einen Vertrag für einen neuen Verlag Gustav Kiepenheuer schloss. Kiepenheuer starb aber schon im April 1949, da war Witsch schon gut ein Jahr in den Westen geflüchtet, als ihm die Verhaftung wegen seiner kompromittierenden Artikel aus der NS-Zeit drohte.
  Ein Dickicht ist nun für den Biografen und seine Leser zu durchqueren: die Auseinandersetzung zwischen Witsch und der Witwe Kiepenheuers, Noa Kiepenheuer. Witsch baute, zunächst in Hagen in Westfalen, dann in Köln, den Kiepenheuer Verlag neu auf, Noa Kiepenheuer führte ihn in Weimar fort. In die Auseinandersetzung ging der mit der Gründung der Bundesrepublik und der DDR einsetzende Kalte Krieg als Hintergrundvoraussetzung ein. Die Trennung der beiden Standorte des Verlags erfolgte 1951. Es gab fortan zwei verschiedene Verlage mit zwei verschiedenen Namen, die aber ein Element gemeinsam hatten: Kiepenheuer in Weimar und Kiepenheuer &Witsch in Köln.
  Die Neugründung unter Beibehaltung des alten Verlagsnamens mit seinem guten Klang war ein – trickreich und mit harten Bandagen erkämpfter – Erfolg für Joseph Caspar Witsch. Nach der Zwangsvereinigung von KPD und SPD war er zeitweilig SED-Mitglied gewesen, führte aber bei seinem Zwischenspiel in Hagen 1948 als Spitzenkandidat einen Kommunalwahlkampf gegen die Kommunisten. Die politische Linie auch des Verlegers Joseph Caspar Witsch war von da an eindeutig.
  Und „Das Buch Witsch“ – sein Autor ist nicht von ungefähr eher Zeit- als Literarhistoriker – wird nun zur „Akte Witsch“, zu einer dichten Chronik des Netzes, in das Joseph Caspar Witsch sich selbst als Person wie seinen Verlag seit Beginn der Fünfzigerjahre integrierte: das – erheblich von der CIA finanzierte – Netz des kulturellen Antikommunismus um Melvin Lasky und die Zeitschrift Der Monat , um den „Kongress für kulturelle Freiheit“ und die Vielzahl seiner Nachbarorganisationen. Das Radio, die Podiumsdiskussionen, die Kooperation zwischen den Medien beginnt nun eine Hauptrolle zu spielen, Koffer werden leer über Tische geschoben und kehren gefüllt mit amerikanischem Geld zurück, im Verlagsprogramm nehmen die Lebensgeschichten von Renegaten, die dem Kommunismus abgeschworen haben, eine Schlüsselrolle ein: der Sammelband „Ein Gott, der keiner war“ (1952) mit Beiträgen von Arthur Koestler, Ignazio Silone, Richard Wright, André Gide, Louis Fischer und Stephen Spender macht in der Reihe „Rote Weissbücher“ Furore.
  Neben Joe Heydecker und Johannes Leebs „Der Nürnberger Prozess“ (1958) und Erich Maria Remarques Roman „Der Funke Leben“ (1952) erscheinen die Memoiren des Generals Frido von Senger und Etterlin „Krieg in Europa“ (1952). Im gleichzeitigen propagandistischen Feldzug gegen die nationalsozialistisch-revisionistischen Schriften und gegen den Kommunismus wird der Verlag Kiepenheuer & Witsch zu einem Aufsteiger unter den deutschen Nachkriegsverlagen.  
  Die Biografie Frank Möllers erzählt das als exemplarische Geschichte aus der Bonner Republik der frühen Jahre, mit einem großen Panorama von Figuren, bis zum Tod von Witsch im Jahre 1967. Viele Dokumente, die Möller gerade noch kopiert hat, sind beim Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009 wohl verschwunden. Das rechtfertigt ausführliche Zitate. Bedauerlich ist die gelegentliche Abwertung von Vorarbeiten, etwa von Birgit Boges Buch „Die Anfänge von Kiepenheuer & Witsch(1948-1959)“. Bedauerlich auch, dass das im engeren Sinne literarische Verlagsprogramm mit Heinrich Böll und viel internationalem Import erst in einem zweiten Band ausführlich gewürdigt werden soll.
Es sagt viel über Witsch aus,
dass sein Vorbild Julien Sorel war,
der Held aller Karrieristen
Im Lavieren zwischen
„Tarnung“ und „Anpassung“
war Witsch ein Meister
            
  
  
  
  
Frank Möller: Das Buch Witsch. Eine Biografie. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014.
784 Seiten, 29,99 Euro, E-Book 26,99 Euro.
In Hagen in Westfalen startete Witsch sein Verlagsprojekt. Die ersten Buchumschläge entwarf der dort lebende Maler Emil Schumacher (hier: Julien Greens „Leviathan“).
Kurt Zentners zweibändige Text-Bild-Collage „Aufstieg aus dem Nichts. Deutschland von 1945 bis 1953“ war mehr als nur eine Feier des Marshall-Plans.
Foto: Kiepenheuer & Witsch
Diese Fotografie von Joseph Caspar Witsch aus den Zwanzigerjahren stammt von August Sander.
Unten: Das frühe Verlagssignet
des Gustav-Kiepenheuer-Verlags.
Fotos: Kiepenheuer & Witsch Verlag
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.01.2015

Der Kampf für die Freiheit war sein Bombengeschäft
Frank Möller erzählt die Geschichte der politischen Publizistik von Joseph Caspar Witsch und liefert Einblicke in die publizistischen Strategien des Kalten Krieges

Als im März 2009 das Kölner Stadtarchiv dem U-Bahn-Bau zum Opfer fiel, ging neben zahllosen mittelalterlichen Urkunden und dem Nachlass von Heinrich Böll auch das umfangreiche Verlagsarchiv von Kiepenheuer & Witsch (wohl endgültig) zugrunde - 67 Regalmeter, darunter rund 35 000 Briefe von und an den Verleger Joseph Caspar Witsch. Dessen jetziger Biograph Frank Möller hatte aber schon Tausende Kopien angefertigt. Verloren sind unter anderem die gesamte Lektoratskorrespondenz (samt dem Vorlass des Lektors Dieter Wellershoff), Produktionsunterlagen und Bilanzen, kurz: die Grundlagen für eine quellenbasierte Geschichte des Verlags.

1906 in Köln-Kalk geboren, wuchs Witsch in der katholischen Quickborn-Bewegung auf, sympathisierte dann aber mit der SAP, jener linken SPD-Abspaltung, zu der sich auch Willy Brandt bekannte. 1933 trat er, denunziert, in die SA ein und machte schnell Karriere als Volksbibliothekar. Der Dreißigjährige wurde nach Jena berufen, zum Leiter der Thüringischen Landesstelle für volkstümliches Büchereiwesen und zugleich zum Direktor der renommierten, doch reformbedürftigen Jenaer Abbe-Bücherei. Er galt als umtriebiger Modernisierer, der statt aufdringlicher Leserpädagogik für die "totale Bücherei" plädierte, ein engmaschiges Netz der Grundversorgung mit zentraler Bestandssteuerung.

Solcher Eifer und Erfolg waren nicht ohne Konzessionen denkbar. Die Mitgliedskartei der NSDAP führte ihn von 1937 an. In seinen Publikationen, vor allem Bestandsverzeichnissen, die auch als Empfehlungslisten dienten ("Der Führer in hundert Büchern", "Deutschland im Kampf für ein neues Europa"), finden sich Hitlerkult, Kriegspropaganda und antisemitische Stereotype. Dergleichen empfahl ihn 1942 für die Schriftleitung des Fachorgans "Die Bücherei".

War solche Gesinnungsfestigkeit nur eine "für alle Funktionsträger verbindliche Fassade", wie Möller meint? Er trägt in einem fiktiven Interview mit Witsch dessen Rechtfertigungsargumente zusammen, deren Selbstgerechtigkeit heute irritieren mag, damals freilich die Regel war: "Ich bin an keinem Tag dieser zwölf Jahre davor sicher gewesen, verhaftet zu werden, und habe mich auch nie sicher gefühlt ... Ich selbst bin, das gebe ich unumwunden zu, stolz darauf, dass mir die Tarnung gelungen ist. Das hat nicht nur mir genützt, das hat sehr vielen anderen Menschen genützt, und das hat vor allen Dingen meiner Sache genützt."

Nach kurzem militärischen Intermezzo kehrte Witsch an seinen nun ostzonalen Arbeitsplatz zurück. Im Juli 1945 fertigte er einen Entwurf für eine Säuberung der Thüringer Bibliotheken an. Als SPD- und damit alsbald SED-Mitglied war er rasch zuständig für Verlagslizenzierungen, Ausbildung des bibliothekarischen Nachwuchses und Ausarbeitung eines Büchereigesetzes. Doch gegen das Ziel strikter ideologischer Konformität sämtlicher Büchereien sträubte er sich, zugleich begann eine heftige Denunziationskampagne, die ihn als üblen Ex-Nazi schmähte. Anfang 1948 ließ man den Genossen Witsch fallen; er floh in die britische Zone, wo er mit dem berühmten Gustav Kiepenheuer einen Verlag gründete. Noch bevor Anfang 1949 die Lizenz eintraf, kam zum Weihnachtsgeschäft 1948 in Hagen das erste Buch heraus: "Schneeweißchen und Rosenrot" der Brüder Grimm, schnell gefolgt von Julien Green, Ricarda Huch und Franz Kafka. Als Kiepenheuer im April 1949 starb, wollte die Witwe jedoch dessen alten Verlag in Weimar halten. Es begann, je nach Perspektive, ein Schurken- oder Heldenstück um Buchbestände und Lizenzgebühren: listiger Jungverleger entwischt ostzonaler Umklammerung oder rheinischer Kapitalist übertölpelt redliche fortschrittliche Erbin. Man einigte sich 1951, der Westverlag zog nach Köln. Dort widmete sich Witsch neben der Verlagsarbeit mit außerordentlichem Engagement der politisch-polemischen Arbeit im Zeichen des intensiveren Kalten Krieges. Knapp die Hälfte von Möllers Buch ist Witschs umfangreichen antikommunistischen Aktivitäten in der frühen Bundesrepublik gewidmet. Es habe keinen zweiten Verlag gegeben, "in dessen Programm die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus über eine Zeit von 15 Jahren eine derart breite Spur hinterlassen hat". Er gründete Imprints (vor allem den Verlag für Politik und Wirtschaft), Buchreihen, Zeitschriften, organisierte und plante unablässig als agiler Initiator, der politische und ökonomische Interessen zu verbinden verstand, und wirkte in zahlreichen Foren, Zirkeln, mehr oder minder diskreten Seilschaften und Klüngeln maßgeblich mit.

Natürlich sorgte Witsch dafür, dass der ideologische Kampf für Freiheit und Demokratie auch ein glänzendes Geschäft war. Eine Reihe "Roter Weißbücher", die auch in die SBZ geschmuggelt wurde, subventionierte das amerikanische Hochkommissariat mit Zuschüssen (teils agentenromantisch auch mittels Bargeldköfferchen). Von Wolfgang Leonhards Bestseller "Die Revolution entlässt ihre Kinder" (1955) gab es vier Tarnversionen für den Absatz im Osten. Die jährliche Materialsammlung "SBZ-Archiv" bot mit einer Fülle von Dokumenten Einblick in das totalitäre System des SED-Regimes.

Die Finanzierung dieser Produktion ging in den fünfziger Jahren auf die Bonner Ministerien und Behörden über. Kiepenheuer & Witsch galt als eine Art Hausverlag des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen. Möller sieht darin "Antikommunismus als Verlagsprogramm und Dienstleistung"; er zählt von 1950 bis 1967 insgesamt mehr als hundert Verlagstitel, die sich kritisch mit dem kommunistischen System und der DDR befassen. Die umfassten aber auch engagierte politische Sachbücher, etwa von Czeslaw Milosz oder Raymond Aron, Autobiographien von Exkommunisten wie Margarete Buber-Neumann und Arthur Koestler.

Besonders eingehend befasst sich Möller mit dem 1950 gegründeten "Kongreß für kulturelle Freiheit" (CCF), der während anderthalb Jahrzehnten als maßgebliche westliche Agentur des Kalten Krieges galt. Allerdings gab es jenseits des antikommunistischen Grundkonsenses unter den Protagonisten erhebliche interne Spannungen trotz (oder wegen?) üppiger Finanzierung, hauptsächlich durch die CIA. Der CCF war lange Jahre Abnehmer von Witschs einschlägiger Produktion für Verteilungsaktionen in der DDR. Eine Niederlage musste der Verleger beim Wettbewerb um Melvin Laskys "Monat" einstecken: Klaus Harpprecht brachte die Zeitschrift 1967 als Morgengabe zu S. Fischer, der CCF-und CIA-Verbindungsmann versprach für fünf Jahre eine Million D-Mark Zuschuss. Doch spätestens mit dem Erscheinen von Suhrkamps "Kursbuch" im Folgejahr büßte der "Monat" seine Rolle ein.

Mit seinem flammenden Antikommunismus bewegte sich Witsch im damaligen politischen und gesellschaftlichen Mainstream. Gegen ein Wiederaufleben braunen Ungeistes hat er sich eingesetzt, aber er sah die Deutschen eher als Opfer- denn Tätergemeinschaft und ließ bei einstigen Jasagern unter seinen Autoren Nachsicht walten. Schließlich war er auch selbst einer radikalen Gewissensprüfung stets ausgewichen.

Möller hat eine quellengesättigte Biographie vorgelegt, die sich um eine ausgewogene Würdigung des problematischen Homo politicus Witsch bemüht. Man kann die empörte Behauptung der Töchter Witschs nicht nachvollziehen, das Buch sei "eine geschickt manipulierte Verunglimpfung einer dem Autor offensichtlich völlig fremden Persönlichkeit". Trotz mancher Längen bietet sich ein erhellender, nicht selten spannender Blick hinter die kulturpolitischen Kulissen der Adenauer-Zeit und die publizistischen Strategien des Kalten Krieges.

Das Buch ist allerdings keine Verlagsgeschichte. Es fällt kein vergleichender Seitenblick auf ähnliche Erfolgsfiguren der Buchbranche nach 1945 wie etwa Kurt Desch, Reinhard Mohn, Heinrich Maria Ledig-Rowohlt oder auch Peter Suhrkamp. Ein Profil des Verlags entsteht nicht, das Literaturprogramm wird erklärtermaßen gänzlich ausgespart, es gibt keinen Überblick der Gesamtproduktion, keine Wirtschaftszahlen, keine Unternehmenschronik. Ob es Möller trotz der Zerstörung des Verlagsarchivs noch gelingen kann, die wichtige Rolle von Kiepenheuer & Witsch im literarischen Leben der frühen Bundesrepublik zu schildern, wird das bereits angekündigte zweite "Buch Witsch" zeigen.

REINHARD WITTMANN.

Frank Möller: "Das Buch Witsch". Das schwindelerregende Leben des Verlegers Joseph Caspar Witsch. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014. 778 S., Abb., geb., 29,99 [Euro].

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