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Ein Medizinjournalist wechselt seine Identität und wird Pharma-Consultant. Erschreckendes Ergebnis seiner Recherchen: Weite Bereiche unserer Medizin stehen unter der Kontrolle der großen Pharmakonzerne. Und zahlreiche Ärzte - vom Klinikchef bis zum Allgemeinarzt - machen sich zu gut bezahlten Handlangern. Der Autor absolviert eine sechsmonatige Ausbildung zum Pharmavertreter und gründet - auf dem Papier - eine Beratungsfirma für die Arzneimittelindustrie. Damit baut er sich über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren eine respektable Identität als Pharma-Consultant auf, nimmt an…mehr

Produktbeschreibung
Ein Medizinjournalist wechselt seine Identität und wird Pharma-Consultant. Erschreckendes Ergebnis seiner Recherchen: Weite Bereiche unserer Medizin stehen unter der Kontrolle der großen Pharmakonzerne. Und zahlreiche Ärzte - vom Klinikchef bis zum Allgemeinarzt - machen sich zu gut bezahlten Handlangern.
Der Autor absolviert eine sechsmonatige Ausbildung zum Pharmavertreter und gründet - auf dem Papier - eine Beratungsfirma für die Arzneimittelindustrie. Damit baut er sich über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren eine respektable Identität als Pharma-Consultant auf, nimmt an brancheninternen Symposien teil, erhält Zugang zu Marketingdokumenten und Datenbanken und nimmt Kontakt zu Klinikchefs und Chefärzten auf.
Warum sind Medikamente so teuer? Weil so viel in die Entwicklung und Erforschung von neuen Medikamenten investiert wird, die allen Patienten zugutekommen! So die Antwort der Pharmaindustrie. Tatsächlich wird intern ungeniert kritisiert, dass es mit der Innovationskraft der Industrie nicht weit her ist. Was unter "Forschung und Entwicklung" verbucht wird, sind meist Marketingmaßnahmen, die nur den Zweck haben, den Gewinn der Konzerne zu erhöhen. Die Pharmaindustrie beschäftigt ein ganzes Heer von Marktforschern und Informanten, die ständig untersuchen, wie häufig Medikamente verschrieben werden, welcher Umsatz damit erzielt wird, warum Ärzte bestimmte Medikamente verschreiben und andere nicht, welche Wirkung Pharmavertreter auf die Zahl der Verschreibungen haben. Ohne die aktive Mithilfe von Ärzten wäre das alles nicht möglich. Pharmakonzerne kontrollieren das Gesundheitswesen durch das so genannte "Thought Leader Management" - spezielle Firmenabteilungen, die sich nur damit beschäftigen, wie einflussreiche Ärzte für die Zwecke der Pharmaindustrie am besten eingesetzt werden. Die Antwort: Das geschieht am wirksamsten mithilfe von lukrativen Beraterhonoraren, teuren klinischen Studien und Einladungen zu hoch bezahlten Vorträgen vor Ärzten.
Aus dem Inhalt:- Wie Klinikchefs sich zu unethischen und verbotenen Studien an ihren Patienten verführen lassen
- Reportagen aus dem Alltag der Pharmaindustrie: Wie sie die Ärzte im Griff hat
- Detaillierte Honorarlisten der Pharmaindustrie für Ärzte, die nach ihrer Bedeutung in die Kategorien A, B und C oder "Gold", "Silber" und "Bronze" eingeteilt werden
- Die Namen prominenter Ärzte aus Deutschland und Österreich, die auf der Zahlungsliste von Konzernen stehen
- Konkrete Beispiele für Betrügereien und Manipulationen der Konzerne - von der Forschung und Lehre bis zur Durchsetzung neuer Medikamente
- Hitliste der rücksichtslosesten Konzerne: Wie viel sie für die Korrumpierung von Ärzten ausgeben, welche Gewinne sie machen, wie viel sie in Forschung und Marketing investieren
Autorenporträt
Dr. phil. Hans Weiss, 1950 in Hittisau / Österreich geboren. Studium der Psychologie und Soziologie in Innsbruck, Wien, Cambridge und London. Freier Journalist und Buchautor in Wien. Reportagen und Berichte für Stern, Spiegel, ORF, ZEIT. Mehrere journalistische Preise.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2008

Was in der Musterpackung alles drin ist

Nie zuvor wurden so offen Ross und Reiter benannt: Hans Weiss dokumentiert detailreich den verdeckten Einfluss der Pharmaindustrie auf Politik, Forschung und medizinische Behandlung.

Vor vier Jahren stellte eine Arzneimittelfirma in einer Werbekampagne für ihr Antidepressivum die rückschauende Diagnose, nach der Goethe an einer bipolaren Störung gelitten haben soll: Hätte er bereits dieses Medikament gekannt, wäre ihm schnell geholfen worden - oder in den Worten der Werbetexter: "Goethe hat wieder Hoffnung und Perspektive. Zyprexa. Damit das Leben weitergeht."

Zumindest sollte wohl das Geschäft weitergehen. Die eher kuriose Marketingstrategie für dieses "Blockbuster"-Medikament, die der bekannte österreichische Medizinjournalist und Sachbuchautor Hans Weiss ("Bittere Pillen") vermerkt, gehört zu den harmloseren Umtrieben der Pharmaindustrie, die er in seinem neuesten Buch offenlegt. Wie einst Günter Wallraff legte er sich zur Tarnung eine neue Identität zu. Er gab sich als Pharmaberater aus und erhielt so Zutritt zu brancheninternen Symposien und Datenbanken. Auch gelang es ihm auf diese Weise, angesehene Mediziner in die von ihm gelegte Falle tappen zu lassen.

Was Weiss bei seinen Recherchen herausgefunden hat, ist zwar zum Teil seit langem bekannt und immer wieder Stein des Anstoßes gewesen, aber nie zuvor sind so offen Ross und Reiter genannt worden. Der Anhang besteht aus einer detaillierten und ungemein hilfreichen Auflistung von Pharmafirmen, mit Angaben darüber, wie viel sie in Forschung und Marketing investieren und welcher unethischen oder gesetzeswidrigen Praktiken sie bis dato überführt oder beschuldigt wurden. Noch brisanter dürfte die Ärzteliste sein, in der die enge Verflechtung einer großen Zahl angesehener Ärzte in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit der Pharmaindustrie minutiös nachgewiesen wird. Und was noch mehr überrascht: Größtenteils stammen diese kompromittierenden Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen, beispielsweise Konferenzprogrammen oder "Conflicts of Interest"-Erklärungen in anglo-amerikanischen Fachzeitschriften.

Weiss gibt Einblick in die Methoden der Marketingabteilungen der Branchenriesen, die einen Großteil der Gelder nicht mehr für Forschung, sondern für Werbung ausgeben. Auch erfahren wir etwas über den deprimierenden Alltag eines Pharmareferenten ("Ehrlich gesagt, ich habe mir den Job anders vorgestellt"), in dem die kostenlosen Musterpackungen der unentbehrliche Zugangsschlüssel zur Arztpraxis sind. Um die Werbetrommel für ein Arzneimittel zu rühren, scheuen die Pharmakonzerne nach Weiss auch nicht davor zurück, negative Ergebnisse klinischer Studien zu verschweigen. Schwerer wiegt, dass ein Großteil der für die Zulassung wichtigen Studien nicht unabhängig erstellt wurde. Sie werden nämlich von der Pharmaindustrie nicht nur finanziert, sondern auch zum Teil mit Hilfe von "Ghostwritern" verfasst.

Dass dies für die beteiligten Ärzte ein gutes Geschäft ist, liegt auf der Hand. Im Unterschied zu den Vereinigten Staaten, wo eine Arbeitsgruppe der Association of American Medical Colleges (AAMC) im Frühjahr 2008 konkrete Vorschläge machte, wie man die Einflussnahme der Pharmaindustrie auf Dauer verringern kann, fehlt es in Deutschland an ähnlichen Initiativen. Immerhin existiert seit dem Jahr 2004 ein Verhaltenskodex der "Freiwilligen Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V.". Dieser schreibt unter anderem vor, dass Ärzte "nicht in unlauterer Form beeinflusst werden" dürfen. Auch sind Geld- und Sachspenden über einen Betrag von mehr als zehntausend Euro pro Jahr und Empfänger zu veröffentlichen.

"Ehrenwert, aber wirkungsarm", nennt dies das Forum Gesundheitspolitik, auf dessen Webseite zahlreiche Fälle von Einflussnahme dokumentiert sind, die zum Teil ebenfalls von Weiss herangezogen werden. Dort findet sich auch der Hinweis auf eine Untersuchung, die 2008 in der Fachzeitschrift "Journal of Nervous and Mental Diseases" erschien. Analysiert wurden der Wahrheitsgehalt und die wissenschaftliche Nachvollziehbarkeit der Werbung für Psychopharmaka. Der Befund überrascht kaum: In der Kategorie "Wirksamkeit" ließ sich nur für knapp über die Hälfte der Behauptungen eine Bestätigung finden.

Erschreckender ist noch etwas ganz anderes, das Weiss bei seinen Recherchen herausgefunden hat. Er befragte (getarnt als Pharma-Consultant) fünf renommierte Psychiater, vier in Deutschland und einen in Österreich, ob sie bereit seien, schwer depressive Patienten, bei denen bekanntlich das Suizidrisiko hoch ist, in einer klinischen Studie auch nur mit Placebo statt mit einem bewährten Antidepressivum als Vergleichsmedikament zu behandeln. Nur einer wies darauf hin, dass dies eine heikle Sache sei, da die Deklaration von Helsinki, also die ethische Richtschnur für Ärzte in aller Welt, verbietet, bei schweren Erkrankungen eine placebokontrollierte Studie durchzuführen, wenn es bereits eine Standardtherapie gibt. Die anderen hatten offenkundig keine moralischen Skrupel und bekundeten Interesse an der Durchführung solcher Forschungen.

Die in Deutschland für die Genehmigung solcher Studien zuständigen Ethik-Kommissionen legen offensichtlich ihre Richtlinien sehr lax aus. Dabei ginge es methodisch auch anders. Aber eine placebokontrollierte Studie mit achtzig Patienten, so rechnet uns Weiss vor, kostet etwa drei Millionen Euro, eine sogenannte aktive Kontrollstudie, die ohne Placebo auskommt, benötigt achthundert Patienten und kostet zehnmal so viel. Placebo ist also nicht nur in der Therapie, sondern auch in diesem Fall erheblich billiger!

ROBERT JÜTTE

Hans Weiss: "Korrupte Medizin". Ärzte als Komplizen der Konzerne. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008. 271 S., geb., 18,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Robert Jütte zeigt sich erschüttert. Was der Medizinjournalist Hans Weiss in seinem Buch nach Wallraff-Art (als Pharmaberater mit Zugang zu den entsprechenden Daten) recherchiert hat, jagt dem Rezensenten einen mächtigen Schrecken ein. Zwar sind Jütte die Umtriebe der Pharmaindustrie bekannt, doch so offen wie hier, meint er, hat noch niemand über die gesetzeswidrigen Praktiken und die Schuldigen geschrieben. Schaudernd geht Jütte die Listen über Ärzte und Pharmafirmen durch, erfährt Details über ihr einträgliches Networking in Deutschland, in der Schweiz und in Österrreich und über die fragwürdigen Methoden der Marketing-Abteilungen. Besonders schwer verdaulich findet er die Information, dass ein Großteil der Zulassungsstudien für neue Medikamente von der Pharmaindustrie finanziert oder mit Hilfe von "Ghostwritern" gar selbst verfasst werden. Magenschmerzen verursacht dem Rezensenten schließlich auch der vom Autor eröffnete Einblick in die moralische Verfassung renommierter Psychiater beim Umgang mit Psychopharmaka und Placebos. Die Richtlinien der zuständigen Ethik-Kommissionen erscheinen dem Rezensenten "sehr lax".

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»Nie zuvor wurden so offen Ross und Reiter benannt: Hans Weiss dokumentiert detailreich den verdeckten Einfluss der Pharmaindustrie auf Politik, Forschung und medizinische Behandlung.« Robert Jütte FAZ