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Der Romancier Christoph Hein, der unbestechliche Chronist der Gegenwart, der genaue Registrator der Widersprüche innerhalb der DDR, der Aufdecker der Schwachstellen der gesamtdeutschen Entwicklungen, wendet sich in seinem neuen Erzählwerk den Mythen, den Göttern, den Erzählungen von den Taten und Untaten der alten Welt zu. Dabei entdeckt er Hochspannendes: Kleine Korrekturen an den für unveränderlich geltenden Berichten über die Taten und Niederlagen der Götter und Titanen können deren Leistungen in ihr Gegenteil verkehren; sie zeigen, dass alles auch ganz anders hätte vonstattengehen können,…mehr

Produktbeschreibung
Der Romancier Christoph Hein, der unbestechliche Chronist der Gegenwart, der genaue Registrator der Widersprüche innerhalb der DDR, der Aufdecker der Schwachstellen der gesamtdeutschen Entwicklungen, wendet sich in seinem neuen Erzählwerk den Mythen, den Göttern, den Erzählungen von den Taten und Untaten der alten Welt zu. Dabei entdeckt er Hochspannendes: Kleine Korrekturen an den für unveränderlich geltenden Berichten über die Taten und Niederlagen der Götter und Titanen können deren Leistungen in ihr Gegenteil verkehren; sie zeigen, dass alles auch ganz anders hätte vonstattengehen können, Sieger zu Verlierern werden können, gute Absichten sich in ihr Gegenteil verkehren, völlig neue Bedeutungen sich herauskristallisieren.
Damit ist klar, dass die neuen Erzählungen von Christoph Hein ins Herz der Gegenwart zielen: Der Gang der Ereignisse lässt sich durch kleine Modifikationen in völlig andere Richtungen lenken. Und auch die Vergangenheit, als Fixpunkt der Gegenwart, verändertdurch diese Neuerzählungen ihr Gesicht.
Autorenporträt
Hein, Christoph
Christoph Hein wurde am 8. April 1944 in Heinzendorf/Schlesien geboren. Nach Kriegsende zog die Familie nach Bad Düben bei Leipzig, wo Hein aufwuchs. Ab 1967 studierte er an der Universität Leipzig Philosophie und Logik und schloss sein Studium 1971 an der Humboldt Universität Berlin ab. Von 1974 bis 1979 arbeitete Hein als Hausautor an der Volksbühne Berlin. Der Durchbruch gelang ihm 1982/83 mit seiner Novelle Der fremde Freund / Drachenblut. Hein wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Uwe-Johnson-Preis und Stefan-Heym-Preis.

hristoph Hein der Eichendorff-Literaturpreis verliehen, 2012 der Uwe Johnson Preis und 2013 der Internationale Stefan-Heym-Preis der Stadt Chemnitz. Chrisoph Hein wurde außerdem 1994 das Bundesverdienstkreuz verliehen. Der Autor lebt in Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Björn Hayer singt ein Loblied auf Christoph Heins neues Buch "Vor der Zeit". Den Kritiker verschlägt es hier auf den Olymp, wo er Odysseus, Zeus und Co. als dekadente moderne Gesellschaft von "Raffgierigen, Triebhengsten und Alkoholikern" erlebt. Wenn Zeus als Bunga-Bunga-Fürst seinen ersten Seitensprung bereits in der Hochzeitsnacht begeht, das Betreiben von Orakeln zur Finanzierung des ausschweifenden Lebensstils dient und statt Regeln "plumpe" Liberalisierung und Sittenverfall den Alltag regieren, erkennt der Rezensent die ein oder andere Analogie zur politischen Gegenwart. Einmal mehr erzähle Hein herrlich unaufgeregt, mit "leichtfüßiger" Ironie und entfalte dabei das "ganze Spektrum erzählerischer Gestaltungskraft", lobt der Rezensent, der selten eine so zeitlose Überarbeitung der antiken Mythen gelesen hat.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.2013

Im freien Wettbewerb offenbaren sich die Götter als ziemlich profitversessen

Christoph Hein arrangiert in seinem neuen Erzählband "Vor der Zeit" die alten Mythen neu. Obgleich er jede direkte Anspielung auf die Gegenwart unterlässt, stimmen seine Neuverfugungen antiker Stoffe den Ton der Parabel an.

Diesen Göttern ist nicht mehr zu helfen: Trinkgelage, Orgien und Raufereien haben auf dem Olymp Einzug gehalten. Vom Glanz des Goldenen Zeitalters ist in Christoph Heins Erzählband "Vor der Zeit. Korrekturen" in der Tat wenig spürbar. Die Mythen der griechischen Antike, deren sich der Autor neuerdings bedient, sind dabei alles andere als vergilbter Sagenstoff.

Vielmehr rettet er die Geschichten über Odysseus, Zeus und Co. in die Gegenwart, projiziert sie auf die Folie einer von Dekadenz durchdrungenen Gesellschaft aus Raffgierigen, Triebhengsten und Alkoholikern. Allen voran die Ausfälle des hallodrihaften Göttervaters und Lüstlings Zeus lassen das Elysium zum Rummelplatz werden: Während der Bunga-Bunga-Fürst erotisiert durch die himmlischen Gefilde zieht, schon nach der ersten Hochzeitsnacht mit seiner Frau Hera keinen Seitensprung auslässt, herrscht Chaos im Äther.

Im Laufe der Jahre entdecken die zumeist in der "Trinkhalle des Olymp" anzutreffenden Himmelsherren das Betreiben von Orakeln als lukratives Geschäft, um ihren ausschweifenden Lebensstil zu finanzieren. Doch wo das Angebot groß ausfällt, sinkt die Nachfrage. Bald schon ist der Markt an Wahrsagerbuden auf der Erde übersättigt. Statt Prophezeiungen wenden sich die inzwischen bedudelten Menschen dem "Wasser der Lethequelle, das einem vollkommenes Vergessen und guten Schlaf garantierte", zu. Auf die Wirtschaftskrise weiß der überforderte Regent Zeus lediglich floskelhaft den "freien Wettbewerb der Götter" auszurufen.

Obwohl sich Hein jeglicher direkter Anspielung auf die Gegenwart enthält, stimmen seine Neuverfugungen antiker Sagen den Ton der Parabel an. Plumpe Liberalisierung statt Reglement, eine profitversessene Herrscherkaste, Sittenverfall - dieser Olymp lässt manche Analogie zur bekannten Medienskandalen um Amoral und Bordellfehden von Managern zu. Wie schon in seinem Erzählband "Das goldene Vlies" von 2006 bedient sich Hein aufs Neue mythischer Urtypen, um darin die politische Gegenwart zu spiegeln. So mag man auch in einer Erzählung über Hades, jene Persona non grata unter den Götterfürsten, den Regenten der Unterwelt, versucht sein, zynische Parallelen zu denkbaren Sparbestrebungen im Gesundheitswesen herzustellen.

Mürrisch klagt der Fürst des Schattenreichs bei Zeus über den findigen Mediziner Asklepios. Denn all die "Todkranken, also Eigentum des Hades", erfreuen sich urplötzlicher Genesung. Um die Unterwelt am Laufe zu halten, hilft demzufolge nur eines: Der Heiler muss weg, die Hinrichtung lässt nicht lange auf sich warten, das Totenreich erfreut sich bald schon wieder seines üblichen Betriebes. Wer Gewinne abschöpfen will, bedarf jener, die ihn erwirtschaften. So zu lesen in der Geschichte um Odysseus' Besuch in Ogygia, wo ihm der phäakische König Alkinoos als Lohn für seine Irrfahrten mit reichen Gaben beschenken möchte. Doch woher nehmen? Zuerst wird der Adel zur Kasse gebeten. Als dieser jedoch griesgrämig zu maulen beginnt, dauert es nicht lange, bis die Versammlung der Politiker beschließt, sich den Obolus komfortabel "von den Bürgern unseres Reiches wiedererstatten zu lassen".

Der eine Gott nimmt die Armen aus, der andere schlachtet sie skrupellos ab, wie der Fall Dionysos zeigt. Verstoßen von den Eltern, besucht er bald die Militärakademie und zieht danach, gefolgt von einer wilden Heerschar, durch die Lande. Als er dann noch den Wein für sich entdeckt, wird das Blutvergießen zum Rausch. Nicht einmal die Götter wissen diese Hybris noch zu ahnden. Im Gegenteil: Grobschlächtig erkämpft er sich zuletzt noch post mortem einen Platz in ihrer Mitte. Wen wundert das noch?

Hinter den Machthabern legt Hein in leichtfüßiger Ironie den Morast einer korrupten und egozentrischen Sippschaft frei und verleiht ihr mit seiner mythischen Ummantelung eine zeitlose Geltung. Ähnlich wie in seinem letzten Roman "Weiskerns Nachlass" über einen mittellosen Privatgelehrten des achtzehnten Jahrhunderts, werden die Kapitalismuskritik und Systemskepsis des aus der DDR stammenden Autors nie von lauten, galligen oder gar von kämpferischen Tiraden begleitet, vielmehr haftet seinen Karikaturen der Zug nüchterner Unaufgeregtheit an. Sie sind Berichte, skizziert von anonymen Erzählern, die nicht selten über die unklare Autorschaft der Mythen sprechen. So bietet Hein dem Leser gleich vier Versionen über den Verbleib der schönen Helena nach dem Fall Trojas an, die sich zwischen grausamer Vergreisung, Opfertod und Rettung durch ihren Vater Zeus bewegen.

Dass Heins Autorenfiktion neben der Aktualisierung der Mythen zugleich auch deren ungewisse Entstehung mitreflektiert, ist nicht zuletzt auch eine Hommage an das Erzählen selbst. Alkinoos' blumige Worte für die Ausbeutung des Volkes entlarvt es als Instrument der Macht und des Missbrauchs. Zugleich wohnt in ihm ein unermessliches Reservoir menschlicher Kultur, worin Mythos und Geschichte erlebbar werden. Christoph Hein zieht beide Register und entfaltet in seinen Abbreviaturen das ganze Spektrum erzählerischer Gestaltungskraft. Es wundert daher nicht, dass gerade der letzte Kurztext Homer gewidmet ist. Obgleich darin seine Geschichten in den Händen einer ungefälligen Hörerschaft verbrannt werden, überdauern sie dennoch die Zeit bis heute. Und was sagt doch Hein selbst über den Ur-Dichter: "Er löckt noch immer wider den Stachel, unser guter Homer, aber so sind sie, die Künstler." Kritisch und unbeugsam eben, wie dieses Buch.

BJÖRN HAYER

Christoph Hein: "Vor der Zeit". Korrekturen

Insel Verlag, Berlin 2013. 189 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"... das ist das Schöne an den Geschichten von Christoph Hein: Er füllt die Leerstellen aus in den alten Texten.Manches, was schwer begreifbar scheint, wird plötzlich plausibel. Anderes wird infrage gestellt."
Karin Grossmann, Sächsische Zeitung 30.03.2013