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Wochenendtrip oder Weltumrundung, Pauschal- oder Backpackerreise, Länder sammeln oder einfach last minute: Wir reisen, was das Zeug hält und in allen nur denkbaren Varianten. Aber was steckt hinter der Reiselust? Was ist aus dem großen Versprechen, das die Welt einmal war, geworden? Wie hat sich das Reisen verändert? Matthias Politycki, im Hauptberuf Romancier und Lyriker, im Nebenberuf passionierter Reisender, hat keinen Reiseführer geschrieben, aber ein Buch über das Reisen - und ein sehr persönliches Buch über allgemeingültige Fragen.

Produktbeschreibung
Wochenendtrip oder Weltumrundung, Pauschal- oder Backpackerreise, Länder sammeln oder einfach last minute: Wir reisen, was das Zeug hält und in allen nur denkbaren Varianten. Aber was steckt hinter der Reiselust? Was ist aus dem großen Versprechen, das die Welt einmal war, geworden? Wie hat sich das Reisen verändert? Matthias Politycki, im Hauptberuf Romancier und Lyriker, im Nebenberuf passionierter Reisender, hat keinen Reiseführer geschrieben, aber ein Buch über das Reisen - und ein sehr persönliches Buch über allgemeingültige Fragen.
Autorenporträt
Matthias Politycki schreibt, seitdem er 16 ist und wurde schon mit seinem opulenten Romandebüt als "Formfex im Sprachfels" (Die Welt) gefeiert. Sein Werk besteht heute aus über 30 Büchern, darunter mehrere Romane, Erzähl- und Gedichtbände sowie vielbeachtete Sachbücher und Reisereportagen. Er gilt als großer Stilist und ist einer der vielseitigsten Schriftsteller der deutschen Gegenwartsliteratur. Sein Weiberroman, eine Hommage an die siebziger und achtziger Jahre, ist eines der zentralen Werke der literarischen Postmoderne; als "einer der schönsten Schelmenromane unserer Zeit" (Radio Bremen) wurde seine Kreuzfahrtsatire In 180 Tagen um die Welt zum Bestseller. Sieben Jahre nach seinem als "wahrer Monolith" (Stern) gerühmten Roman Samarkand Samarkand erscheint 2020 ein neuer großer Roman, für den er um ein Haar in Afrika gestorben wäre. Gerettet hat ihn die Liebe einer Frau.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.06.2017

Reisen als Akt des Widerstands

Je mehr man von der Welt sieht, umso demütiger wird man: Matthias Politycki untersucht Risiken und Nebenwirkungen des Fernwehs.

Siebenundneunzig Länder hat Matthias Politycki bisher besucht, das jedenfalls war der Stand am Stichtag 17. Juni 2016. 175,66 Tage ist er im Jahresdurchschnitt unterwegs und kann damit wohl guten Gewissens den Titel des Spitzenweltreisenden unter den deutschen Schriftstellern für sich in Anspruch nehmen. Niemand sonst - es sei denn, Ilija Trojanow legte seine Reisedaten offen - hat also vermutlich ein größeres Recht, über das Wesen des Reisens zu schreiben als Politycki, allein schon deswegen nicht, weil es für ihn keine Freizeitbeschäftigung ist, sondern Droge, Lebenselixier, Grundnahrungsmittel in einem.

Das spürt man auf jeder Seite dieses Buches, das in losen Blättern Gedanken über das Unterwegssein versammelt: über die Lust an Landkarten und die Sucht des Ländersammelns, das Wandern in den Hinterhöfen der Städte und die Wucht des Schönen beim ersten Anblick, die Suche nach der Heimat in der Fremde und das Reisen als Fluchtversuch aus der Heimat. Immer wieder lässt Politycki auch Mitreisende und Reisebekanntschaften zu Wort kommen, streut Gedichte über das Reisen und Erinnerungen an die Reisen seiner Kindheit ein oder zitiert berühmte Kollegen wie Paul Theroux oder Bruce Chatwin.

Dabei geht es ihm immer um Grundsätzliches, um prinzipielle Fragen des Reisens, die er apodiktisch beantwortet. Das ist sein gutes Recht und vielleicht sogar auch seine Pflicht als literarischer Weltreisender. Und dennoch ist es verblüffend, wie wenig Scheu er vor Generalisierungen und Pauschalisierungen kennt. "Der Reisende" muss pausenlos als Zeuge seiner Thesen herhalten, obwohl es ihn gar nicht gibt, wie jeder Reisende weiß. "Die Engländer" sind in Polityckis Klischeesetzkasten gerne mit postkolonialer Herablassung unterwegs, während "die Deutschen" auf Reisen zur Unterwürfigkeit neigen, weil sie "unbedingt wieder zur Weltgemeinschaft dazugehören" wollen - da schaut man doch sicherheitshalber schnell nach, ob das Buch tatsächlich 2017 erschienen ist.

Und bei manchen groben Vereinfachungen hat man das Gefühl, Hermann Hesse sei von den Toten auferstanden: "Wer aufbricht, will nicht Zufriedenheit, sondern Glück. Oder wenigstens Unglück. Seine Sehnsucht ist Ernst und will Ernst und macht Ernst. Überdies hat sie eine Kehrseite: Wohin wir auch reisen, in erster Linie reisen wir weg von uns selbst und unsresgleichen. Weil wir es wieder einmal satt haben, alle und alles satt haben, am allermeisten den, der wir selber sind, der uns bedrückt und beengt und ganz und gar nicht derjenige ist, der wir sein wollen."

Man muss Matthias Politycki allerdings zugutehalten, dass er nie mit seinen Reiseabenteuern prahlt und nie Heldentaten aus fernen Ländern zum Besten gibt. Stattdessen lässt er seine Erlebnisse so souverän wie gelassen in den Text einfließen, wobei es meist nur pointillistische Schnappschüsse sind, in ein, zwei Sätzen manchmal doch zu kurz abgehandelt. Eine Totenverbrennung an den Ghats von Varanasi auf sieben Seiten oder die Ziegenschlachtung im Heiligtum der blutrünstigen Göttin Kali in Kalkutta auf zwei Seiten gehören schon zu den längsten Beschreibungen. Auch solche Episoden nicht als Trophäen eines Weltensammlers präsentiert, sondern als Trouvaillen eines staunenden Weltreisenden. Das ist der beste Panzer gegen Arroganz. Und so ist man dankbar, dass mit dem stetig anschwellenden Schatz der Reiseerfahrungen Polityckis Bescheidenheit wächst und nicht die Breite seiner Brust. Das ist eine Erfahrung, die jeder ernsthafte Reisende mit ihm teilt: Je mehr man von der Welt sieht, umso demütiger wird man, umso leichter trennt man sich von allem Hochmut.

Die meisten Reisen bestehen aus Licht und Schatten, und genauso ist es mit diesem Buch. Es schwankt zwischen Lebensklugheit und Kalenderblattweisheit, Welterfahrung und Poesiealbumseintrag, etwa wenn es heißt: "Gerade Unsicherheiten und Missverständnisse, wie sie jedes Ankommen begleiten, sind kostbar." Dann wieder liest man einen wunderbaren Satz voller Wahrhaftigkeit wie diesen: "Alles geschieht auf Reisen zum ersten Mal." Und kurz darauf werden wieder uralte Zöpfe geflochten, wenn sich Politycki darüber echauffiert, dass die Reisenden von heute die Welt nur noch durch ihr Smartphone betrachten. Ganz am Ende wird dann die Globalisierung an den Pranger gestellt. Sie zerstöre den Charme des Reisens und mache aus der Erde einen Einheitsbrei, larmoyiert Politycki.

Überall werde man mit "den Versatzstücken der weltweiten Trivialkultur konfrontiert", selbst im Westjordanland gebe es inzwischen Starbucks, und am schlimmsten seien virtuelle Phantasiezerstörer wie Tripadvisor. Offensichtlich wäre es ihm am liebsten, wenn sich die Welt fern der Heimat nicht weiterentwickeln würde, sondern für immer so schön exotisch wie auf handkolorierten Stichen aus dem neunzehnten Jahrhundert bliebe. Er wolle dennoch weiter reisen, weil das ein Akt des Widerstands gegen die Globalisierung sei, schreibt Politycki als trotziges Schlussbekenntnis. Er bleibt also als Reisender ein Träumer - und das ist gewiss nicht die schlechteste Haltung.

JAKOB STROBEL Y SERRA

Matthias Politycki: "Schrecklich schön". Warum wir reisen und was wir dabei denken.

Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2017. 348 S., geb., 22.- [Euro].

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»Es ist das Buch eines Reisenden mit langer Erfahrung und einem großen Fundus an Geschichten im Gepäck.« Yvonne Poppek SZ Extra, 04.05.2017