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Als Raffaele Cameroni eines Tages die liebevoll verwahrten Milchzähne seiner Söhne entsorgt, ist es um die Ehe zwischen ihm und Isabel endgültig geschehen. Dabei hatte alles so gut angefangen, 1937, als Raffaele als italienischer Soldat nach Spanien kam, um im Bürgerkrieg auf der Seite der Nationalisten zu kämpfen. Nach dem Krieg bleibt er und versucht, seine italienische Vergangenheit hinter sich zu lassen, aber die holt ihn irgendwann unerbittlich ein.

Produktbeschreibung
Als Raffaele Cameroni eines Tages die liebevoll verwahrten Milchzähne seiner Söhne entsorgt, ist es um die Ehe zwischen ihm und Isabel endgültig geschehen. Dabei hatte alles so gut angefangen, 1937, als Raffaele als italienischer Soldat nach Spanien kam, um im Bürgerkrieg auf der Seite der Nationalisten zu kämpfen. Nach dem Krieg bleibt er und versucht, seine italienische Vergangenheit hinter sich zu lassen, aber die holt ihn irgendwann unerbittlich ein.
Autorenporträt
Martínez de Pisón, Ignacio
Ignacio Martínez de Pisón, geboren 1960 in Zaragoza, hat schon zahlreiche Bücher veröffentlicht. In Spanien gilt der in Barcelona lebende Autor als einer der wichtigsten zeitgenössischen Romanciers. Bei Hoffmann und Campe erschienen bisher: "Die Zeit der Frauen" (2004). Und "Mein Vater, die Göttin und ich" (2006). Dieses Buch über den mysteriösen Tod von José Robles Pazos hielt sich wochenlang auf den spanischen Bestsellerlisten und hatte ein überwältigendes Presseecho.

Martin, Sybille
Sybille Martin, geboren 1958, studierte Germanistik und Hispanistik. Sie übersetzt aus dem Spanischen und Galicischen und hat u. a. Mayra Montero, Eliso Alberto, Xosé Carlos Caneiro, Ignacio Martínez de Pisón und Alicia Giménez Bartlett ins Deutsche übersetzt. Nach mehreren Jahren in Madrid lebt sie wieder in Hamburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2009

Die Zahnfee der Revolution

Ignacio Martínez de Pisón erzählt eine Familiengeschichte, in der sich der ideologische Irrsinn des spanischen Jahrhunderts offenbart.

Von Paul Ingendaay

Ob Literatur ein Gradmesser dafür ist, was in der Gesellschaft vorgeht, weiß kein Mensch, vielleicht bildet sie ja nur die inneren Landschaften der Exzentriker ab. Doch wäre sie es, könnte der spanische Schriftsteller Ignacio Martínez de Pisón, Jahrgang 1960, uns womöglich zeigen, wie man in seinem Land in zwei oder drei Jahrzehnten denkt. Wenn alles gutgeht. Denn seine Romane und Sachbücher, die so zuverlässig die Konflikte einer zerrissenen Gesellschaft aufspüren - von Bürgerkrieg und Diktatur zu einer unabgeschlossenen Geschichtsbewältigung -, lassen das immer wieder nervtötende Rechts-links-Muster seiner Zeitgenossen hinter sich und sind schon längst beim nächsten Thema: wie es sich denn so lebt mit derart durcheinandergeratenem Gepäck - dort, wo es zählt, im Privatesten und Kleinsten.

Zwar rührt die Zeitgeschichte manchmal mit großem Löffel im Leben der Einzelnen herum, doch "Diktatur", "Ideologie", "Faschismus" oder "die Roten" sind nicht die Begriffe, in denen man die ganze Existenz wiedererkennen würde. Wichtig ist vielmehr, ob jemand (unter welchen Bedingungen auch immer) gelogen oder die Wahrheit gesagt hat. Ob er die Kraft zur Entschuldigung fand. Ob er die Milchzähne der Kleinen aufbewahrt oder nicht. Kurz, Martínez de Pisóns Thema ist der häusliche Kuddelmuddel, der immer übrigbleibt, wenn die Fernsehnachrichten abgeschaltet und die Geschichtsbücher zugeklappt sind.

Sein neuer Roman "Milchzähne" setzt mit einer beiläufigen Szene ein, hinter der sich der ganze ideologische Irrsinn des spanischen Jahrhunderts verbirgt. Unter den Kindheitsfotos eines jungen Spaniers, Juan Cameroni, befindet sich eines, auf dem er mit seinem Großvater Raffaele zu sehen ist, "beide lächelnd, im schwarzen Hemd und den Arm zum faschistischen Gruß erhoben". Ein solcherart salutierendes Kind schmückt auch das Cover des Romans. Schlimm, denkt man sofort, der arme Kleine kann doch noch gar nicht wissen, was sein erhobener Arm bedeutet. Kennt man den Roman, sieht man es womöglich differenzierter. Denn der frühe Drill und die Indoktrination eines wehrlosen Gemüts sind nur ein verdichteter Ausdruck dafür, dass Erwachsene ihre Überzeugungen an die nächste und übernächste Generation weiterreichen, weil sie nicht anders können. Sie tun eben, was sie für richtig halten, "nach bestem Wissen und Gewissen", wie die Formel lautet.

Im Fall der Familie Cameroni geht dabei ungewöhnlich viel schief. Über ein halbes Jahrhundert, vom Bürgerkrieg bis zur Mitte der achtziger Jahre, der Frühzeit der González-Regierung, spannt der Autor den Bogen seiner Saga. Erzählt wird von Raffaele, der als italienischer Brigadist nach Spanien geht, um für Francos Aufständische zu kämpfen, der sich in Isabel verliebt, ihren Vater vor dem sicheren Tod bewahrt und dafür die dankbare Tochter heiraten darf; von der Firma für italienische Teigwaren in Saragossa, die eine Zeitlang die geborgenen Leichen italienischer Faschisten beherbergt (Martínez de Pisón hat einen trockenen, gelegentlich makabren Humor) und der Familie einen gewissen Wohlstand beschert; vom Aufwachsen der unterschiedlichen Söhne, dem Auseinanderbrechen der Ehe und der dritten Generation der Cameronis, ebenjenem Juan, der am Anfang des Romans als Knirps in schwarzem Hemd neben seinem Großvater vor dem Spiegel steht und den Arm zum faschistischen Gruß hebt.

Spaniens Historie dient nicht als literarischer Geschmacksverstärker.

Die ironische Pointe ist nun, dass Streit und Bitterkeit nicht durch politische Differenzen entstehen, sondern durch eine Lebenslüge. Raffaele hat seinerzeit in Italien eine Frau und eine behinderte Tochter zurückgelassen, lebt also in Bigamie. Als der älteste Sohn das Geheimnis aufdeckt, gerät das Familienboot in schwerstes Wetter. Der Autor erweckt nicht den Eindruck, er wolle uns damit etwas lehren. Er findet wohl einfach Gefallen daran, komplizierte Familienverhältnisse zu durchleuchten und mit gleichmütigem Blick die Schäfchen zu zählen: den ältesten Sohn Rafael, der die Schuld des Vaters nicht erträgt; Alberto, den mittleren, der als Einziger eine Familie gründet; und Paquito, den geistig behinderten dritten, an dem sich das Schicksal von Raffaeles verleugnetem ersten Kind wiederholt. Literarisch ist das Ganze kurios. Auf knapp vierhundert Seiten steht kein einziger brillanter Satz, keine einzige originelle Formulierung, und manchmal wirkt es, als habe der Autor einen Grauschleier über seine Prosa geworfen. An der Übersetzung von Sybille Martin liegt es nicht, sie ist bis auf einen schreienden grammatikalischen Patzer auf Seite 283 durchweg überzeugend. Nach einiger Zeit jedoch nimmt einen dieses ruhige Erzählen ein, wird sympathisch und zum Beweis für etwas Größeres: dass der Autor allem misstraut, was man "schönes Schreiben" nennt. Womöglich ist er der Meinung, die Stärke eines Romans bemesse sich eher an seiner Haltung gegenüber der Welt als am Klang seiner Sprache.

Man lernt auch etwas dabei. Anders als manch ein Kollege benutzt Martínez de Pisón die blutige spanische Geschichte nicht als literarischen Geschmacksverstärker. Für ihn ist sie der unausweichliche Hintergrund allen Handelns, und jeder, der sich ernsthaft damit beschäftigt, kann durch Verstehen besser werden. So entwickelt der Roman seinen Reiz durch geduldiges Hinzufügen, Aneinanderreihen und Stapeln, was die Kunst aller Chronisten ist, und wenn der Stil selbst schon nicht leuchtet, tut es die Lebensklugheit dieses wahrhaft unparteiischen Autors. "Milchzähne" konnte nur von einem geschrieben werden, der alle seine Figuren auf die gleiche Weise liebt.

Ignacio Martínez de Pisón: "Milchzähne". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Sybille Martin. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2009. 384 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.05.2009

Ein Mausoleum darf nicht hohl sein
Ignacio Martínez de Pisón und sein Roman „Milchzähne”
Die spanische Literatur hat den Bürgerkrieg mittlerweile domestiziert. Ignacio Martínez de Pisón gehört zu den Autoren, die sich dem Krieg zuwenden wie einem schlecht erzogenen Haustier, mit dem man leben muss. An das Tier hat man sich gewöhnt, man beachtet nurmehr, was es alles ruiniert hat. Der Bürgerkrieg hat das Leben spanischer Familien bis in die Gegenwart geprägt. Die Schützengräben, auch die rhetorischen, in denen Republikaner und Faschisten sich verschanzt hatten, sind verlassen. Die alte Feindschaft ist vorbei. Das Politische ist privat geworden.
Martínez de Pisóns Roman „Milchzähne” beginnt mit einer fabelhaften Episode. Sie ist umso fabelhafter, als sie tatsächlich stattgefunden hat, wenngleich nicht der Autor es war, der sie erlebte: Der alte italienische Faschist Raffaele, der in Spanien kämpfte und dann dort geblieben ist, nimmt alljährlich an einer pompös zelebrierten Veranstaltung zu Ehren der gefallenen italienischen Faschisten teil. Und als er endlich einen Enkel hat, nimmt er ihn mit. Alle Jahre wiederholt sich dieselbe Szene: Raffaeles Sohn, der für die Faschismusnostalgie seines Vaters nichts übrig hat, bekommt einen Tobsuchtsanfall, den seine Ehefrau mühsam beschwichtigt.
Als der Enkel älter wird, kommt ihm das Spektakel, zu dem er mitgenommen wird, allmählich peinlich vor, lächerlich, überflüssig. Aber sehr lange, bis 1981, bringt er es nicht über sich, dem Großvater die schrecklichen Worte zu sagen: „Ich mag nicht mitkommen”. Die ersten Seiten, die das jährliche Familiendrama, die jährliche Familienfarce beschreiben, sind großartig. Der Roman, den Martínez de Pisón verfasst hat, um schließlich in den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts wieder anzukommen, kann damit nicht ganz mithalten.
Das liegt gewiss nicht daran, dass dem Autor nichts eingefallen wäre. Es wird viel gestorben und geliebt in seinem Buch. Und aus dem Hintergrund tauchen immer mal wieder Faschisten auf, die den Ereignissen eine über sie selbst hinausweisende Aura geben. Schon seine Ehe hat Raffaele den spanischen Faschisten zu verdanken: Der italienische Soldat hat ein Auge auf die liebreizend-hilflose Isabelita geworfen.
Als Isabelitas Vater von den Franquisten gefangengenommen wird – seine Ermordung ist absehbar –, rettet Raffaele ihn mit einem schönen Trick. Die beiden heiraten gegen Ende der dreißiger Jahre und bekommen drei Söhne. Isabelita weiß nicht, dass ihr Mann in Italien eine erste Ehefrau und eine debile Tochter hat sitzen lassen. Sie ist enttäuscht, weil Raffaele ihren dritten Sohn, der geistig behindert zur Welt gekommen ist, nicht liebt. Sie kann nicht ahnen, wie sehr es ihn kränkt, dass seine Gene offenbar defekt sind.
Wenn Frauen widersprechen
Mit Nachsicht nimmt Isabelita zur Kenntnis, dass Raffaele in der Bäckerei, die er von ihrem Vater übernimmt, die exhumierten Leichen italienischer Bürgerkriegssoldaten aufbewahrt – man wartet auf die Fertigstellung des Mausoleums. Dass Raffaele mit faschistischen Verwaltungsbeamten korrupte Geschäfte treibt, erfährt sie nicht. Ernstlich unglücklich wird sie erst, als sie und ihr Mann einander eines Tages nichts mehr zu sagen haben und sie ihn nur noch als autoritären Hausvater wahrnimmt. Die Leser dürfen sich denken, dass es der Faschismus war, der Raffaele so zugerichtet hat. Isabelitas gesunde Söhne, keine Faschisten, sind jedenfalls ganz anders: anständig, liebenswürdig, aufgeschlossen, zugewandt. Und um ihren geistig zurückgebliebenen Bruder kümmern sie sich mit heiligmäßiger Geduld.
Weil Martínez de Pisón nicht bloß die schlechte Ehe von Isabelita und Raffaele schildert, sondern auch die Lieben und Aktivitäten der drei Söhne, gibt es viel zu erzählen. Anfangs ist die Lektüre ein Vergnügen. Je mehr indes der Spanische Bürgerkrieg nur mehr Vergangenheit ist und das rein Familiäre in den Vordergrund tritt, kommt eine kleine Not auf. Irgendwann macht sich der Gedanke breit, es sei dies Buch vor allem dafür geeignet, verfilmt zu werden: Die Figuren werden geschildert, wie es in einem guten Drehbuch üblich ist.
Anders gesagt: Die Figuren werden geschildert, wie Hobbypsychologen ihre Nachbarn beschreiben, nachdem sie eine Weile lang durch die Wand mitangehört haben, was sich bei denen tut, und auch zwei- oder dreimal nebenan eingeladen waren. Raffaele hat „das Gefühl, dass ihm seine Frau systematisch” widerspricht. Isabelita ist „eine der Frauen, die den Eindruck erwecken, viel mehr zu tun, als sie in Wirklichkeit zu tun haben”. Über Charakterisierungen dieser Art geht Martínez de Pisón nicht hinaus. Sein Buch ist nicht nur in psychologischer, sondern auch in literarischer Hinsicht konventioneller als das Seelenleben der Menschen, von denen es handelt.
Alle Leser, die sich von diesem Roman mehr als eine flüssig erzählte Familiengeschichte erwarten, lässt der Autor im Stich. Eine Familiensaga, die alle Beteiligten nur oberflächlich schildert: Für ein Drehbuch genügt das, für einen Roman nicht. Ignacio Martínez de Pisón ist ein angesehener Autor. „Milchzähne” ist sein vierzehntes Buch. Vielleicht hat er zu viel Routine. FRANZISKA AUGSTEIN
IGNACIO MARTÍNEZ DE PISÓN: Milchzähne. Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Sybille Martin. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2009. 383 Seiten, 19,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Auf vierhundert Seiten kein einziger brillanter Satz und dennoch gefällt Paul Ingendaay der Roman von Ignacio Martinez de Pison. An den Formulierungen also liegt es nicht und auch nicht am Geschichtspanorama, das diese über ein halbes Jahrhundert sich spannende Familiensaga grundiert, wenn Ingendaay dran bleibt. Woran liegt es dann? Erstens hält Ingendaay des Autors Handhabung von Zeitgeschichte für ziemlich interessant. Ideologische Grabenkämpfe nicht aufzublasen, sondern ihren Irrsinn im familiären, im privaten Rahmen (hier anhand einer Lebenslüge) sichtbar zu machen, erscheint Ingendaay spannend und effektiv. Zweitens aber ist es gerade der ruhige Gang der Erzählung, der unspektakuläre Stil des Chronisten, der Ingendaay schließlich sympathisch wird. Dies, weil er ihm die Lebensklugheit und die Unparteilichkeit eines Autors offenbart, der geduldig Schicht auf Schicht legt und seine Figuren "alle auf die gleiche Weise liebt".

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