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Joschka Fischers langer Lauf zur Macht wird hier von Michael Schwelien dokumentiert und kommentiert. Schwelien kennt den Grünen-Politiker noch aus dessen Frankfurter Sponti- und Anarcho-Zeiten und entwirft ein Bild von Fischer, das jenen eher als Opportunisten denn als Leitfigur einer neuen Politik erscheinen lässt. Schwelien zeigt Joschka Fischer als einen Machtmenschen, der für seine Karriere auch seine Prinzipien opfert. So wird aus dem Pazifisten Fischer in der Regierungsverantwortung ganz schnell einer der vehementesten Befürworter des Kosovo-Kriegs. - Die Darstellung einer faszinierenden…mehr

Produktbeschreibung
Joschka Fischers langer Lauf zur Macht wird hier von Michael Schwelien dokumentiert und kommentiert. Schwelien kennt den Grünen-Politiker noch aus dessen Frankfurter Sponti- und Anarcho-Zeiten und entwirft ein Bild von Fischer, das jenen eher als Opportunisten denn als Leitfigur einer neuen Politik erscheinen lässt. Schwelien zeigt Joschka Fischer als einen Machtmenschen, der für seine Karriere auch seine Prinzipien opfert. So wird aus dem Pazifisten Fischer in der Regierungsverantwortung ganz schnell einer der vehementesten Befürworter des Kosovo-Kriegs. - Die Darstellung einer faszinierenden Karriere, die gleichzeitig das Altern einer ganzen Protestgeneration spiegelt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.09.2000

Daumenkino
Joschkas Geschichtspolitik: Eine neue Biographie

Woher stammt die Sonderstellung dieses einen Mannes? Warum ist der deutsche Außenminister die große Ausnahme unter den Politikern, fast über den Parteien stehend? Wie schafft er es, die Journalisten zu bezirzen wie noch vor einigen Tagen Sandra Maischberger, die am Schluß eines Interviews ihr Lachen nicht mehr kontrollieren konnte - oder sie zu ohnmächtigem Zorn anzustacheln wie Rudolf Augstein, der über Wochen einen Privatkrieg gegen Joschka Fischer führte, der wie die Verfluchungen eines greisen Lear gegen die entartete Nachkommenschaft anmutete? Schwankungen in seiner Stellung auf der Beliebtheitsskala der Deutschen hat er kaum zu fürchten: "Ein Staatsmann für Deutschland über den Wolken von Parteienzank und Politikverdruß" - so schildert ihn Michael Schwelien in seinem neuen Buch "Joschka Fischer. Eine Karriere", das in diesen Tagen ausgeliefert wird. Aber auch den Verdacht, der Fischer wohl ewig begleiten wird, bedient dieses Buch. Er lautet auf Prinzipienverrat.

Dieser Verdacht gehört als Schatten zu Fischers Wirkung. Denn er verkörpert die Bruchstellen der deutschen Nachkriegsgeschichte - von der Vertreibung bis zur RAF-Sympathie - mit einer Intensität, der keine andere Politiker-Vita auch nur nahekommt. In einer Welt, die das "Ende der Geschichte" zu erleben schien, steht Fischer für die Erfahrung der Geschichte. Immer deutlicher zeigen seine großen Reden der vergangenen Jahre, daß er die Bedeutung der nationalsozialistischen Verbrechen nicht nur erkennt, sondern aus ihnen das eigene Recht ableitet, wieder in die Geschichte einzutreten, sie zu "machen" - wie die Militanten von '68. Er weiß, daß von einer internationalen Rolle Deutschlands nur im Windschatten einer politischen Bewältigung der Folgen des Nationalsozialismus die Rede sein kann. Die Revolutionäre von 1968 spielten Geschichte im Kostüm der Arbeiterbewegung nach, aber sie retteten damit auch ein historisches Bewußtsein. Niemand wird es Fischer absprechen. Und alles andere - die vergrübelt vorgetragenen Wendungen, die mehreren Leben, von denen man inzwischen bei ihm sprechen kann - folgt aus dieser "Geschichtlichkeit" seiner Existenz. Nur daß er sich so vieles als moralisches und intellektuelles Verdienst zurechnet, was in Wahrheit unausweichlich war, könnte den verstimmen, der genauer hinschaut. Die vielbeschworene Entscheidung des Linken für die Westbindung war für die radikal-hedonistische Jugend der sechziger Jahre am Ende nur die natürliche Konsequenz ihrer Lebensführung, nicht der Bruch.

Schweliens Buch ist, wie man so sagt, flott geschrieben, für die Lektüre dürfte ein Nachmittag genügen. Noch einmal hören wir die Saga vom Straßenkampf, vom Frankfurter Hörsaal VI, von der Nähe zur "Roten-Armee-Fraktion", die nach der "Liquidierung" von Hanns-Martin Schleyer endgültig der Distanz weicht, vom Regieren mit Börner und von der Rhetorik- und Leibesfüllen-Konkurrenz mit Kohl. Man findet bei Schwelien viel anekdotisches Beiwerk über "Claudi", "Hubsi" und andere, dem am Ende doch das Überraschende und Schlagende fehlt. Das Buch gibt sich lässiger als die Biographie von Sibylle Krause-Burger, es fächert die Episoden der Karriere als "Daumenkino" auf, ohne sich an die Chronologie zu halten.

Vielfach allerdings wird Insiderwissen simuliert, das in Wahrheit direkt aus den Pressearchiven stammt. Daß auch die Dauerironie über die Debatten der Achtundsechziger inzwischen ranzig geworden ist, hat der Autor nicht bemerkt. Mit den Worten "Kannst du uns nicht Waffen besorgen", soll Gudrun Ensslin durch die Frankfurter Kneipen gegangen sein und so die RAF aufgebaut haben - wer's nicht glaubt, kommt auch in den Himmel. Der Name von Raul Kopania - einer der unangenehmsten Figuren im früheren Umkreis Fischers - fehlt in diesem Buch. Weit kann es mit der persönlichen Kenntnis des Abgeschilderten in dieser Biographie nicht her sein.

Kritik wird bei Schwelien vor allem an Fischers Amtsführung im Kosovo-Krieg laut. Der Außenminister habe sich "dem Marschbefehl gebeugt", schreibt er, und den Konflikt mit der Großmacht Amerika gescheut. Fischer wie Scharping hätten die serbischen Massaker übertrieben, um sie in die Nähe von Auschwitz stellen zu können und eine Legitimation für den Kriegseinsatz zu bekommen. "Er wollte", schreibt Schwelien, "lieber Außenminister werden, statt als jemand in die Geschichte einzugehen, der sich verzweifelt (und womöglich auch vergeblich) gegen einen Vorratsbeschluß der Nato gestemmt hat." Es ist der ewige Vorwurf mangelnder politischer Substanz gegen den politischsten Kopf der gegenwärtigen Regierung. Er wird durch Wiederholung nicht plausibler.

Auch an den Sanktionen der EU gegen Österreich übt Schwelien Kritik. Die deutsche Zustimmung entstammte derselben Geschichtspolitik, die Fischer zu anderen Zeiten sicher geleitet hatte: Aber jetzt glaubte er, die faschistische Gefahr schon bei den nächsten Nachbarn zu sehen - oder er tat so, als ob er es glaubte. Fischer hat bisher kein Anzeichen eines Umdenkens erkennen lassen - es sei denn, man nähme seine in den letzten Wochen häufig wiederholte Versicherung, die Initiative sei damals von Frankreich und Portugal ausgegangen, für eine implizite Distanzierung. Schweliens Buch gipfelt in der These, Fischers Erfolg sei weniger aus der Achtundsechziger-Bewegung zu erklären als aus der amerikanischen Mediendemokratie. Auch Fischer pflege eine mit Zuckerbrot und Peitsche genau abgewogene Symbiose mit den Journalisten. Das Wortspiel mit den Marathonläufen des Ministers - "Karriere" bedeutet ursprünglich den Galopp des Pferdes - wird für Schwelien zum Schlüssel. Und das soll alles gewesen sein? Auf eine neue politische Biographie Fischers muß der Leser weiter warten.

LORENZ JÄGER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2000

Karriere eines Opportunisten
Michael Schwelien geht mit dem grünen Vorzeigepolitiker Joschka Fischer hart ins Gericht
MICHAEL SCHWELIEN: Joschka Fischer; eine Karriere, Hoffmann und Campe, Hamburg 2000. 316 Seiten, 39,90 Mark.
Fast ein Viertel aller Deutschen würde mit Außenminister Joschka Fischer in Urlaub fahren – Bundeskanzler Gerhard Schröder belegt mit bescheidenen 14 Prozent nur den zweiten Platz. Fischer ist populär wie kein anderer grüner Politiker. Bevor aber enthusiastische Bundesbürger im Außenministerium anrufen, um einen Besuch in der Toskana zu vereinbaren, sei ihnen – quasi als vorbereitende Reiselektüre – Michael Schweliens Charakterstudie „Joschka Fischer. Eine Karriere” ans Herz gelegt.
Schwelien, wie Fischer Jahrgang 1948 und ebenfalls Altachtundsechziger, geht mit dem Außenminister, den er seit rund 30 Jahren kennt, nicht eben zimperlich um. Denn „auf Nahestehende wirkt Fischer wie ein rotes Tuch”, während er auf Menschen anderer Überzeugung „eine große Faszination” ausübe, schreibt Schwelien. Freilich schwingt durch Schweliens Zeilen trotz aller Kritik zumindest ein stiller Respekt für Fischer – wenn auch weniger für dessen Realo-Politik als für seine Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden, populäre Strömungen aufzugreifen und so Karriere zu machen.
Grüne Schale, harter Kern
Schwelien beschreibt den Realpolitiker Fischer und blickt durch dessen grüne Schale auf den persönlichen, recht egozentrischen Kern. Seine These: Seit dem Kosovo-Krieg dämmert vielen Anhängern, dass Fischer eigentlich gar kein Grüner ist. Schwelien vollendet die Desillusionierung, indem er zeigt, dass Fischer noch nie ein Grüner, noch nie ein Umweltschützer und Pazifist war.
Friedlich oder revolutionär waren schon die Hausbesetzungen im Frankfurter Westend um 1970 nicht. Ihnen ging es um billigen Wohnraum in lebenswerter Gegend – und Fischer war dabei. Als die legendären Demonstrationen gegen die Startbahn West am Frankfurter Flughafen stattfanden, überlegte Fischer noch, ob er den Grünen überhaupt beitreten sollte, die sukzessive zum Sammelbecken von Linken, K-Gruppen und undogmatischen Spontis wurden. Ihnen bot sich nach dem Ende der Achtundsechziger-Revolte plötzlich eine durch Umweltschützer und Friedensbewegung geschaffene breitere Plattform, die mehr Aussicht auf politischen Erfolg versprach. Diesen Erfolg hatte der Taxifahrer und wenig geschäftstüchtige Buchhändler, der sich nach abgebrochener Schulbildung an der Universität Frankfurt fortbildete und so eifrig wie kaum ein Student Karl Marx las, stets im Blick. Polemisch, aber durchaus interessant ist Schweliens Blick auf das Leben des Außenministers vor allem, weil er an der Patina des intellektuellen Vordenkers und gebildeten Asketen kratzt und das freilegt, was darunter liegt: den Machtmenschen, den Populisten, der nicht nur Kleidung und Habitus der Mode anpasst.
Fischer gibt ausgesuchten Journalisten immer ein wenig mehr Einblick in sein Handeln, als dies selbst wohlgesonnenen Medienleuten gegenüber Usus ist. Schwelien macht auf den mehr als 300 Seiten klar: Fischer bedient sich geschickt vieler Mittel, die in der Mediengesellschaft des neuen Jahrtausends unverzichtbar sind für all jene, welche die Massen begeistern wollen: der Sinn für Effekte, das Verfassen zahlreicher politischer Schriften (Fischer hat zehn Bücher veröffentlicht) und die Segnung mit einer außergewöhnlichen rhetorischen Gabe.
 Der Sohn eines Metzgers, der zum Vizekanzler aufgestiegen ist, hat immer wieder deutlich gemacht, dass er nicht der Außenminister der Grünen, sondern von ganz Deutschlands sein möchte. Für den Vorzeige-Promi einer einstmals pazifistischen Partei ist das keine einfache Rolle. Schwelien merkt dazu an, Fischer habe seine Politik den Vorstellungen der Amerikaner völlig untergeordnet. Aber war es nicht Fischer, der die entscheidende Initiative zur Beendigung des Kosovo-Krieges ergriff – und zwar gegen anfängliche Bedenken der USA? Die Europa-Politik lässt Schwelien gar vollkommen außen vor. Dabei hat Fischer mit seinem Einsatz für ein zusammenwachsendes Europa sogar Ex-Kanzler Helmut Kohl eine gewisse Achtung abgerungen. Schon zu Beginn seiner Amtszeit sprach Fischer von seiner Vision der Vereinigten Staaten von Europa und stieß damit die anderen 14 EU-Regierungen ebenso vor den Kopf wie die USA, die er mit der Infragestellung der atomaren Erstschlagstrategie erschreckte.
Im Laufe seiner Amtszeit hat sich Joschka Fischer die Hörner abgestoßen, aber er hat sich auch Spielräume erkämpft. Schweliens Buch ist eine schöne, leicht zu lesende Lektüre, die mit den markantesten Höhen und Tiefen der Seelenlandschaft Fischers vertraut macht. Es macht deutlich, warum Fischer auf einer Welle der Sympathie schwimmt: Diese Sympathie ist Folge einer bewundernswerten Wandlungs-, Anpassungs- und Lernfähigkeit Fischers, die es ihm ermöglicht, sich immer wieder realistisch auf wechselnde Situationen einzustellen. Das weckt Vertrauen in Politikfähigkeit – nicht nur unter Diplomaten.
MATTHIAS SCHATZ
Der Autor ist Journalist in Hamburg.
Zeichner: Gerhard Mester
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Interessant, aber eher im Sinne eines Symptoms, findet Martin Altmeyer diesen Band. Ihn scheint bei Schwelien eine Art Rhetorik des Verdachts zu stören, in der Fischer vor allem auf seinen politischen Ehrgeiz reduziert wird. Alles was er tut, dient demnach nur dem persönlichen Vorankommen und wird gar nicht in sich selbst betrachtet - so scheint es in Altmeyers Kritik. An sich richtige Beobachtungen sieht er so zur `Denunziation` werden, weil sie `einer bösartigen Dramaturgie folgen`. War Fischer wirklich ein `Kriegstreiber` im Kosovokrieg? War seine Diplomatie nur Vorwand? Ist seine Versöhnung mit dem Parlamentarismus politische Anpasserei? Altmeyer findet, dass Fischers Verdienste bei aller Zwiespältigkeit seiner Person nicht wirklich gewürdigt werden. Trotzdem konzediert er dem Buch, dass es in vielen Passagen ausgezeichnet recherchiert ist - dies scheint vor allem für Fischers politische Frühgeschichte in Frankfurter Spontikreisen zu gelten.

© Perlentaucher Medien GmbH