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Spätestens nach der Aufdeckung der Sauerland-Gruppe ist klar: Islamistischer Terror ist in Deutschland längst schon angekommen. Höchste Zeit, einige Fragen zu klären: Wie eng sind Islamismus und Islam verbunden? Wie wahrscheinlich ist die Gefahr terroristischer Anschläge in Deutschland tatsächlich? Welche islamistischen Gruppen gibt es hierzulande? Wo liegen Gefahren für unser Gemeinwesen, wie kann man ihnen begegnen? Wie weit kann und soll der Dialog gehen? Und welche Chancen hat die Integration?

Produktbeschreibung
Spätestens nach der Aufdeckung der Sauerland-Gruppe ist klar: Islamistischer Terror ist in Deutschland längst schon angekommen. Höchste Zeit, einige Fragen zu klären: Wie eng sind Islamismus und Islam verbunden? Wie wahrscheinlich ist die Gefahr terroristischer Anschläge in Deutschland tatsächlich? Welche islamistischen Gruppen gibt es hierzulande? Wo liegen Gefahren für unser Gemeinwesen, wie kann man ihnen begegnen? Wie weit kann und soll der Dialog gehen? Und welche Chancen hat die Integration?
Autorenporträt
Johannes Kandel, Dr. phil., geb. 1950, Dozent und Akademieleiter bei der Friedrich-Ebert-Stiftung; seit 1999 Referatsleiter der Berliner Akademiegespräche / Interkultureller Dialog in der Politischen Akademie der Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin. Zahlreiche Publikationen zu den Themen Erwachsenenbildung, Religion und Politik.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.2011

Widersagst du dem Absoluten?

Johannes Kandels Buch über den Islamismus führt vor Augen, wie schwer sich die Verfassungsschützer das Verständnis der Religion machen.

Hat die katholische Kirche jeden Ultramontanismus verurteilt? Wer die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils durchsieht, wird ein entsprechendes Dekret nicht finden. In der Sache hat das Konzil aber wesentliche Doktrinen revidiert, die mit dem Begriff markiert werden. Das gilt besonders für das Verhältnis der Kirche zur Politik und für ihre Einstellung zur gesellschaftlichen Realität und rechtlichen Dogmatik der modernen Freiheiten. Die Päpste bestehen nicht mehr darauf, dass politisches Engagement von Katholiken nur denkbar sei unter geistlicher Leitung und als Projekt der Restauration des christlichen Staates. Sie wollen das Grundrecht der Religionsfreiheit nicht mehr für Katholiken erkämpfen und für Protestanten beseitigen. Warum haben sie also den Ultramontanismus nicht ausdrücklich verworfen? Das hat zwei Gründe. Zum einen ist das Wort kein theologischer Begriff, sondern ein Schlagwort des Weltanschauungskampfes. Zum anderen steckt in der Idee, das Katholische sei die Orientierung am universalen Lehramt "jenseits der Berge", etwas Wahres, das die Kirche nicht aufgeben kann.

Johannes Kandel, Leiter des Referats Interkultureller Dialog der Friedrich-Ebert-Stiftung, hat ein Buch über "Islamismus in Deutschland" geschrieben. Im Einleitungskapitel "Was ist Islamismus?" stellt er fest: "Bislang ist der Islamismus von keiner religiösen Autorität im Islam als ,unislamisch' verworfen worden." Der Vergleich mit dem Ultramontanismus führt vor Augen, warum das nicht verwunderlich ist. "Islamismus" ist kein Terminus der islamischen Tradition, bezeichnet kein Lehrstück oder keine Rechtsschule, nichts also, über das sich eine religiöse Autorität kraft ihrer Autorität äußern könnte. Es handelt sich um einen Begriff aus der Weltanschauungsanalyse, der vor allem als Kampfbegriff gebraucht wird. Das bedeutet nicht, dass er nicht nützlich sein kann. Man muss sich aber klarmachen, dass er keinen Gegenstand bezeichnet, sondern ein Problem.

Und zu diesem Problem gehört, dass die mit Rechtsstaat und Demokratie unvereinbaren Ideen, an die sich der Begriff knüpft, von den Islamisten auf allgemein anerkannte Glaubensinhalte des Islams zurückgeführt werden. Eine Fatwa gegen den "Islamismus" - im Unterschied zur Verurteilung bestimmter islamistischer Lehren - wäre eine politische Geste ohne theologische Substanz. Kandels eigene Definitionsschwierigkeiten machen deutlich, dass er von den islamischen Autoritäten Unrealistisches verlangt.

"Die Islamisten verstehen den Islam als die große, absolut wahre Erzählung von der Erschaffung der Welt, dem Willen Allahs in Bezug auf die Bestimmung des Menschen und dem Ende der Welt (Jüngstes Gericht)." Diese Bestimmung ist offensichtlich nicht bestimmt genug. Analog müsste es sonst im Christentum einen "Christismus" geben, der die biblische Offenbarung als die große, absolut wahre Erzählung des Heilsgeschehens von der Schöpfung bis zum Endgericht versteht. Kandel mag einwenden: Den gebe es ja, unter dem Namen des Fundamentalismus. Doch wie wäre ein so definierter Fundamentalismus von christlicher Rechtgläubigkeit abzugrenzen?

Alles kommt in Kandels Definition auf die Qualifikation des Fürwahrhaltens durch das Wort "absolut" an. Am absoluten Wahrheitsanspruch soll man den Islamisten erkennen. Kandel, der professionelle Dialogveranstalter, der in Berlin seit Jahren die wichtigen Ebert-Tagungen für "progressive Muslime" abhält, dogmatisiert die pragmatische Voraussetzung von Gesprächen, dass der Teilnehmer bereit sein muss, die Perspektive des Gegenübers einzunehmen. Es gibt keine absolute Wahrheit: Das ist die Superwahrheit, an der sich die Demokratiekompatibilität der Religionen erweisen soll.

Kandels "wehrhafte Demokratie" hebt die liberale Demokratie auf, wie der Jurist Hans Kelsen sie bestimmt hat. Nach Kelsen gehören Relativismus und Demokratie zusammen: Der Staat weiß nicht, was die Wahrheit ist. Kandel verlangt von den Bürgern, den Relativismus zu verinnerlichen, im Sinne nicht nur einer zivilen Haltung der Toleranz, sondern des Zwangs zur Einschränkung der persönlichsten Überzeugungen. Doch wer bekennt, dass Gott die Welt geschaffen hat, in Jesus Mensch geworden ist oder durch Mohammed gesprochen hat und am Ende der Zeiten über die Menschheit richten wird, für den ist diese Erzählung nicht relativ wahr, sondern einfach wahr. Kandel diagnostiziert bei den islamistischen Gruppen oder Intellektuellen immer wieder ein "dichotomisches Weltbild". Man weiß ja, welche mentalen Bedingungen unfriedlichen Verhaltens mit der Formel gemeint sind. Aber als Kriterium zur Isolierung des Islamismus ist "das Schwarz-Weiß-Denken (,Gläubige' versus ,Ungläubige', ,Wahrheit gegen Unwahrheit')" ungeeignet, denn diese Denkweise ist die religiöse Grundunterscheidung, jedenfalls bei missionierenden Religionen.

Gerade wer die Unterscheidung von Religion und Politik zugleich als Mittel und als Ziel religionspolitischer Aufklärung versteht, braucht einen Sinn für die Eigenart der Religion. Dass Kandel hier die begrifflichen Mittel fehlen, ist doppelt verwunderlich. Denn zum einen ist der Historiker Kandel ein Fachmann für die Geschichte Irlands, des Landes, in dem der Konflikt zwischen der römischen Kirche und einem Staat, der seine Souveränität seinerseits theologisch begründete, in jahrhundertelangen Bürgerkriegen ausgetragen wurde. Und zum anderen ist er ein engagierter evangelischer Christ, der in der Ära des EKD-Ratsvorsitzenden Huber an der Erarbeitung der Handreichung "Klarheit und gute Nachbarschaft" zum Verhältnis von Christentum und Islam beteiligt war.

Dass die Muslime aus der protestantischen Kirche heraus aufgefordert werden, das Segensreiche der Selbstrelativierung sowie einer Übersetzung oder Rückübersetzung zeitlicher Gewissheiten in theologische Aussagen zu erkennen, kann zweifellos aufklärerisch wirken. Das Bedenkliche an Kandels Extremismustheorie mit Erkenntnistheorie-Test ist, dass die Verfassungsschutzbehörden Islamisten nach derselben Methode identifizieren - mit erheblichen rechtlichen Folgen. Nur so kommt der Verfassungsschutzbericht 2009 auf eine Zahl von geschätzten 36 270 Islamisten in Deutschland, was dem wichtigen Schwellenwert von einem Prozent der Muslime entspricht. 29 000 davon sind Mitglieder der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs.

Die IGMG ist der Typus der Gruppen, deren Verzicht auf gewaltsame Missionsmethoden Kandel als "taktisch" abtut. Er verteidigt den Ansatz vieler Verfassungsschutzämter, schon im "dichotomischen" Denken und im Begriff von Religion als gottgefälliger Lebensführung einen Gegensatz zu demokratischen Werten zu sehen. Als gefährlich wird die Selbstabgrenzung von Frommen beschrieben, die durch strenge Einhaltung ihrer Gebote den Anstoß zur Bekehrung geben wollen - wie christliche Sekten zu allen Zeiten. Dass von solchen Zirkeln sich Fanatiker abspalten können, die dem Quietismus wieder abschwören, beschreibt eine Gefahr, deren Abwehr die Aufgabe von Staatspolizei und Zivilgesellschaft ist. Aber wenn der Verfassungsschutz dem Totalitären schon überall dort vorbeugen will, wo eine Botschaft Gottes an die ganze Welt und für das ganze Leben verkündet wird, verwandelt er sich in eine unheilige Inquisition.

PATRICK BAHNERS

Johannes Kandel: "Islamismus in Deutschland". Zwischen Panikmache und Naivität.

Herder Verlag, Freiburg 2011. 224 S., geb., 14,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Kandels kluges wie angenehm unaufgeregtes Buch bringt die einzig bislang Erfolg versprechende Anti-Terror-Strategie auf den Punkt: Der Kampf gegen den Islamismus kann nur mit den Muslimen in Deutschland und nicht gegen sie gewonnen werden." -- DeutschlandRadio Kultur

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Patrick Bahners ist mit Johannes Kandels Ausführungen zum "Islamismus in Deutschland" alles andere als einverstanden. Kandel gehe von einer falschen Prämisse aus, indem er den absoluten Wahrheitsanspruch als Definitionsmerkmal des Islamismus zu etablieren suche. Dabei übersehe er nämlich, dass der Glaube an gewisse Wahrheiten wesentlicher Bestandteil von Religiosität sei, wendet Bahners ein. Die von Kandel forcierte Gegenüberstellung von absolutem und relativem Glauben hält der Rezensent für nicht haltbar: Für jemanden, der daran Glaube, dass Gott die Welt geschaffen habe, "für den ist diese Erzählung nicht relativ wahr, sondern einfach wahr". Kandel aber erkläre die Leugnung ultimativer Wahrheiten zur Bedingung des friedlichen Dialoges zwischen den Religionen sowie zwischen Religion und Politik. Bahners hält dies für widersinnig und für gefährlich. Denn eine Demokratie, deren Alarmglocken bereits zu schrillen beginnen, wenn eine Religionsgemeinschaft ihre "Botschaft an die ganze Welt" kundtut, schießt seiner Auffassung nach über das Ziel hinaus und läuft Gefahr, sich in eine "unheilige Inquisition" zu verwandeln.

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