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Jesus war für Baeck integraler Bestandteil der eigenen Geschichte. Er bereitete den Boden für den Dialog von Juden und Christen. Vor 50 Jahren starb Leo Baeck, einer der bedeutendsten Geister des deutschen Judentums. Rabbiner Walter Homolka zeichnet das Wegweisende seines Ringens um die jüdische Existenz, eingebettet in die Suche nach Dialog zwischen den Religionen.

Produktbeschreibung
Jesus war für Baeck integraler Bestandteil der eigenen Geschichte. Er bereitete den Boden für den Dialog von Juden und Christen. Vor 50 Jahren starb Leo Baeck, einer der bedeutendsten Geister des deutschen Judentums. Rabbiner Walter Homolka zeichnet das Wegweisende seines Ringens um die jüdische Existenz, eingebettet in die Suche nach Dialog zwischen den Religionen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.11.2006

Eine Frage von Gott
Vor 50 Jahren starb Leo Baeck, der Lehrer des Judentums
„In jedem Menschen ist das Größte”: Dieser Überzeugung hielt Leo Baeck selbst dann die Treue, als sich „eine Wolke des Kummers, des Bangens und des Grauens” auf ihn gesenkt hatte und er, der Häftling Nr. 187984, den Müllwagen zog durch das Konzentrationslager Theresienstadt. Gerade nun sollte sich des betagten Rabbiners Zuversicht bewähren: „Allen Schmähungen stellen wir die Hoheit unserer Religion entgegen (. . .). Die wahre Ehre gibt sich jeder selbst, er gibt sie sich durch ein Leben, das unantastbar und rein, schlicht und aufrecht ist.” Darum hielt er im KZ regelmäßig Vorträge, sprach im Herzen der Niedertracht von Platon und Maimonides, von Kant und der Entstehung des Christentums.
Die beiden Theresienstädter Jahre 1943 bis 1945 ließen Leo Baeck in den Rang fast eines Heiligen aufsteigen. Dass bis auf den heutigen Tag „wir Juden eine geradezu emotionale Beziehung zu Leo Baeck haben”, so Paul Spiegel 2005, dass „der große Lehrer Deutschlands und des Judentums in schwerer Zeit” (Albert H. Friedlander) eine singuläre Integrations- und Identifikationsfigur geworden ist, dass „der späte Mose mit dem Gelehrtenkopf und der etwas brüchigen Stimme” (Ralph Giordano) das moderne Judentum in Europa wie Nordamerika geprägt hat, resultiert aus der Verzahnung von Leben und Lehre, Person und Botschaft. Zugleich aber ist er eine „mythische Figur” (Jonathan Magonet), der man kaum noch unverstellt begegnen kann. Wer war Leo Baeck?
Die elastische Mauer
Rabbiner Walter Homolka, Rektor des Potsdamer Abraham-Geiger-Kollegs und Gouverneur der Weltunion für Progressives Judentum (WUPJ), nähert sichdem Phänomen in zwei Büchern. Gemeinsam mit dem Kirchenhistoriker und Dominikaner Elias H. Füllenbach legt er eine reich bebilderte „Skizze” vor, die schnörkellos die Etappen eines Lebens an der Zeitenwende ausbreitet: Geburt 1873, Kindheit und Jugend bis 1891 in Lissa bei Posen, Promotion, 21-jährig, bei Wilhelm Dilthey in Berlin, Rabbiner in Oppeln und Düsseldorf, Feldgeistlicher während des Weltkrieges, Rabbiner in Berlin, Vorsitzender der „Reichsvertretung der deutschen Judenin Deutschland”, Präsident der WUPJ, letzte Jahre in London und Ohio,sein Tod am 2. November 1956: Füllenbach und Homolka sehen in Baeck eine mustergültige Existenz. Einmal heißt es, Baeck habe während der NS-Zeit sich der „Gratwanderung zwischen Verantwortung und Verstrickung nicht völlig entziehen können”. Bekanntlich musste die „Reichsvertretung” bzw. „Reichsvereinigung” sich an den Deportationen beteiligen.
Im Sommer des Jahres 2001 sorgte eine andere Gratwanderung für einen Historikerstreit. Vermutlich schrieb Baeck von März bis September 1942 auf Befehl der Gestapo eine Studie zur „Entwicklung der Rechtsstellung der Juden in Europa, vornehmlich in Deutschland” und arbeitete so der Entrechtung zu. Baeck hingegen hatte angegeben, von 1938 bis 1941 im Auftrag desWiderstands an einem „Manifest an das deutsche Volk” gearbeitet zu haben. Homolka referiert in seinem theologisch ausgerichteten Profil „Perspektiven für heute” den neuen Forschungsstand mit einem Satz, während Homolka/Füllenbach seltsamerweise in ihrer „Skizze” eher das Diktum Baecks stärken.
Die überragende Bedeutung des Gelehrten für die Entwicklung des modernen Judentums wird davon nicht tangiert. Baeck argumentierte historisch, umdem Traditionalismus zu wehren, er war liberal, um das Erbe zu retten, fromm ausEinsicht, gebildet aus Überzeugung. Seine Theologie war eine der „sittlichen Tat”; nur das Tun „stellt den Menschen in jedem Augenblick vor Gott”. Sein Liberalismus sah im Gebot eine elastische Mauer, die das Geheimnis schützt. Religion war ihm das lebenspendende Reich der Paradoxie und Israel „das Experiment Gottes. Denn dieses Volk ist eine Frage von Gott. Es selber und darum auch die Menschheit, in die es hineingestellt ist, sollen die Antwort geben”.
Trotz seiner Polemiken wider die „religiöse und seelische Entleertheit der deutschen protestantischen Kirche” ist Leo Baeck auch ein Pionier des Religionsgesprächs. Homolka/Füllenbach nennen ihn gar den „geistigen Vater” des jüdisch-christlichen Dialogs. Vor allem in der Kaiserzeit, aber auch später noch präsentierte sich die evangelische Kirche als sehr staatsnah, und führende Repräsentanten des Staates waren stolz auf den protestantischen Geist von Reich oder Republik. Baeck urteilte 1926 knapp, es sei ein „geistiges und moralisches Unglück Deutschlands, dass (. . .) man aus dem Deutschtum eine Religion gemacht hat. Anstatt an Gott zu glauben, glauben sie – lutherische Pfarrervoran – an das Deutschtum.” Ja, so Homolka, der „nationalsozialistische Staat war die logische Konsequenz einer fehlgeleiteten theologischen Evolution”, die mit Paulus und der Rechtfertigung allein aus Gnade begonnen und in Luthers Zwei-Reiche-Lehre einen Höhepunkt gefunden habe.
Nie kam Baeck über den Schock hinweg, den Adolf von Harnacks „Wesen des Christentums” (1901) bei ihm ausgelöst hatte. Sein eigenes Hauptwerk von 1905, „Das Wesen des Judentums”, ist die leidenschaftliche, stellenweise ungezügelte, ungerechte Antithese. HarnacksInvektiven wider das verkrustete, gesetzesstarre, pharisäerhafte Judentum konterte Baeck mit einem Plädoyer für die Lebendigkeit des Judentums und – vor allem – dessen Ethik. Jesus selbst sei ein „echt jüdischer Charakter, (. . .) ein Jude unter Juden; aus keinem anderen Volkehätte ein Mann wie er wirken können; in keinem anderen Volke hätte er die Apostel, die an ihn glaubten, gefunden.” Das Christentumaber habe „sehr oft bitterlich wenig von dem Geiste seines Stifters gezeigt.”
Sowohl der Zentralrat der Juden, dessen Gemeinden mehrheitlich von orthodoxenRabbinern betreut werden, als auch die Union Progressiver Juden berufen sich aufLeo Baeck. Beide tun es zu Recht. Baecks Werk sprengt die Schemata. Tradition ist bei ihm stets eine Lesart der Gegenwart. Und allen Gläubigen gilt die Mahnung: Religion meint „Verantwortung, in der sich Freiheit an Freiheit wendet.”
ALEXANDER KISSLER
WALTER HOMOLKA: Leo Baeck. Perspektiven für heute. Herder Verlag, Freiburg/Breisgau 2006. 160 S., 8,90 Euro.
WALTER HOMOLKA/ELIAS H. FÜLLENBACH: Leo Baeck. Eine Skizze seines Lebens. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2006. 96 S., 15,95 Euro.
Leo Baeck 1944 in Theresienstadt.
Foto: bpk
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eine informative Einführung in die Theologie des vor 50 Jahren verstorbenen Rabbiners und Gelehrten Leo Baeck erblickt Rezensent Alexander Kissler in diesem Buch Walter Homolkas. Er würdigt Baecks Bedeutung für die Entwicklung des modernen Judentums und des jüdisch-christlichen Dialogs. Dabei unterstreicht Kissler die liberalen Überzeugungen des Theologen. Dass sich sowohl der eher orthodoxe Zentralrat der Juden als auch die Union Progressiver Juden auf Baeck berufen, erklärt er damit, dass dessen Theologie alle Schemata sprenge. So zitiert er dessen Mahnung an alle Gläubigen, Religion bedeute "Verantwortung, in der sich Freiheit an Freiheit wendet".

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