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Unsere Gesellschaft ist eine Leistungsgesellschaft. Aber was meinen wir, wenn wir von "Leistung" sprechen? Wie wurde Leistung zu einer vermeintlich objektiven, individuellen Größe und wie haben sich soziale Beziehungen und Gefühle dadurch verändert? Warum definieren sich Menschen über ihre Leistung - oder über das, was sie und andere dafür halten? Anschaulich und erhellend beschreibt Nina Verheyen, wie sich das Verständnis von Leistung gewandelt hat und erzählt die Geschichte einer Idee, die unser aller Leben prägt. Sie plädiert für eine historisch informierte und zugleich neue, sozialere…mehr

Produktbeschreibung
Unsere Gesellschaft ist eine Leistungsgesellschaft. Aber was meinen wir, wenn wir von "Leistung" sprechen? Wie wurde Leistung zu einer vermeintlich objektiven, individuellen Größe und wie haben sich soziale Beziehungen und Gefühle dadurch verändert? Warum definieren sich Menschen über ihre Leistung - oder über das, was sie und andere dafür halten? Anschaulich und erhellend beschreibt Nina Verheyen, wie sich das Verständnis von Leistung gewandelt hat und erzählt die Geschichte einer Idee, die unser aller Leben prägt. Sie plädiert für eine historisch informierte und zugleich neue, sozialere Definition von Leistung, mit der sich überzeugend gegen Optimierungszwänge, Marktmechanismen und soziale Ungleichheit streiten lässt.
Autorenporträt
Nina Verheyen, 1975 geboren, ist Historikerin an der Universität zu Köln. Zuvor war sie u.a. am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin tätig sowie Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Neben Artikeln für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und den "Merkur" hat sie u.a. das Buch "Diskussionslust. Eine Kulturgeschichte des ,besseren Arguments' in Westdeutschland" (2010) veröffentlicht. Sie lebt in Köln und Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2018

Arbeit als Ehre, Nichtstun als Laster

Nur nicht immer gleich alles dem Bürgertum in die Schuhe schieben: Nina Verheyen verfolgt den Aufstieg des Begriffs der Leistung.

Von Stephan Speicher

Im Jahr 1788 wurden die preußischen Schulkollegien angewiesen, nach Abschluss der Gymnasialzeit den Schülern ein Abgangszeugnis auszustellen, das zur Einschreibung an einer Universität berechtigte. Mit dem formalisierten Leistungsnachweis gehe es indes nicht darum, "die bürgerliche Freyheit in so fern zu beschränken, daß es nicht ferner jedem Vater und Vormund frey stehen sollte, auch einen unreifen und unwissenden Jüngling zur Universität zu schicken". Erst in den 1830er Jahren wurde die Reifeprüfung notwendige Voraussetzung für das Universitätsstudium. Der ältere Zustand kommt einem freier vor, aber der neuere war egalitärer. Denn natürlich hatte, wer ohne Abitur die Universität beziehen wollte, bessere Chancen, wenn er aus einer angesehenen Familie stammte.

Damit ist schon bezeichnet, was den Doppelcharakter der Leistungsbeurteilung ausmacht: Sie unterscheidet, drängt einen Teil der Bewerber zurück, und zugleich ermöglicht erst sie es, die Grenzen von Status und Vermögen zu überschreiten. Die Historikerin Nina Verheyen zitiert in ihrem Buch über "Die Erfindung der Leistung" Lily Braun, eine große Figur der Frauenbewegung und Sozialdemokratie, die als junge Frau aus vornehmem Haus notierte: "Die Arbeit eine Ehre - das Nichtstun ein Laster - dahin fangen wir erst an uns zu entwickeln (...) Wird der Mensch an seiner Leistung gemessen, wie bestehe ich vor dieser Prüfung?!"

Das Selbstwertgefühl der Menschen hat mit dem Bild ihrer Leistungen zu tun. Aber war das immer so? Man assoziiert Leistung schnell mit dem Bürgertum, aber das ist vorschnell, meint Verheyen. Anfang des neunzehnten Jahrhunderts wird ein bürgerliches Leben nicht nur von Erwerbstätigkeit ausgefüllt. Der Hamburger Anwalt Ferdinand Beneke zum Beispiel frühstückte behaglich mit seiner Frau bis zehn Uhr, widmete sich darauf seinen Klienten bis höchstens drei Uhr, dann wurde spazieren gegangen und gegessen, oft mit Freunden. Noch einmal setzte er sich an den Schreibtisch, der spätere Abend gehörte wieder der Geselligkeit. Ganz selbstverständlich lebte er nicht bloß für Beruf und gemeinnützige Tätigkeit, sondern genauso für seine Frau, Kinder und Freunde. Und so hielten es offenbar auch die anderen Männer seines Standes.

Arbeit war nicht bloß auf den eigenen ökonomischen Vorteil gerichtet, zumindest dem Anspruch nach. In Meyers Konversationslexikon hieß es 1851 zur "Arbeit", dass "vor Allem durch das Bewusstseyn der Brüderlichkeit (...) Jedem nach seiner geistigen Kraft ein Kapital geschaffen werde, das sich um so mehr steigert, je mehr man es allen gibt, das Kapital des Wissens, des Könnens, der Erkenntnis und der Geschicklichkeit". Aber natürlich wurde solche Großzügigkeit ermöglicht durch die gesellschaftliche Gliederung, die der Oberschicht die Konkurrenz der Ärmeren vom Halse hielt, ganz zu schweigen von den Dienstboten, die diese Idylle in Gang hielten.

Das Wort Leistung wird in dieser Zeit vor allem juristisch verwendet. Leiste ist im mittelalterlichen Deutsch Spur, Fußabdruck; leisten heißt, einer juristischen oder moralischen Linie folgen. Leistung als Anstrengung, etwas Besonderes zu vollbringen und andere zu überbieten, ist eine Bedeutung, die das Wort erst in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts annimmt. Das Wirtschaftsleben unter dem Marktprinzip bedeutet Konkurrenz und Vergleich. Aber auch der Staat wirkt in diese Richtung. Die Prüfungen und Zeugnisse seiner Bildungseinrichtungen werden Voraussetzung für weitere Bildungserfolge und den Eintritt ins Berufsleben. Doch erst 1856 führte Preußen ein vierstufiges Notensystem ein, das 1882 zu einem fünfstufigen wurde, die sechste Stufe folgte im zwanzigsten Jahrhundert. Auch der Sport trug zur Verbreitung des modernen Leistungsgedankens bei - sehr zum Unwillen der Turner, die sich in der Tradition Ludwigs Jahns sahen, nach dem Turnen eine kollektive Anstrengung zur Hebung der Gesundheit des Volkes sein sollte, nicht individuelles Sich-Hervortun.

In der Industrie sind es Fordismus und Taylorismus, die dem neuen Prinzip zum Durchbruch verhelfen. Die Arbeit wird in kleine Schritte zerlegt, standardisiert und messbar. Nun ist es möglich, individuelle Arbeitsleistungen festzustellen und durch persönlichen "Leistungslohn" zu bezahlen. Zugleich wächst die Sorge, dass zu große Anspannung der Gesundheit schade. Später ist es die physiologisch arbeitende Wissenschaft, die Argumente für den Acht-Stunden-Tag liefert, er steigert die Produktivität.

Nina Verheyen Buch ist eine Abschlagszahlung auf die größere Arbeit, die als Habilitationsschrift geplant ist. Es ist auf ein breiteres Publikum berechnet, es ist knapp, gewandt geschrieben (manchmal auch zu lässig gedacht) und widmet sich einem Thema, dessen politische Bedeutung auf der Hand liegt. Doch an manchen Stellen, vor allem bei der Leistungsmessung in der Wirtschaft des zwanzigsten Jahrhunderts, würde man gern mehr Details haben. Wie Arbeiter, die dem neuen Druck unterworfen wurden, auf Leistungsdenken und Leistungsmessung reagierten, wird nur sehr pauschal behandelt. Und interessieren würde die Rolle des Christentums, das lange Zeit sozial dämpfend wirkte.

Zwei Punkte sind es, auf die Verheyen besonderen Wert legt: Leistungen, zum einen, treten nicht einfach in die Welt und werden gemessen; die Kriterien der Messung rufen sie erst hervor; Leistung ist ein "Konstrukt". Das ist richtig, aber auch nicht gerade die Erfindung des tiefen Tellers. Begriffe sind nun mal Konstrukte, andere gibt es nicht. Und zum anderen: Leistung wird individuell zugerechnet und honoriert und entsteht dabei doch immer aus dem Zusammenwirken mehrerer. Dass individuelle Leistung sich "nicht objektiv messen" lasse, das stimmt gewiss, aber es heißt auch nicht, dass Reden über Leistung nur Gerede sei.

Und wenn sich Leistung nicht einem Individuum klar zuordnen lässt, dann ist auch die Meinung, sie lasse sich "gemeinsam ermöglichen und gemeinsam zuordnen", fragwürdig. Wer gehört zu der Gemeinsamkeit? Wie sind die Künste des Kochs zu veranschlagen, der Caesar nach Gallien begleitete? Hier springt die Autorin etwas rasch aus den Schwierigkeiten des Erkennens in die Welt des sozial Guten. Interessant dagegen, wie stark und beständig der Leistungsgedanke in Zweifel gezogen wurde und nicht bloß von den Vorläufern der Tunixe. Dass die besten Gymnasiasten vom Schulgeld befreit wurden, erregte den Unmut ausgerechnet Heinrich von Treitschkes: das entfessele einen "rasenden Ehrgeiz, der jedes Rechtsgefühl zerstört".

Hier und immer wieder wird vor dem Leistungsdenken als dem Laster der Ehrgeizlinge gewarnt und damit die Konkurrenz der Aufsteiger moralisch madig gemacht. Aber womöglich muss man auch das alte Motiv von Maß und Mitte in Anschlag bringen, das durch das Leistungsdenken außer Kraft gesetzt wurde. Für Max Scheler zeichnet den Vornehmen aus, "über dem Fähigkeitsvergleich mit anderen zu stehen", eine Meinung, der man nicht widersprechen möchte.

Nina Verheyen: "Die Erfindung der Leistung".

Hanser Berlin Verlag, Berlin 2018.

256 S., geb., 23,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.04.2018

Allzeit
bereit
Dafür, dass sie ständig gefragt und gefordert ist und als allgemeines Bewertungskriterium für Persönlichkeit und Vergütungshöhe herhalten darf, ist „Leistung“ ein erstaunlich unscharfer Begriff. Klar ist höchstens, dass es die oberste Anforderung an ein Mitglied der „Leistungsgesellschaft“ ist, sie „zu bringen“, und dass sie Selbstwahrnehmung und Überlebensfähigkeit maßgeblich bestimmt. Da kann man sich schon einmal die Frage stellen, warum dennoch „diese Kategorie plausibel erscheint“. Das tut die Historikerin Nina Verheyen in ihrer höchst unterhaltsamen Kulturgeschichte. Sie berichtet von dem Wandel, den der Begriff seit dem 18. Jahrhundert durchlaufen hat, und erzählt dabei von einer Zeit, in der Muße als bürgerliche Tugend Nummer eins galt. Klar wird, dass sich der Begriff der „Leistung“ durchaus umdeuten ließe: „Individuelle Leistung“, schreibt Verheyen, „gibt es nicht, sie ist ein soziales Konstrukt, anders gesagt: Sie ist eine Leistung von vielen.“ Das Problem sei aber nicht das Leistungsdenken selbst, das könne durchaus auch befreien. Sondern eine Gesellschaft, in der sich jeder immer nur für sich wähnt.
MEREDITH HAAF





Nina Verheyen: Die Erfindung der Leistung. Hanser Berlin, Berlin, 2018, 256 Seiten,
23 Euro.
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"Verheyens schlanke und klug komponierte Studie zeigt uns, dass Leistung mehr ist als Leistungsideologie im Sinne von Selbstoptimierung. [...] Verheyen bringt das Thema Leistung in vielen Facetten zum Leuchten." Marc Reichwein, Literarische Welt, 24.02.2018

"Nina Verheyen belässt es nicht bei einer überzeugenden und zudem gut lesbaren historischen Analyse der rasanten Karriere des Leistungsgedankens in den vergangenen 200 Jahren. Sie ist, für eine Historikerin, erfrischend meinungsfreudig." Sandra Pfister, Deutschlandfunk, 26.03.2018

"Das Überzeugende an Nina Verheyens Essay 'Die Erfindung der Leistung' ist, dass er sich auf keine Seite schlägt, sondern klug zwischen den Fronten bewegt. [...] Dieses Sachbuch ist spannend, gut erzählt und jederzeit anschaulich. Ein rundum lesenswerter Essay". Wolfgang Schneider, Deutschlandfunk Kultur, 08.03.2018

"Es ist das große Verdienst von Verheyen, für die vielfältige Instrumentalisierung zu sensibilisieren, die der Leistungsbegriff in den vergangenen rund zweihundert Jahren erfahren hat." Wolfgang Ullrich, Süddeutsche Zeitung, 05.04.2018

"Verheyen bevorzugt eine klare, chronologische Struktur, erklärt gesellschaftliche Phänomene und Zusammenhänge. Und immer wenn es zu trocken werden könnte, wartet sie mit einer großartigen Anekdote auf. Das Buch eröffnet neue Blickwinkel und ist eine wunderbare Grundlage, sich selbst in seinem Anspruchsdenken zu hinterfragen - aber auch für spannende Diskussionen mit den Mitleistern." Helene Endres, Harvard Business Manager, 20.03.2018

"Nina Verheyen ist ein wundervolles Beispiel gelungen, historische Forschung in ein anregendes und verständliches Sachbuch zu übersetzen. Ihre Analyse hat stets Perspektive und gerät nie zur Faktenhuberei. 'Die Erfindung der Leistung' lädt zum Weiterdenken ein." Florian Baranyi, Falter, 14.03.2018

"Auch das machen die Forschungen von Nina Verheyen klar: Die vermeintliche Leistung des Einzelnen ist stets Ergebnis einer gemeinsamen Anstrengung. ... Derzeit ist Leistung etwas, das uns trennt. Dabei sollte sie uns verbinden." Philipp Holstein, Rheinische Post, 11.03.2018

"Nina Verheyen verbindet die Ereignisse und Anekdoten so intelligent, dass man wenig Mühe hat, ihren Zeitsprüngen zu folgen. Dabei ist 'Die Erfindung der Leistung' keine Kapitalismuskritik und versteht sich auch nicht als Lob auf die Leistung. Viel zu unterschiedlich und abwechslungsreich wählt sie ihre Blickwinkel." Verena Krippner, taz, 14.03.2018

"Es ist auf ein breiteres Publikum berechnet, es ist knapp, gewandt geschrieben ... und widmet sich einem Thema, dessen politische Relevanz auf der Hand liegt." Stephan Speicher, FAZ, 10.03.2018

"Nina Verheyen leistet den Lesern mit ihrem Buch einen sehr guten Dienst." Claudia Mäder, NZZ, 10.03.2018

"Anschaulich erzählt die Autorin entlang von Filmen wie Maren Ades 'Toni Erdmann' oder Charlie Chaplins 'Moderne Zeiten' sowie Falladas 'kleinen Mannes', dass Leistung eben nicht gleich Leistung ist." Petra Welzel, ver.di news/ver.di publik, 03.03.2018

"Auf über 200 Seiten schildert Nina Verheyen klar und schnörkelfrei die bittersüße Geschichte und Gegenwart unseres modernen Leistungsprinzips. " Anna Masoner, ORF Ö1, 20.04.2018

"'Die Erfindung der Leistung' gibt einen angenehm lesbaren Überblick über die Diskurse zu diesem Begriff in den letzten 200 Jahren. Die Zugänglichkeit sowie die ausgreifende historische Geste sind nicht selbstverständlich für eine Wissenschaftlerin, die für dieses populäre Sachbuch ihre Habilitationsschrift unterbrochen hat." Tobi Müller, Die Wochenzeitung, 19.04.2018
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