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Ein junger Schriftsteller bricht auf, "deutschkrümelnder Idiotie in die Schnitte zu spucken". Wie ein todesmutiger Stuntman mit Notizblock stürzt sich Pascal Richmann in Tänze mit hunderten Burschenschaftlern, besichtigt die Walhalla nach Mitternacht oder trinkt Schnäpse in der Kaschemme eines Ex-NPD-Chefs auf Mallorca. Wann immer er seine Gegenüber nach ihren Deutschlandbildern befragt, stößt er auf Wahnvorstellungen. Pascal Richmanns Debüt bebt vor absurden Beobachtungen, erstaunlichen Begegnungen und unverhofften Assoziationen. Es erzählt von neu entflammten Vaterlandsgefühlen und Nazis,…mehr

Produktbeschreibung
Ein junger Schriftsteller bricht auf, "deutschkrümelnder Idiotie in die Schnitte zu spucken". Wie ein todesmutiger Stuntman mit Notizblock stürzt sich Pascal Richmann in Tänze mit hunderten Burschenschaftlern, besichtigt die Walhalla nach Mitternacht oder trinkt Schnäpse in der Kaschemme eines Ex-NPD-Chefs auf Mallorca. Wann immer er seine Gegenüber nach ihren Deutschlandbildern befragt, stößt er auf Wahnvorstellungen. Pascal Richmanns Debüt bebt vor absurden Beobachtungen, erstaunlichen Begegnungen und unverhofften Assoziationen. Es erzählt von neu entflammten Vaterlandsgefühlen und Nazis, die auch für Tiere bremsen. Und von einer zerrissenen Nation, die ohne solche Expeditionen kaum zu verstehen ist.
Autorenporträt
Pascal Richmann, geboren 1987 in Dortmund, studierte Sozial- und Kulturanthropologie an der Universität Heidelberg und Literarisches Schreiben in Hildesheim. Er schreibt Theatertexte, Essays, Reportagen und Erzählungen. Pascal Richmann ist Mitglied der Akademie für Letalität und Lösungen. Bei Hanser erschien 2017 sein erstes Buch: Über Deutschland, über alles.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.08.2017

Flanieren heißt heute halt immer auch browsen
Pascal Richmann beweist in „Über Deutschland, über alles“, dass er Reisebilder schreiben kann
Derzeit werden viele Bücher über Deutschland und darüber, was deutsch sei, geschrieben, wegen Neuer Rechter, Zuwanderung, Leitkultur, Spaltung der Gesellschaft, und, na klar, immer geht es darin auch um die Gespenster der Vergangenheit, den katastrophalen Irrsinn des völkischen Extremnationalismus. Das „na klar“ gerade eben hat sich direkt aus dem lustigen Text, der hier besprochen werden soll, in unsere eigentlich seriös angelegte Rezension herübergeschlichen: In Pascal Richmanns Büchlein „Über Deutschland, über alles“ taucht es auf dreihundert Seiten 35 Mal auf und signalisiert umgangssprachliche Aufgeräumtheit in einem formal sehr ambitionierten Text.
Richmann, der dreißig Jahre alt ist und in Hildesheim das Schreiben nach allen Regeln der Kunst studiert hat, berichtet also auch von Deutschland, dem heutigen (das „na klar“ lassen wir hier weg), aber doch von jenem Teil, der sich sehr stark auf eine Vergangenheit bezieht, in der Deutschland noch „über alles“ kommen sollte. Darum führt den Autor seine Spurensuche – „Spurensuche“ ist heute ein beliebtes Synonym für „Reportage“ – beispielsweise auf die Insel Helgoland, wo Heinrich von Fallersleben sein Deutschlandlied verfasste.
Da Helgoland einerseits ein Projektionsort arischer Fantasien von der verschwundenen Sageninsel Atlantis, später eine nationalsozialistische Bunkerlandschaft, andererseits ein Aufenthaltsort Heinrich Heines war, den hier die Nachricht von der Pariser Juli-Revolution von 1830 erreichte, lässt sich daraus ein herrlich widersprüchliches Knäuel von Deutschlandthemen entrollen. Wir erfahren etwa, wie Graf Gobineau die Rassen der Welt ordnete, „die schwarze (wie Tiere, guter Geruchs- und Geschmackssinn), die gelbe (mittelmäßig, müssen immer auf Arbeit) und weiße (einfach wow)“.
Solche Exkurse werden von dem Ich-Erzähler, der dem Autor aufs Haar gleicht, gern „Impulsreferate“ genannt, ein Wort, das immer dann auftaucht, wenn jemand ein wenig ausholt und eine Sache etwas ausführlicher erklärt. Man ahnt den Hildesheimer Mensa-Jargon, in dem redselige Kommilitonen etwas für ihre „Impulsreferate“ auf die Mütze bekommen.
Allerdings sind gerade sie, die kundigen längeren Exkurse, das Beste an Richmanns Buch. Hier erfährt man etwas und wird dabei gut unterhalten. Dass der Deutschlandlieddichter, der gern als Demokrat vorgestellt wird, eben doch auch ein Judenfeind war; wie Helmut Kohl zu Beginn seiner Kanzlerschaft das Ausländerproblem „lösen“ wollte (nämlich durch eine Politik forcierter Ausreisen); wie die ersten italienischen Gastarbeiter in Wolfsburg in Barackenlagern untergebracht wurden, die sich nur fürs bewaffnete Auge von denen der Zwangsarbeiter zehn Jahre zuvor unterschieden; das Funktionieren von Fan-Identitäten für Fußballmannschaften, die längst teil der Markenproduktunterhaltung geworden sind; die Biografie eine NPD-Funktionärs, der abspringt und eine Kneipe auf Mallorca eröffnet; Burschenschaften und Pegida: Das sind farbige Themen, die gut belegt in allen ihren kaum glaublichen Wendungen vorgestellt werden.
Gut belegt: Richmanns Buch hat einen zwanzigseitigen Anhang mit Quellenverweisen, die von Heine bis Youtube reichen und noch das irrsinnigste Zitat, auch wenn es von dem Hildesheimer Schreibprofessor Hanns-Josef Ortheil stammt, belegen. Im Detail ist hier nichts erfunden. Diese Gründlichkeit führt allerdings gelegentlich zu komischen Effekten, so wenn dem Erzähler bei der Überfahrt nach Helgoland anlässlich der Trinksitten seiner Mitreisenden ein langes Zitat aus Norbert Elias’ „Studien über die Deutschen“ „einfällt“, und zwar wörtlich. Aber, na klar, kein Impulsreferat ohne Exzerpte.
All das kommt plauderhaft, in „guter alter Flaneurprosa“, daher, vom Hölzchen aufs Stöckchen gesprungen. Doch Richmanns Buch hat noch höhere Ziele, und die sind recht angestrengt. Er möchte schreiben wie Heinrich Heine in seinen „Reisebildern“, und wie weit man da mit Fleiß und Geschick kommen kann, das zeigt er.
Die Probleme beginnen auf der nächsten Stufe: Weil’s um Heine als Figur und Stilvorbild geht, arbeitet sich Richmann auch noch an der großen Heine-Polemik von Karl Kraus ab und zwar in der mit Fußnoten und Nutzanwendungen eingepackten Version von Jonathan Franzens „Kraus-Projekt“.
Damit lädt sich der Text zwei historische Spiegelungen auf, die Richmann sogar in eine formale Mimesis übersetzt, indem er Franzens Splitting von Haupttext und wuchernden Fußnoten ein ganzes Kapitel lang auch typografisch genau übernimmt. Da entwirft der eigentlich leichtfüßige Text dann doch ziemlich schwergängig seine Poetik der Heine-gestützten „Fiction-Non-Fiction“.
Diese Grenzverwischung mag Franzen im Einklang mit Kraus nicht (weil daraus nur „mittelmäßige Feuilletons“ werden) und überträgt das auf die Digitalisierung. Dass er „über diesen Kurzschluss ästhetische wie technische Entwicklungen und deren emanzipatorische Möglichkeiten vergisst und damit letztlich die Idee der Moderne überhaupt“, das findet Richmann – wie er hier non-fiktional heißen darf – „schon sad".
Elias, Colin Crouch, Marcel Mauss, Georg Seeßlen, Kraus, Franzen und so viele mehr – wer die Liste der Referenzen durchgeht, erkennt ein erstaunlich seminaristisches Unterfutter für einen Text, der sich so stark auf locker tarnt, der die nomadische, obdachlose, feinripptragende, Fanta-trinkende Lebensweise des Autors inszeniert, vor allem aber seine fehlende Berührungsscheu vor realen Nazi-Rentnern, Burschenschaftlern oder Hooligans. Sehr vieles ist eben doch nur angelesen oder angehört (beispielsweise der „Kanal Schnellroda“ oder identitäre Videoblogs) und aus Papier und Bildschirm in die Datei des Verfassers gewandert. Flanieren heißt heute halt immer auch browsen.
Das aber heißt auch, dass es etliche Leser geben wird, die das meiste von Richmanns Impulsreferaten schon wissen, während die, die aus ihnen lernen könnten, von der dreifachen Verpackung (Heine, Kraus, Franzen) eher verwirrt und abgeschreckt werden. Eines allerdings ist sicher: In Hildesheim lernt man das kunstvolle Schreiben.
GUSTAV SEIBT
Die längeren Exkurse sind das
Beste, man erfährt etwas und
wird gut unterhalten
Der Autor hat keine
Berührungsscheu vor
Nazi-Rentnern oder Hooligans
Pascal Richmann:
Über Deutschland, über alles. Carl Hanser Verlag, München 2017.
328 Seiten, 20 Euro. E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Pascal Richmanns Buch hält, was der grandiose Titel verspricht, versichert Rezensent Ekkehard Knörer. Der Kritiker mag die "rabiate Subjektivität", mit dem sich der Autor dem rechten Deutschland nähert: Zwar kann Knörer nicht immer genau sagen, ob er gerade Egon Erwin Kisch oder dem "Baron von Münchhausen" lauscht, wenn ihm der junge Autor von seinen Begegnungen mit Burschenschaftlern, Hooligans oder mit Ex-NPD-Chef und Mallorca-Barbesitzer Holger Apfel erzählt. Richmanns zwischen Wut und Poesie, Verrücktheit und Nonkonformismus, Gelehrsamkeit und sprachlicher Abgedrehtheit mäanderndem Sound kann sich der Kritiker aber nicht entziehen. Selten ist das "so selbstmitleidig in seiner Saturiertheit" badende Deutschland der zehner Jahre des 21. Jahrhunderts so gekonnt auf den Punkt gebracht worden, meint er.

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"Beeindruckend ist das gekonnte Glissando, mit dem das Buch von einem Ton in den anderen, auch von einer Geschichte zur anderen rutscht. Es ist Essay, Literatur, Analyse, es ist respektlos, komisch, poetisch, wütend, verrückt, furchtlos, penetrant nonkonformistisch." Ekkehard Knörer, Die Zeit, 21.09.17