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"Die Poesie von Valerio Magrelli ist ein Selbstgespräch, mit dem Bleistift in ein Heft geschrieben, in den tiefsten und stillsten Stunden der Nacht", schreibt Octavio Paz über den gefeierten Dichter aus Italien, der nun auf Deutsch zu entdecken ist. Magrellis Gedichte erinnern in ihrer Konzentration an die Stilleben Giorgio Morandis. Er erschafft eine Poesie der Wahrnehmung, die ihre eigenen Grenzen auslotet, eine Verschmelzung von Abstraktion und reiner Materie. Seit Eugenio Montale hat kaum ein Dichter in einer Stimme so viele Facetten der italienischen Lyrik anklingen lassen und sich zugleich von ihr abgehoben.…mehr

Produktbeschreibung
"Die Poesie von Valerio Magrelli ist ein Selbstgespräch, mit dem Bleistift in ein Heft geschrieben, in den tiefsten und stillsten Stunden der Nacht", schreibt Octavio Paz über den gefeierten Dichter aus Italien, der nun auf Deutsch zu entdecken ist. Magrellis Gedichte erinnern in ihrer Konzentration an die Stilleben Giorgio Morandis. Er erschafft eine Poesie der Wahrnehmung, die ihre eigenen Grenzen auslotet, eine Verschmelzung von Abstraktion und reiner Materie. Seit Eugenio Montale hat kaum ein Dichter in einer Stimme so viele Facetten der italienischen Lyrik anklingen lassen und sich zugleich von ihr abgehoben.
Autorenporträt
Valerio Magrelli, 1957 in Rom geboren, ist Lyriker, Prosaschriftsteller, Essayist und Übersetzer aus dem Französischen, u. a. von Stéphane Mallarmé, Paul Valéry, Alfred Jarry, René Char und Francis Ponge. Außerdem schreibt er regelmäßig für die Kulturseiten verschiedener italienischer Tageszeitungen und Zeitschriften. Seine Gedichtbände wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Eugenio-Montale-Preis und dem Antonio-Feltrinelli-Preis. Bei Hanser erschien sein Gedichtband Vom diskreten Ehrgeiz, ein Bleistift zu sein (2016).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.04.2017

Trope und Transfer,
der Umzugsverkehr
Zu entdecken: Der römische Lyriker Valerio Magrelli
Ein einziges Mal in seinem Leben hat sich der Lyriker und Universitätsprofessor Valerio Magrelli auch als Schauspieler versucht. In dem Film „Caro Diario“ von Nanni Moretti spielte er einen Arzt, der den geheimnisvollen Symptomen eines Patienten auf die Spur zu kommen versucht. „Essen Sie?“, fragt er den Mann, der unter unerträglichem Juckreiz leidet. Abschließend verbirgt er seine Ratlosigkeit hinter der Empfehlung, an einen warmen Ort ans Meer zu fahren. Der kleine Auftritt des äußerlich perfekt angelsächsisch wirkenden Magrelli in einem der schönsten Filme der Neunzigerjahre war eine Angelegenheit unter römischen Freunden: Moretti, selbst in der Rolle des Patienten, hatte Magrelli dazu überredet.
Aber für Valerio Magrelli, Jahrgang 1957, besitzt die Sache einen symbolischen Wert. Seine Gedichte lassen sich als unsichere Diagnosen deuten: Mit der Tradition im Rücken nähert er sich den Phänomenen der Gegenwart, klopft den gesellschaftlichen Körper, typische Sprachformeln ab, ertastet Ausdrucksformen und Erzählweisen. In dem Gedicht „Der Packer“ aus seiner mittleren Schaffensphase schaut das Ich einem Möbelpacker bei der Arbeit zu und entdeckt eine Parallele: „Auch ich helfe beim Umzug/ der Wörter, der Wörter/ die mir nicht gehören,/ und lege Hand an das,/ was ich nicht kenne, und verstehe nicht/ was ich versetze.“
Magrelli ist im Nebenberuf ein herausragender Übersetzer aus dem Französischen, er hat Molière, Mallarmé und Valéry ins Italienische übertragen, was hier hineinspielt. Zugleich geht es aber um den Prozess des Dichtens an sich. „Ich versetze mich selbst, übersetze/ die Vergangenheit in die Gegenwart,/ die versiegelt reist/ zwischen Seiten gepfercht/ oder in Kisten mit der Aufschrift/ ,Zerbrechlich!‘, deren Inhalt verborgen bleibt.“ Das Gedicht inszeniert einen Kurzschluss zwischen einem alltäglichen Ereignis und den metaphorischen Qualitäten dieser Operation. Es explodiert in die Verse: „Das ist die Zukunft, die Spule, der übertragene Sinn,/ die Zeit des Schleppens, die Jetzt-Zeit,/ Trope und Transfer,/ der Umzugsverkehr.“
„Vom heimlichen Ehrgeiz ein Bleistift zu sein“, lautet der Titel des Bandes, der einen Querschnitt durch Valerio Magrellis Werk bietet und diesen originellen Dichter zum ersten Mal in deutscher Sprache zugänglich macht. Theresia Prammer und Piero Salabé haben Texte aus sechs verschiedenen Sammlungen zusammengestellt und glänzend übersetzt. Von dem 1980 erschienenen Debüt „Ora serrata retinae“ des damals Dreiundzwanzigjährigen, das Theresia Prammer in ihrem klugen Nachwort als einen Blick in das Augeninnere deutet, in dem es zu Brechungen der äußeren Bilder kommt, bis zu Magrellis letztem, gegenwartsskeptischem Band „Das bittere Blut“ (2014 ) gewinnt eine vielfältige dichterische Existenz ein Profil.
Von Anfang an klagt das lyrische Ich seine Autonomie ein, die Notwendigkeit, selbst zu denken, selbst zu fühlen und zu Bezirken jenseits der normierten Wahrnehmung vorzudringen: „Der heimliche Ehrgeiz, ein Bleistift zu sein./ Langsam aufgezehrt auf dem Papier/ auf das Papier gebannt,/ zu anderer, neuer Form erstanden.“ Die Fantasie, sich aufzulösen, bedeutet zugleich eine Veränderung der Materialität: Das Schreibinstrument wandelt sich zur Schrift. Magrellis Gedichte sind Gratwanderungen zwischen unbewussten produktiven Prozessen und einer ordnenden Instanz. Während ein Journalist die Sprache benutze, sei es bei einem Schriftsteller genau andersherum, erklärte er seine Haltung in einem Interview einmal.
In den Texten der mittleren Phase, die eine große klangliche Dichte aufweisen, mit Assonanzen arbeiten und metrisch exakt durchkomponiert sind, nimmt der elegische Ton des Frühwerks ab. Die DNA der Dichtung packt Magrelli lautlich regelrecht am Schopf: „A te DNA della poesia/ elica e elastico/ avviticchiati a forza/ a malincuore treccia/ attorcigliata torte e ritorte/ rime/“, was Prammer und Salabé sogar nachbilden: „Für dich, DNA der Dichtung/ Turbine und Gummiband,/ gedrechselt schweren Herzens/ und gegen Widerstand, Zopf/ gezwirbelt, verzwirnt, zigfach/ verflochtene Reime“. Während im Frühwerk Paul Valéry, Henri Michaux und Maurice Blanchot spürbar waren, machen sich nun Einflüsse Ungarettis und Montales bemerkbar.
Die selbstreferentiellen und erkenntnistheoretischen Reflexionen treten zurück, stattdessen blitzen autobiografische Erfahrungen auf, kommt ein erzählerischer Kern zum Vorschein oder eine Mikro-Geschichte. Eine Taxifahrt zur Porta Westfalica, ein Besuch auf Helgoland, die Vaterschaft oder ein Auszug aus Familienchroniken. Magrelli selbst hat davon gesprochen, dass er sich von Francis Ponge auf Bertolt Brecht zu bewege, während die Gesellschaft den umgekehrten Weg gehe: von Brecht zu Ponge. In dem Gedicht „Diffamierungen“ greift er eine Schmutzkampagne gegen Pier Paolo Pasolini auf: 1962 geisterten wochenlang Verleumdungen durch die Presse und hatten sogar einen Prozess zur Folge. Ein Tankwart behauptete, Pasolini habe ihn mit einer Pistole voller Goldpatronen bedroht. In diesem nie abgegebenen Schuss erkennt Magrelli, was das Werk des älteren Kollegen ausmacht: „phantastisches Phantasma aus Gewalt/ und Erbarmen, Lorbeer und Blut.“
Eine sehr eigene Mischung aus hohem Ton mit prosaischen Elementen gelingt Valerio Magrelli in der Serie „Gebrauchsanweisungen zur Zeitungslektüre“. Er gibt Anweisungen zum Umgang mit dem Datum, den Immobilienanzeigen und der Rubrik Medizin. Über den Umweg der Leserbriefe kommt auch ein lyrisches Ich zum Zuge, ein „Sinnbettler“. Als „treuer Abonnent“ klagt das Ich darüber, zwischen seinem Tod und seinem Leben keine Grenze zu erkennen: „Ich denke an die Pflicht, glücklich zu sein/ in der Einfachheit eines normierten Lebens, / doch der Ekel vor dieser Universalinstandhaltung / schlägt mich zu Boden.“ Vor einer alltäglichen Inbesitznahme durch die Norm ist der Dichter Valerio Magrelli gefeit.
MAIKE ALBATH
Valerio Magrelli: Vom heimlichen Ehrgeiz ein Bleistift zu sein. Gedichte. Aus dem Italienischen von Theresia Prammer und Piero Salabé. Edition Lyrikkabinett bei Hanser. Carl Hanser Verlag, München 2016, 184 Seiten, 18 Euro.
In den „Gebrauchsanweisungen
zur Zeitungslektüre“ hat der
„Sinnbettler“ seinen Auftritt
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"Seine Gedichte lassen sich als unsichere Diagnosen deuten: Mit der Tradition im Rücken nähert er sich den Phänomenen der Gegenwart, klopft den gesellschaftlichen Körper, typische Sprachformeln ab, ertastet Ausdrucksformen und Erzählweisen. (...) Theresia Prammer und Piero Salabè haben Texte aus sechs verschiedenen Sammlungen zusammengestellt und glänzend übersetzt." Maike Albath, Süddeutsche Zeitung, 19.04.17