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Ada beobachtet Paare, die auf dem Weg zur Therapiesitzung durch ihren Innenhof laufen. Was hält diese Paare zusammen, fragt sie sich. Ihr Ex-Mann Farid hat schon längst ein neues Leben begonnen, während sie wahllos Männer mit nach Hause nimmt, um ihre berufliche Zukunft als Kamerafrau bangt und ihrer gar zu vernünftigen Tochter Fanny insgeheim die Schuld an allem gibt. Doch dann will Adas Schwägerin Sira vor Beginn des Studiums noch einmal ihre Familie in Kairo besuchen und gerät dabei unversehens in die Arabische Revolution. Annika Reich schreibt über zwei eigensinnige Frauen, die mitten im…mehr

Produktbeschreibung
Ada beobachtet Paare, die auf dem Weg zur Therapiesitzung durch ihren Innenhof laufen. Was hält diese Paare zusammen, fragt sie sich. Ihr Ex-Mann Farid hat schon längst ein neues Leben begonnen, während sie wahllos Männer mit nach Hause nimmt, um ihre berufliche Zukunft als Kamerafrau bangt und ihrer gar zu vernünftigen Tochter Fanny insgeheim die Schuld an allem gibt. Doch dann will Adas Schwägerin Sira vor Beginn des Studiums noch einmal ihre Familie in Kairo besuchen und gerät dabei unversehens in die Arabische Revolution. Annika Reich schreibt über zwei eigensinnige Frauen, die mitten im Leben stehen - bis sie auch noch gezwungen werden, an der Weltgeschichte teilzunehmen.
Autorenporträt
Annika Reich, 1973 in München geboren, lebt in Berlin, ist Schriftstellerin und Künstlerische Leiterin des Aktionsbündnisses WIR MACHEN DAS und WEITER SCHREIBEN, des preisgekrönten Portals für Autor:innen aus Kriegs- und Krisengebieten. Sie ist Teil der Zeit-Online-Kolumne »10 nach 8«. Bei Hanser erschienen die Romane Durch den Wind (2010), 34 Meter über dem Meer (2012), Die Nächte auf ihrer Seite (2015) und ihre Kinderbücher Lotto macht, was sie will! (2016) und Lotto will was werden (2018). Ihr neuester Roman Männer sterben bei uns nicht erschien 2023 bei Hanser Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.04.2015

Mit und ohne Kopftuch an vorderster Front
In ihrem vierten Roman „Die Nächte auf ihrer Seite“ beschäftigt sich Annika Reich mit der Wechselwirkung von
privaten Problemen und Politik am Beispiel zweier Frauen während des Arabischen Frühlings
VON CHRISTINA KOORMANN
Sira fühlte sich wie eine Teilzeit-Ägypterin, wie eine Deutsche mit ägyptischer Sommer-Identität.“ Sira hat ägyptische Wurzeln, lebt in Deutschland und verbindet außer mit der großen Familie wenig mit der nordafrikanischen Heimat ihrer Eltern. Doch dann bricht der Arabische Frühling in Tunesien aus, und als die Revolution ins nahe Ägypten dringt, gerät die junge Frau während eines Urlaubs bei ihren Verwandten in Kairo mitten in die Proteste auf dem Tahrir-Platz. „Die Stimmung war so euphorisch, dass ihr vor Rührung die Tränen in die Augen stiegen.“ Hin- und hergerissen zwischen Befremdung und Solidarität, Angst und Euphorie erkennt Sira, dass da noch mehr ist im Leben als das, was ihr bisher wichtig war. Wieder zu Hause in Berlin, stellt sie ihre Lebensweise radikal in Frage.  
  „Die Nächte auf ihrer Seite“ ist der vierte Roman von Annika Reich. Die gebürtige Münchnerin, die in Berlin lebt, liest an diesem Dienstag in der Buchhandlung Lehmkuhl aus ihrem neuesten Werk, in dem sie der Frage nachgeht, weshalb wir uns so sehr auf uns selbst und unsere Beziehungen fixieren, während um uns herum die Welt explodiert. „Uns wird immer gesagt, wir müssen uns um uns selbst kümmern“, sagt die Autorin bei einem Gespräch in einer Schwabinger Bar. „Wir müssen noch eine Therapie machen, noch mal ins Fitnessstudio gehen, und gleichzeitig stehen da Frauen auf dem Tahrir-Platz und kämpfen für ihre Freiheit und ihr Land. Wir kämpfen auf der Couch.“ Die 42-Jährige war gefesselt von dem, was 2011 in Nordafrika geschah. „Die Bilder von der Ägyptischen Revolution haben mich umgehauen. Vor allen Dingen diese ganzen jungen Frauen, die da an vorderster Front mit oder ohne Kopftuch, flippig und ganz traditionell, Seite an Seite stehen – das hat mich so bewegt und erschüttert, dass ich wissen wollte, wie das für diese Frauen war.“
  In Kairo verteilte sie Steckbriefe und skizzierte die Figur der Sira, um junge Deutsch-Ägypterinnen zu finden, die zufällig 2011 auf dem Tahrir-Platz dabei gewesen waren. Fünf Frauen meldeten sich, die der Schriftstellerin zu authentischen Informationen verhalfen. Während die Romanfigur Sira mit ihrer Identität, ihren Werten und den Erlebnissen in Ägypten kämpft, kämpft ihre Schwägerin Ada, die zweite Hauptfigur in „Die Nächte auf ihrer Seite“, für ihre ganz persönliche Unabhängigkeit. Sie hadert mit ihrer Rolle als Mutter. Die Kamerafrau, die in Trennung vom Vater ihrer Tochter lebt, filmt durch ihr Fenster Paare beim Gang über den Hinterhof zu dem dort ansässigen Paartherapeuten. Als „Reigen“ treten die Paare im Roman in Erscheinung, in kurzen Sequenzen, die tiefe Einblicke ins Private offenbaren. Wie eine hängen gebliebene Schallplatte beschreibt Reich diese Refrains; noch ein Paar, noch ein Paar, noch ein Paar. „Und immer schau ich noch drauf und schnalle nicht, dass das vielleicht nicht das einzige ist auf der Welt, aber gleichzeitig ist es doch was total Wichtiges. Die Liebe ist total wichtig, und die Paarbeziehung ist total wichtig. Ich wollte es nur gleichzeitig machen und sagen, wenn dir das eine wichtig ist, heißt das nicht, dass du die Welt vergessen musst.“
  Drei Jahre lang arbeitete Annika Reich an dem Roman. Auch die innerdeutsche Geschichte und die Folgen des Mauerfalls holt sie mit in das Geschehen – eine interessante Parallele. „Was ich beschreibe, ist sehr autobiografisch“, sagt die 1973 geborene Autorin und erinnert sich daran, was sie mit 16 erlebte. „Man sitzt vor dem Fernseher und ist euphorisch, und eine Woche später ist es einem schon wieder egal. Da findet man die Trabis süß, total abartig. Nicht nachzufragen, wie geht es euch, braucht ihr Hilfe, oder einfach: erzählt mal.“
  Als ihre Figur Sira bei der Revolution dabei ist und etwa zeitgleich Adas Ehe in die Brüche geht, knallt auch hier Privates auf Politisches. „Ich finde diese Parallelität sehr interessant“, sagt Annika Reich. „Da prallen Welten aufeinander, und eigentlich ist das auch nicht mehr auf die Arabische Revolution begrenzt: Das gleiche passiert auf dem Majdan, es passiert auf dem Taksim-Platz, da sind überall junge Leute. Die sind nicht politisiert, die strudeln da so rein, die kämpfen für ihre Träume und ihre Freiheiten, und wir denken, unsere größte gesellschaftliche Aufgabe ist es, endlich austherapiert zu sein.“ Mit offenen Augen in eine Welt zu gucken, die nicht zurückguckt, ist ein zentrales Gefühl, das Annika Reich mit ihrem neuen Roman verbindet. Der Moment, in dem die Selbstfokussierung in ein politisches Bewusstsein umschlägt, steht im Fokus ihrer eindrücklichen Geschichte. Auf welcher dieser Seiten träumen wir in den Nächten? Wahrscheinlich auf beiden.
Annika Reich – Die Nächte auf ihrer Seite, Lesung am Di., 28. April, 20 Uhr, Buchhandlung Lehmkuhl, Leopoldstr 45, www.lehmkuhl.net ☏ 380 15 00
Annika Reichs Hauptfigur ist die Deutsch-Ägypterin Sira. Ihr Blick fokussiert sich durch den politischen Umsturz neu. Foto: PETER HASSIEPEN
Die Braut bleibt neutral, während sich das Private politisch auflädt: Ihr Bräutigam schwenkt, geschultert von einem Regierungsgegner, die Fahne der Nationalisten während der Hochzeitszeremonie auf dem Tahrir-Platz.
Foto: AFP/ KHALED DESOUKI
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.06.2015

Die Berliner Langeweile ist hausgemacht

Zwischen Kairo, Berlin und Leipzig: Annika Reich verschachtelt in "Die Nächte auf ihrer Seite" eine kaputte Liebesbeziehung in Deutschland mit dem Scheitern der ägyptischen Revolution.

Auf dem Tahrir-Platz in Kairo sterben Menschen für ihre persönlichen Ideale, während in Berlin-Mitte Pärchen um die dreißig in Soyamilchtassen nach dem Wesen der wahren Liebe suchen. Beim Rühren müssen sie fassungslos feststellen, dass sie im Begriff sind, an ihren hohen Erwartungen kläglich zu scheitern.

So in etwa könnte man Annika Reichs neuesten Roman "Die Nächte auf ihrer Seite" auf den Punkt bringen. Doch damit wird man dem lakonischen Text nicht gerecht: Denn schließlich handelt es sich bei diesem komplexen Beziehungsroman nicht um einen Abgesang auf eine postideologische Gesellschaft, die sich selbst irgendwie nur noch mitmacht, sondern um die gerechte Gegenüberstellung zweier Welten, in denen die einen wie die anderen Bewohner im Wirbel der Weltgeschichte den unverfrorenen Anspruch erheben, am Ende eines Tages glücklich ins Bett fallen zu wollen. Ob in Kairo, Leipzig oder Berlin.

Ada ist Mitte dreißig, schlägt sich mit Filmjobs durch, hat eine Tochter und zudem einen Exfreund, der aus Ägypten stammt und mit dem das Zusammensein trotz der hehren Versprechungen einfach nicht geklappt hat. Natürlich scheiterte die Beziehung nicht an den kulturellen Differenzen oder dem fehlenden Engagement auf beiden Seiten, sondern an einem kulturübergreifenden Beziehungsproblem: zu wenig Sex.

"Natürlich gab es immer wieder den kreatürlichen Drang, der sich ihrer bemächtigte, der mit ihnen persönlich nicht zu tun hatte, nur zählte der nicht. Wahrscheinlich war ihr Sex ein Egozentriker, der keine Kinder mochte." Wir erleben Ada, wie sie sich mit Affären betäubt und in Zeiten der bindungslosen Verwirklichungssucht mit der Frage konfrontiert, was das Leben ihr eigentlich noch zu bieten hat: Karriere? Eine neue Partnerschaft? Oder einfach nur das kleine Glück, die eigene Tochter aufwachsen zu sehen? Mehr als die Hälfte des Lebens in einer führenden Industrienation vor sich zu haben, kann eine Überforderung sein.

Annika Reich portraitiert in ihrem leisen, feinfühligen Roman eine Frau, die für ein präsentes, wachsendes Weiblichkeitsmodell steht: Ada ist selbstbewusst, zielorientiert und bar jeder Larmoyanz. Zugleich ist sie ein Mensch, der denkt und fühlt und deshalb auch trotz aller volksbühnenhaften Theoriebeflissenheit stille Momente der Schwäche durchlebt. In diesen Augenblicken lernt der Leser eine intelligente, starke Frau kennen, die sich im Streben nach Autonomie in einer traurig machenden Einsamkeit verschanzt und dabei eingeholt wird von dem etwas peinlichen, altmodischen Bedürfnis, einen anderen Menschen an der Seite zu haben. Ada steckt im Zwiespalt zwischen Emanzipation und Selbstverwirklichung auf der einen und dem Bedürfnis nach Liebe und hochriskantem Sich-fallen-Lassen auf der anderen Seite. Letzteres wäre reaktionär; es muss bekämpft werden. Was also tun?

Der Roman ist nicht interessant, weil er scharf pointierte Konfliktszenen einer modernen Patchwork-Beziehung jenseits ehelicher Schwüre porträtiert (das tut er auch), sondern weil er die Langeweile des Alltags als Herauforderung für alle Liebenden der gut genährten Gesellschaftsschichten herausschält: Ist das bürgerliche Ende der Geschichte erreicht, sieht man beim Rühren der trüben Sojamilch nur noch deprimierte Gesichter sich spiegeln. Diese schale Einsicht kontrastiert der Text mit einer Parallelgeschichte: Sira, die Schwester von Farid, dem Exfreund von Ada, reist im Jahr 2011 nach Ägypten, wo gerade das Mubarak-Regime gestürzt wird. Die junge Frau möchte Teil einer Revolutionsbewegung sein, obwohl sie in Deutschland wohlbehütet aufgewachsen ist. Mit dem Mut zum lebensgefährlichen Protest will sie ihren Minderwertigkeitskomplex abschütteln, den sie als Halbfremde im sicheren Deutschland stillschweigend mit sich herumträgt.

Die Ironie ist, dass nicht nur die Liebesbeziehung zwischen Ada und Farid als gescheiterte, an den vielen Hoffnungen zerborstene fixe Idee entlarvt wird, sondern auch der revolutionäre Kampfgeist in Ägypten: Drei Jahre später kommt Sira aus Berlin nach Kairo zurück und trifft auf klagende, enttäuschte Freunde und Verwandte, die sich mit demokratiefeindlichen Muslimbrüdern und unliquidierbaren Militärschergen herumschlagen müssen. Die Revolution ist vorbei - der Alltag holt die Träumenden auf den harten Boden der Tatsachen zurück.

Annika Reich konfrontiert ihre Leser mit offenen Fragen, die stellenweise richtig weh tun: Worauf kommt es an, im Leben, in der Liebe, aber auch im gesellschaftlichen Miteinander? Die 1973 geborene Schriftstellerin und Journalistin, die für den Autorinnenblog "Ich. Heute. 10 vor 8" dieser Zeitung schreibt, ist allen Geschlechtern gegenüber in ihrer Verweigerung zur Antwort ähnlich gerecht: Ada und Farid schaffen es nicht, zueinanderzufinden, weil sie zu wenig darüber reflektieren, welcher tieferliegende Grund (Egoismus?) sie auseinandergetrieben hat. Irgendwie lieben sie einander ja doch. Der fehlende Sex war es jedenfalls nicht - er ist nur Symptom, nicht Ursache der Krankheit -, sondern vermutlich die eitle Fixierung auf hochgestachelte Ansprüche. Anders gesagt: Die Langeweile ist hausgemacht. "Never loved somebody fully. Always one foot on the ground." Dieser Satz, der für das Scheitern eines Mitte dreißigjährigen Pärchens als Erklärung einzubeziehen wäre, klingt fast schon wie das Leitmotiv einer entmutigten, liebesirritierten Generation.

TOMASZ KURIANOWICZ

Annika Reich: "Die Nächte auf ihrer Seite". Roman.

Carl Hanser Verlag, München 2015. 224 S., geb., 18,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Ein literarischer Beziehungsroman, der bewusst aus dem Rahmen fällt." Günter Keil, Nürnberger Nachrichten, 28.11.15

" ... ein Roman über Entfremdung in einer globalisierten, immer komplexer werdenden Welt und über den Versuch zu Lieben - politisch, romantisch, ein mitreißender Reigen des Begehrens." Svenja Flaßpöhler, 3sat Buchzeit, 12.07.15

"Ein Kreuzfeuer unterschiedlichster Lebenswirklichkeiten, versponnen, fesselnd, mal abstoßend, mal anziehend wie die Liebe selbst." Sarah Levy, Brigitte, 10.06.15

"Annika Reich konfrontiert ihre Leser mit offenen Fragen, die stellenweise richtig weh tun: Worauf kommt es an, im Leben, in der Liebe, aber auch im gesellschaftlichen Miteinander?" Tomas Kurianowicz, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.06.15

"Das perfekte Buch für den Moment, wenn dir deine eigene Ignoranz auf den Keks geht." Lydia Herms, Deutschlandradio, 08.05.15

"Mit 'Die Nächte auf ihrer Seite' hat Annika Reich mehr als nur einen Roman über eine Amour Fou geschrieben. Ihr geht es um die Unmöglichkeit der Liebe überhaupt." Moritz Scheper, Der Tagesspiegel, 16.04.15