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Ein Vermögen überdauert drei Generationen: Die erste verdient es, die zweite bewahrt es, die dritte bringt es durch. Was aber passiert in der vierten? Luise Tietjen, 27 Jahre alt, erbt das, was sie nie gewollt hat: Tietjen und Söhne, Jahresumsatz 38 Millionen, Tendenz stark rückläufig. Luise muss die Firma retten, die mit ihren Handtüchern einst das kaiserliche Heer ausstattete, deren alten Werte heute aber niemanden mehr interessieren. Und sie muss ihren in New York untergetauchten Vater nach Hause holen. Doch als sie ihn endlich gefunden hat, ist es bereits zu spät. Nora Bossong, eine…mehr

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Produktbeschreibung
Ein Vermögen überdauert drei Generationen: Die erste verdient es, die zweite bewahrt es, die dritte bringt es durch. Was aber passiert in der vierten? Luise Tietjen, 27 Jahre alt, erbt das, was sie nie gewollt hat: Tietjen und Söhne, Jahresumsatz 38 Millionen, Tendenz stark rückläufig. Luise muss die Firma retten, die mit ihren Handtüchern einst das kaiserliche Heer ausstattete, deren alten Werte heute aber niemanden mehr interessieren. Und sie muss ihren in New York untergetauchten Vater nach Hause holen. Doch als sie ihn endlich gefunden hat, ist es bereits zu spät. Nora Bossong, eine herausragende junge Autorin aus Deutschland, erzählt vom Aufstieg und Fall eines Familienunternehmens.
Autorenporträt
Bossong, Nora
Nora Bossong, 1982 in Bremen geboren, studierte in Berlin, Leipzig und Rom Philosophie und Komparatistik. Im Hanser Verlag erschienen Sommer vor den Mauern (Gedichte, 2011), Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Roman, 2012), Schnelle Nummer (Hanser Box, 2014), 36,9 Grad (Roman, 2015) und Rotlicht (2017). Nora Bossong wurde unter anderem mit dem Peter-Huchel-Preis, dem Kunstpreis Berlin, dem Roswitha-Preis und dem Thomas-Mann-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2012

Käfig und Leben

Wie verändern uns die Systeme, in denen wir arbeiten? Was sind wir noch, wenn wir uns aus ihnen lösen? In ihren Romanen stellt Nora Bossong die ganz großen Fragen - und lässt ihre Figuren darauf antworten

Man hat Luise sofort vor Augen. Wie sie da wartet, an diesem von Menschen überquellenden Ausgang einer U-Bahn-Haltestelle vor "Macy's" in New York. Eine schmale junge Deutsche, Mitte zwanzig, mit aschblonden Haaren, strengem Kostümchen und einer Dokumentenmappe aus teurem Leder unter dem Arm. Man glaubt, neben ihr zu stehen, so genau schildert Nora Bossong die Szene in ihrem neuen Roman "Gesellschaft mit beschränkter Haftung". Man sieht zu, wie Luise ein paar Schritte auf und ab geht inmitten der Sirenen, Rufe, dem Autogehupe, dabei zunehmend genervt ist, weil ihre Verabredung auf sich warten lässt; wie sie aufmerksam in die Gesichter der Menschen schaut, die vorbeieilen. Trotzdem erkennt sie den Mann erst nicht, der nur ein paar Meter entfernt zwischen dem Zeitungsautomaten und der Ampel steht.

Denn der Mann hat sich verändert. Das letzte Treffen der beiden ist einige Monate her. Früher hatte Kurt Tietjen das Charisma des mächtigen Mannes. Davon ist nichts mehr zu spüren: "Der Mann vor ihr war nicht in einem Haus mit Wasserfall aufgewachsen, hatte nie in einem Schreibtischsessel aus Leder gesessen, nicht über Menschen bestimmt, der hier hatte höchstens Angst vor ihnen gehabt."

Kurt und Luise Tietjen sind Vater und Tochter. Sie hätte den Mann also eigentlich sofort erkennen müssen, veränderte Lebensumstände hin oder her. Und so liegt in diesem Treffen in New York von Anfang an eine solche Ungeheuerlichkeit, die so beklemmend ist, dass man Nora Bossongs dritten Roman - nach "Gegend" von 2006 und "Webers Protokoll" von 2009 - eigentlich sofort wieder weglegen möchte, das aber nicht kann. Weil die 1982 in Bremen geborene Autorin versteht, wie sie ihre Leser mit in den Abgrund zieht. Wie geht es weiter mit dieser ehrgeizigen Tochter und ihrem seltsamen Vater?

Kurt Tietjen leidet unter einem schwierigen Erbe. Man kennt das schon aus den anderen Romanen von Nora Bossong, auch die Familie aus dem neuen Buch ist nicht gerade im Guten in die deutsche Geschichte verstrickt. Die Tietjens haben profitiert von beiden Kriegen, sind im Aufschwung der Nachkriegsjahre weiter nach oben gerutscht. Der zeitliche Rahmen der Handlung ist also weit, die Fäden dennoch sehr fein, die Bossong bis zu diesem Treffen in New York gesponnen hat. Sie changiert zwischen den verschiedenen Zeitebenen, dominant ist die Gegenwart.

Kurt Tietjen ist vor einigen Monaten mit einem Businessclass-Ticket von Lufthansa nach Amerika verschwunden, ohne eine Erklärung, während in Essen das Familienunternehmen den Bach runtergeht. Umsatzentwicklung: minus 2,7 Prozent. Der Grund ist einfach: Die Geschäftsführung hat die Globalisierung verschlafen. In vierter Generation produzieren "Tietjen & Söhne" Handtücher und Bademäntel aus Frottee, Firmensitz Essen, patriarchale Strukturen wie bei Krupp, 226 Angestellte. Ohne den Senior kann zu Hause nichts entschieden werden. Luise soll ihn deshalb nach Deutschland zurückholen. Förmlich geben sie einander die Hand.

Nora Bossong stellt die großen Fragen in diesem Buch: Wie verändern uns die Systeme, in denen wir arbeiten? Was sind wir noch, wenn wir uns aus ihnen lösen? Und auf einmal ohne sie dastehen? Ihre Figuren sind die Antworten darauf: Kurt hat es sich zur Mission gemacht, bei ihrem Treffen seiner Tochter die Augen zu öffnen, wie verkommen die Firma ist. Die zwei steigen in ein Taxi, fahren zu einem feinen Restaurant. Luise hört höflich zu, als spreche ein Verrückter zu ihr, und atmet jedes Mal auf, wenn ein neuer Gang den Redefluss des Vaters unterbricht. Was sie interessiert, ist einzig und allein: eine Unterschrift des Vaters unter eine Vollmacht. Kurt denkt gar nicht daran, sie ihr zu geben. Er möchte, dass die Firma kaputtgeht, will sich dafür rächen, dass ihm der Ausstieg nicht schon als junger Mann gelungen ist, sondern erst jetzt, mit Anfang sechzig.

Schon in "Webers Protokoll", dem letzten Roman von Nora Bossong, ging es letztlich um die Frage, wie die Organisation, in die man sich als arbeitender Mensch begibt, zu Identität und Leben wird. Weber, der unter den Nazis der Vize des deutschen Konsuls in Mailand war, will nach dem Krieg weiter als Diplomat Karriere machen. Er kann nicht verstehen, dass die Nachkriegsgeneration das abscheulich findet. Dafür ist er viel zu sehr in das System verstrickt. Bei Luise und Kurt Tietjen ist das System kein politisches, sondern das Familienunternehmen. In gewisser Weise ist die Verstrickung noch schlimmer: Von Geburt an sind sie mit ihm verwachsen. Das Systems bestimmt, was man aus sich machen kann, denn ohne seine Erben kann ein Familienunternehmen nicht existieren.

Bossong ist klug genug, ihren Figuren nicht zu viel zuzutrauen, moralische Eindeutigkeiten findet man ohnehin nicht bei ihr. In der Welt außerhalb des Romans braucht es meistens eine Erschütterung, damit eine Selbstbefragung angestoßen wird. Wie in "Webers Protokoll" löst auch in "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" der Generationskonflikt diese Erschütterung aus. Luise will Ansehen, Wohlstand und Tradition. Für sie ist das Familienunternehmen die Instanz, die einem sagt, wer man ist und was man tun soll, niemals würde sie Entscheidungen der Geschäftsleitung in Frage stellen.

Für Kurt, der in den Nachkriegsjahren aufgewachsen ist, ist das Familienunternehmen hingegen der engste Käfig, den es für das Leben eines Menschen geben kann: "Unsere Familie ist doch nichts als ein Traum, sagte Kurt. Man kann von niemandem erwarten, sein ganzes Leben in einem Traum zu verbringen. Andere bezahlen ihre Miete nicht mit Träumen, entgegnete Luise. Und wir zahlen auch noch die Miete unserer Angestellten damit."

Kurz nachdem "Webers Protokoll" erschienen war, veröffentlichte Joschka Fischers Historikerkommission ihren Abschlussbericht über die Verstrickungen deutscher Diplomaten in den Nationalsozialismus. Nora Bossongs neuer Roman ist fast gleichzeitig mit der Insolvenz des Familienunternehmens Schlecker erschienen. Vielleicht ist das nur Zufall. Vielleicht hat Nora Bossong aber auch ein sehr gutes Gespür dafür, was in der Gesellschaft vor sich geht. Sie schreibt auch Lyrik. Das merkt man ihren Romanen an. Die Sätze sind oft kurz wie eine Gedichtzeile, die Sprache angenehm kühl. Aber man sollte sich davon nicht täuschen lassen: In ihrem Werk spiegelt Nora Bossong nicht sich und die Befindlichkeiten ihrer eigenen Generation, sondern wirft Fragen auf, die uns alle angehen. Man wünscht sich mehr junge Autoren wie sie.

KAREN KRÜGER

Nora Bossong: "Gesellschaft mit beschränkter Haftung", Hanser 2012, 304 Seiten, 19,90 Euro. "Webers Protokoll", Frankfurter Verlagsanstalt 2009, 283 Seiten, 19,90 Euro

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Mit viel Lob bespricht Rezensentin Alexandra von Arx den dritten Roman der deutschen Lyrikerin und Prosaautorin Nora Bossong, der unter dem Titel "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" erschienen ist. Erzählt wird die Geschichte des Unternehmers Kurt Tietjen, der in dritter Generation ein Textilunternehmen mit 250 Angestellten leitet und bei einer New York-Reise spontan entscheidet, sein altes, verantwortungsvolles Leben gegen ein freies Dasein ohne Vermögen einzutauschen. Die Kritikerin liest hier nicht nur eine "kriminalistisch angehauchte" Familientragödie, sondern lobt den Roman auch als brillante Schilderung einer sich verändernden Unternehmenskultur: In historischen Rückblenden erfährt sie etwa, dass die Firma gierig und skrupellos mit jeder deutschen Regierung Geschäfte machte, während heute billige Produktion in Südostasien, Verwendung von krebserregenden Giftstoffen oder die Ausbeutung von Mitarbeitern auf der Tagesordung stehen. Diesen feinsinnig konstruierten und gewissenhaft recherchierten Roman, der nicht zuletzt ethische und gesellschaftspolitische Fragen beleuchtet, kann die Rezensentin nur unbedingt empfehlen.

© Perlentaucher Medien GmbH
"In kalkuliert kühler Sprache erzählt der Roman von verzweifelten Kämpfen, von Intrigen mit fast Shakespeare'schen Dimensionen. Eine virtuos geschriebene Unternehmens- und Familiengeschichte." Paul Jandl, Die Welt, 01.09.12

"Wunderbar zu lesen: Ihre Sätze schwingen beim Lesen nach, als wären sie kleine Gedichte." Ariane Breyer, NEON, Dezember 2012

"Manchmal möchte man gar versinken in diesem Sumpf einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, doch die Autorin behält den Kopf oben, ist enorm präzise, braucht nur wenige Worte, um Stimmungen zu evozieren, Personen zu charakterisieren." Ulrike Sárkány, NDR Kultur, 30.08.2012

"Bossongs Roman ist eine psychologisch anspruchsvolle Studie über den Einfluss von Macht auf den Charakter." Oliver Jungen, Literaturen, 22.11.12