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Sebastián Urrutia Lacroix, berühmter chilenischer Literaturkritiker, mittelmäßiger Dichter und Priester, hält in einer Fiebernacht Rückschau auf sein bewegtes Leben. Wie er durch einen Gönner in die literarischen Zirkel eingeführt wurde, wie er sich während der Allende-Regierung der Lektüre der griechischen Klassiker widmete, und wie er dann - als die Generäle sich an die Macht geputscht haben - Pinochet und Co. Unterricht in Marxismus gab. Immer, meint er am Ende, sei er auf der Seite der Geschichte gewesen. Eine packende, phantasiereiche Erzählung und die Geschichte eines Mannes, der bei allem dabei war und von nichts etwas gewusst hat.…mehr

Produktbeschreibung
Sebastián Urrutia Lacroix, berühmter chilenischer Literaturkritiker, mittelmäßiger Dichter und Priester, hält in einer Fiebernacht Rückschau auf sein bewegtes Leben. Wie er durch einen Gönner in die literarischen Zirkel eingeführt wurde, wie er sich während der Allende-Regierung der Lektüre der griechischen Klassiker widmete, und wie er dann - als die Generäle sich an die Macht geputscht haben - Pinochet und Co. Unterricht in Marxismus gab. Immer, meint er am Ende, sei er auf der Seite der Geschichte gewesen. Eine packende, phantasiereiche Erzählung und die Geschichte eines Mannes, der bei allem dabei war und von nichts etwas gewusst hat.
Autorenporträt
Roberto Bolaño, 1953 in Chile geboren und nach dem Militärputsch von 1973 inhaftiert, ging ins Exil nach Mexiko und 1976 nach Spanien. 2003 starb er in Barcelona. Er erhielt zahlreiche Literaturpreise, darunter den National Book Critics Circle Award für die amerikanische Ausgabe seines Romans 2666. Bei Hanser erschienen zuletzt die Romane 2666 (2009), Lumpenroman (2010), Das Dritte Reich (2011) und Die Nöte des wahren Polizisten (2013) sowie der Erzählungsband Mörderische Huren (2014) und der Gedichtband Die romantischen Hunde (2017).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.08.2007

Schreiben ist kein unschuldiges Abenteuer

Als Barbarei und Kunst Hand in Hand gingen: Der 2003 früh verstorbene Roberto Bolaño gilt heute als einer der größten Schriftsteller Chiles. Jetzt erscheint sein finsteres "Nachtstück" auf Deutsch, eine Parabel über Verantwortung, Schuld und den Eskapismus der Intellektuellen.

Von Martin Halter

Benjamins geschichtsphilosophische These, wonach jedes Dokument der Kultur auch eines der Barbarei sei, verdichtete sich in Chile einmal zum allegorischen Bild. In der Ära Pinochet, im Haus der Lyrikerin Mariana Callejas, gingen ästhetische Delikatesse und Barbarei Hand in Hand: Während im Salon oben Künstler und Dichter mit der liebenswürdigen Gastgeberin diskutierten und feinsinnige Sonette drechselten, wurde eine Etage tiefer gefoltert. Der Hausherr Mike Townley gehörte zu Pinochets Geheimpolizei, die Leiche im Keller zu den Produktionsbedingungen chilenischer Kultur: "So entsteht Literatur in Chile oder was wir, um nicht auf dem Müllhaufen zu landen, Literatur nennen", heißt es in Roberto Bolaños "Chilenischem Nachtstück", in dem Callejas und Townley unter den Namen Maria Canales und Jimmy Thompson auftauchen.

Bolaño trieb die Geschichten, die das Leben schreibt, gern bis an den Punkt, wo sie in barbarische Literaturgeschichte umkippten. Auf dem steinigen Weg zur Unsterblichkeit (die er freilich erst nach seinem frühen Tod 2003 erlangte) ließ der "romantische Hund" keine Gelegenheit aus, seine Landsleute und ihre Dichterhelden als Tatterschwuchteln, Milchfaune, Epigonen, Opportunisten oder, wie in seiner grandiosen "Geschichte der Naziliteratur in Amerika", als Kryptofaschisten zu beleidigen. Bolaño liebte die enzyklopädischen Mystifikationen und "bösen Spielchen" im Geiste von Borges, einem der wenigen großen Alten, die er gelten ließ. Er gebärdete sich als Vatermörder der Magischen Realisten und war doch nur ihr verlorener Sohn, das ewige Enfant terrible.

Regenwurm unterm Judasbaum.

Geschichte und Biographie geben ihm das Recht, ungezogen zu sein. 1973 entging der Trotzkist Bolaño im Gefängnis nur um Haaresbreite dem Tod. Er ging nach Mexiko, später ins spanische Exil, wo er sich mit Gelegenheitsarbeiten durchschlug. Heimkehren wollte er auch nach seinem Durchbruch 1998 mit "Die wilden Detektive" nicht mehr: Er traute dem Frieden in der Heimat so wenig wie seine Landsleute dem wütenden Nestbeschmutzer, der aus der Ferne ihre Literatur auf faschistische Restbestände, verratene Träume und Stilverbrechen hin abklopfte. "Wilde Detektive" war Literatursatire, Autobiographie und Zeitpanorama, vor allem aber das Klagelied einer gescheiterten Generation: Die politisch-literarische Avantgarde, die 1968 mit anarchischem Übermut und Ungestüm aufgebrochen war, resignierte am Ende, in alle Winde zerstreut, kleinlaut, müde, krank vor Heimweh und Einsamkeit. Wer nicht mit dem Schreiben aufhörte oder verbürgerlichte, wurde erschossen oder brachte sich selber um.

Die Literatur mag nur ein Schatten der Wirklichkeit sein, ein "unbewohnbarer Raum", aber sie ist der "einzige Ort, wo zu leben sich lohnt". Bolaño schrieb zeitlebens immer nur über die Abenteuer des Lesens und Schreibens, die Debatten und Kämpfe um ihre Deutungshoheit. Seine Helden sind fast durchweg Schriftsteller: Träumer, pubertäre Kindsköpfe, Maulhelden, schwule Narzissten, Machos und Mörder. Sie lügen, huren, stehlen und gehen mit dem Messer aufeinander los, aber vor einem gelungenen Vers, einem fulminanten Manifest jederzeit in die Knie. Sie lesen in der Kneipe, auf der Straße, selbst unter der Dusche, duellieren sich um Stilfragen und schreiben ihre Gedichte mit Flugzeugen an den Himmel. So ähnlich schreibt auch Bolaño: unstet ausschweifend, anarchisch, poetisch und pathetisch. Das (2000 in Barcelona erschienene) "Nachtstück" gehört zu seinen kürzeren und stilleren Werken.

Wie immer schlüpft Bolaño in die Haut eines wenig schmeichelhaften Alter Ego. In diesem Fall ist er Täter, Opfer und wilder Detektiv in einem: ein Schöngeist, der seine Lebensbeichte erzählt, sein innerer Schweinehund, der "vergreiste Grünschnabel", und ein unzuverlässiger Erzähler, der die Spuren von Lüge und Verrat mit schier endlosen Satzkaskaden zu verwischen versucht.

Sebastián Urrutia Lacroix ist Opus-Dei-Priester, mittelmäßiger Dichter und begabter Literaturkritiker. Auf dem Landsitz seines großen Kollegen, des Kritikerpapsts Farewell, bewundert er schüchtern berühmte Gäste wie Pablo Neruda oder Don Salvador Reyes, der begeistert von seinen Begegnungen mit Ernst Jünger in Paris erzählt. Wie Jünger ist auch Lacroix ein konservativer Freigeist und radikaler Ästhet, der Erdbeeren aus dem Burgunderglas fischt, während ringsum gefoltert und gemordet wird. Der Kritiker-Pater ließ sich von seinem Bischof nach Europa schicken, um das Problem der Taubenscheiße auf Kulturdenkmälern zu studieren. Als Chile 1973 auf einen Bürgerkrieg zutrieb, studierte er antike Klassiker; heimlich schrieb er wütende, dionysische Gedichte, öffentlich predigte er Ruhe, apollinische Vernunft und vor allem: "Mehr Kultur!"

Nach dem Putsch wird der Padre von der Junta als Marxismus-Hauslehrer engagiert; kein Geringerer als Pinochet attestiert dem schlotternden Intellektuellen pädagogisches Zartgefühl. Im Salon diskutiert er, wie einst Jünger und Don Salvador, bei Cognac und Zigarren über surrealistische Maler, Melancholie und die Farben der Langeweile: Er hat nichts gesehen, keine Schreie aus dem Keller gehört. "Alles in allem waren wir vernünftig, wir waren Chilenen, durchschnittliche Menschen, wortkarg, verständig, gemäßigt, vorsichtig, besonnen, alle wussten wir, dass es Dinge gab, die nun einmal nötig waren, eine Epoche des Opfers und des gesunden Nachdenkens."

So hockt der Dichter-Priester im Bannkreis der Macht, einsam und blind in seinem havarierten Raumschiff wie "ein Vogel in einem Nest aus qualmendem verbogenem Metall". Wie der kakanische Schuhfabrikant, der einst einen Heldenberg, ein Privat-Walhall für die vaterländischen Kulturheroen, bauen wollte, wird er am Ende ruiniert und vergessen in seinem eigenen Mausoleum begraben. Lacroix lebte und starb für die schöne Literatur: "Mein ganzes Leben war ich mit mir im Reinen." Dass er von unerklärlichen Amnesien und Albträumen geplagt wird, deutet darauf hin, dass es mit der Reinheit seines Gewissens doch nicht so weit her ist, und im letzten Satz bricht dann auch "der Orkan aus Scheiße" los.

Chilenische Literatur ist ein Judasbaum, "ein Baum ohne Blätter, tot offenbar, aber tief in der schwarzen Erde wurzelnd, unserer fetten schwarzen Erde, in der die Regenwürmer zwanzig Zentimeter lang werden". Bolaño, der mit seiner Parabel über Verantwortung und Schuld, Eskapismus und Ästhetizismus den Boden für eine Ethik des Schreibens gelockert hat, ist einer dieser Riesenwürmer. Er musste dafür im Dreck wühlen und sich die Hände schmutzig machen. Aber "auch die Schweine sind eine Hymne an die Herrlichkeit Gottes"; und wenn nicht eine Hymne, dann doch ein garstiges, bitteres Liedchen.

- Roberto Bolaño: "Chilenisches Nachtstück". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Heinrich von Berenberg. Hanser Verlag, München 2007. 157 S., geb., 17,90 [Euro].

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.04.2020

NEUE TASCHENBÜCHER
Künstler
des Mitlaufens
Mitmachen und sich zugleich in Unwissenheit suhlen: im 20. Jahrhundert ist die Kulturtechnik des Unpolitischen zur Perfektion gereift. Ihre Mechanismen legt Roberto Bolaño anhand der Lebensbeichte des fiktiven Chilenen Sebastián Urrutia Lacroix frei. Der erfolgreiche Literaturkritiker, Schmalspurdichter und Priester beteuert im Sterben liegend, wie sehr er mit sich im Reinen sei, um sodann in eine mäandernde Rechtfertigungssuada mit beeindruckender Sogwirkung zu verfallen. Lacroix erzählt unzuverlässig und flüchtet sich in ihn selbst entlarvende Anekdoten. Traum, Wunsch und Wirklichkeit fallen zersplittert ineinander. Die katholische Kirche schickt ihn im Kampf gegen Taubenexkremente quer durch Europa. Sonst ergötzt er sich am Leben inmitten der chilenischen Kulturschickeria, quittiert den Tod Allendes mit „Welch ein Frieden“ und gibt dem Diktator Pinochet Nachhilfe in Marxismus. Ein über Jahrzehnte von Ästhetizismus und Gewohnheit erschlagener Mensch, der natürlich nichts von Folterkellern mitbekommen hat und das Ende der Aufklärung in einem Satz zu formulieren vermag: „Ich bin stets mit der Geschichte gegangen.“
VOLKER BERNHARD
Roberto Bolaño: Chilenisches Nachtstück.
Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2020. 160 Seiten,
13 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Hocherfreut begrüßt Andreas Breitenstein diesen Roman des 2003 verstorbenen chilenischen Schriftstellers Roberto Bolano, der nun auf Deutsch vorliegt. Auch wenn ihm das "Chilenische Nachtstück" als Parabel weniger stark erscheint als Bolanos Roman "Stern in der Ferne", hat ihn das Buch überaus beeindruckt. Er liest den Roman - es geht um den im Sterben liegenden berühmten chilenischen Literaturkritiker, blasierten Poet und asketischen Priester Sebastian Urrutia Lacroix, der in einem großen, dramatischen Monolog noch einmal sein Leben Revue passieren lässt - als Entlarvung und zugleich Feier der schönen Literatur. Lacroix erscheint Breitenstein als schillernde Figur, deren Leben von "Askese und Absenz, Ambition und Ambivalenz" geprägt ist. So begegne Lacroix der politischen Radikalisierung Chiles mit der Lektüre der altgriechischen Klassiker und versage sich eine Parteinahme, um lieber der freigeistigen Literaturkritik zu frönen. Seine Schuld, die ihm in der Stunde seines Todes bewusst wird, besteht für Breitenstein darin, "seine Kunstreligion elitär gelebt, sich mit seinen Gedichten zu frivol an der Seite der Freiheit und der Geschichte gewähnt zu haben".

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