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Das Bilderbuch zu einem europäischen Jahrhundertleben: Ergänzt durch Texte von und über Canetti, zeigt es Aufnahmen von Menschen, Kunstwerken und Schauplätzen, die für Elias Canetti von Bedeutung waren - familiäre Studiophotos aus der Zeit um die Jahrhundertwende, Schnappschüsse aus dem Freundeskreis, Porträts geliebter Frauen. Die umfassende Chronik größtenteils unveröffentlichter Photographien wirft Schlaglichter auf Elias Canettis Leben zwischen Intellektuellen und Künstlern, auf Orte wie Zürich, Wien, Berlin, über Marokko bis Paris und London.

Produktbeschreibung
Das Bilderbuch zu einem europäischen Jahrhundertleben: Ergänzt durch Texte von und über Canetti, zeigt es Aufnahmen von Menschen, Kunstwerken und Schauplätzen, die für Elias Canetti von Bedeutung waren - familiäre Studiophotos aus der Zeit um die Jahrhundertwende, Schnappschüsse aus dem Freundeskreis, Porträts geliebter Frauen. Die umfassende Chronik größtenteils unveröffentlichter Photographien wirft Schlaglichter auf Elias Canettis Leben zwischen Intellektuellen und Künstlern, auf Orte wie Zürich, Wien, Berlin, über Marokko bis Paris und London.
Autorenporträt
Kristian Wachinger, Lektor und übersetzer, seit 2003 (Mit-)Herausgeber mehrerer Editionen aus dem Nachlass von Elias Canetti, Stiftungsrat der Canetti Stiftung in Zürich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.02.2005

Der Menschenfresser
Zu seinem 100. Geburtstag erscheint die erste große Biographie über den manischen Bücher- und Frauenfreund Elias Canetti

Elias Canetti war ein Einzelner. Mit Martin Walser war er ein wenig befreundet, über die "Blechtrommel" von Grass hat er mal ein nettes Wort gesagt, die "Jahrestage" von Johnson hat er gelesen und geschätzt, Thomas Bernhard hielt er eine kurze Weile für einen möglichen Geistesverwandten, mit Erich Fried verband ihn aus der England-Zeit eine Freundschaft. Aber er lebte in anderen Welten. In anderen Bücherwelten, die kein Kanon erreichte. Er war einer der wenigen wirklich unabhängigen Geister der deutschen Literatur.

Im Juli ist es hundert Jahre her, daß er auf die Welt kam, und aus diesem Anlaß beginnt der Hanser-Verlag in dieser Woche einen wahren Canetti-Bücherreigen. Ein Band mit zum großen Teil bislang unbekannten Aufzeichnungen erscheint. Ein Buch mit Bildern aus seinem Leben und die erste große Biographie. Und wenn man sich so durch die Bilder blättert, die Lebensbilder, von denen einige noch nie zu sehen waren, da ist man vor allem überrascht, wie sehr Elias Canetti von Anfang an Elias Canetti gewesen ist. Der Nobelpreisträger. Der sehr kleine Herr mit sehr großer Brille, sehr großer Frisur und tiefen Stirnfalten. Ein Mann, der jeden Fotografen mit strengem Blick zu prüfen scheint. Um Haltung bemüht. Ein Leben lang. Und auf den dieser Satz, den Susan Sontag über ihn geschrieben hat, so wunderbar zu passen scheint: "Er ist ganz davon in Anspruch genommen, jemand zu sein, den er bewundern kann."

Elias Canetti wird als Sohn sephardischer Juden im bulgarischen Ruschtuk, unweit von Bukarest, geboren. Die Eltern, die in Wien eine höhere Schulbildung genossen hatten, sprechen Deutsch miteinander, wenn die Kinder es nicht verstehen sollen. Elias lernt Spaniolisch, das altmodische Spanisch, das sich die sephardischen Juden seit ihrer Vertreibung von der Iberischen Halbinsel bewahrt haben, und Bulgarisch. Als er sechs ist, zieht er mit seinen Eltern nach England, wo er die englische Sprache lernt. Kaum drei Jahre später, sein Vater ist inzwischen gestorben, zieht er mit der Mutter nach Wien und lernt in rasender Geschwindigkeit unter der Gewaltherrschaft der Mutter seine wahre "Muttersprache", wie er sie nennt: Deutsch.

Von Beginn an hat er ein manisches Verhältnis zur Sprache und zur Schrift. So hat er, der Mythomane Canetti, es sich zumindest später ausgeschmückt. Doch vielleicht war es auch so: Seine Cousine Laurica, das war noch in Ruschtuk, hatte ihn wochenlang gequält. Nicht etwa damit, daß sie ständig mit ihm Schule spielen wollte. Nein. Sie hatte sich geweigert, dem kleinen Elias das Schreiben beizubringen. Dadurch schließlich zur Weißglut gebracht, schnappte sich der Lernwütige eine Axt und verfolgte die erschrockene Cousine mit dem Schlachtruf "Agora vo matar a Laurica!" - "Jetzt werde ich Laurica töten!" In letzter Not sei der Großvater dazwischengegangen und habe Elias eindringlich über die Endgültigkeit des Todes aufgeklärt. Canetti war diese Geschichte immer Urgrund für seinen lebenslangen, wahnsinnigen, heroischen Kampf gegen den Tod. Es ist aber natürlich vor allem eine Geschichte über die Schreib- und Wissensgier des kommenden Schriftstellers. Der übrigens seinen Angriff schwer büßen mußte, als ihn Laurica kurz darauf in einen großen Topf mit kochendheißem Donauwasser stieß, der vor der Wohnungstür zum Abkühlen stand. Er wäre an den Verbrennungen fast gestorben.

Canetti war ein Geschichtenfanatiker. Ein Menschenfanatiker. "Menschenfresser", wie er sich selber nannte. Er suchte Geschichten überall, war interessiert an den abseitigsten Dingen und konnte selbst einen banalen Fahrraddiebstahl zu einem Ereignis mythischer Qualität empordichten. Alles war wichtig. Alles schrieb er auf. Unendlich vieles hat er gelesen. Der Sinologe Kien, der Held seines ersten Romans "Die Blendung", der 1931 zum ersten Mal erschien und ihm später, sehr viel später zu Weltruhm verhelfen sollte, ist auch ein Selbstbildnis, eine Selbstkarikatur. Der Herr, der nur in Büchern lebt, in seiner unendlichen Bibliothek ein selbstzufriedenes Leben führt, in einem geschlossenen System, aus dem ihn "das Leben", in diesem Fall: die hinterhältige Haushälterin, mit billigen Tricks entführt. Er ist dem Leben da draußen, den Menschen, den Betrügern, nicht gewachsen und rettet sich endlich in seine Bibliothek zurück, in der er mit all seinen Büchern verbrennt.

Canetti war ein manischer Bücherfreund wie dieser Kien. Aber Canetti war auch ein manischer Frauenfreund. Mit wie vielen Frauen hat er seine Lebensliebe, seine erste Frau, die Schriftstellerin Veza Taubner, betrogen. Meistens ganz unheimlich, manchmal im verborgenen. Im Zweiten Weltkrieg, als sie nach England geflohen waren, hatte er drei Geliebte gleichzeitig. Er fühle sich eben als Orientale, der aus "der Summe seiner Frauen besteht", erklärte er und überlegte, ob seine starken Leidenschaften womöglich vom Kriegsverlauf herrührten: "Seine Lust an den Frauen wächst mit jeder zerstörten Stadt. Ach, er kann sie nicht wieder bevölkern. Was will er von sich allein", philosophiert er über seine Lage. Die Aufzeichnungen, die er in diesen Jahren einer seiner Geliebten, der Malerin Marie-Louise, die auch seine Mäzenatin war, 1942 in Schönschrift festlich übergab und die nun erstmals erscheinen, wissen vom Krieg wenig, doch von der Liebe sehr viel. Der Krieg ist eine lächerliche Träumerei: "Alle Waffen werden abgeschafft und im nächsten Krieg ist es nur noch erlaubt zu beißen." Und eine Botschaft womöglich direkt an die Adressatin, die fast ein Leben lang darauf hoffen wird, von Canetti geheiratet zu werden: "Sie lebt in einer Wüste aus Erwartung."

Und in der blieb sie auch. Trotz Schecks und Verführungskraft. Oft genug brachte Canetti sich in dramatische Liebesschwierigkeiten, mit Abtreibungen, Väter schalteten sich ein, appellierten an Vernunft und Verantwortung des Dichters, Veza versank immer tiefer in Depressionen, drohte immer wieder mit Selbstmord. Und in der Mitte Canetti, der sich hilflos gab und lebensfroh. Als Veza 1963 starb, war er, trotz aller Nebenlieben, tief verzweifelt. Sie war das Zentrum gewesen. Jetzt wollte er auch von den Geliebten nichts mehr wissen. Das schrieb er in diesem unfaßbaren Notat: "Ich hab sie alle stehen gelassen, alle, alle, Ursula, Kathleen, Veronica, Iris, Priaulx, Natalie, Christine, Jolanda, Dea, Edith, Erika, Ruth, Susi, Jill, Martine, Kim, Kae, Lavinia, Hetta, Lucy, Helga, Eileen, Britta, Judy, Pat, Vanessa, Anthea, Elisabeth, Anna, Bernadette, Helen, Debora, Barbara, Claudie, Joan, Kiki, Ilse, Elli, Eva, alle, - weil sie Veza Veza Veza Veza Veza überlebt haben."

Hm.

Eine übrigens ließ er, bei aller Liebe, bei aller Trauer, nicht stehen. Hera Buschor, mit der ihn schon vor Vezas Tod ein Verhältnis verband, wurde seine zweite Frau. Mit der er, im hohen Alter, sogar ein Kind bekam. Bevor er sich dafür entschied, fertigte er eine Liste an. Ob das zuträglich sein könne, seinem Dichterbild. In welcher Tradition er damit stehe: "Keine Kinder hatten: Kafka, Musil, Karl Kraus . . ." und so weiter. Der Dichter erschrickt ob dieser "unheimlichen Liste". Doch er strengt sich an und sucht und sucht, und schließlich finden sich auf der "Kinder-Seite" mit Männern wie Dostojewskij, Tolstoi, Goethe noch genug gewichtige Größen, um sich doch auf ein Kind einlassen zu können.

Es sind diese Geschichten, die das Lesen im Leben von Elias Canetti zu einem großen Erlebnis machen. Auch seine Feindschaften, sein ungerechter, großer schrecklicher Haß, gegen einstige Förderer wie Stefan Zweig oder gegen Marcel Reich-Ranicki, gegen Thomas Bernhard und Max Frisch. Ein Monomane von größter Selbstbezogenheit und Selbstbegeisterung. Leider wirkt die Biographie Sven Hanuscheks unkonzentriert. Am Anfang muß man auf fünfzehn Seiten lesen, warum Canetti eigentlich etwas gegen Biographien hatte, dann wird berichtet, welches Lesevergnügen seine Kindheitserinnerungen seien und was das alles mit Stendhal zu tun habe, bevor dem Leser diese Kindheit erst mal vorgestellt wird; Nebensachen werden häufig wiederholt, Hauptsachen wie Hochzeiten zunächst ganz verschluckt und später nebenbei erwähnt. Erst in der zweiten Hälfte wird es konzentrierter. Aber vermutlich hätte man auf der Hälfte der Seiten leicht ebensoviel erfahren können.

Das hat der Hanser-Verlag, der in der Biographie - zu Recht - immer und immer wieder für sein Canetti-Engagement gelobt wird, also knapp danebengesetzt. Aber Canettis Leben ist viel zu interessant, um es mit einer verplauderten Biographie wirklich uninteressant zu machen.

VOLKER WEIDERMANN

Sven Hanuschek: "Elias Canetti. Biographie". 790 Seiten. 29,90 Euro.

Elias Canetti: "Aufzeichnungen für Marie-Louise". Hrsg. von Jeremy Adler. 120 Seiten. 12,90 Euro.

Elias Canetti: "Bilder aus seinem Leben". Hrsg. von Kristian Wachinger. 173 Seiten. 24,90 Euro.

Alle Bücher: Carl-Hanser-Verlag 2005.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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