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Was die Leser an Ondaatjes Romanen am meisten bewundern - seine Fähigkeit, leuchtende Tableaux zu schaffen, in einem winzigen Detail eine ganze Welt entstehen zu lassen -, zeigt sich in seinem lyrischen Werk noch deutlicher. Wie die srilankischen Dichter von ehedem, die ihre Poesie auf Fels und Blatt einritzten, schreibt auch Ondaatje vom Begehren und von der Sehnsucht, von dem, was wir verloren haben.

Produktbeschreibung
Was die Leser an Ondaatjes Romanen am meisten bewundern - seine Fähigkeit, leuchtende Tableaux zu schaffen, in einem winzigen Detail eine ganze Welt entstehen zu lassen -, zeigt sich in seinem lyrischen Werk noch deutlicher. Wie die srilankischen Dichter von ehedem, die ihre Poesie auf Fels und Blatt einritzten, schreibt auch Ondaatje vom Begehren und von der Sehnsucht, von dem, was wir verloren haben.
Autorenporträt
Michael Ondaatje, 1943 in Sri Lanka geboren, lebt heute in Toronto. Mit seinem Roman Der englische Patient (Hanser, 1993), für den er den Man Booker Prize und zum 50-jährigen Jubiläum des Preises im Jahr 2018 den Golden Man Booker Prize erhielt, wurde er weltberühmt. Im Hanser Verlag erschienen zuletzt Buddy Boldens Blues (1995), Die gesammelten Werke von Billy the Kid (1997), Anils Geist (Roman, 2000), Handschrift (Gedichte, 2001), Divisadero (Roman, 2007), Katzentisch (Roman, 2012) und Kriegslicht (Roman, 2018).

Simon Werle, geboren 1957 im Saarland, studierte Romanistik und Philosophie in München und Paris. Für seine Tätigkeit als übersetzer erhielt er 1988 den Paul-Celan-Preis und 1992 den Johann-Heinrich-Voss-Preis. Sein Roman Schnee der Jahre wurde 2003 mit dem Tukan-Preis der Stadt München ausgezeichnet. Er lebt in München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2001

Seiltänzer im Bürgerkrieg
Geschichten auf Fels und Blatt: Michael Ondaatjes Gedichte finden ihr Glück auf der Straße · Von Christoph Bartmann

"Uralte gehorsame Ameisen, / im zeremoniellen Yakschwanzfächer verborgen" - in Michael Ondaatjes Gedichtband "Handschrift" hat der Überfluß das Wort, eine tropische Exuberanz und Erlesenheit, wie sie jemandem eben zu Gebote steht, der auf die Sagen und Sprüche, Farben und Formen Sri Lankas zurückgreifen darf. "Die Bhramarahbiene ist betrunken / von der Südweide" heißt in Simon Werles Übersetzung ein anderer Vers aus dem Langgedicht "Die neun Gefühle (Historische Illustrationen auf Fels und Buch und Blatt)".

Uns, die wir die schillernde Flora und Fauna dieser Gedichte nicht aus eigener Anschauung kennen, macht schon die bloße Nennung des "Dilo-Ölbaums", der "Schweinelilie", der "Blaudämmer-Kapuzenblume" oder die beiläufige Aufzählung von Namen wie "Kalka, Churna / Dasamula, Tharalasara . . ." fast so betrunken wie die Bhramarahbiene die Südweide.

Ondaatje, der in Sri Lanka geborene Kanadier holländisch-tamilischer Abstammung, hat sich mit dem "Englischen Patienten" und zuletzt mit "Anils Geist" den Ruf eines begnadeten Koloristen erworben. Wenn es in seiner Prosa und seinen Gedichten so kräftig und betörend leuchtet, dann auch deshalb, weil Ondaatjes Bildideen sich an den ältesten Überlieferungen seines Herkunftslandes ebenso entzünden wie an den rüden Tatsachen der westlichen Welt. "Wir begannen mit Mythen und ließen später wirkliche / Begebenheiten mit einfließen", heißt es an einer Stelle im ersten Gedicht des Bandes.

Das kann als Hinweis in eigener Sache verstanden werden, als Hinweis nämlich auf den regen Grenzverkehr, der in diesen Gedichten zwischen dem archaischsten Altertum und dem jüngsten Bürgerkrieg herrscht. "Unsere Archäologen stießen beim Graben / auf die verschwundenen Leichen von Schulkindern": Kaum je sind die Mythen bei Ondaatje von den wirklichen Begebenheiten weiter entfernt als einen Spatenstich. Der schöne Mythenzierat, die üppigen Blumenwörter sind sich in ihrer Anmut nicht genug; fast immer gibt es dann doch eine Durchsicht, passiert ein Durchstich ins Gegenwärtige und das heißt meistens, ins Bedrohliche.

Sri Lanka ist in diesen Gedichten ein gewaltiger poetischer Resonanzraum, dessen Reichtum sich produktiv wohl nur dem erschließt, der wie Ondaatje doppelt bewandert ist: in den Sprüchen der Alten und in den Bewußtseinsformen der Moderne. Dann mag dem Betrachter eine Gruppe von Stelzengehern irgendwo auf dem Lande wie "Ein Tanz hochgewachsener Männer" erscheinen, "im Rhythmus vorgeschichtlicher Vögel / beim Probeflug vor der Landung". "So werden", heißt es dann weiter, "Männer zu Göttern / in dem kleinen Dorf / Ilukwewa".

Eine Qualität dieser Gedichte ist ihre Sinnfälligkeit. Das Erlesene, so scheint es, ist hier ausnahmsweise einmal nicht gesucht. Es ist vor aller poetischen Verwendung schon dagewesen, als Ingrediens einer Kultur, die in allem auf rhetorische und zeremonielle Verfeinerung zielt. "Ein Edler vergleicht seine Tugend mit einem Stück Jade", ist der Titel des ersten Gedichts. Wenn die poetischen Gegenstände auf der Straße liegen, ist niemand zu tadeln, der sich nach ihnen bückt.

Ohnehin geht es diesem Dichter nicht darum, solche Funde unter Glas auszustellen und für ihre Schönheit den Preis einzustreichen. Die Gedichte lassen sich treiben, weg von den kostbaren Metaphern, weg von Sri Lanka, sie durchmessen, mal erzählend, mal besingend, die Welt vom einen Ende bis zum anderen und landen dann zuletzt bei einem "Seiltänzer aus Kurunegala / - Rebellen hatten den Generator abgeschaltet". Es gibt eine polyhistorische Phantasie in Ondaatjes Gedichten, blühender und organischer als etwa bei Borges, und, nicht zu ihrem Nachteil, weniger bibliothekarisch. Die alten Dichter, von denen in diesen Gedichten die Rede ist, schrieben "ihre Geschichten auf Fels und Blatt, / um die Arbeit des Tages zu feiern, die Schattenfreuden der Nacht."

Man ist geneigt zu glauben, auch Ondaatjes Gedichtsammlung, die den Titel "Handschrift" trägt, sei für einen anderen Untergrund bestimmt als Papier. Und es sei ihre eigentliche Bestimmung die Feier: nicht so sehr die Feier der Tagesarbeit, sondern die Feier einer Wirklichkeit, von deren Reichtum die "gelbe Epoche des Papiers" kaum noch eine Ahnung hat.

Michael Ondaatje: "Handschrift". Gedichte. Aus dem Englischen übersetzt von Simon Werle. Carl Hanser Verlag, München 2001. 88 S., geb., 25,- DM

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Die Qualität dieser Gedichte sei ihre Sinnfälligkeit, meint Rezensent Christoph Bartmann. Das "Erlesene" sei hier "ausnahmsweise einmal nicht gesucht", wobei nicht klar ist, an welcher Regel diese Ausnahme gemessen wird. Jedenfalls hat ihn dieser Gedichtband zu verbalen Höhenflügen angeregt. Es ist von tropischer Exuberanz die Rede, von schönem Mythenzierat sowie "üppigen Blumenwörtern", an denen sich der Rezensent berauschen konnte. Die Nennung "Dilo-Ölbaums" oder der "Blaudämmerkapuzenblume" machten ihn nach eigenem Bekunden fast so betrunken "wie die Bhramarabiene die Südweide". Der Grund für diesen Überschwang liest sich dann wie aus einem alternativen Reiseführer abgeschrieben: wenn es in Ondaatjes Gedichten so kräftig und betörend leuchte, dann liege dies daran, dass seine Bildideen sich an den ältesten Überlieferungen seinen Herkunftslandes entzünden würden. Und an den "rüden Tatsachen" der westlichen Welt.

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