Marktplatzangebote
9 Angebote ab € 3,00 €
  • Gebundenes Buch

In diesem Band sind die berühmtesten sowie die neuesten Texte Günter Kunerts vereinigt: Neben Bekanntem und Beliebtem wie 'Die Beerdigung findet in aller Stille statt' und 'Der Hai' findet sich Autobiographisches sowie zahlreiche neue und unbekannte Erzählungen. Alle haben eines gemeinsam: Sie spiegeln lebendig Günter Kunerts pointierten, bösartigen und immer ungeheuer komischen Erzählstil wieder.

Produktbeschreibung
In diesem Band sind die berühmtesten sowie die neuesten Texte Günter Kunerts vereinigt: Neben Bekanntem und Beliebtem wie 'Die Beerdigung findet in aller Stille statt' und 'Der Hai' findet sich Autobiographisches sowie zahlreiche neue und unbekannte Erzählungen. Alle haben eines gemeinsam: Sie spiegeln lebendig Günter Kunerts pointierten, bösartigen und immer ungeheuer komischen Erzählstil wieder.
Autorenporträt
Günter Kunert wurde 1929 in Berlin geboren und starb 2019 in Kaisborstel. Seit 1963 erscheinen seine Werke bei Hanser; zuletzt: Nachtvorstellung (Gedichte, 1999), Die Botschaft des Hotelzimmers an den Gast (Aufzeichnungen, 2004), Irrtum ausgeschlossen (Erzählungen, 2006), Auskunft für den Notfall (2008), Als das Leben umsonst war (Gedichte, 2009), Tröstliche Katastrophen (Aufzeichnungen 1999-2011, 2013), Fortgesetztes Vermächtnis (Gedichte, 2014), Erwachsenenspiele (Erinnerungen, 2015), Vertrackte Affären (Geschichten, 2016), Aus meinem Schattenreich (Gedichte, 2018) und Zu Gast im Labyrinth (Gedichte, 2019). Kunert wurde für sein Werk vielfach ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.10.2006

Schnecke an der Saale hellem Strande
Zeitzeuge, unbeirrbar: Skizzen und kleine Prosa von Günter Kunert
Autobiographische Skizzen bilden Anfang und Ende von Günter Kunerts „Irrtum ausgeschlossen – Geschichten zwischen gestern und morgen”. Die erste Skizze erzählt auf vier Seiten die „Urszene” des Dichters, einen ersten rein technischen Schreibversuchauf einer alten, geborgten Schreibmaschine, im Sommer 194. Da war er gerade 18 geworden. In der letzten Geschichte „An der Saale hellem Strande” sagt jemand: „Siebenundvierzig war das hoffnungsvollste Jahr. Eigentlich das beste in der ganzen deutschen Geschichte. Weil noch keiner wieder die Macht über seine Mitbürger hatte. Dabei war der zukunftsträchtige Augenblick schon fünfundzwanzig Jahre alt, als der Dichter sich daran erinnerte: was also 1972 gewesen sein muss – vier Jahre, bevor er gegen Wolf Biermanns Ausweisung protestierte, und sieben Jahre, bevor er selber in denWesten ging.
In wenigen Sätzen gelingt es ihm damals, das ganze Dilemma seines Schreibens auf einen Nenner zu bringen: wie der schöpferische Augenblick sich nur noch schwach im Niedergeschriebenen regt. Aber selbst noch in den dilettantischen ersten Versuchen erkennt er die „Prägung, die durch alles mögliche verursacht wird, manchmal durch eine verstörte Kindheit, die man genau so wenig verlassen kann wie die Schnecke ihr Haus.” So subtil sprach damals ein Schriftsteller in der DDR damals über das Kind einer jüdischen Mutter und eines „arischen” Vaters, das er selber einmal gewesen – und geblieben ist.
Die nur gut zwei Seiten umfassende Skizze am Schluss beschwört ebenfallseinen geheimnisvollen Augenblick: „Schreiben ist Rettung vorm Tode, solange es anhält. Das ist der Augenblick der Wahrheit, da sich das Individuum seiner Individualität begibt und sich aufs innigste mit dem unsterblichen Ich menschlicher Allgemeinheit verquickt, das wiederum, sonst zu Gesichtslosigkeit und Abwesenheit verdammt, selber das am Tisch hockende, übers Papier geneigte, haarloser werdende Individuum braucht, um sich zu manifestieren und sichtbar zu sein.” Das schreibt ein Dichter, der noch nicht den Zusammenbruch seines Gesellschaftsideals erlebt hatte. Als letztes Wort des Bandes ist diesesBekenntnis zum Schreiben nach weiteren knapp vier Jahrzehnten eine Botschaft, die ihre Gültigkeit behalten soll.
So unbeirrbar, wie er seine Bücher immer derselben Person widmet („Für M. Das Abonnement auf Kunert und seine Bücher gilt lebenslänglich”) hält er seit den ersten getippten Zeilen den Glauben an die magische Kraft des Gedichts fest. Günter Kunert ist wirklichzuerst und zuletzt ein Dichter, dem die Sprache eine moralische Verpflichtung bedeutet. Immer zeigt er, dass er sie als Kenner und Könner meisterhaft undsouverän gebraucht, aber mit der Ehrfurcht dessen, der weiß, dass siefür ihn ein Zauberstab ist, auf den er angewiesen bleibt.
Einen Affen als Begleiter
Wer mehrfach veröffentlichte Geschichten wie „Der Hai”, „Eine Fahrt mit der S-Bahn”, „Alltägliche Geschichte einer Berliner Straße” hier erneut liest, den wird vielleicht nun erst sowohl die extreme Künstlichkeit als auch die vollendete Kunst dieses poetischen Schreibens überraschen. Unübertrefflich erscheint beides inder „Geschichte, die ich nicht schreiben konnte”. Was Kunert in seinen Frankfurter Vorlesungen (1981) für das Gedicht reklamierte, eine erinnerndeVerbindung zur Magie des Animismus herzustellen, also der Vermenschlichung von Sachen und Lebewesen, das gelingt hier auch in einer Erzählung. Gleichzeitig soll hier aber auch eine Katastrophe hereinbrechen: „Verdinglichung des Menschen und seine Mutation zum Gegenstand”. Es geht um den therapeutischen Versuch, einem Tetraplegiker ein dressiertes Rhesusäffchen als Begleiter zu geben. Es ist keine „wahre Geschichte”, ja es ist nicht einmal eine Geschichte, sondern so etwas wie die versuchsweise Imagination einer solchen. Sie ist ein bestürzendes Meisterwerk gerade dadurch, dass sie widerwillig Rührung auslöst.
Als Dichter und Schriftsteller ist Günter Kunert nicht der „Jedermann”, auf den er sich im „Selbstporträt” reduzieren wollte. Durch Schicksal und eigenes Zutun ist er ein deutscher Zeitzeuge des zwanzigsten Jahrhunderts geworden. Obwohl er fast immer Distanz zum Tagesgeschehen gewahrt hat, sind seiner Dichtung ihre historischen Daten eingeschrieben, sind sie Antworten auf ihre Welt, was man an vielen Stellen merkt – um dann alleingelassen zu werden. Eben weil viele dieser Texte vonlängst vergangenen Dingen reden, wäre historische Aufklärung, wäre ein Apparat dringend notwendig gewesen.
Den Kennern wie den Noch-Nicht-Kennern des erzählerischen Werks von Günter Kunert muss man den Band empfehlen, ja ans Herz legen, und dem Verlag muss man ins Gewissen reden: Die scheinbare Zeit- und Ortlosigkeit von Kunerts Texten in dieser Ausgabe ist ein Angriff auf ihr Rückenmark.
Hans-Herbert Räkel
GÜNTHER KUNERT: Irrtum ausgeschlossen. Geschichten zwischen gestern und morgen. Carl Hanser Verlag, München 2006. 242 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.01.2007

Häme ist nicht alles
Sobald er erzählt, beginnt er schon zu irren: Günter Kunert legt nach

Günter Kunerts neue Prosasammlung "Irrtum ausgeschlossen" enthält überwiegend ältere Geschichten, gibt indes keine Drucknachweise. Darin liegt keine täuschende Strategie, sondern es ist die Geste eines Erzählers, der für seine Leser entlegen Erschienenes bündelt und mit diesen Geschichten in einen Dialog tritt. Das Sammeln selbst ist ein Erzählakt, der den Sinn des Alten, trotz der Veränderungen, bewahren will. Stets schon hat Kunert es in seinen Erzählbänden so gehalten, doch nun bildet das Prinzip selbst den roten Faden.

Gleich zu Beginn, im "Rekonstruktionsversuch eines fernen Augenblicks" (erschienen erstmals 1974), liest man von einem initialen Schreibrausch: "Nicht ein Text, eine Serie ist der Beginn, und damit sogleich eine Methode begründet, die keine Änderung mehr erfährt ... Grundmuster erkennt man erst aus der Entfernung - diesenfalls einer zeitlichen." Doch weniger das "Grundmuster", das solcherart über die Zeiten hinweg gesetzt scheint, ist das Thema der Anthologie. Vielmehr tritt das Nachweisen selbst, die Arbeit am Sinn in den Vordergrund - denn sie muss vergeblich bleiben. Selbst wenn Kunert die Kritik jeweils hinzudenkt, die sich kraft anderer Geschichten Geltung verschafft, will doch jeder Text für sich bleiben. Eine unablässige Herausforderung.

Der bibliographische und damit historische Kommentar würde dieses narrative Dilemma unterlaufen. So hält sich der Autor zurück und verlässt sich lieber auf die Erzählungen, die den Dialog eines Ich mit einem oft genug starrköpfigen Du bevorzugen. Sie bilden den reflexiven Kern des Buchs - in ihrem Sinn präsentiert Kunert Heutiges, also "Geschichten zwischen gestern und morgen": Der Untertitel bestimmt die Gattung seiner Anthologien, die das Gesammelte geistesgegenwärtig einigen wollen, präzise.

Nicht das Ich soll in Kunerts dialogischer Prosa recht bekommen, sondern sein Gegenüber. Der ethische, humane Anspruch des Autors bemisst sich nach der Schwebe, in der sich der Dissens hält; er ist im Agon begründet, in dem der Erzähler das ihm Fremde wider besseres Wissen, bis ins Absurde und Paradoxe hinein, zu verteidigen sucht. Mit dem Exhaustiven rückt Kunert dem Erzählton der Häme zuleibe, der ihm früher - und auch der deutschen Nachkriegsprosa - eigen war, als er in das Denken seiner Figuren den Soupçon ihnen gegenüber mischte. So lässt er den "Schwimmer" (1968) zu einem Fisch werden, weil der dem Gegenstand verfiel, den er bemeistern wollte. Der Marxismus schenkte damals dem Autor die nötige Überlegenheit.

Die Häme gründet auf dem Verdacht, jedes Handeln sei eitel, und verschafft dem, der sie über seinen Gegenstand ausgießt, die moralische Überlegenheit dessen, dem man nichts vormachen könne. Ihr Quell ist persönlich: die bittere Einsicht, man sei nicht anders. In Kunerts Erzählung "Grabrede" (2004) wiederholt ein Schauspieler die Grabreden, die er zu geben versteht, zu Hause vor seiner Ehefrau. "Aus seinem Erzählen heraus begann er zu posieren." Auch als sein Gegenüber inständig fragt: "Du nimmst den Tod nicht ernst, nicht wahr?", parodiert er weiter, bis die Frau, selbst auf den Tod erkrankt, wie er zu spät begreift, ihn verlässt.

Kunerts Analyse gilt hier der Struktur von Ich, Du und Er. "Seine Profession besteht in einer merkwürdigen Vermittlertätigkeit, weil er, zwar vom Abgeschiedenen in der dritten Person sprechend, trotzdem im Namen des zu ewigem Schweigen Gebrachten die Stimme erhebt." Der Schauspieler, eine gescheiterte Existenz, leiht dem abwesenden Toten ein Ich und spricht, weil er zu sich als Person kein Verhältnis gewinnen konnte, kalt über den anderen als "Er". Der Tote ein Gegenstand: Über ihn spricht er und nicht zu ihm, und also auch nicht zum "Du" seiner Frau, deren Frage der Rhetor in seiner eitlen Übung nicht verstehen kann. Die Erzählung zeigt die Häme, die sich einstellt, wenn das Zwiegespräch ausbleibt - reflektiert, schwindet sie aus der nunmehr klaren Stimme des Erzählers.

Die Erzählung "Irrtum ausgeschlossen" (1995 erstmals in der "Berliner Zeitung" publiziert) gibt dem Buch nicht nur den Titel, sondern auch die poetische Pointe. Alwin, dem das Lügen fremd ist, erzählt dem seinerseits erzählenden Ich eine unglaubliche Begebenheit: Er habe in einem Antiquariat seinen Großvater, der seit zehn Jahren tot ist, gesehen. Mit jedem Absatz, der geradezu zum prosodischen Mittel dieser Prosa wird, dreht sich die Argumentation. Der Duft alter Bücher habe ihn betört; eine Verwechslung mit einem Fremden, und doch wieder nicht, denn auf mittlerer Entfernung sei deutlich der Großvater zu erkennen gewesen; schließlich die literarische Tradition, die gute, beglaubigende Beispiele gebe: Der Enkel hatte "Rip van Winkle" bei einer der Begegnungen in der Hand.

Der wahrheitsliebende Alwin errötet, als er schließlich versichern muss, er habe den ganzen Einwänden nichts entgegenzusetzen: "Aber da ich wußte, wie sehr er seinen Großvater geliebt hatte, verkniff ich mir weitere aufklärende Sprüche, mit denen ich ihn um etwas betrogen haben würde, das, wie ich merkte, ihm viel wichtiger war als eine jener Wahrheiten, die uns ärmer zurücklassen, sobald wir sie einzusehen gezwungen werden." Dies gilt auch für Kunerts Liebe zu seinen eigenen Geschichten. Eine Übertragung hat stattgefunden: Solange die Arbeit am Sinn anhält, bleibt der "Irrtum ausgeschlossen", was immer auch verhandelt werde. Doch der Vorgang ist - wie im Liebesgedicht - allein im Dialog möglich. Dem "Schwimmer" würde Kunert heute sagen, seine Geschichte sei ganz und gar unmöglich, und nimmt die Erzählung trotzdem auf.

CHRISTOPH KÖNIG

Günter Kunert: "Irrtum ausgeschlossen". Geschichten zwischen gestern und morgen. Hanser Verlag, München 2006. 242 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Ausgesprochen angetan ist Rezensent Rolf Michaelis von diesem Sammelband. In den Geschichten geht es, wie er uns wissen lässt, immer wieder um den doppelten Boden des Lebens, um Alltagsmissverständnisse im Zusammenleben, Ehekräche und politische Abgründe, in die das vergangene Jahrhundert die Menschen immer wieder stürzte und bis heute stürzen lasse. Der Rezensent beschreibt den "Verwirr-Zauberer" Günter Kunert einerseits als legitimen Nachfahren Franz Kafkas. Seine Inhaltsskizzen beschwören aber auch Loriot- und Kishon-Assoziationen. Ärgerlich ist der Rezensent nur über die mangelnde editorische Sorgfalt des Verlags, der den Texten aus unterschiedlichen Schaffensperioden Kunerts in diesem Sammelband aus Sicht Michaelis' wenigstens eine sorgfältige Datierung hätte angedeihen lassen können.

© Perlentaucher Medien GmbH