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Zum ersten Mal auf Deutsch: die theoretischen Schriften des russischen Künstlers Kazimir Malevic, reich kommentiert von Aage A. Hansen-Löve, einem der besten Kenner der Avantgarde. So wird ein "Kunstdenker" in all seiner Sperrigkeit und Grandiosität sichtbar, der für die europäische Moderne zum Säulenheiligen wurde.

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Produktbeschreibung
Zum ersten Mal auf Deutsch: die theoretischen Schriften des russischen Künstlers Kazimir Malevic, reich kommentiert von Aage A. Hansen-Löve, einem der besten Kenner der Avantgarde. So wird ein "Kunstdenker" in all seiner Sperrigkeit und Grandiosität sichtbar, der für die europäische Moderne zum Säulenheiligen wurde.
Autorenporträt
Kasimir Malevic (1879-1935) war ein russischer Künstler.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2004

Intuitionen mit scharfen Kanten
Kasimir Malewitsch philosophiert über Kunst, Gott und Welt

Mit staunenswerter Konsequenz und Dynamik - man könnte auch sagen: mit der Sturheit des lernbegierigen Autodidakten - hat Kasimir Malewitsch (1879 bis 1935), der als Maler, Plastiker und Theoretiker zu den künstlerischen Leitfiguren des zwanzigsten Jahrhunderts gehört, ab 1903 innerhalb kurzer Zeit alle wesentlichen Epochenstile der europäischen Moderne zwischen Art Nouveau und Kubismus bravourös rekapituliert, um ab 1913, nach einigen bedeutsamen Beiträgen zum Neoprimitivismus und Kubofuturismus, in die "gegenstandslose Welt" des Suprematismus einzutreten. Als Begründer und unermüdlicher Propagandist dieses "neuen malerischen Realismus", der jegliche bildnerische Repräsentation ultimativ überbieten sollte durch die Realpräsenz des Bildwerks selbst, hat Malewitsch die "Kunstismen" der klassischen Avantgarde um eine (die einzige!) spezifisch russische Variante bereichert.

Das suprematistische "Schwarze Quadrat auf weißem Grund" (1915), vom Künstler als "nackte rahmenlose Ikone" konzipiert, ist zum Antlitz und Kennzeichen einer neuen, von Nützlichkeitsinteressen befreiten Zivilisation geworden und sollte gleichzeitig, als "Leer-" oder "Nullstelle", alle bisherige Kunst aufheben - im doppelten Wortsinn von "bewahren" und "verschwinden lassen". Insofern steht das "Schwarze Quadrat", in dem Alles und Nichts gleichermaßen präsent sind, auch für das radikal ikonoklastische Postulat Malewitschs, wonach sämtliche Werke der Weltkunst zu verbrennen und als Asche im Museum auszustellen seien. Die gegenstandslose suprematistische Realität ist - fern jeder Logik - Verneinung von allem und ist zugleich dessen dichteste Synthese, ist Defizit und Totalität in einem: "Der Suprematismus komprimiert die gesamte Malerei in einem schwarzen Quadrat auf weißer Leinwand."

Die Erklärungsbedürftigkeit suprematistischer Bildwerke, denen jeder externe Realitätsbezug und damit auch die ansonsten gewohnte Bedeutungsdimension fehlt, ist offenkundig. Offenkundig auch die Schwierigkeit, ein malerisches Schaffens- und Ausdruckskonzept begrifflich auf den Punkt zu bringen, das fast durchweg (mit Ausnahme des "aerovisuellen" Suprematismus) auf ein elementares Formen- beziehungsweise Farbenrepertoire beschränkt bleibt (Rechteck, Dreieck, Kreis, Kreuz in Schwarz und Rot, seltener in Blau und Gelb oder Weiß auf Weiß) und das man - behelfsmäßig, pauschal - wohl am ehesten als "abstrakt", vielleicht als "konstruktivistisch" bezeichnen würde. Malewitsch selbst war sich dieser Schwierigkeit zutiefst bewußt, doch galt sein Interesse nicht ihrer adäquaten rhetorischen Bewältigung, sondern dem Problem, das sie als solche darstellte und das er für unlösbar halten mußte, da kein Wort dem Gefühlten oder Gedachten jemals gerecht wird: "Eben das aussprechen zu wollen, ist nicht nur lügenhaft, sondern vollends in Worten nicht wiederzugeben."

Der suprematistischen "Vollkommenheit", der "Gegenstandslosigkeit", der ewigen "Ruhe" und "Leere", dem "Nichts als höchster Seinsform" konnte letztlich nur ein gleichermaßen leerer und vollkommener Bilddiskurs entsprechen - das Schweigen. Und Malewitsch, Meister des Paradoxons, praktizierte solches Schweigen während vieler Jahre in Form unablässigen Redens und Schreibens über alles und nichts, Gott und die Welt, Kunst und Natur - er redete, er schrieb über alles mögliche, um möglichst nichts über alles sagen zu müssen. Mehrheitlich und notwendigerweise künden seine Texte denn auch weniger von dem, was die "gegenstandslose Welt" des Suprematismus in Wirklichkeit ist, als vielmehr von dem, was sie nicht ist - was sie sein könnte, sein sollte: "Genau hier beginnt die schöpferische Arbeit der drei Künste - nämlich an der Definition der Darstellung dieses Nichts, dieser Ungegenständlichkeit; in den Versuchen, es abzubilden, erkennt man die Verwandlung des Nichts in ein Etwas . . ."

Stets trug der Maler ein kleines Heft bei sich, in dem er notierte, was ihm durch den Kopf ging, und in dem er aufschrieb, was er gelesen oder in Gesprächen gehört hatte. Aus seinen Schreibheften kompilierte Malewitsch zu Lebzeiten ein paar wenige größere Texte, die er meist zu didaktischen oder propagandistischen Zwecken - als Traktate oder Manifeste - in Broschürenform erscheinen ließ und die ihm bei seinen Zeitgenossen den ambivalenten Ruf einbrachten, ein Genie oder ein Scharlatan, ein Schulmeister oder ein Mystiker zu sein. Tatsache ist, daß Malewitschs eigenwillige, oft fehlerhafte Schreibweise, die spontane Einfälle, eklatante Widersprüche und vielfache Wiederholungen zu ganz und gar unverwechselbaren Elaboraten bündelt, ebenso zu faszinieren wie zu irritieren vermag. Um nicht beim Wort genommen, nicht auf eine Theorie oder Ideologie festgelegt zu werden, entfaltet Malewitsch einen schwer entwirrbaren multiperspektivischen Diskurs, als dessen Subjekt bald "ich" oder "man", "du" oder "wir", "Gott", "die Allgemeinheit" oder gar "ich, die Fabrik" in Erscheinung treten kann. "So urteile ich über mich", heißt es in einem autoritativen Selbstkommentar aus dem ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts, "und erhebe / mich zur Gottheit, wobei ich spreche, daß alles ich bin / und ausser mir nichts ist, alles, was / ich sehe, sehe ich mich, so vielseitig / vielkantig ist mein Wesen."

Manches gerät da durcheinander, Begriffe oder Namen mutieren zu Metaphern, Einzelbeobachtungen werden zu höheren Wahrheiten verallgemeinert, ein und dasselbe Wort kann gegensätzliche Bedeutungen in sich vereinen, gegensätzliche Wörter können ein Gleiches bedeuten, und keineswegs immer gelingt es, das Gemeinte oder Behauptete rational zu erschließen und also, beispielsweise, zu verstehen, weshalb Materie gegenstandslos, Material aber gegenständlich, der Realismus mal abstrakt, mal konkret, der "Kampf ums Wesenhafte zugleich ein Kampf um das Nicht-Wesenhafte" sein soll: "Die Forschung zeigt, daß es die Dinge nicht gibt, gleichzeitig aber gibt es ihre Unendlichkeit - das ,Nichts' und zugleich das ,(Et)was'." - Doch bei aller Nebulosität (und vielleicht gerade ihretwegen) vermitteln Malewitschs Texte den Eindruck, als wären sie - wie manche Gedichte - von einer präzisen, wenn auch nur selten nachvollziehbaren Intuition gesteuert.

Eine neue deutschsprachige Schriftenauswahl eröffnet nun, im Nachgang zu Malewitschs Bauhausbuch von 1927 und Hans von Riesens einflußreichem Reader von 1962, weitere, zum Teil erstmalige Einblicke in das Selbstverständnis des Künstlers und die Theoriebildung des Suprematismus. Anhand der im Erscheinen begriffenen russischen Werkedition hat Aage Hansen-Löve, Professor der Slawistik in München und Exponent der europäischen Avantgardeforschung, einen umfangreichen Band zusammengestellt, der neben zwei suprematistischen Basistexten - "Gott ist nicht gestürzt" (1922) und "Die Welt als Ungegenständlichkeit" (1923) - auch Beiträge zur künstlerischen Autorschaft, zur Sprache der Dichtung, zur Ästhetik der zeitgenössischen Bildkunst, zu Kunst und Natur sowie zur Muse als schöpferischem Prinzip enthält. In seinen einführenden, kommentierenden und interpretierenden Zusatztexten bietet der Herausgeber - auf insgesamt vierhundert Druckseiten - umfassende Hilfestellung zur geistesgeschichtlichen Situierung des Suprematismus, zur Eruierung seiner wissenschaftlichen, philosophischen und dichterischen Quellen, aber auch zum Verständnis von Malewitschs eigensinnigem Denken und Schreiben, das an seinem nicht minder eigensinnigen bildnerischen Werk integralen Anteil hat.

FELIX PHILIPP INGOLD

Kazimir Malevic: "Gott ist nicht gestürzt!" Schriften zu Kunst, Kirche, Fabrik. Herausgegeben und kommentiert von Aage Hansen-Löve. Übersetzungen von Thomas Kleinbub. Carl Hanser Verlag, München 2004. 602 S., br., 25,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Felix Philipp Ingold nimmt sich Raum, um den russischen Maler Kasimir Malewitsch eingehend vorzustellen. Malewitsch, der mit seinen suprematischen Bildern als wichtigster russischer Künstler der klassischen Avantgarde gilt, hat immer wieder auch Manifeste und Broschüren verfasst, die seinen künstlerischen Standpunkt klarmachen sollten, erklärt der Rezensent. Da aber sein Credo die "Gegenstandslosigkeit" als "höchste Seinsform" sich kaum adäquat ausdrücken ließ, schrieb er zu allen möglichen Themen, um "möglichst nichts über alles sagen zu müssen", so Ingold weiter. Das vorliegende Buch mit einer Auswahl aus Malewitschs Texten gibt einen guten Einblick sowohl in das "Selbstverständnis" des Malers als auch in die "Theoriebildung des Suprematismus", lobt der Rezensent. Und wenn er auch einräumt, dass sich Malewitschs Äußerungen in ihren Widersprüchen und in ihrer "Nebulosität" kaum "rational erschließen" lassen, so zeigt er sich doch von der darin zum Ausdruck kommenden "nur selten nachvollziehbaren Intuition" fasziniert und angezogen.

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