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Ein literarischer Fund: Frühe Meistererzählungen des großen italienischen Klassikers! Wie 69 Romane in Miniaturform lesen sich diese erst vor kurzem entdeckten Erzählungen, die zu seinen besten Werken gehören. Das ganze Spektrum menschlicher Leidenschaften in Moravias Spielfeld und mit großem psychologischem Spürsinn, mit Witz und Humor und voyeuristischer Neugier zeichnet er Menschen, die auf geradezu gespenstische Weise lebendig werden, und deren Schicksale uns vom ersten bis zum letzten Satz nicht mehr los lassen.

Produktbeschreibung
Ein literarischer Fund: Frühe Meistererzählungen des großen italienischen Klassikers!
Wie 69 Romane in Miniaturform lesen sich diese erst vor kurzem entdeckten Erzählungen, die zu seinen besten Werken gehören. Das ganze Spektrum menschlicher Leidenschaften in Moravias Spielfeld und mit großem psychologischem Spürsinn, mit Witz und Humor und voyeuristischer Neugier zeichnet er Menschen, die auf geradezu gespenstische Weise lebendig werden, und deren Schicksale uns vom ersten bis zum letzten Satz nicht mehr los lassen.
Autorenporträt
Alberto Moravia (1907-90), als Sohn einer wohlhabenden Familie in Rom geboren, begann nach schwerer Krankheit 1925 zu schreiben. Bereits sein Erstlingsroman 'Die Gleichgültigen' fand viel Beachtung. Wenige Jahre später erhielt er Schreibverbot. Nach 1944 eine der wichtigsten und einflussreichsten Persönlichkeiten Italiens.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.07.2002

Der Trödelladen Wirklichkeit
Moralist ohne Moral: Alberto Moravias nachgelassene Erzählungen

Es gibt Begegnungen, die nicht stattgefunden haben, und doch, gerade deshalb, denkwürdig erscheinen. Es war in den Jahren um 1924, als Thomas Mann den "Zauberberg" schrieb. Er ließ Hans Castorp einen großen, sehr deutschen Bildungsroman (und zugleich dessen Exequien) erleben. Die Nähe von Krankheit und Tod hat diesen umgekehrten Wilhelm Meister "mehr gefördert und auf Gedanken gebracht, als die Mühle im Flachlande all die Jahre her". Es gab in dieser Zeit jedoch einen anderen, der auf seine Weise eine solche Zauberbergexistenz führte. Er hat nicht nur sieben, sondern neun Jahre, und nicht literarisch, sondern physisch an Knochentuberkulose gelitten. Lange Zeiten verbrachte er bewegungsunfähig im Bett; ein Sanatorium in Cortina d'Ampezzo verschaffte ihm schließlich Heilung. Wie Hans Castorp wurde auch er "zum Höheren hinaufgetrieben", zum Schriftsteller und Intellektuellen. Zum Zeichen dafür gab er sich einen neuen Namen: Alberto Moravia.

Doch es ist eine Sache, diese "hochgradige Abgeschiedenheit" von außen nach innen aufzufassen wie Thomas Mann; eine ganz andere, sie von innen nach außen zu vermitteln. Moravias Knoten des Lebens wurde daher ganz anders geknüpft. Statt auf einem Zauberberg empfand er sich in einem Abgrund von "Krankheit und Einsamkeit". Sie weckten in ihm, spiegelverkehrt, "ein geradezu krankhaftes (!) Verlangen zu leben". Doch wie diesen Lebenshunger befriedigen? Mit Lebensersatz: mit Lesen und Schreiben. Sprache wurde so zu seinem ein und alles: Lebensmittel, Familie, seine eigentliche Bleibe. In der Sprache fühlte er sich geborgen, obwohl er seit seiner Genesung im Grunde ständig unterwegs war. Umgekehrt mußte er dafür auch, geradezu ununterbrochen, schreiben.

Und hier, an dieser sensiblen Stelle, wird schließlich offensichtlich, warum Hans Castorp und Alberto Moravia nicht übereinkommen konnten. Thomas Mann hatte etwas erschrieben, was ihm wesentlich fremd war. Moravia aber hat es erlebt - und es nie literarisiert (ausgenommen vielleicht "Winter eines Kranken", eine kleine Erzählung in einer Flut von anderen Geschichten). Den Zauberberg hielt er im übrigen für einen Unterhaltungsroman. Soviel Distanziertheit in der einen und in der anderen Richtung? Sollte seine traumatische Kindheit und Jugend keinerlei Spuren in seinem langen Sprachleben hinterlassen haben? Freuds Theorie von der Wiederkehr des Verdrängten ist nicht nötig, um zu vermuten, daß Moravia in seinen Geschichten im Grunde mit nichts anderem umgeht. Nur daß er über seine biographischen Verknotungen höchst gebrochen spricht.

Im Laufe eines langen Lebens hat er eine weitläufige Wortlandschaft um sich gebreitet - Romane, Drehbücher, Erzählungen, Dramen, Feuilletons, Reiseberichte, Filmkritiken, Essays, Interviews -, so ausgedehnt, daß sie an den Rändern zu verschwimmen begann. So kam es, daß seit den sechzehn Bänden der Gesamtausgabe immer neue Fundstücke zutage traten und neue Bände füllen, zuletzt 69 kurze Prosatexte, ausgestreut zwischen 1928 und 1951. Es wird nicht alles gewesen sein; Moravia starb erst 1990. Gegenüber den größeren Formaten sind sie nur narrative Kleinteile. Dennoch liebte der Autor diese kurzen Affären (nicht nur literarisch). Für ihn waren sie sein Werkraumtheater, wo für das Große Haus das alte, immer neue Stück geprobt wurde: Was ist der Mensch? An dieser humanen Frage hat Moravia unbeirrbar, gegen alle Zeitgeister festgehalten, auch wenn er sie am liebsten aus der Gegenrichtung - von den Abweichungen seiner Figuren her beantwortete. Darum vor allem wurde er viel gelesen, das hat ihn populär gemacht und das große Kino angezogen.

Zum Besten dieses modernen Klassikers gehöre die jetzt vorliegende erzählerische Nachlese, war beim Erscheinen in Italien zu hören. Da wird etwas schwungvoll der Mantel des großen Namens über sie geworfen, den der Autor sich woanders erworben hat. Dennoch: diese Miniaturen haben ihre bemerkenswerten Vorteile, vor allem, weil sie kaum unter ästhetischer und ideologischer Aufsicht stehen. Wer viel schreibt, kann die Kunst nicht jedes Mal neu erfinden. Deshalb entblößen sie bereitwillig ihre elementaren Antriebe und ihre Machart.

Die einzelnen Stücke liegen weit auseinander, zeitlich wie inhaltlich. Um so verblüffender ist ihre Familienähnlichkeit. Immer ist einer da, ein Ich, ein Er, der vorsätzlich, wie ein Voyeur, hinter einen anderen (oder sich selbst) kommen will, weil er ihm nicht glaubt, daß er so ist, wie er sich gibt - ein pirandellianischer Argwohn gegenüber allem, was bürgerlich ist: der Hang zu festen Ansichten, gesellschaftlicher Routine, Erfolg und vor allem die vielen kleineren und größeren Selbsttäuschungen, bis hin zum Wahn, an dem man irre wird. Wer auch immer erzählt, er ruht nicht, bis er diesen Spalt in der Oberfläche findet. Wie etwa bei Cosimo, dem die Wahrsager die "glücklichste und perfekteste Hand" bestätigten. Weshalb er sich in schönsten Erwartungen erging - eben keine Hand rührte, schäbig und banal vor sich hin lebte. Auf solche wunden Stellen zielen Moravias Geschichten. Sie legen Ausschnittsvergrößerungen an, die wieder und wieder zu dem gleichen Befund kommen: Leben heißt, in "Entfremdung" zu geraten - von sich, von anderen, von den eigenen Handlungen. So sind die Verhältnisse: Jeder verstrickt sich in Beziehungen ohne echten Bezug. Das ist Moravias gesellschaftliches Credo.

Ist das nun intellektueller Überbau für eine sehr persönliche biographische Erfahrung, oder umgekehrt? Gerade die Kleinkunstbühne seiner Geschichten weiß mehr davon. Denn hier herrscht mehr als anderswo ein auffallend entschiedener genius loci. Natürlich hat auch dieser, wie alles in diesem Spiel, zwei Seiten: Innen und außen. Draußen: das ist Anschein, die Welt als "Trödelladen". Bei Moravia machen sich überall Wirklichkeiten breit, die insgeheim schon verwirkt sind.

Die Geschichten tun im Grunde nichts anderes - Moravia bleibt sich auf seine Weise treu - als daß sie diese Fälle von falscher Äußerlichkeit nach innen holen: in ein Zimmer, Café, Bus, Zoo, Gefängnis, Irrenhaus, in geschlossene Räume also, wo sie gleichsam aus der Nähe betrachtet werden. R., einer der vielen Freunde in diesen Geschichten, haßt die Ausländer, weil sie Italien nach dem Kriege ein ungerechtes Friedensabkommen auferlegt haben. Zu Hause aber findet er alles Ausländische - Geld, Mode, Whiskey, Tabak - gut. Den Widerspruch merkt er nicht, der Erzähler schon. Das ist seine Mission: Er sondert seine Figuren ab, nicht um, zauberberghaft, ihr höheres Selbst herauszubringen, sondern um ihren tieferen Mißverhältnissen nachzugehen.

Ein Akt der Entäußerung geschieht aber auch, wenn er Wunden öffnet, statt sie zu heilen. Nicht als Sanatorium, als Untersuchungszimmer fungieren deshalb Moravias Innenräume. Hier werden Diagnosen zur latenten Kulturkrankheit der Moderne gestellt. Sie lauten fast immer gleich: wer sein Leben als Rechnung begreift, die in bestimmter Weise aufgehen soll, endet im gedanklichen Minus. Darum geht keiner der angeführten Fälle auf. "Wahrscheinlich besteht das Geheimnis des Schreibens darin", so Moravia, "es unvollkommen zu lassen." Darauf hat er es angelegt. Manchmal allerdings zu offensichtlich, so daß seine 69 Geschichten etwas Demonstratives annehmen: man merkt die Absicht.

Oder schlagen hier Zwangskonstellationen aus der Biographie durch? Hatte Moravia sein Verlangen zu leben nicht selbst als "krankhaft" bezeichnet? Wie auch immer: an dieser Entgegensetzung bildet sich sein Erzählen. Darin auch liegt die Methode seines Erfolgs: Moravia ist ein Schriftsteller der Gegentendenz. Sich jeweils auf der Höhe der zeitgenössischen "Entfremdungen" befinden, um ihre unheilvollen Anspannungen platzen zu lassen. Das macht ihn zum Moralisten, allerdings zu einem, dem keine Moral verbindlich ist. Seine kleinen Geschichten können dies vielleicht besser ausdrücken als die großen. Sie zeigen nicht unbedingt den besten, aber einen authentischen Moravia.

WINFRIED WEHLE.

Alberto Moravia: "Der neugierige Dieb." Erzählungen. Aus dem Italienischen übersetzt von Bruno Genzler. btb, München 2002. 443 S., geb., 23,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wenn er den Mantel des modernen Klassikers auch ein klitzekleines bisschen zu groß findet für die hier versammelten kurzen Prosatexte aus den Jahren 1928-1951, so erkennt Winfried Wehle doch die Vorteile "dieser Miniaturen". Dass sie nämlich nicht unter "ästhetischer und ideologischer Aufsicht" stehen und "bereitwillig ihre elementaren Antriebe und ihre Machart" entblößen. Wie es sich damit verhält, sagt er uns auch. Stets treffen wir, so Wehle, auf ein Ich oder ein Er, auf jemanden, "der vorsätzlich, wie ein Voyeur, hinter einen anderen (oder sich selbst) kommen will". Das Thema der Entfremdung also, von Moravia, dem Moralisten, in "Ausschnittsvergrößerungen" abgetastet, vor dem Hintergrund "auffallend entschiedener genius loci", wie Wehle hinzufügt: in Zimmern, Cafes, Bussen, Gefängnissen, Irrenhäusern, "so dass seine 69 Geschichten etwas Demonstratives annehmen". Was Wehle veranlasst zu denken, hier "nicht unbedingt den besten, aber einen authentischen Moravia" angetroffen zu haben.

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"Moravia vergisst keinen Augenblick, dass ein Erzähler erzählen muss, immer weiter erzählen, dass er seinen Leser an der Gurgel packen muss, damit ihm die Lust am Abenteuer des Lesens nicht vergeht." (Enzo Siciliano)
"Ob sie nund zufällig oder absichtlich zurückgehalten wurden, in jedem Fall gehören diese Seiten zu den besten, die Moravia je geschrieben hat." (La Niova Venezia)