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Die Vernichtung des gewerblichen Mittelstandes gilt als Menetekel für den SED-Staat. In mehreren Schüben waren bis 1972 Zehntausende besonders versorgungsrelevanter kleiner und mittlerer Betriebe sozialisiert bzw. liquidiert worden. Wo die Forschung bislang eine monolithisch-ideologiekonforme Politik am Werke sah, hebt der Verfasser deren Brüchigkeit und innere Widersprüchlichkeit hervor. Das Motiv ökonomischer Ausnutzung der besonders versorgungsrelevanten Produktionskapazitäten stand unvermittelt neben dem politischen Impuls, Privateigentum an Produktionsmitteln auszumerzen. Letzterer gewann…mehr

Produktbeschreibung
Die Vernichtung des gewerblichen Mittelstandes gilt als Menetekel für den SED-Staat. In mehreren Schüben waren bis 1972 Zehntausende besonders versorgungsrelevanter kleiner und mittlerer Betriebe sozialisiert bzw. liquidiert worden. Wo die Forschung bislang eine monolithisch-ideologiekonforme Politik am Werke sah, hebt der Verfasser deren Brüchigkeit und innere Widersprüchlichkeit hervor. Das Motiv ökonomischer Ausnutzung der besonders versorgungsrelevanten Produktionskapazitäten stand unvermittelt neben dem politischen Impuls, Privateigentum an Produktionsmitteln auszumerzen. Letzterer gewann vor allem während der Herrschaftskrisen in den späten fünfziger Jahren und Anfang der siebziger Jahre die Oberhand - mit schwerwiegenden Folgen.

Gestützt auf einen breiten Fundus von Archivmaterial und Forschungsergebnissen zeigt Frank Ebbinghaus, daß der Privatsektor in der DDR stets am Faden der großen Politik hing. Das gilt für das Jahr 1955, als Chruschtschow eine Bestandsgarantie für die "sozialistischen Errungenschaften" der DDR ausgab, aber auch für die Phase des Machtwechsels von Ulbricht zu Honecker, in deren Folge der neue Machthaber zu einem strikten Abgrenzungskurs gegenüber der Bundesrepublik verpflichtet war. Für die SED bot die Mittelstandspolitik ein Feld der Krisenableitung, auf dem sich der Primat der Politik mit den ökonomischen Imperativen der sozialistischen Gesellschaft versöhnen sollte. In der Praxis zog dies jedoch konfliktreiche Abstimmungsprozesse zwischen den beteiligten Institutionen nach sich. Als Folge radikalisierten sich die ideologischen Ziele zu Lasten der ökonomischen. So wurde den Selbstzerstörungskräften des SED-Staates Auftrieb verliehen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.07.2004

Zuruf: Millionäre!
So wurde der ostdeutsche Mittelstand vernichtet
Im Dezember 1971 konnte Erich Honecker, „nicht umhin festzustellen, daß unter den Bedingungen unserer sozialistischen Wirtschaft manche frühere kleine Kapitalisten nicht zum Sozialismus gekommen sind, sondern sich, wie die Bankkonten zeigen, mitunter zu recht stattlichen Kapitalisten gemausert haben. (Zuruf: Millionäre!) Jawohl, zu Millionären.” Der aggressive Auftritt diente in erster Linie dazu, sich vom Vorgänger abzugrenzen und eine radikale Lösung vorzubereiten. Im Frühjahr 1972 wurden 11400 kleine und mittlere Industriebetriebe verstaatlicht, obwohl mehrfach gewarnt worden war vor den drohenden volkswirtschaftlichen Verlusten, „weil sich der Staat selbst um solche Stimuli wie Privatinitiative bringe”. Selbst Beteiligten galt die Kampagne als Akt der Selbstzerstörung. Dabei folgte sie durchaus der Logik jener teils dilettantischen, teils pragmatischen, immer ideologisch motivierten Mittelstandspolitik der SED, als deren Grundzug Voluntarismus gelten muss.
Der SED-Mittelstandspolitik hat der Historiker Frank Ebbinghaus eine aufwändig recherchierte Studie gewidmet. Niemand wird den Verfasser um die Aufgabe beneiden, sich in die Berichte der Brigade der Bezirksleitung Suhl oder die „Ergänzungen zum Bericht über den Brigadeeinsatz der Filiale Karl-Marx-Stadt vom 11.-30.5.1959” zu vertiefen. Aber die Ergebnisse rechtfertigen in diesem Fall den Aufwand.
Ebbinghaus untersucht ausführlich die Schaffung neuer Eigentumsformen, die Sozialisierungskampagne von 1958/60, den Übergang von Ulbricht zu Honecker und die Verstaatlichungskampagne des Jahres 1972. Der abschließende Ausblick bis in die Mitte der neunziger Jahre ist dagegen allzu knapp gehalten.
Privates Eigentum an Produktionsmitteln galt dem „wissenschaftlichen Sozialismus” als eine Form der Vergangenheit, dennoch waren die Erzeugnisse der Privatbetriebe unendlich wichtig für die Versorgung der vor 1961 unzufriedenen und ab 1961 eingesperrten Bürger. Konsumversprechen dienten der Legitimierung des Systems. Gegen allen ökonomischen Hausverstand wurde daran bis zum Ende der DDR festgehalten.
Politischen Zielen und ökonomischen Zwängen folgend erreichte die SED-Mittelstandspolitik wohl die Verstaatlichung, handelte sich aber immer neue Steuerungsprobleme ein. Es ist die Stärke dieser Studie, dass sie die Vielzahl der Konflikte - zwischen der Zentrale und den Bezirken, zwischen ideologischen Prämissen und tatsächlichen Gegebenheiten - detailliert nachzeichnet. Sie zeigt, wie Kampagnen sich verselbständigten und radikalisierten. Sie zeigt, dass die Entwicklung des Privatsektors trotz mannigfacher Benachteiligungen den Glauben an die „Überlegenheit der sozialistischen Produktionsweise” hätte erschüttern müssen. Und sie zeigt, wie die Absicht totaler Kontrolle des Mittelstandes regelmäßig an der Überlastung der Verwaltung scheiterte, wie jeder Schritt, der aus der Krise führen sollte, andere Zwänge erzeugte, alte Krisen verschärfte. Überzeugend tritt Ebbinghaus neuen Legenden entgegen, die Ulbrichts Reformkurs verklären. Er dagegen betont die Kontinuität zwischen dem „großen Wu” und Honecker.
Mit der Verstaatlichung des Jahres 1972 einher ging eine soziale Entdifferenzierung, unter deren Folgen die neuen Länder bis heute leiden. Der Leser braucht gewiss Geduld, sich in diesen Geschichte aus dem Chaos der Planwirtschaft zurechtzufinden, erfährt dafür aber einiges über die nicht beabsichtigten Folgen staatlichen Handelns unter dem Zeichen uneinlösbarer Wohlstandsversprechen.
JENS BISKY
FRANK EBBINGHAUS: Ausnutzung und Verdrängung. Steuerungsprobleme der SED-Mittelstandspolitik 1955-1972. Duncker & Humblot, Berlin 2003. 366 Seiten, 48 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.09.2004

Spürbare Verschlechterung
Wie Ulbrichts SED mit ihrer Mittelstandspolitik scheiterte

Frank Ebbinghaus: Ausnutzung und Verdrängung. Steuerungsprobleme der SED-Mittelstandspolitik 1955-1972. Verlag Duncker&Humblot, Berlin 2003. 366 Seiten, 48,- [Euro].

"Die Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne die Wirtschaft ist alles nichts." Diese einfache ökonomische - und politische - Wahrheit läßt sich auch auf den Mittelstand übertragen, der bis heute noch immer die meisten Arbeitsplätze stellt. Eine destruktive Wirtschaftspolitik, welche die kleinen und mittleren Privatbetriebe in Handwerk, Handel und Industrie schwächt, führt über kurz oder lang zu einer schweren, gesamtwirtschaftlichen Krise. Keine andere Partei in Deutschland hat die Folgen einer solchen Politik mehr zu spüren bekommen als die KPD/SED, die während der mehr als vierzigjährigen Existenz der SBZ/DDR wiederholt gegen mittelständische Betriebe - vom Klempner bis zum Maschinenbauer - vorgegangen ist. Nicht zuletzt ist der Kollaps der DDR im Herbst 1989 und der daraus resultierende, rasante Machtverlust der SED auf ihre eigene, desaströse Wirtschaftspolitik zurückzuführen.

Diese Erkenntnis ist nicht neu, war doch die allen Widerständen zum Trotz durchgesetzte zentrale Planverwaltungswirtschaft von Anfang an der Sozialen Marktwirtschaft unterlegen. Neu ist auch nicht, daß die sukzessive Erstickung beziehungsweise Verödung jedweder privatwirtschaftlicher Initiative seitens der SED durch wiederholte Verstaatlichungsmaßnahmen eine der zentralen Ursachen für das Scheitern der einstmals als Wirtschaftsmodell gedachten DDR gewesen ist. Gleichwohl wird in der vorliegenden Studie erstmals en détail aufgezeigt, mit welchen Methoden dabei verfahren wurde und welche Konsequenzen sich daraus ergaben.

Tatsächlich resultierte diese Politik aus den besonderen Entwicklungsbedingungen nach 1945; denn im Unterschied zu den übrigen Ostblockländern war im sowjetisch besetzten Deutschland trotz rigider Verstaatlichungen auf eine vollständige Sozialisierung der Industrie verzichtet worden, um dessen Rolle als deutscher Teil- und kommunistischer Frontstaat Rechnung zu tragen. Infolgedessen blieben beträchtliche Kapazitäten vor allem der Konsumgüterindustrie in privater Hand. Für die Partei erwuchs daraus aber ein Dilemma: Aus ideologischen Gründen durften private Unternehmen keinerlei Existenzberechtigung im sozialistischen Arbeiter-und-Bauern-Staat haben, doch aus wirtschafts- und sozialpolitischen Gründen der dringend notwendigen Versorgung der notleidenden Bevölkerung mußte von einer weiter gehenden Verstaatlichung der privaten Konsumgüterproduktion abgesehen werden, um die Stabilität der DDR nicht zu gefährden - das Trauma des 17. Juni 1953 saß tief in den Köpfen der Funktionäre.

Folge der ambivalenten Situation war, wie Frank Ebbinghaus luzide herausarbeitet, daß die Partei gegenüber dem Mittelstand eine ebenso widersprüchliche Politik betrieb. So sollten die mittleren und kleineren Privatbetriebe einerseits "eine Heimat im Sozialismus" finden, andererseits wurden sie innerhalb der zwanzig Jahre zwischen 1950 und 1970 durch Vergenossenschaftlichung und staatliche Beteiligung von über 40 auf 15 Prozent reduziert. Kein Wunder, daß Einzelhändler, Handwerker und Kleinindustrielle, die in der DDR weiter ausharrten, der SED tief mißtrauten. Hinzu kam, daß in den Parteispitzen und zuständigen Ministerien kein genauer Überblick über den privaten Wirtschaftssektor bestand. Entsprechend unkoordiniert, ohne klare Vorgaben und Maßnahmen verlief die erste Sozialisierungskampagne der Jahre 1958 bis 1960, obwohl es an politischer Agitation und steuerlichen Druckmitteln nicht fehlte. Weder wurden die beabsichtigten Ergebnisse bei der Umwandlung mittelständischer Unternehmen in Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) beziehungsweise in Betriebe mit staatlicher Beteiligung (BSB) erreicht, noch wurde die Verwaltung vor Ort mit dem überhasteten Transformationsprozeß fertig. Die Kampagne wurde im Sommer 1960 abgebrochen, als der Mittelstand verstärkt in den Westen flüchtete.

Das gleiche Szenario sollte sich noch einmal kurz nach dem Rücktritt Ulbrichts und der Machtübernahme Honeckers 1971/72 wiederholen. Obwohl letzterer angetreten war, das Scheitern der Wirtschaftsreform seines Vorgängers zu kompensieren, um die Bevölkerung mit einem größeren Waren- und Dienstleistungsangebot für sich zu gewinnen, schlug in ihm rasch der Ideologe durch: Im Frühjahr 1972 ging er an die Verstaatlichung der rund 11 400 noch verbliebenen privaten Industriebetriebe und Betriebe mit staatlicher Beteiligung sowie handwerklichen Produktionsgenossenschaften. Die Folgen waren in mehrfacher Hinsicht desaströs. Nicht nur, daß die Verwaltungen bei der Umsetzung seiner Politik erneut völlig überfordert waren. Viel schlimmer war, daß sein Schlag gegen den Mittelstand das in der DDR ohnehin zu knappe Konsumangebot noch weiter reduzierte.

Tatsächlich waren die nun zu Volkseigenen Betrieben (VEB) zusammengelegten Privatbetriebe nach 1972 erheblich weniger produktiv als noch zuvor. Doch damit nicht genug: Das nun eintretende Fehlen dieses Angebots konnte nur durch verstärkte Westimporte ausgeglichen werden, schließlich war Honecker ja im Frühjahr 1971 angetreten, die Versorgung der Bevölkerung spürbar zu verbessern. Damit erlitt jedoch seine Strategie der Haushaltskonsolidierung nur wenige Monate nach der Machtübernahme sofort Schiffbruch: Schon im Oktober 1971 hatte sich das Zahlungsdefizit der DDR verdreifacht und sollte sich im Lauf der Jahre immer weiter erhöhen. Insofern ging, wie Ebbinghaus am Schluß seiner fundierten Untersuchung konstatiert, von den verstaatlichungsbedingten Produktionsstörungen in den neuen VEB eine krisenverschärfende Wirkung aus, auch und nicht zuletzt für das Regime selbst. Der Mittelstand ist nicht alles, aber ohne den Mittelstand wird jede Wirtschaft scheitern - diese Erkenntnis ging Honecker und seinen Getreuen offensichtlich erst nach dem Zusammenbruch der DDR auf, wenn überhaupt.

GÜNTHER HEYDEMANN

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Niemand wird Frank Ebbinghaus um die offensichtlich intensive Archivarbeit beneidet haben, meint der Rezensent Jens Bisky. Doch meint er auch, dass es sich gelohnt hat: Die "aufwändig recherchierte Studie" untersuche ausführlich die SED-Mittelstandpolitik in der Schaffung "neuer Eigentumsformen". Dazu gehört auch die Kampagne von 1972, in deren Verlauf "gegen allen ökonomischen Hausverstand" 11.400 Betriebe verstaatlicht wurden und "unter deren Folgen die neuen Länder bis heute leiden". Sehr gut nachgezeichnet findet Bisky dabei, wie "jeder Schritt, der aus der Krise führen sollte, andere Zwänge erzeugt", etwa wenn der Versuch, den Mittelstand unter totale Kontrolle zu bringen, "regelmäßig an der Überlastung der Verwaltung scheiterte". Den Leser warnt der Rezensent, dass er "gewiss Geduld" brauche, bis er sich in dem "Chaos der Planwirtschaft" zurechtfinde, doch ernte er damit eine "detaillierte" Erläuterung der Konflikte in der Durchsetzung der Verstaatlichung und die "überzeugende" Beweisführung.

© Perlentaucher Medien GmbH