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Wieviel Macht besitzt das Volk? "Nicht genug", ist die Antwort des Autors. Das Mitspracherecht der Bürger sei massiv beschnitten, klagt er. Er hält Wahlen, Volksbegehren und Volksentscheid für keine effektiven Mittel im Kampf um die politische Mitsprache. Kann in der politischen Szene ungestört jeder jedem die Verantwortung zuschieben? Die Politik ist handlungsunfähig, so das Fazit des Autors. Um diese Blockade zu lösen, fordert er eine echte Bürgerbeteiligung.

Produktbeschreibung
Wieviel Macht besitzt das Volk? "Nicht genug", ist die Antwort des Autors. Das Mitspracherecht der Bürger sei massiv beschnitten, klagt er. Er hält Wahlen, Volksbegehren und Volksentscheid für keine effektiven Mittel im Kampf um die politische Mitsprache. Kann in der politischen Szene ungestört jeder jedem die Verantwortung zuschieben? Die Politik ist handlungsunfähig, so das Fazit des Autors. Um diese Blockade zu lösen, fordert er eine echte Bürgerbeteiligung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.2000

Unkoordinierter Volkswille gegen allzu koordinierte Volksvertreter
Hans Herbert von Arnims Streitschrift für die Einführung der direkten Demokratie in der Bundesrepublik: Übermaß von Beweismitteln und apodiktische Thesen

Hans Herbert von Arnim: Vom schönen Schein der Demokratie. Politik ohne Verantwortung - am Volk vorbei. Droemer Knaur Verlag, München 2000. 391 Seiten, 44,90 Mark.

Unermüdlich spürte Hans Herbert von Arnim den Einkommen der Politiker nach. Das brachte ihm unter seinen staatsrechtlichen Kollegen den Ruf einer gewissen Einseitigkeit ein, fast der Monomanie. Wenn jemand ständig über das Geld anderer Leute schreibt, kommt er leicht in den Ruf des Neides. Doch es ist für niemanden von Vorteil, wenn Politiker wird, wer auf andere Weise nicht zu einem erträglichen Einkommen gelangen kann.

Einen Angriffspunkt bietet, daß die Politiker, was ihre Bezüge angeht, das Halbdunkel suchen. Dieses Versteckspiel führt über das Neidgefühl hinaus zur Skepsis gegenüber dem "System". Arnim hat vor kurzem unter Protest eine Kommission verlassen, die die Politikerbezüge einsehbar machen sollte. Doch fünfzehn kundige Leute habe nichts anderes zustande gebracht als den Vorschlag der Festsetzung der Ministergehälter um den Preis einer Erhöhung um zwei Fünftel: Arnim hat mit Recht gefunden, das sei in einer Zeit der öffentlich gepredigten Sparsamkeit etwas zuviel der Kompensation, welche die Politiker sich wie selbstverständlich zuerkennen. Die Forderung, von anderen erhoben, gilt als kleinliche Interessenwahrung.

Arnim hat auch unermüdlich getadelt, daß in der Politik kurze Dienstzeiten zu großzügig bemessenen Altersbezügen führen - während jeder weiß, daß alles, was unter dem Wort "Rentenreform" daherkommt, nur eines will: die Altersversorgung kürzen und die Strecke, über die sie erdient werden muß, verlängern. Arnim hat auch vielfach Kritik daran geübt, daß die Politiker den Übergang von der politischen in eine "bürgerliche" Tätigkeit für sich äußerst angenehm machen - fast so wie die "Wirtschaftsführer", die sich auch ein Versagen durch großzügige Abfindungen ausgleichen lassen. Dabei ist die oft erwähnte "tägliche Kündigung", welcher die Politiker ausgesetzt sind, nichts Besonderes mehr. Die Politiker werden nicht müde, dem Volk zu empfehlen, nicht mehr darauf zu vertrauen, daß man einen Beruf ein Arbeitsleben lang ausüben könne.

Vorzugsweise von der Befriedigung der materiellen Interessen und der Sicherung der Macht her definiert und kritisiert Arnim auch in seinem neuen Buch die "politische Klasse". Die Zugehörigkeit zu ihr deutet hin auf Abgehobenheit, auf eine Reduzierung der Abhängigkeit vom Volk - zu dem man in Wahrheit beinahe nicht mehr gehört. Die Existenz dieser "politischen Klasse" verdirbt nach Arnim die Institutionenordnung, läßt sie immer mehr zu einer bröckelnden Fassade werden, die nicht einmal mehr den "schönen Schein" hergibt.

Bei seiner Kritik nimmt sich Arnim, etwas willkürlich, zunächst den Föderalismus vor. Die herkömmliche Rechtfertigung, der Föderalismus sei eine besondere Form der die Macht beschränkenden Gewaltenteilung, gelte nicht mehr. Letzten Endes sieht Arnim im Föderalismus nur noch den Effekt, daß der "politischen Klasse" eine Anzahl eigentlich nicht nötiger Ämter als Pfründen zur Verfügung stehen. "Der Föderalismus hält nicht mehr, was er verspricht", ist Arnims lapidare These. Sie wird mit den herkömmlichen Argumenten untermauert: Verschiebung von immer mehr Kompetenzen auf den Bund, um den - wiederum die Macht der politischen Klasse stärkenden - Preis einer Ausweitung der Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes; Verwischung der Verantwortlichkeiten als Folge der Verunklarung der Zuständigkeiten; Selbstkoordinierung der Länder durch Konferenzen der Fachminister (voran die Kultusministerkonferenz, die sich als eine unkontrollierte Behörde eigener Art etabliert hat); praktisch keine eigene Finanzhoheit der Länder mehr; erfolgreiche Verhinderung der Neugliederung des Bundesgebietes. Dies vor allem: nur einigermaßen vergleichbar leistungsfähige Länder könnten den Konkurrenzgedanken zur Rechtfertigung des Föderalismus verwirklichen - statt dessen gibt es einen Finanzausgleich, der auch nicht lebensfähige Länder am Leben erhält, sie überdies an die goldene Leine des Bundes legt.

Diese Anmerkung Arnims ist durchaus aktuell; die Anzeichen mehren sich, daß die "politische Klasse" im Begriff ist, dahin übereinzukommen, trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November vorigen Jahres, das den Finanzausgleich neu zu regeln aufgibt und dem Saarland zum Beispiel weiterhin "Kosten der politischen Führung" zubilligt, die bei einer rationalen Länder-Neuordnung entbehrlich wären.

Der von Arnim gewiesene Königsweg heißt: direkte Demokratie. Die Volksgesetzgebung ist in den Ländern seit einigen Jahren allenthalben eingeführt worden. Er geht ein Stück weiter: Er möchte die Regierungschefs der Länder direkt vom Volk gewählt sehen. Er verspricht sich davon eine Stärkung der Landesparlamente, die nicht mehr gezwungen seien, "ihren" Ministerpräsidenten um des Prinzips willen zu verteidigen oder zu attackieren. Inzwischen werden, Arnim beschreibt das, in allen Ländern die Spitzenpositionen in den Kommunen durch Volkswahl besetzt.

In Hessen zum Beispiel ist das durch Volksentscheid eingeführt worden. Arnim schildert das aufhaltsame Nachgeben der Landesparlamente, zumal in den Ländern, die bisher die kommunale Doppelspitze kannten, wie Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Den Anwärtern auf Eintritt in die politische Klasse gefalle es nicht, wenn von zwei erstrebenswerten kommunalen Ämtern nur eines übrigbleibe. Die gebremste Begeisterung für die Einführung der Volkswahl der führenden Gemeindepolitiker zeige sich in manchen systemwidrigen Konstruktionen - etwa der in Hessen, wo der volksgewählte Bürgermeister auf die Magistratsverfassung aufgepfropft worden sei. Es mag sein, daß Arnim die direkte Demokratie als Instrument der Zurückdrängung der politischen Parteien überschätzt.

Ziemlich kurz abgehandelt wird die Frage der Volksgesetzgebung im Bund. Arnim hält nichts von der hergebrachten Ansicht, die zu entscheidenden Fragen seien zu kompliziert für einen Volksentscheid. Er glaubt, daß sich aus dem je für sich abgegebenen Votum der einzelnen Bürger eher eine gemeinwohlorientierte Entscheidung ergebe als bei Beschlüssen der Gewählten, die sich nach Interessenten-Blöcken ordnen und sich an dem von den Parteien aufgenommenen Eigeninteresse der politischen Klasse orientieren. Mithin ist Arnim ein Gegner der - wenn die Volksgesetzgebung im Gesamtstaat überhaupt erwogen wird - fast immer zur Bedingung gemachten inhaltlichen Ausgrenzungen, etwa von Steuer-, Haushalts- und Altersversorgungsfragen. Er tendiert zu möglichst niedrigen Quoren für den Volksantrag, der zum Volksbegehren führt, und auch für den Volksentscheid. So wie dieser näher rückt, sollen die Quoren steigen.

Nicht zu bezweifeln ist, daß die klassische Begründung für die rein repräsentative Demokratie an Überzeugungskraft verliert, daß die auf Parteienvorschlag - den Arnim an stärkere Volksmitwirkung binden will - gewählten Volksvertreter besser geeignet seien, sachgerechte Entscheidungen zu treffen als das Volk in seiner diffusen Vereinzelung. Die von Interessen freie, jedenfalls in der Interessenbindung geläuterte Entscheidung der Repräsentanten ist angesichts ihrer Gliederung nach Parteien und ihrer Verpflichtung, eine vorgegebene Mehrheitskonstellation zu stabilisieren, nicht so eindeutig auf die Wahrnehmung der (wohlverstandenen?) Interessen der Repräsentierten zentriert, daß eine sichere Überlegenheit dieser Form der Entscheidungsfindung gegenüber dem unkoordinierten Volkswillen angenommen werden könnte.

In der These Arnims freilich, daß die Repräsentanten in der Regel gewählt werden wegen der Popularität ihrer Spitzenfigur, liegt ein gewisser Widerspruch. Man könnte sagen, daß auf diese Weise das Plebiszit durch eine List der Institutionen bereits zur Verfügung steht. Die von Arnim herangezogenen Beispiele überzeugen nicht durchweg. Die Grünen sind 1998 kaum wegen der staatsmännischen Statur ihres faktischen Spitzenmannes Joseph Fischer gewählt worden, sondern vorzugsweise von denen, die sich ihn als den Grünen vorstellten, als der er vor seiner Mutation zum maßgekleideten Staatsmann erscheinen konnte.

Arnims Forderung nach direkter Demokratie ist für ihn das positive Gegenbild der Kritik an der auf sich selbst bezogenen "politischen Klasse". Somit hat das Buch den Charakter einer Streitschrift. Doch der Stoff ist zu reichhaltig, wohl auch zu ungegliedert, als daß sich eine Skizze eines neuen oder doch modifizierten Bildes von der Demokratie ergäbe. Der Fülle des Materials anhand der zahlreichen Anmerkungen nachzuspüren ist lohnend. Die drei Abschnitte des Buches zählen die Anmerkungen jeweils neu durch und stehen am Ende: Die Mühe des Suchens wird unzumutbar - jedenfalls für den, der das Buch zutreffend als eine eingängige Streitschrift auffaßt. Manche Irrtümer fallen auf: etwa die Behauptung, der frühere Bundeskanzler Kohl begehe mit seiner Nicht-Nennung der Namen von Parteispendern "Verfassungsbruch". Diese Übersteigerung ist hinreichend als Parteien-Polemik entlarvt. Auch die Jahresangaben über die Zeiten, in denen der CDU/CSU/FDP-Bundesregierung eine SPD-Mehrheit im Bundesrat gegenübergestanden habe, bedürften der Differenzierung.

Die These Arnims, daß es um eine "Aktivierung des Common sense der Bürger" gehe, um die "Wiedereinsetzung des Souveräns", wodurch die "angemaßte Ersatz-Souveränität der politischen Klasse gebrochen" werden könne, ist trotz oder gerade wegen der Materialfülle etwas zu apodiktisch. Das angehäufte Material erscheint wie ein Übermaß von Beweismitteln, das zur Begründung eines Urteils nicht hinreichend geordnet ist.

FRIEDRICH KARL FROMME

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

"Ein notwendiges Buch zur rechten Zeit" ist dieser Band, meint Warnfried Dettling und bezieht sich dabei nicht nur auf die jüngsten Skandale um Parteispenden. Angesichts einer hellhörig gewordenen Öffentlichkeit und der anstehenden Revision einiger Urteile des Bundesverfassungsgerichts zum Thema Parteienfinanzen räumt er von Arnims Forderungen nach Reformen nun deutlich bessere Chancen ein. Lobenswert findet Dettling es auch, dass sich von Arnim keineswegs auf das Thema Parteienfinanzierung beschränkt. Er ist vielmehr der Ansicht, dass der Autor mit diesem Beitrag eine Diskussionsbasis geschaffen hat, auf der die überfälligen Reformen (z. B. in verfassungspolitischer Hinsicht oder auch den Finanzausgleich betreffend) kreativ und erfolgversprechend debattiert werden können. Darüber hinaus mache von Arnim zahlreiche Vorschläge, von denen er sich ein stärkeres Demokratiebewußtsein verspricht (Befristung der Amtszeiten, stärkere Bürgerbeteiligung etc.).

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