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Goethes Leben ist so reich dokumentiert, sein Leben so vielschichtig, dass er leicht von allen möglichen Meinungsmachern vereinnahmt werden konnte. Für die Goethe-Gesellschaft etwa, 1885 in Weimar gegründet, war er schon vor der »Machtergreifung« 1933 weniger der aufgeklärte Humanist als vielmehr der konservative Nationalist, danach transportierte sie das Bild eines betont »braunen« Goethe noch vehementer. Schließlich wurde der Olympier breitspurig für Regimezwecke eingespannt. Die Privilegien einer vorgesehenen »Weltmission«, gepaart mit zunehmenden Verstrickungen, ergeben eine spannende dramatische Kurve. …mehr

Produktbeschreibung
Goethes Leben ist so reich dokumentiert, sein Leben so vielschichtig, dass er leicht von allen möglichen Meinungsmachern vereinnahmt werden konnte. Für die Goethe-Gesellschaft etwa, 1885 in Weimar gegründet, war er schon vor der »Machtergreifung« 1933 weniger der aufgeklärte Humanist als vielmehr der konservative Nationalist, danach transportierte sie das Bild eines betont »braunen« Goethe noch vehementer. Schließlich wurde der Olympier breitspurig für Regimezwecke eingespannt. Die Privilegien einer vorgesehenen »Weltmission«, gepaart mit zunehmenden Verstrickungen, ergeben eine spannende dramatische Kurve.
Autorenporträt
Wilson, W. Daniel
Prof. Dr. W. Daniel Wilson, gebürtiger Amerikaner, ist Professor of German an der University of London. Er hat diverse Veröffentlichungen zu Goethe vorgelegt, in wissenschaftlichen Verlagen, aber auch bei dtv: 'Das Goethe-Tabu. Protest und Menschenrechte im klassischen Weimar' (1999).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.09.2018

Schamlos, schmachvoll, gierig
Erschütternde Zeugnisse: Daniel Wilson untersucht die Goethe-Gesellschaft in der Zeit des Nationalsozialismus

Als die Goethe-Gesellschaft 1985 einhundert Jahre alt wurde, gratulierten ihr Bundespräsident Richard von Weizsäcker und der Staatsratsvorsitzende der DDR Erich Honecker, und beide hoben hervor, dass sie "ein tieferes Verständnis für die Probleme unserer Zeit" befördere. Zum 133. Geburtstag zwingt sie der Londoner Literaturwissenschaftler Daniel Wilson, ihre Geschichte neu zu schreiben und sich dem Verhalten ihrer Leitung zwischen 1933 und 1945 zu stellen. Wilsons Quellenbasis ist dabei von beeindruckender Breite, er hatte Zugang zu sämtlichen einschlägigen Archiven und Nachlässen und fand die bereitwillige Unterstützung der heutigen Verantwortlichen.

Die Goethe-Gesellschaft unterschied sich in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens von anderen literarischen Vereinigungen darin, dass ihre Mitgliedschaft außer dem Bildungsbürgertum auch bedeutende Teile der herrschenden Aristokratie umfasste, auf deren Spendenbereitschaft sie angewiesen war, da sie keine staatlichen Subventionen erhielt. Der Rückgang der Mitgliederzahl in den späten Krisenjahren der Weimarer Republik nahm für die Gesellschaft bedrohliche Züge an. Das änderte sich auch nicht in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Diktatur, und es bestimmte in hohem Maße die Handlungsweisen der Leiter der Gesellschaft.

Wilson arbeitet überzeugend den antirepublikanischen, monarchistischen und reaktionären, zum Teil auch antisemitischen Geist in der Mitgliedschaft heraus. Eines der Hauptziele seines Buches ist es, den erst an den Rand gedrängten, dann verfemten und schließlich ausgeschlossenen jüdischen Mitgliedern eine Stimme zu geben. Die Auswirkungen des Antisemitismus seit der Zeit des Präsidenten Gustav Roethe, Präsident von 1922 bis 1926, und dann von 1933 an werden bei Wilson deutlich: Zwischen 1933 und 1935 verliert die Gesellschaft mehr als 20 Prozent ihrer Mitglieder; ein Teil wendet sich den Nationalsozialisten zu, ein anderer Teil, die jüdischen Mitglieder, verliert durch die diskriminierenden Gesetze und Maßnahmen der Regierung die wirtschaftliche Existenz oder geht ins Exil.

Wilson bringt dafür erschütternde briefliche Zeugnisse bei. Er sei, schrieb etwa der entlassene und in die Vereinigten Staaten emigrierte Frankfurter Literaturwissenschaftler Martin Sommerfeld an den Vorstand, aus der Goethe-Gesellschaft ausgetreten "im Zusammenhang mit der schamlosen und schmachvollen antijüdischen Hetze und der Ausnahmegesetzgebung".

Nachdem die Ortsvereinigung der Goethe-Gesellschaft in Berlin vorangegangen war, wächst auch in Weimar der Druck auf die Muttergesellschaft, Antisemiten wie Adolf Bartels, Max Wundt und den prominenten nationalsozialistischen Funktionär Hans Severus Ziegler in den Vorstand aufzunehmen. Auch von Alfred Rosenbergs Kampfbund für die deutsche Kultur kommen ständig Ansinnen in dieselbe Richtung, die aber vom Vorstand durch geschickte Hinhaltetaktik wirkungslos gemacht werden.

Nachdem das Jahr 1935 mit der Feier zum fünfzigjährigen Bestehen der Gesellschaft und einer schier unglaublichen Festansprache des Präsidenten Julius Petersen vorübergegangen war, trat 1936 bis 1938 eine Phase ein, die Wilson treffend unter die Begriffe "Anpassung" und "Stabilisierung" stellt. Die handelnden Personen erhalten von ihm mit der einzigen Ausnahme des ehemaligen Oberbürgermeisters von Weimar und Vorstandsmitglieds Martin Donndorf, der schon am 28. Oktober 1937 verstarb, sämtlich schlechte Zeugnisse. Petersen, Präsident bis 1938, attestiert Wilson "eine regelrechte Gier, sich dem Regime anzupassen" - was im Widerspruch zu dem steht, was man von Petersens Verhalten in den wissenschaftlichen Gremien in Berlin, seinem Universitätsinstitut und der Akademie der Wissenschaften, weiß.

Anton Kippenberg, Präsident von 1938 bis 1950, bekannte sich schon Mitte der zwanziger Jahre als Antisemit, freilich da noch nicht öffentlich, zumal sein Erfolgsautor Stefan Zweig jüdischer Herkunft war. In die Zeit seiner Präsidentschaft fällt der Anschluss Österreichs und das vergebliche Bemühen der Goethe-Gesellschaft, sich den Wiener Goethe-Verein einzuverleiben. An dessen leitendem Mitglied Eduard Castle biss man sich die Zähne aus. Der dunkelste Schatten aber fällt auf Hans Wahl, den in Weimar ansässigen Vizepräsidenten, Direktor des Hauses am Frauenplan, des Goethe-Nationalmuseums und zuletzt auch noch des Goethe-Schiller-Archivs, der von Weimar aus die Fäden zog und mit dem Gauleiter Fritz Sauckel umzugehen wusste.

Er sorgte dafür, dass mit Rudolf Buttmann und Ernst Schulte Strathaus zwei prominente Nationalsozialisten in den Vorstand Einzug hielten. Wahl spielte geschickt die Internationalität der Goethe-Gesellschaft aus, was der Kulturpropaganda von Goebbels entgegenkam. Buttmann behauptete nach dem Krieg sogar, Kippenberg habe ihn 1938 bewegen wollen, die Präsidentschaft zu übernehmen.

Wahl bekam 1936 auch die Zeitschrift "Goethe" in die Hand, bis 1945 das offizielle Organ der Gesellschaft. Das Regime privilegierte sie bis zum Kriegsende, bewilligte die beantragten Papiermengen und sicherte sich als Gegenleistung, dass das Blatt durch die Auswahl der Beiträger einen systemkonformen, antisemitischen, "deutschen" Goethe zurechtschliff. Es dauerte bis 2016, bis man in Weimar die Hans-Wahl-Straße umbenannte.

Während die Muttergesellschaft sich selbst gleichschaltete und 1938 die letzten verbliebenen jüdischen Mitglieder ausschloss, wussten einige der Ortsvereinigungen, die in relativer Unabhängigkeit von Weimar agierten, die verbliebenen Handlungsoptionen besser, und das heißt in einem humaneren Sinn, zu nutzen. Abgesehen von der Ortsvereinigung Dessau, die sich 1933 selbst auflöste, gilt das beispielsweise für die in Hamburg und in Dresden. Neben Martin Donndorf stehen die Hamburger Erich Grisebach und Wilhelm Flitner sowie der Dresdener Emil Menke Glückert auf Wilsons Ehrentafel. Über Wahl und Kippenberg aber heißt es eindeutig und scharf, sie räumten dem Weiterbestehen der Goethe-Gesellschaft "absoluten Vorrang vor der Menschenwürde und den Menschenrechten bedrängter Einzelner ein". Für dieses Ziel schlossen sie den "faustischen Pakt" mit dem nationalsozialistischen Regime.

CHRISTOPH PERELS.

W. Daniel Wilson: "Der Faustische Pakt". Goethe und die Goethe-Gesellschaft im Dritten Reich.

Deutscher Taschenbuchverlag, München 2018.

368 S., Abb., geb., 28,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.03.2019

Bitte melden Sie
ihren Austritt!
Ein Studie über die Goethe-Gesellschaft im NS-Staat
Die Straße, an der das Weimarer Goethe- und-Schiller-Archiv liegt, hieß bis vor kurzem Hans-Wahl-Straße. Hans Wahl, noch vom Großherzog ernannt, war Archivdirektor über vier Gesellschaftssysteme hinweg bis zu seinem Tod 1949. Außerdem war er das einflussreichste Vorstandsmitglied der Goethe-Gesellschaft und Herausgeber ihrer Zeitschrift. 2016 fasste der Weimarer Stadtrat einen Umbenennungsbeschluss. Seitdem lautet die Anschrift des Archivs wie früher: „Über dem Kegeltore“.
Es waren die historischen Arbeiten der jüngsten Zeit, die zu dem – übrigens knappen – Stadtratsbeschluss geführt haben. Wer Zweifel an seiner Richtigkeit gehabt haben sollte, kann sie nun nach Lektüre der grundlegenden Untersuchung von Daniel Wilson über die Goethe-Gesellschaft in der Zeit des Dritten Reiches fahren lassen. Auch früher schon konnte niemand die Nähe von Hans Wahl zu den Regierenden, vor allem zu den Nationalsozialisten übersehen. 1937 wurde er Mitglied der Partei. Seine Fürsprecher entschuldigten sein Verhalten als unvermeidliches Zugeständnis, um ein höheres Ziel zu erreichen: die Weimarer Goethe-Stätten und die Goethe-Gesellschaft unversehrt durch die Zeiten zu bringen. Nun wird klar, dass weder der Vizepräsident Hans Wahl noch die Präsidenten Julius Petersen und sein Nachfolger Anton Kippenberg lediglich im Sinn hatten, den humanen Goethe vor Partei und Staat in Schutz zu nehmen.
Vielmehr haben sie Goethe so tief braun eingefärbt, dass er in das Weltbild von Hitler, Heß, Goebbels und Sauckel perfekt hineinpasste. Sie präsentierten Goethe als Nationalisten, Judenfeind und Propheten der Hitlerbewegung. Der Preis war hoch: Goethe, der Humanist, wurde verraten. Die einmal aufgetragene Farbe erwies sich als schwer wieder abzukratzen.
Die Auswertung der 200 Akten der Goethe-Gesellschaft im Goethe- und-Schiller-Archiv und diverser anderer Bestände etwa in Marbach und Berlin, die Daniel Wilson als erster in diesem Umfang vorgenommen hat, zeigt, dass die Vorstandsmitglieder der Goethe-Gesellschaft ihren braun eingefärbten Goethe nicht nur nach außen vertreten haben. Ihre interne Kommunikation und ihre Korrespondenz offenbart bei allen persönlichen Unterschieden keine andere Einstellung. Allerdings waren sie geschickt darauf bedacht, sich nicht in ihre Angelegenheiten hineinreden zu lassen, und hatten durchaus ihre Kontroversen mit Vertretern des Staates oder der Partei.
So ist es der Goethe-Gesellschaft durch die Integration prominenter Nationalsozialisten in den Vorstand gelungen, die Selbständigkeit zu wahren und die Einordnung in einen größeren Verband, etwa die NS-Kulturgemeinde, zu vermeiden. Hinsichtlich der „Judenfrage“ verhielt man sich den Machthabern gegenüber weniger gefügig als vergleichbare Vereine wie etwa die Kleist-Gesellschaft. Die Goethe-Gesellschaft hatte auf Grund ihrer zahlreichen ausländischen Mitglieder eine privilegierte Stellung. Bei offenen Maßnahmen gegen Juden in ihren Reihen war ein Prestigeverlust im Ausland zu befürchten, den sowohl Regime wie Verein vermeiden wollten. Doch ging man in den Ortsvereinigungen, in denen sich ein großer Teil des Vereinslebens abspielte, manches Mal rabiater vor. So wurden in Berlin der Antiquar Fritz Homeyer, der Lehrer Kurt Levinstein, der Islamwissenschaftler Arthur Liebert und der Journalist Max Osborn aus dem dortigen Vorstand ausgeschlossen. Die Muttergesellschaft wurde erst nach den Pogromen 1938 aktiv, auf rechtlich zweifelhafter Grundlage. Man erfand eine „Ausführungsbestimmung“ zu § 5 der Satzung und bat „diejenigen unserer Mitglieder, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, uns sofort ihren Austritt zu melden“.
Immerhin zählte man Anfang 1939 noch 41 jüdische Mitglieder. Wenn die Goethe-Gesellschaft nach dem Krieg stolz darauf verwies, dass sie ihre Satzung nicht verändert habe, darf die Praxis der Ortsvereine und das satzungswidrige Verhalten ab 1938 nicht unterschlagen werden. Die Deutsche Shakespeare-Gesellschaft unternahm zum Beispiel gar nichts gegen ihre jüdischen Mitglieder.
Daniel Wilson, Germanist amerikanischer Herkunft mit Professur in London, gibt in diesen Passagen des Buches den Verfolgten eine Stimme, die ihnen in den bisherigen Darstellungen gefehlt hat. Zu seinen weiteren Verdiensten gehören die Analyse des zunächst sehr schwankenden Goethebildes der NS-Ideologen und die Einbeziehung der auswärtigen Kulturpolitik. So ist eine spannend zu lesende Darstellung entstanden, die viele neue Zusammenhänge sichtbar macht.
Und doch kann dies nicht die abschließende Studie zum Thema sein. Das kecke Urteil, dass „einiges am braunen Goethebild Hand und Fuß hatte“, Goethe also tatsächlich anti-jüdisch eingestellt war, entspringt der schon öfter erprobten Provokationslust des Autors und ist gänzlich überzogen. Aber das betrifft nicht den Kern seiner Untersuchung. Gravierender ist: Wilson interessiert sich wenig für die Motive und Handlungsspielräume seiner Protagonisten. Schnell spricht für ihn aus einem Dokument, „eine regelrechte Gier, sich dem Regime anzupassen“.
Aber statt einer moralischen Beurteilung aus sicherem historischen Abstand erführe man gern, an welcher Stelle der Handlungskette ein andere Option möglich gewesen wäre. Ein bisschen weniger Textinterpretation und ein bisschen mehr historische Konstellationsanalyse würden verstehen helfen, wie sich eine literarische Gesellschaft unter den Bedingungen einer Diktatur besser hätte bewähren können.
MICHAEL KNOCHE
Nach den Pogromen im November
1938 ging die Gesellschaft gegen
ihre jüdischen Mitglieder vor
Wilson interessiert sich wenig für
die Motive und Handlungsräume
seiner Protagonisten
W. Daniel Wilson:
Der faustische Pakt.
Goethe- und die Goethe-Gesellschaft im Dritten Reich. DTV, München 2018. 367 Seiten, 28 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Christoph Perels lernt bei W. Daniel Wilson, den reaktionären, antisemitischen Geist der Goethe-Gesellschaft zwischen 1933 und 1945 kennen. Die Quellenbasis, auf die sich Wilson stützt, wenn er einerseits nationalsozialistische Mitglieder mittels brieflicher Zeugnisse kaltstellt, andererseits bedrängten jüdischen Mitgliedern eine Stimme verleiht, findet Perels beeindruckend. Erschütternd erscheint ihm das Verhalten der Verantwortlichen von Adolf Bartels bis Hans Wahl und aufschlussreich die von Wilson herausgearbeitete Tatsache, dass es auch anders ging, in den von Weimar unabhängigen Ortsvereinigungen nämlich, wie der Rezensent erläutert.

© Perlentaucher Medien GmbH
Wilsons Monographie leistet einen bedeutsamen und nachhaltig bedenkenswerten Beitrag zur Erkenntnis literatur- und verbandspolitischer wie auch kultur- und wissenschaftsgeschichtlicher Zusammenhänge. [...] Auf umfassender Materialbasis und mit detaillierten Kenntnissen der deutschen Gesellschafts- und Kulturgeschichte im 20. Jahrhundert zeichnet er die Geschicke der namhaften Literaturgesellschaft im Spannungsfeld von organisatorischem Eigensinn und politischen Lenkungsansprüchen nach. [...] Wilson zeigt eindrucksvoll, wie wichtig der Gang in die Archive und die Erschließung bislang unveröffentlichter Materialien ist. Ralf Klausnitzer Zeitschrift für Germanistik 20190410