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Was wissen wir von den Menschen, die wir lieben?
Eine Sommernacht. Die Zwillinge Kate und Nick schlafen den unbeschwerten Schlaf der Ahnungslosen, während Paula, ihre Mutter, in einem anhaltenden, angstvollen Monolog die Geschichte der Familie heraufbeschwört. Mit dem nächsten Morgen, erfahren wir, bricht ein Tag des Gerichts an: Wenn sie sechzehn sind, so haben die Eltern beschlossen, werden die Kinder eine Wahrheit erfahren, die das Glück, die Zärtlichkeit, die Vollkommenheit ihres gemeinsamen Lebens zunichtemachen wird. Die Schatten der Nacht verwischen für Paula die Grenze zwischen…mehr

Produktbeschreibung
Was wissen wir von den Menschen, die wir lieben?
Eine Sommernacht. Die Zwillinge Kate und Nick schlafen den unbeschwerten Schlaf der Ahnungslosen, während Paula, ihre Mutter, in einem anhaltenden, angstvollen Monolog die Geschichte der Familie heraufbeschwört. Mit dem nächsten Morgen, erfahren wir, bricht ein Tag des Gerichts an: Wenn sie sechzehn sind, so haben die Eltern beschlossen, werden die Kinder eine Wahrheit erfahren, die das Glück, die Zärtlichkeit, die Vollkommenheit ihres gemeinsamen Lebens zunichtemachen wird. Die Schatten der Nacht verwischen für Paula die Grenze zwischen Furcht und Intuition, und auch als es endlich Tag wird, ist Swifts raffiniertes Spiel um Fiktion und Wahrheit noch nicht zu Ende.
Autorenporträt
Swift, Graham
Graham Swift zählt seit seinem Roman 'Wasserland' zu den Stars der britischen Gegenwartsliteratur. Für 'Letzte Runde' erhielt er 1996 den Man-Booker-Preis. Seine Werke erscheinen in über 30 Sprachen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.01.2011

Die Sehnsucht nach Sussex
In Graham Swifts Roman „Im Labyrinth der Nacht“ kann eine Mutter nicht schlafen und treibt mit ihrem Gerede den Leser in die Verzweiflung
Die Nacht ist schonungslos. In den dunklen, schlaflosen Stunden dringt nicht selten an die Oberfläche des Bewusstseins, was in der Bewältigung der täglichen Pflicht gut beiseitegeschoben werden kann. So ist es auch bei Paula, der Erzählerin von Graham Swifts neuem Roman „Im Labyrinth der Nacht“, der im englischen Original den weniger pompösen und vieldeutigen Titel „Tomorrow“ trägt. Der Engländer Swift, der für seinen Roman „Letzte Runde“ im Jahr 1996 mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde, ist ein Schriftsteller, dessen Protagonisten immer wieder in langen Schleifen das Verhältnis von Wahrheit und Wahrhaftigkeit und die Konsistenz ihrer Erinnerung überprüfen. So war es auch im vorangegangenen, grandiosen Roman „Das helle Licht des Tages“, in dem ein Privatdetektiv zum Ermittler in eigener Sache wurde.
„Im Labyrinth der Nacht“ zeigt nun im Wortsinn die Schattenseite des Erzählers Graham Swift: Kaum zu glauben, dass ein so glänzender und versierter Autor einen so misslungenen Text vorlegt. Schon die Ausgangslange ist das, was man als performativen Selbstwiderspruch oder auch als Konstruktionsfehler bezeichnen könnte: Da liegt eine Frau in ihrem Bett, neben ihr Ehemann Mike, beide um die fünfzig und nach außen hin ein Vorzeigepaar; einige Zimmer weiter die beiden Zwillinge Kate und Nick, die vor einigen Tagen sechzehn Jahre alt geworden sind. Eine Woche nach dem 16. Geburtstag, so haben Paula und Mike es vereinbart, werden sie ihren Kindern ein schreckliches Familiengeheimnis verraten. Jener Tag, der nun bevorsteht, wird, wie Paula etwa fünfzig Mal betont, alles verändern.
In diesen nächtlichen Stunden rollt Paula also noch einmal ihre und Mikes gemeinsame Geschichte auf – doch keinesfalls, wie es zu erwarten wäre, in unkontrollierbaren assoziativen Wendungen, in panischen Schüben, sondern hübsch und brav nach Themengebieten und noch dazu weitgehend chronologisch sortiert. Das hat nichts Verzweifeltes, sondern etwas geradezu Genüssliches.
Nun wäre das zwar psychologisch unglaubwürdig, aber nicht weiter schlimm, wenn der Roman nicht zu einem anschwellenden kitschigen und bedeutungsschwangeren Geraune anheben würde. Man ahnt schnell, was das Familiengeheimnis ist: Die Zwillinge sind nicht Mikes leibliche Kinder, sondern durch künstliche Befruchtung entstanden. Um das allerdings auszusprechen, braucht Swifts Erzählerin exakt 200 Seiten. Die beiden „Engel“, „Lieblinge“ und „Schätze“, an die sich der nächtliche Monolog richtet, sind um ihren Schlaf zu beneiden. Paula ist nicht nur ein überfürsorgliches Muttertier, sondern zugleich eine Pathetikerin, die besonders dann zum Schwulst neigt, wenn sie über Sexualität spricht, und darüber spricht sie bedauerlicherweise oft: Sussex, so heißt es, sei die erotischste Landschaft überhaupt, „all diese Kurven und Vertiefungen, diese kleinen, wie Schamhaar aussehenden Baumgrüppchen. (. .) Ach Mikey, dachte ich, lass mich deine South Downs sein!“
Von dem Kater, der Paulas und Mikes Sexualleben offenbar durch seine bloße Anwesenheit stimuliert, heißt es, dass er den beiden oft einfach nur wie ein Voyeur zuschaute, „obwohl er kastriert war“. Man könnte das als eine besonders skurrile Form von Humor verstehen, wäre Paulas Sermon nicht insgesamt von bedrückender Ironiefreiheit. Auch für ihre Schätze und Engel hat sie den einen oder anderen Ratschlag parat: „Das Leben ist kurz, meine Lieblinge, oder kann es sein. Ergreift es, haltet es wert, hegt und pflegt es.“ Ja, Mutter.
Nichts scheint an Swifts Roman stringent durchgearbeitet oder ausgeführt zu sein; nicht die spannungsreiche Differenz, mit der die Kunsthändlerin Paula und der Naturwissenschaftler Mike die Welt betrachten; nicht der innere Konflikt der Eltern, die ihre Kinder zur Wahrheit erziehen wollen und sie in einer entscheidenden Frage belügen. Alles wird auf- und angerissen und in langen Satzkaskaden so lange plattgeredet, bis man wieder erkenntnislos am Anfang steht. Am Ende bricht die Dämmerung ins Zimmer, draußen singt ein Vogel, ansonsten herrscht Ruhe. Endlich.
CHRISTOPH SCHRÖDER
GRAHAM SWIFT: Im Labyrinth der Nacht. Roman. Aus dem Englischen von Barbara Rojahn-Deyk. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2011. 318 Seiten, 14,90 Euro.
„Das Leben ist kurz, meine
Lieblinge. Ergreift es, haltet
es wert, hegt und pflegt es“
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2011

Auf einer endlos langen Reise durch die Nacht

Wie soll man den Kindern von dem anderen Mann erzählen? Der Engländer Graham Swift begibt sich in die Gedankenwelt einer Frau, die vor einer delikaten Aufgabe steht.

Was zeichnet einen großen Schriftsteller aus? Das Anspruchsvolle seiner Kunst hat auch das Ansprechende zu sein. Und dies sollte der Dichter in einem neuen Werk so zur Geltung bringen können, dass er keinesfalls als tumber Wiederholungstäter dasteht. Graham Swift, 1949 in London geboren, ist ein Künstler dieser seltenen Spezies. Der Verfasser von zwei Erzählbänden und zehn Romanen gehört zu den wichtigsten Autoren der Nachkriegsgeneration seines Landes. Im Zentrum seiner Prosa steht häufig eine Person in einem krisenhaften Moment. Die Handlung ist ereignisarm, der oft mittelalte und aus der englischen Mittelklasse stammende Held sucht nach einer Wahrheit, die sich im intensiven selbsttherapeutischen Nachdenken über die Vergangenheit ergibt. Am Ende der inneren Monologe ist das Gesamtbild der Figur plausibel. Dabei ist der Leser erstaunt darüber, wie es gelingt, die im Grunde alltäglichen inneren Kämpfe eines unauffälligen Bürgers als beachtliche Taten erscheinen zu lassen, die von der Umwelt bis dato nur noch nicht wahrgenommen wurden. Als Gewinner gehen sowohl der Protagonist als auch der Bücherfreund vom Feld; beide sind nun reicher an Erlebnissen, Erfahrungen und Erkenntnissen.

Obschon alle Betrachtungen auf eine umstürzende Enthüllung zusteuern, sind die kleinen Geheimnisse interessanter, die en passant gelüftet werden. In den anbrandenden Wellen des Gestern drohen die Grübelnden und Berichtenden zu ertrinken; ihr Strohhalm ist die Hoffnung, dass die Lebensbeichte, die meist eine fatale Selbstgerechtigkeit entblößt, die Zukunft positiv beeinflusst. Im Dasein der Memorierenden und Meditierenden verstreicht nur wenig Zeit. Der Adressat der atmosphärisch dichten, im Plauderton vorgetragenen Äußerungen ist abwesend; ihn vertritt der Leser, der insgeheim der Maxime des Romanciers zustimmt: "Das Erzählen hält sich nicht an Fakten und ist doch kein Betrug."

Die Cleverness des in Cambridge geschulten Literaturwissenschaftlers Graham Swift liegt darin, seine erzählerischen Instrumente nie alle gleichzeitig, als dröhnendes Orchester einzusetzen, sondern sie einzeln erklingen zu lassen. So fällt beispielsweise die schwierige Lage des Archivassistenten Prentis im Roman "Alias Federball" (1983) auf. So sticht im Roman "Ein ernstes Leben" (1986) die revuehafte Art heraus, in der Willy Chapman, ein Süßwarenhändler, seinen letzten Tag passieren lässt. So sind die frappierenden Bekenntnisse des Geschichtslehrers Tom Crick im Roman "Wasserland" (1984) wie ein Winseln, das das Unvermeidbare vermeiden helfen soll. So drängen sich im Roman "Letzte Runde" (1997) die peu à peu durchschaubar werdenden Rätsel nach vorn, die sich um den Metzger Jack Dodd ranken. Und so bleibt vom Roman "Das helle Licht des Tages" (2003) vor allem das gedankliche Ringen des Privatdetektivs George Webb im Gedächtnis.

Von dem nun auf Deutsch erschienenen Roman "Im Labyrinth der Nacht" wird man sich vermutlich vor allem an den Bewusstseinsstrom der Protagonistin Paula Hook erinnern. Die neunundvierzig Jahre alte Frau liegt im Bett und denkt an ein Ereignis, dessen Eintreten sie für den nächsten Tag erwartet. Wir schreiben das Jahr 1995. Paula ist eine angesehene Kunsthändlerin und lebt mit ihrem Mann Mike, einem gutsituierten Zeitschriftenverleger sowie ihren zwei Kindern in London. Die von ihr geschilderten Begebenheiten, Gefühle, Eindrücke und Ansichten wenden sich an ihre momentan schlafenden, sechzehn Jahre alten Zwillinge Nick und Kate: Am nächsten Tag sollen die beiden mehr erfahren über ein offenbar erschreckendes Detail, das ihre Herkunft betrifft.

Zuvor jedoch geht es um menschlich-allzumenschliche Vorkommnisse im Leben von Paula und ihrer Familie, die der Autor Swift in schöner Schlichtheit beschreibt: wie zum Beispiel Paula, als sie noch ein Kind war, ihrem Vater, einem Obersten Richter, heimlich bei der Arbeit zuschaute; wie eine Katze ein Liebespaar zu Sex inspiriert; wie jemand fremdgehen muss, um die Liebe zu seinem Partner zu erproben; und wie ein "Lied über Kummer und Herzleid und Trennung" zwei Menschen an ihr Glück und ihre Zusammengehörigkeit erinnert. Vor allem in diesen Momenten wird der von Barbara Rojahn-Deyk einfühlsam ins Deutsche übersetzte Roman zu einem Buch, das man nur ungern aus der Hand legt.

Die Prosa von Graham Swift enthält viele feinsinnige Beobachtungen über die Widersprüchlichkeit der Conditio humana. "Im Labyrinth der Nacht" erweist er sich dabei abermals als Meister der Empathie. Wie kann sich jemand von einer Person angezogen fühlen, die im Umgang die Grenzen des guten Benehmens überschreitet? Wie soll es ohne viele Worte einleuchten, dass eine Mutter über ihre geliebten Kinder denkt: "Ihr seid ein Wunder, ihr seid eine Freude, ihr seid eine Qual"? All dies ist möglich, weil der Autor seiner Haltung folgt, am besten nur über das zu schreiben, was er nicht kennt, um der Phantasie genug Raum zu geben.

Wie bei manch anderen früheren Veröffentlichungen Swifts hat die angelsächsische Kritik auch auf diesen Roman reserviert reagiert. Es scheine bizarr, dass eine Frau trotz enger Beziehung zu ihrem Nachwuchs fürchte, eine überraschende Mitteilung könne in ein familiäres Desaster führen. Es sei unglaubhaft, dass eine Mutter ihren Kindern von einem Ehebruch minutiös erzähle. Und es zeuge von einer übermäßig kontrollierten Erzählweise des Autors, dass er seine Heldin Paula erst nach langem Anlauf zum Kern ihres Anliegens vordringen lasse. Doch wer derart argumentiert, hat wenig verstanden. Allein ein poetischer Riese stellt das vermeintlich Unlogische als das einzig und nachvollziehbar Logische dar. In seinem Roman "Im Labyrinth der Nacht" zeigt sich Graham Swift auf der Höhe seines Schaffens.

THOMAS LEUCHTENMÜLLER

Graham Swift: "Im Labyrinth der Nacht". Roman.

Aus dem Englischen von Barbara Rojahn-Deyk. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2011. 318 S., br., 14,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Missmutig, erschöpft und enttäuscht hat sich Christoph Schröder durch diesen Roman gekämpft, und er kann kaum glauben, dass der von ihm so geschätzte und für seinen Roman "Letzte Runde" mit dem Booker Prize ausgezeichnete Graham Swift so gründlich daneben gegriffen hat. Schon die Konstruktion hat in seinen Augen einen entscheidenden Webfehler. Die 50-jährige Paula, liegt schlaflos neben ihrem Mann im Bett und grübelt über das große Familiengeheimnis nach, das sie ihren Zwillingen am nächsten Tag eröffnen muss. Sie tut dies allerdings so bieder chronologisch, zudem so pathetisch, kitschig und bedauerlicherweise vollkommen ironiefrei, dass es für den Rezensenten kaum auszuhalten ist. Besonders quälend waren für Schröder ganz offensichtlich die Passagen, in denen Paula von Sexualität spricht, weil hier der "Schwulst" seine etwas albernen Blüten treibt, wie er anhand eines Zitats eindrücklich belegt. Ein Aufatmen gibt es deshalb für den Rezensenten erst, als bei Paula der Morgen graut, und er das Buch zuklappen kann: "Endlich".

© Perlentaucher Medien GmbH
»Ein einziger langer Monolog ist Graham Swifts gelungener neuer Roman 'Im Labyrinth der Nacht'.« -- Knut Cordsen, Deutschlandradio Kultur, Radiofeuilleton

»Dem britischen Autor ist ein faszinierendes psychologisches Kammerspiel gelungen.« Westdeutsche Zeitung »Ungewöhnlich und gelungen.« -- Katharina Erlenwein, Nürnberger Zeitung

»Spannend bis zum Schluss beeindruckt das Buch auch durch eine klare Sprache und überaus kluge Erzählweise.« -- Kieler Nachrichten
Ein langsames Buch, ein intimes Buch über eine Familie und Elternschaft, über Abgründe und tiefe Liebe.
Caroline Strang Märkische Oderzeitung 20110420