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"Verdammt!" brachte Pater Gerasimo hervor. "Der Jüngste Tag ist gekommen." Als das kleine namenlose griechische Dorf, in dem diese neunzehn miteinander verknüpften Geschichten spielen, von einem Erdbeben heimgesucht wird, ist dies für den verzweifelten Pater der unwiderlegbare Beweis für den himmlischen Zorn, der angesichts der vielen kleinen und großen Sünden seiner gottlosen Schäfchen nun auf sie alle herabkommt.
Das Leben auf dem Land aber ist hart, für Mensch und Tier, und vom Bahnwärter über den Bürgermeister bis hin zum Barbier oder zur Hure: keiner bleibt von den Katastrophen der
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Produktbeschreibung
"Verdammt!" brachte Pater Gerasimo hervor. "Der Jüngste Tag ist gekommen." Als das kleine namenlose griechische Dorf, in dem diese neunzehn miteinander verknüpften Geschichten spielen, von einem Erdbeben heimgesucht wird, ist dies für den verzweifelten Pater der unwiderlegbare Beweis für den himmlischen Zorn, der angesichts der vielen kleinen und großen Sünden seiner gottlosen Schäfchen nun auf sie alle herabkommt.

Das Leben auf dem Land aber ist hart, für Mensch und Tier, und vom Bahnwärter über den Bürgermeister bis hin zum Barbier oder zur Hure: keiner bleibt von den Katastrophen der verschiedensten Art verschont. Da bleibt die ein oder andere Schandtat nicht aus, ob nun aus Habgier oder Liebe begangen. Von Zeit zu Zeit kommen auch Besucher in das dem Untergang geweihte Dorf am Ende der Welt: ein König im Exil, ein Bischof, der vorgibt, Wunder bewirken zu können, ein Zigeunerzirkus mit einem Zentaur, eine exotische Vogelhändlerin, Sänger, Gewichtheber und handelsreisende Gauner.

Und am Ende ist es nicht der göttliche Zorn, der die Zerstörung bringt, sondern, wie so häufig, der Mensch höchstselbst ...
Autorenporträt
Panos Karnezis, geboren 1967 in Griechenland, zog 1992 nach England und studierte zunächst Ingenieurwesen und im Anschluss Creative Writing an der Unsiversität of East Anglia. Er lebt in Oxford.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2004

Don Camillo in Dogville
Besuch bei Verdammten: Das Erzähldebüt von Panos Karnezis

Im wohl geschichtsmächtigsten Epos über Aufstieg und Fall der Stadt Babylon treten zwei Staaten gegeneinander an. Nehmt und konvertiert, donnert der Schlachtruf der Gottesstaatler dem sündigen Volk entgegen. Wen aber reizte schon die geheiligte Langeweile der Civitas Dei, wenn es auch das mit Lebenssaft durchtränkte Rom sein dürfte? Augustinus' zur Abschreckung gedachte Schilderung gerät denn auch neben aller Umkehrrhetorik zum schrecklich-schönen Panorama des brodelnden Imperiums, in dem die Masse der Verdammten von Rausch zu Rausch taumelt, von der Liebe durch Passion zur Gewalt.

In seinem Zyklus aus neunzehn Erzählungen hat nun der junge griechische Autor Panos Karnezis, der in Oxford lebt, die Verdammten erneut aufgesucht. Nicht Rom, Athen oder London, sondern ein namenloses griechisches Dorf ist der Schauplatz für seine "Kleinen Gemeinheiten". Klein aber sind die mitunter burlesken Verfehlungen der Dörfler allenfalls im Blick auf die dräuende Apokalypse, denn nicht allein Betrug und Erniedrigung ziehen sich leitmotivisch durch die kunstvoll verwobenen Geschichten, sondern ebenso Bluttat und Blutgericht. Mord ist hier nicht einmal die ärgste der Sünden. Entsprechend drakonisch die selbsterdachten Strafen: Ein Mann läuft vor aller Augen mit aufgeschlitztem Magen über den Dorfplatz, bis er seine Gedärme nicht mehr halten kann, ein anderer wird öffentlich von einem Wolf zerfleischt. Doch flimmert zwischen den Schatten immer wieder Licht hindurch, geradezu liebenswürdig wirkt der permanent schlafende Bahnwärter oder der Wal, der körpergewaltige Caféinhaber. Auch die übrigen Bewohner sind bösartig aus Prinzip, aber jenseits dieser allgemeinen Verworfenheit die freundlichsten Gesellen, wenngleich stur wie die Maultiere.

Hemmungslos auch im Enthusiasmus, schnappen sie beim kleinsten Fingerzeig des Schicksals gleich nach der ganzen Hand, die jedoch unermüdlich zum Schlag ausholt. Kaum kann Homer, der Papagei, die Klassiker herzitieren, wird er von seinem Erzieher auch schon zum Poeten getrimmt. Die vorprogrammierte Ernüchterung findet in diesem Fall ihr realmedizinisches Pendant, denn des Vogels Reimerei geschah, wie sich herausstellt, im Drogenrausch: "Die Hanfsamen waren schuld." Daß das Dorf dem Untergang geweiht ist, weiß Pater Gerasimo - die Ankerfigur im nach und nach auftretenden Abderiten-Ensemble - schon aus Profession.

Tatsächlich hebt das Buch fulminant an mit einem doppelten Steinbegräbnis. Ein Erdbeben, das manches Oikos zusammenpoltern läßt - "Der jüngste Tag ist gekommen!" -, reißt auch die heilige Friedhofserde auf und spült nicht nur die Skelette der Vorfahren aus dem Kröpfchen, sondern zudem einen steingefüllten Sarg an die Oberfläche. Der Pater wittert zu Recht eine moralische Ungeheuerlichkeit, die sich, kaum sind die anstößigen Steine ins Rollen gebracht, bald zur Lawine steigert. Begraben hatte man den ominösen Sarg an der Stelle zweier Mädchen, die wie Tiere gehalten und zu aller Belustigung mit der Gerte zu Kunststücken erzogen worden waren, bis auch ihnen der Tag der Rache aufging.

Dem Raum wie der Zeit scheint Karnezis' Testgelände für negative Utopien auf eigentümliche Art enthoben. Dieser Eigenkosmos, der zugleich an Don Camillo und Peppone wie an Lars von Triers Dogville erinnert, unterhält keine Beziehungen zur Außenwelt. Uhren werden nach Gutdünken vorgestellt, die Epochen durchdringen sich: Obwohl Leben und Technik dem Stand von 1900 entsprechen, scheinen Fernsehen und reger Busverkehr damit genauso vereinbar wie die absolutistische Herrschaftsweise des Landbesitzers. Es ist nur konsequent, daß sogar die Grenze zum Tod durchlässig ist. Der Zimmermann Jeremias scheidet in der Rentenstelle, die Frau des Landbesitzers im Garten dahin, während sie ihre Posen beibehalten. Am Ende schließlich holt das Dorf sein wohlverdientes Telos ein, wobei die hereinbrechende Sintflut so wenig Teufels- wie Gotteswerk ist. Der einsam aufragende Glockenturm besieht sich das angerichtete Desaster: Atlantis hat es nicht besser verdient.

Der komplexen Anlage des Episodenromans mag die Ingenieurausbildung Karnezis' zugute gekommen sein. Der originelle Stil - von Sky Nonhoff kongenial aus dem Englischen übertragen - ist dabei auf subtile Weise wundervoll komisch. In "Deus ex machina" entpuppt sich der Maschinengott als ein Pferd namens Geschichte, genauer: eine pensionierte Rennstute, welche die geschichtslose Gemeinde, einem goldenen Kalb gleich, in gebührende Verzückung versetzt. Karnezis' Meisterschaft zeigt sich in ruhigen, fast beiläufigen Sätzen wie diesem: "Der Lexikonverkäufer verglich ihre Mähne mit den Fransen am Samtvorhang des Nationaltheaters, doch niemand wußte den Vergleich zu würdigen, da keiner der Dorfbewohner je in der Hauptstadt gewesen war."

Obwohl durchweg der hohe, leicht antiquierte Ton vorherrscht, scheut der Autor so wenig wie der Priester die Stimme des Bauern, wenn etwa dem tumben Isidoro erklärt werden muß, "daß die Pforten des Paradieses für ihn so verschlossen bleiben würden wie ein verstopfter Arsch, wenn er nicht endlich Demut und Dankbarkeit zeigte". Nie aber obsiegt in diesen Erzählungen das Klischee oder die Grobianik, das Mokante oder das Märchenmotiv. Alle Pointen auf die feine griechisch-englische Art liegen im freilich weit ausgeschrittenen Kreis des Möglichen. Mit einem Wort: Dieses babylonische Debüt vor den Pforten des Paradieses steht seiner literarischen Tradition in nichts nach.

OLIVER JUNGEN

Panos Karnezis: "Kleine Gemeinheiten". Aus dem Englischen übersetzt von Sky Nonhoff. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004. 278 S., br., 16,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für den Rezensenten Oliver Jungen gibt es klare Parallelen zwischen Augustinus' Schilderung des Untergangs von Babylon und der neuen Erzählsammlung des Griechen Panos Karnezis. Nur dass die "Verdammten" in Karnezis neunzehn Erzählungen in einem abgeschiedenen Dorf in Griechenland ihr Unwesen treiben. Vom "fulminanten" Anfang an hat Jungen die "burlesken Verfehlungen der Dörfler" mit großem Vergnügen verfolgt. Und dass das Dorf zuletzt in die selbstverschuldete Katastrophe schlittert, findet seinen besonderen Gefallen: "Atlantis hat es nicht besser verdient." Ausdrücklich lobt er auch den Übersetzer Sky Nonhoff, der Karnezis' "originellen Stil" geradezu "kongenial" übertragen habe.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Dieses von Liebe, Verlust und den Schandtaten der Bewohner eines verarmten griechischen Dorfes handelnde Buch ist schlicht und ergreifend wunderbar. Ein bisschen Fellini, ein wenig Márquez, aber ganz und gar originell - Karnezis' Sprache ist frisch, lyrisch, natürlich und entführt uns auf magische Weise in eine gespenstisch anmutende Welt. (The New York Times Book Review)

"Sehr fein und sehr wahr: Karnezis haucht der traditionellen griechischen Gesellschaft frischen Atem ein, ohne sich über sie lustig zu machen oder sie heilig zu sprechen (und erinnert daher an Louis de Bernières' 'Captain Corellis Mandoline'.)" (Kirkus Review)

"Für mich ist diese Sammlung miteinander verbundener Erzählungen, die alle in einem rückständigen, vom Unglück heimgesuchten griechischen Dorf spielen, das am Ende von der Landkarte verschwindet - kartographisch wie wörtlich - die literarische Entdeckung des Jahres." (The Guardian)

"Die beeindruckend originellen Erzählungen in 'Kleine Gemeinheiten' desin Griechenland geborenen Autors Panos Karnezis entwickeln sich im Verlauf der Lektüre zu einer bestechenden Gesamtheit. Angesiedelt in einem namenlosen griechischen Dorf sind sie zunächst bös-komische Momente gesellschaftlichen Unbehagens à la Maupassant oder den 'Dubliners' von James Joyce, dann allerdings werden sie zunehmend düsterer. (...) Die Geschichten in 'Kleine Gemeinheiten' sind außergewöhnlich - schockierend, farbenfroh und klangvoll. Panos Karnezis ist ein im höchsten Maße individueller Autor und er beherrscht sein Handwerk voll und ganz." (The Sunday Times)…mehr