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»Ein ergreifendes Dokument jüdischen Lebens.« 'Deutsche Welle'
Eine Kindheit im Milieu der jüdischen Orthodoxie - Chaim Be 'ers einmaliges literarisches Zeugnis
Mea Sche 'arim, das Viertel der ultraorthodoxen Juden im Jerusalem der fünfziger und sechziger Jahre. Es ist eine einzigartige Welt voll biblischer Mythen und Familienlegenden, religiöser Riten und privater Rituale, in die Chaim Rachlevski hineingeboren wird. Doch die Selbstverständlichkeit, mit der hier seit vielen Generationen der Alltag als täglicher Gottesdienst gestaltet wird, muß sich neuen Fragen, Zweifeln und…mehr

Produktbeschreibung
»Ein ergreifendes Dokument jüdischen Lebens.«
'Deutsche Welle'

Eine Kindheit im Milieu der jüdischen Orthodoxie - Chaim Be 'ers einmaliges literarisches Zeugnis

Mea Sche 'arim, das Viertel der ultraorthodoxen Juden im Jerusalem der fünfziger und sechziger Jahre. Es ist eine einzigartige Welt voll biblischer Mythen und Familienlegenden, religiöser Riten und privater Rituale, in die Chaim Rachlevski hineingeboren wird. Doch die Selbstverständlichkeit, mit der hier seit vielen Generationen der Alltag als täglicher Gottesdienst gestaltet wird, muß sich neuen Fragen, Zweifeln und Ablösungsprozessen stellen. Zwar nahezu unberührt von der Aufbruchstimmung im jungen Staat Israel, gerät die innere Architektur der Personen des Romans dennoch aus den Fugen, da ihnen die reine Selbstdefinition über die Vergangenheit nicht mehr genügt, sie aber noch keinen adäquaten Platz in der veränderten Gegenwart gefunden haben.

In der Familie des Erzählers - Großmutter, Vater und Mutter - gehen alle auf ihre Weise mit dem engen Rahmen der Orthodoxie um. Ganz verlassen kann ihn keiner. Selbst die tiefgläubige Großmutter, die als Einzige mit jener alten Welt fest verwachsen ist, setzt sich über die Tradition hinweg, als sie sich nach dem Tod ihres Mannes selbst Lesen und Schreiben beibringt. Von nun an reichert sie ihre farbenreichen Geschichten von Herkunft und Ewigkeit um all das an, was sie aus den bisher als »weltlich« geschmähten Romanen, Sachbüchern und Zeitungen aufsaugt.

Im Rückblick beginnt der Erzähler das brüchige Verhältnis der Eltern zu einer alles beherrschenden Tradition zu verstehen. Er nähert sich innerlich dem Vater an, der nicht an Gott glaubte und doch mit Inbrunst die Vorschriften befolgte, um ein zaddik , ein Gerechter, zu werden, gegen die der Jugendliche Chaim rebellierte. Die Mutter dagegen führte mit der ihr eigenen schonungslosen Rationalität eine Privatfehde gegen den Glauben und Aberglauben ihrer Umwelt, ohne sich ganz von ihr lösen zu können. Vor allem der Großmutter und der Mutter fühlt sich das Kind verbunden - auch das Teil der Tragödie der elterlichen Ehe. Es ist die Großmutter,die den kleinen Chaim mit ihren Erzählungen in den Bann schlägt und ihn zum Chronisten der Familiengeschichte bestimmt.

Jahrzehnte später wird er als der Schriftsteller Chaim Be 'er von dieser mitunter archaisch anmutenden fremden Welt erzählen, schon lange dieser Sphäre entflohen und sie sich nun doch wieder gegenwärtig schreibend. In seinem Schreiben muß er nach und nach die gegensätzlichen »Erbschaften« integrieren: die fabulierende Erzählfreude der Großmutter und den Willen zur Unbestechlichkeit der Mutter. Er, der sich am weitesten von seinem Ursprung entfernt hat, befreit sich nun in der Erinnerung von weiteren Stricken: der einstigen naiven Parteinahme des Herzens, die einem Spannungsverhältnis von Sympathie und Distanz weicht.

Chaim Be 'er beschreibt in seinem autobiografischen Roman ein kompliziertes Geflecht menschlicher Beziehungen in einer Gesellschaft strikter Regeln, die in unserem Kulturkreis noch weitgehend unbekannt ist. Nie zuvor wurde das chassidisch-orthodoxe Milieu in einem Roman von einem Autor geschildert, der ihm selbst entstammt. Die atmosphärische Dichte des in Israel viel beachteten Romans entspringt der Meisterschaft, mit der der Autor eindringliche Bilder und komische Szenen, Gerüche, Schönheiten und Seelenqualen der Vergangenheit in der Erinnerung aufsteigen läßt und zu einer Geschichte formt.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.10.2000

Wie man ein Genie füttert
Aus der Verwandtschaft: Chaim Be'er knotet Stricke, bis sie halten

Langsam legt das Schifflein dieser Erzählung ab, aber bald entfaltet es seine prächtigen Segel und behält seinen großen Wind bis zum Ende. Zunächst fragt man sich, warum der Verfasser eine offenkundige Autobiographie, in der noch lebende Schriftsteller vorkommen, zum Beispiel F. C. Delius, einen Roman genannt hat. Noch ehe hundert Seiten vorbei sind, wird die Erklärung geliefert: Der Schriftsteller, heißt es, ist, auch wenn das Leben ihn inspiriert, nicht an die Wahrheit und das, was geschieht, gebunden, sondern allein der Genauigkeit verpflichtet. Der Wunsch nach einer beschränkten, rein formalen Wahrheit sei für einen zur Obsessivität neigenden Autor gefährlich, denn er könne dazu verleiten, der Wirklichkeit die Gesetze der Vollständigkeit aufzuzwingen.

Diese weisen Worte äußert nicht der Erzähler, sondern seine Mutter. Diese Mutter, die in einer ersten Ehe zwei Kinder verloren hat und eine Neigung zur Literatur verspürt, will mit ihrem spätgeborenen Sohn einen Dichter aufziehen. Der Text ist durchzogen von ihren Anmerkungen zum dichterischen Schaffensprozeß und zur Ethik des Schriftstellers. Wollte man die Fragmente ihrer Einsichten zusammenfügen, hätte man einen ernstzunehmenden Leitfaden des professionellen Schreibens vor sich.

Aber gilt er auch für ihren noch anderen Einflüssen ausgesetzten Sohn? Der rationalen, einer antireligiösen Aufklärung untertanen, jeder Orthodoxie abholden Mutter steht eine dem jüdischen Glauben und Aberglauben ergebene Großmutter gegenüber. Auch sie nährt das werdende Genie des Jungen mit jüdischen Legenden und der Geschichte ihrer rabbinischen Vorfahren. Doch auf den Kontrast der gefühlsbetonten Rückschau in die Vergangenheit der Großmutter und dem aufklärerischen Zukunftsdenken der Mutter lassen sich diese Gestalten nicht festlegen. Alle philosophischen Ausrichtungen werden mit einem Blick in ihre psychische Genese bereichert und relativiert. Dennoch ist es klar, daß das Verdikt der Mutter, gute Dichtung habe "ehrlich und liebevoll" zu sein, dem Sohn in die Seele dringt und in seiner Widersprüchlichkeit die Grundspannung seines Schaffens bildet.

Dann ist da noch der Vater und das Geschäft mitsamt der ökonomischen Lage der Familie, ein Onkel und die Tanten, eine Umwelt, in der und von der sie leben, und eine Fülle von Nebenfiguren, die mit ihren Schicksalen, Eigenheiten, Beschäftigungen, Launen, Herkünften und Interaktionen das dichte Mosaikporträt eines Jerusalemer Stadtviertels und indirekt eine Dimension des künftigen Staates Israel ergeben. Nichts entgeht der unersättlichen Beobachtungsgabe des Knaben und des späteren Chronisten. Am Ende ist der Leser so vertraut mit diesem Vater und dieser Mutter, daß er ihr Sterben mit Bedauern und ihren Tod mit Trauer miterlebt.

Zu den Eigentümlichkeiten dieser Autobiographie gehört auch, daß das Ich auf lange Strecken nicht eigentlich agiert, sondern nur das Wahrnehmungszentrum bildet, in dem die Fäden zusammenlaufen. Die Familie, die der erwachsene Autor selbst gründet, bleibt völlig im Schatten. Erst im letzten Viertel kommt auch seine Psyche zur Entfaltung, und an dieser Stelle setzt ein köstlicher selbstironischer Humor ein, der die ersten Publikationsmißerfolge des ehrgeizigen Dichterjünglings aus der Perspektive des reifen Schriftstellers begleitet. Wieder einmal erweist sich die Einsicht als richtig, daß die genaue Kenntnis eines bestimmten lokalen Milieus und die Fähigkeit, es in seiner Vielfalt schriftstellerisch zu erfassen, universalen Charakter hat. Ein solches Milieu ist mitnichten provinziell, sondern Vorbedingung für das Aufleuchten einer allenthalben gleichbleibenden Humanität. Und so kommt es, daß der Leser, ganz gleich welcher Herkunft, diese essentiell jüdische Geschichte als seine eigene erlebt, als Meisterwerk einer Erzählkunst, die ihn selbst zutiefst berührt.

EGON SCHWARZ

Chaim Be'er: "Stricke". Roman. Aus dem Hebräischen übersetzt von Anne Birkenhauer. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2000. 380 S., br., 38,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Die Farbigkeit des Lebens kommt noch in der Übersetzung von Anne Birkenhauer kraftvoll zum Ausdruck. Was man sich in Unkenntnis des Hebräischen dazudenken muss, ist die Musik: 'die verborgene Melodie dieser Worte', in der wohl erst voll die Vielsprachigkeit - und Mehrstimmigkeit - dieser zugleich als Wagnis und als Akt der Treue gelebten Welt erkennbar wird."'Neue Zürcher Zeitung'

"Und so kommt es, daß der Leser, ganz gleich welcher Herkunft, diese essentiell jüdische Geschichte als seine eigene erlebt, als Meisterwerk einer Erzählkunst, die ihn selbst zutiefst berührt."'Frankfurter Allgemeine Zeitung'

"Das Buch besticht nicht nur durch die Evozierung einer vergangenen Atmosphäre und den zugleich kritischen Blick, sondern auch durch die 'mäandernde' Schreibweise, die Erinnerung zu rekonstruieren versucht."'Buchhändler heute'

"Chaim Be'ers 'Stricke' lässt den Leser wahrhaftig teilhaben an einem künstlerischen Schöpfungsprozess: man ist gefangen, fasziniert, identifiziert, ja beglückt ... vor allem die aufregenden Beschreibungen seiner Charaktere, auch der marginalen, begründen Be'ers enormen Erfolg." Yoram Meltzer in 'Maariv'

"Die Art seines Erzählens beweist aufs Neue, dass Be'er ein geborener Geschichtenerzähler ist, seine Geschichten entwickeln sich fließend, ohne intellektuelle Prätention, doch so fein gesponnen, daß nicht ein einziger grober Faden im Gewebe des Erzählten bleibt ... Besonders hervorzuheben ist auch seine Sprache, die sich mühelos aus alten und neuen Quellen speist, und dabei auf subtile Weise parodistische Elemente integriert." Yosef Oren in 'Moznaim'

"Nach der langen Hungerperiode, die die hebräische Gegenwartsliteratur uns in den letzten Jahren auferlegt hat, verschlingt der Leser gierig Chaim Be'ers 'Stricke'. Man muss sich in seine Sprache verlieben, so vielfältig und reich, die Charaktere so lebendig und differenziert ... Und noch etwas: er (Be'er) ist einer der ganz wenigen Autoren, in denen die verschiedenen Schichten jüdischer Kultur und Tradition sich gründlich assimilierten an die bedeutenden Traditionen der Weltliteratur, und das Ganze in einem Buch!" Sapir Barmi in 'Makor Rishon'

"Wir können Be'er nur mit einem vergleichen - mit S. J. Agnon." Gershon Shaked
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ziemlich angetan ist Elenore Frey von diesem Roman. Das Motiv - die Schwierigkeit, ein stabiles Zuhause mit den "Bemühen um Tradition und Zukunft" in Einklang zu bringen - zieht sich nach Freys Einschätzung in verschiedenen Variationen durch den ganzen Roman. Der Protagonist beschreibt dieses Bemühen in drei Teilen am Beispiel seines Werdegangs und am Beispiel seiner Mutter und Großmutter. Dabei schafft er es, "statt einer fest umrissenen Gestalt einen wahren Wirbelsturm wechselnder Erscheinungen durch die bildhaft einprägsame Welt des Romanes zu führen". Was Be`er da erzählt, lässt sich in den Augen des Rezensenten auch auf die allgemeinere Ebene der Geschichte Israels übertragen. Frey lobt auch die Arbeit der Übersetzerin Anne Birkenhauer, der es gelungen sei, Be`ers Fähigkeit "beim Schreiben die `Farbe des Lebens selber` einzufangen", ins Deutsche zu übertragen.

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