Marktplatzangebote
3 Angebote ab € 12,00 €
  • Gebundenes Buch

Drei kunstvoll verwobene Geschichten über drei Frauen, einsam und auf der Suche nach sich selbst. Ihre Lebenswege treffen sich an einzelnen Punkten, und subtil fügt sich das Porträt einer Gesellschaft und einer Region im südwestlichen Polen an der Grenze zu Tschechien. Es geht um Ida Marzec, die nach langer Zeit hierher zurückkehrt, wo sie niemand Vertrauten mehr antrifft und schließlich Zuflucht bei einem alten Ehepaar findet, das voller Erinnerungen an ihre Familie steckt. Es geht um Idas Mutter, die alte Paraskewia, die mit ihrer Ziege Tekla zurückgezogen in den Bergen lebt. Und schließlich…mehr

Produktbeschreibung
Drei kunstvoll verwobene Geschichten über drei Frauen, einsam und auf der Suche nach sich selbst. Ihre Lebenswege treffen sich an einzelnen Punkten, und subtil fügt sich das Porträt einer Gesellschaft und einer Region im südwestlichen Polen an der Grenze zu Tschechien. Es geht um Ida Marzec, die nach langer Zeit hierher zurückkehrt, wo sie niemand Vertrauten mehr antrifft und schließlich Zuflucht bei einem alten Ehepaar findet, das voller Erinnerungen an ihre Familie steckt. Es geht um Idas Mutter, die alte Paraskewia, die mit ihrer Ziege Tekla zurückgezogen in den Bergen lebt. Und schließlich um Maja, Idas Tochter und Pareskewias Enkeltochter, die durch Asien reist und auf einer Insel in einem amerikanischen Zauberkünstler ihren verschwundenen Vater zu erkennen glaubt.
Autorenporträt
Olga Tokarczuk, geboren 1962, studierte Psychologie in Warschau und gilt als eine der interessantesten polnischen Autorinnen. Ihre Bücher wurden bereits mehrfach mit Preisen bedacht und sind bei Kritikern wie Lesern gleichermaßen erfolgreich. 2008 wurde Olga Tokarczuk mit dem Samuel-Bogumil-Linde-Preis für Literatur ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.09.2006

Todesfuge für drei Stimmen
Alles fließt: Olga Tokarczuks Roman "Letzte Geschichten"

"Eine Sache beschäftigt mich sehr: wann beginnt ein Mensch zu sterben? Es muß so einen Augenblick im Leben geben, wahrscheinlich ist er kurz und unauffällig, aber geben muß es ihn." Paraskewia, eine der drei Hauptfiguren in Olga Tokarczuks neuem Roman, möchte diesen Ausgangspunkt des Sterbens, den Moment, in dem "der Abrutsch" beginnt, festhalten. Und sie hat allen Grund dazu, denn soeben ist ihr Mann gestorben. Die beiden haben in einem allein stehenden Haus, hoch oben auf einem Berg, gelebt, also schreibt sie die Neuigkeit in großen Lettern in den Schnee, damit die Menschen im Dorf sie erfahren: "Petro ist tot."

Sie selbst legt sich wie gewohnt schlafen, denn es ist Sonntag abend, und sie weiß, daß sie "weder ihn wiederbeleben noch selbst sterben kann", der Schlaf jedoch nötig ist, um "sanfte Grenzen zwischen den Ereignissen zu ziehen". Sie weiß auch, daß das Leben aus dem Körper "ungehindert hinausfließen" muß, deshalb wird sie Jahre später ihren eigenen Tod langsam angehen. Ihre Enkelin Maja wird sich daran erinnern, wie sie es sich "in diesem Sterben bequem machte wie im Komfortabteil eines transkontinentalen Zuges".

Der Tod, den Maja erlebt, ist ganz anders: schnell, beiläufig, so ganz der modernen Zeit entsprechend. Sie macht gerade mit ihrem Sohn Urlaub auf einer kleinen Insel im Südchinesischen Meer, in einem bescheidenen "Urlaubsparadies", wo ein Zauberkünstler undefinierbarer Herkunft für Unterhaltung sorgt. "Dieser Mann war krank, das war offensichtlich. Er bewegte sich langsam und vorsichtig, als ahnte er, daß sein Körper für normale Bewegungen zu zerbrechlich war." Der Junge ist von dem Mann sofort fasziniert, bald sieht er in ihm seinen Meister, will nur noch mit ihm Zauberkunststücke üben. Als der Illusionist allerdings nach einem gemeinsamen Auftritt seiner Aids-Erkrankung erliegt, bekommt nur noch Maja seinen Tod mit; die Aufmerksamkeit des Jungen ist bereits auf etwas anderes gelenkt.

Und da ist schließlich der Tod, der Ida, Majas Mutter und Paraskewias Tochter, widerfährt. Sie will den Ort ihrer Kindheit besuchen, als der Wagen, mit dem sie in einer Winternacht unterwegs ist, mit einem Baum kollidiert. Sie kommt mit ein paar Prellungen davon, wird aber dennoch für eine Weile von einem alten Ehepaar aufgenommen, das in seinem Haus kranken, obdachlosen Tieren Asyl gewährt. Die morbide Umgebung zeigt schnell Wirkung: Auf einmal wird Ida bewußt, daß auch sie langsam stirbt, "den ganzen Körper zieht es zur Erde, als wären alle seine Teile schon erschöpft und müde", als wollte er "zu Staubteilchen werden, zu Boden sinken und dort bleiben". Es stirbt der Körper, dann alles andere - die Illusionen, die Träume, die Hoffnung.

Daß es sich bei den drei Frauen um Mutter, Tochter und Enkelin handelt, ist nicht sofort erkennbar. Außer Einsamkeit und dem Gefühl, in ihrem Leben gescheitert zu sein, verbindet sie nicht viel; vielleicht noch die Gleichgültigkeit, die regungslose Selbstverständlichkeit, mit der sie dem Tod begegnen. Wie immer man also ihre Geschichten lesen mag - als Teile einer Familiensaga taugen sie nicht, es fehlt ihnen die gattungseigene Kontinuität, das nötige Generationswechselgefühl.

Zwei Dinge verbinden die Frauen aber doch. Zum einen die Verknüpfung ihres Lebens mit der polnischen Geschichte. Am stärksten gilt dies für Paraskewia, die die Vertreibung aus der Ukraine und die Zwangsansiedlung in den neugewonnenen Gebieten hinter sich hat. Idas Leben hat sich zwischen der kommunistischen Zeit und heute abgespielt, und so sind auch die Überbleibsel des alten Polen und die Kuriosität des neuen hier besonders sichtbar. Nur Maja ist durch keine Vergangenheit belastet, dafür verkörpert sie all das, was das Leben in dem modernen, sich rasant wandelnden Polen mit sich bringt, die Unruhe, Orientierungslosigkeit und Nivellierung aller Werte eingeschlossen.

Die zweite Gemeinsamkeit ist die Sehnsucht nach einem eigenen Ort. Um ihn zu finden, geht die älteste der drei Frauen in Gedanken in die alte Heimat zurück; von den beiden jüngeren reist die eine in das Land der Kindheit, die andere auf einen fernen Kontinent. Viel Erfolg bei der Suche hat freilich keine von ihnen.

Olga Tokarczuk kennt die Wurzellosigkeit und die Sehnsucht nach Zugehörigkeit nur zu gut und hat beides bereits in Form von unzähligen Episoden in ihrem Roman "Taghaus, Nachthaus" thematisiert. Die Gegend um das schlesische Nowa Ruda (Neurode), wo sie zu Hause ist, liefert genug Sehnsuchtsstoff; das Thema Vertreibung aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten ist auch in ihre eigene Familiengeschichte eingeschrieben.

Ein weiteres Dauerthema ist die Zeit, um die sie ständig kreist, "wie ein Nachtfalter um das Licht", hat sie einmal gesagt. Am deutlichsten wurde diese Faszination in ihrem Roman "Ur und andere Zeiten" sichtbar, wo die in Bruchstücke aufgelöste Handlung und das rhythmische Wiederkehren einzelner Motive eine magische Aura erzeugen. Olga Tokarczuk war schon immer der Meinung, daß für jeden von uns die Zeit anders fließe. Die heutige Welt, die wir ohnehin nur sehr fragmentarisch, als ein Mosaik kleiner Erfahrungen, wahrnehmen, scheint sie darin noch bestärkt zu haben. Um so mehr hat jede ihrer neuesten Figuren ein anderes Zeitempfinden und geht auch mit der Zeit anders um.

Allerdings haftet allen drei Teilen, bei aller Unterschiedlichkeit der Realien, eine merkwürdige gemeinsame Langsamkeit an. Manchmal scheint die Zeit in diesen "Letzten Geschichten" fast stehenzubleiben. Es sind nicht nur die drei Frauen, die müde, erschöpft und kraftlos wirken; für alle anderen gilt dies auch. Vielleicht liegt diese Aura der Schwere und Antriebslosigkeit einfach an Tokarczuks stilistischem Können - das Konstruieren einer eigenen, in sich geschlossenen Welt, eines Mikrokosmos, dessen Klima einzigartig anmutet, hat sie von Anfang an meisterhaft beherrscht. Vielleicht liegt es aber auch daran, daß ihr die heutige Welt so erscheint: als ein Konstrukt, in dem alles, das ganze Reservoir an Empfindungen und Emotionen, an traditionellen Werten und Bindungen, das bislang die menschliche Existenz bestimmte, ein Stigma des langsamen Zerfalls und Vergehens trägt und in dem die Gewißheit der eigenen Sterblichkeit das einzig Verläßliche bleibt.

MARTA KIJOWSKA

Olga Tokarczuk: "Letzte Geschichten". Roman. Aus dem Polnischen übersetzt von Esther Kinsky. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2006. 296 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Eine begeisterte Kritik ohne jedes triviale Lobeswort. Für Rezensentin Nicole Henneberg sind es in erster Linie Orte, abgelegene und verlassene Dörfer und Gehöfte, die Olga Tokarczuk zum Sprechen bringen. Weitere Protagonistinnen seien drei Frauen, Mutter, Tochter und Enkelin, um die es in den drei Teilen des Romans geht. Wie in allen Büchern der Autorin seien auch diese Frauen erneut einsame "Kriegerinnen". Besonders gelungen findet Henneberg, wie die älteste Erzählerin hoch oben in den verschneiten Bergen eine Art Monolog vor ihrem verstorbenen und allmählich gefrierenden Mann führt. Ihr Vertriebenenschicksal werde dabei von der Autorin gekonnt "beiläufig" um den politischen Hintergrund bereichert, wie die Rezensentin anerkennend bemerkt.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Tokarczuk ist im besten Sinne des Wortes unkonventionell, rebellisch und mit Lust an der Provokation ausgestattet. Mit Fantasie ohnehin.« F. A. Z. »Tokarczuks Bücher reißen Fenster zur Welt weit auf.« Süddeutsche Zeitung