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Margret Nissen ist das vierte von sechs Kindern Albert Speers, Hitlers Baumeister und Rüstungsminister. Lange vermied sie es, sich über ihren Vater zu äußern, und lange ging sie der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit aus dem Weg. Erstmals erzählt sie ihre Lebensgeschichte. Wie ist es, wenn der bewunderte Vater plötzlich zu einem verurteilten Kriegsverbrecher wird, wenn Begegnungen ein Leben lang stets von der Furcht geprägt sind, auf ihn angesprochen zu werden? Wie geht man um mit der Schuld des Vaters? Beeindruckend offen berichtet Margret Nissen über ihr Verhältnis zum Vater und, vor dem…mehr

Produktbeschreibung
Margret Nissen ist das vierte von sechs Kindern Albert Speers, Hitlers Baumeister und Rüstungsminister. Lange vermied sie es, sich über ihren Vater zu äußern, und lange ging sie der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit aus dem Weg. Erstmals erzählt sie ihre Lebensgeschichte. Wie ist es, wenn der bewunderte Vater plötzlich zu einem verurteilten Kriegsverbrecher wird, wenn Begegnungen ein Leben lang stets von der Furcht geprägt sind, auf ihn angesprochen zu werden? Wie geht man um mit der Schuld des Vaters? Beeindruckend offen berichtet Margret Nissen über ihr Verhältnis zum Vater und, vor dem Hintergrund des sich wandelnden Vergangenheitsbewußtseins in der Nachkriegszeit, über ihren Versuch, aus seinem Schatten herauszutreten und eigene Wege zu gehen, privat und beruflich.

Autorenporträt
Margret Nissen, geboren 1938, verbrachte ihre Kindheit auf dem Obersalzbreg. Nach Kriegsende und Verhaftung ihres Vaters Albert Speer lebte sie mit ihrer Mutter und den Geschwistern in Heidelberg. Sie studierte dort Archäologie, entdeckte aber später die Fotografie für sich. Sie ist verheiratet und hat vier Kinder.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Sebastian Fischer zeigt in seiner Kritik der Lebenserinnerungen der Tochter von Albert Speer viel Verständnis für diese Annäherung an den Vater, aber dennoch stellt das Buch für ihn eine "verpasste Chance" dar. Erhellend seien die Memoiren von Margret Nissen dann, wenn sie "reflexiv analysierend" über ihren Vater schreibt, das finde aber erst auf den letzten 20 Seiten statt, so der Rezensent bedauernd. Hier gelangt die Autorin endlich zu der "lang erwarteten Auseinandersetzung" mit Speer als Vater und Nazi-Verbrecher, den man im Rest des Buches vermisst, so Fischer unzufrieden. Insgesamt wird Speer, wie so oft, als "Gentleman unter den Nazis" und als "bedeutender Architekt" dargestellt; der Planer der "megalomanischen" Bauten für Berlin, der Mann, der den Ausbau von Auschwitz genehmigte und Tausende von Zwangsarbeitern für die Rüstungsindustrie bestimmte, tritt aus diesen Erinnerungen nicht hervor, konstatiert Fischer enttäuscht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.04.2005

„Annäherung an mein Leben”
Die Speer-Tochter Margret Nissen strickt an der Legende des Vaters
Margret Nissen lief ihr ganzes Leben fort vor einer Frage: „Sind Sie die Tochter Speer?” Nun hat sie ein Buch darüber geschrieben. Nissen hält nichts davon, Zeitgeschichte von Schauspielern nachstellen zu lassen, schon gar nicht die eigene Familiengeschichte. Eine Mitarbeit an dem BreloerFernsehfilm lehnte sie strikt ab, versucht nun aber ihrerseits „die Annäherung an mein Leben als ‚Tochter Speer‘”. Im Alter von 66 Jahren will sie endlich ins Reine kommen mit dem Vater und der eigenen Familiengeschichte.
Es beginnt idyllisch: auf dem Obersalzberg. Dort, wo Hitler Krieg und Massenvernichtung plant, erlebt das Kind Margret „eine glückliche Kindheit, das sagen alle”. Speer zieht 1938, im Geburtsjahr Margrets, mit seiner Frau und den bis dahin vier Kindern in den Dunstkreis seines Führers auf den Obersalzberg bei Berchtesgaden.
Die Gefängniszeit ihres Vaters beschreibt Margret Nissen mit Hilfe der Briefe, die sie und der Vater sich in 20 Jahren geschrieben haben. Als Speer ins alliierte Gefängnis nach Berlin-Spandau kommt, ist Margret acht Jahre alt. In Freiheit wird sie ihn erst mit knapp 30 Jahren wiedersehen. Die Großfamilie kommt gut ohne den Vater zurecht, sie lebt bei den Großeltern in Heidelberg. Nissen beschreibt eine Jugend im Deutschland der 50er und 60er Jahre, wie sie wohl viele Gleichaltrige gelebt haben. Nur: Immer ist sie in Furcht, jemand könnte sie auf den berüchtigten Vater ansprechen. Nach ihrer Heirat ist sie froh, den Namen Speer ablegen zu können.
Verpasste Chance
Als 1968 die junge Generation aufbegehrt und Fragen nach der NS-Vergangenheit der Elterngeneration stellt, fühlt sich Speers Tochter „nicht direkt angesprochen”, der Vater habe seine Strafe als Kriegsverbrecher ja verbüßt. Margret Nissen reagiert ihr ganzes Leben so wie ihre Familie: Über des Vaters Vergangenheit wird geschwiegen, sie weiß bis heute nicht, was ihre Geschwister denken.
Nissens Lebenserinnerungen sind dann gut, wenn sie reflexiv analysierend werden. Aber das sind sie leider nur auf den letzten 20 Seiten. Da besucht sie den Obersalzberg, 60 Jahre nach ihrer Kindheit. Das Münchner Institut für Zeitgeschichte betreibt auf Hitlers Berg heute ein Dokumentationszentrum der NS-Verbrechen. Und hier sieht und erkennt Margret Nissen ihren Vater erstmals im Kontext seiner Verbrechen. Diese 20 Seiten sind die lang erwartete Auseinandersetzung. Um an diesen Punkt zu gelangen, muss sich der Leser durch die Lebenserinnerungen einer sympathischen 66-Jährigen arbeiten. Bei all den Verbrechen des Vaters sieht die Tochter nun weiterhin nur die eine Möglichkeit: Die Trennung zwischen dem privaten und dem historischen Vater, „nur so kann ich wohl mit meiner Erinnerung an ihn leben”.
Nissens Buch ist mehr eine Lebensgeschichte als die Geschichte einer Auseinandersetzung mit dem Vater, worauf der Titel hindeutet. Sie schreibt viel über ihre Auslandsaufenthalte in Bagdad und Chicago, über die späte Erfüllung eines Berufswunsches, über den Weg zur Fotografie. Einige ihrer Arbeiten, die in keinem Zusammenhang mit Albert Speer stehen, sind dem Buch auf Hochglanzpapier beigeheftet. In den Erinnerungen der Tochter tritt der Kriegsverbrecher Speer in den Hintergrund, der Privatmann, der Vater, in den Vordergrund. Das ist natürlich nicht abwegig, wenn die Tochter über den Vater schreibt. Ein weiteres Mal aber wird so Albert Speer als der Gentleman unter den Nazis, als bedeutender Architekt, unpolitischer Technokrat und Großbürger verkauft. So etwa, wie ihn Heino Ferch in Eichingers Film „Der Untergang” gespielt hat: als Aufrechten, der noch in den letzten Stunden des Dritten Reiches versucht, mäßigend auf Hitler einzuwirken, eine Art Fels in der Katastrophenbrandung.
Jener Speer, der auf die SS einwirkte, die Konzentrationslager in der Nähe von Granitsteinbrüchen zu errichten, um Baumaterial für seine megalomanischen Architekturpläne von Berlin als Hauptstadt „Germania” zu bekommen; der seit 1939 Tausende Berliner Juden aus ihren Wohnungen vertreiben ließ und dessen Mitarbeiter später gemeinsam mit der Gestapo Deportationslisten zusammenstellten; der als Rüstungsminister den Einsatz von fast acht Millionen Zwangsarbeitern bestimmte; der 1942 als Chef des Bauwesens den Ausbau des Konzentrationslagers Auschwitz genehmigte - jener Speer wird in der Erinnerungsliteratur meist nur gestreift.
Das ist Margret Nissens Buch zwar nicht vorzuwerfen, aber die Legende vom aufrichtigen Speer wird durch ihre Erinnerungen bestärkt. Hier liegt eine verpasste Chance: Viele Leser nähern sich der Geschichte über persönliche Erinnerungen anderer. Die sind oft farbiger und menschelnder als die speziellen Werke der Geschichtswissenschaft. Gemeinsam mit Nissen möchte der Leser ergründen, warum ein „intelligenter, begabter junger Mann” schon 1931 in die NSDAP eintritt und zeitweilig zum Kronprinz Hitlers aufrückt. Doch Nissen konstatiert nur, analysiert nicht. Das Buch ist für die Autorin wichtig, sie nennt es „meine kostenlose Therapie”. Erstmals kann sie über sich und ihre Familie sprechen. Aber sie tut das mit schweigender Offenheit.
SEBASTIAN FISCHER
MARGRET NISSEN (unter Mitarbeit von Margit Knapp und Sabine Seifert): Sind Sie die Tochter Speer? DVA, München 2005. 228 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.2005

Die Wiederkehr von Albert Speer - wozu?
Seine Tochter hat ihre Erinnerungen geschrieben. Aber das Buch ist halbherzig und manchmal ärgerlich

Lange hat Margret Nissen die Bücher ihres Vaters verkehrt herum ins Regal gestellt, damit sie den Namen auf dem Buchrücken nicht sehen mußte. Ein Kollege hat sie mal zu Hause besucht und auf Familienfotos den Vater erkannt. Er hat aber nichts dazu gesagt, sie ist ihm bis heute dankbar dafür. Als Margret Nissens Tochter, eine Architektin, sich während ihrer Ausbildung um ein Praktikum bewarb, wurde sie gefragt, ob es in ihrer Familie schon Architekten gegeben habe. Sie log und sagte nein. Ihre Haltung zum NS-Thema beschreibt die Autorin so: "Ich wollte nichts wissen, habe nichts gefragt, ich habe nicht darüber gesprochen, ich wurde stumm, wenn es um diese oder ähnliche Gesprächsthemen ging."

Margret Nissen ist das vierte Kind von Albert Speer. Sie erinnert sich an eine Kindheit auf dem Obersalzberg, an einen fröhlichen, netten, aber abwesenden Vater. Als er 1966 aus der Haft entlassen wurde, hatte sie längst eine eigene Familie. Trotzdem nennt sie ihren Vater den "Makel", der ihr Leben belastet. Das heftige Verdrängen hat es Margret Nissen ermöglicht, ein erfülltes und ausgeglichenes Familien- und Berufsleben zu führen. Wem steht es an, das zu kritisieren?

Die Autorin beschreibt, wie sie sich von der ganzen bundesrepublikanischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus fernhielt. Es gelang ihr sogar, als Fotografin in der Stiftung "Topographie des Terrors" zu arbeiten und es zu vermeiden, auf die Fotos zu schauen, die sie da reproduzierte. Nur überprüfen, ob sie scharf sind oder nicht, ohne zu fragen, was sie zeigen, wie es dazu kam. Das ist keine geringe Verdrängungsleistung.

"Ich mag keinen schlechten Vater haben", schreibt Nissen. Man kann das gut verstehen. Es ist auch zuviel, keine Tochter, kein Sohn kann das zusammen denken: die warme Erinnerung an Sonntagvormittage im Bett des Vaters und an die vielen Menschen, die derselbe Mann auf dem Gewissen hat.

Es gibt keine Pflicht der Kinder oder Enkel von Nazi-Tätern, zu ihren Verwandten Stellung zu beziehen. Es gibt allerdings auch keine Pflicht, Bücher über sie zu schreiben.

Für diese Bücher gelten die sich permanent wandelnden Standards der zeithistorischen Literatur, und sie sind in den letzten fünfzehn Jahren, je mehr die Forschung voranschritt, für die Nazi-Oberen nicht gnädiger geworden. Darum ist dieses Buch in wichtigen Punkten unzulänglich, ein Ärgernis. Man kann heute, Speer meinend, nicht mehr fragen: "Warum hat sich ein intelligenter, begabter junger Mann jahrelang mit Hitler und seinen Gefolgsleuten eingelassen?" Viele NS-Verbrecher waren jung, intelligent und begabt, sonst wären sie nicht so effektiv gewesen. Und Hitlers Rüstungsminister in den mörderischsten Jahren der NS-Herrschaft hat sich mehr als nur "eingelassen". Man könnte es ja fast schon umgekehrt formulieren: Hitler hat sich auf Speer eingelassen. Und was genau waren die "Ideen der Nationalsozialisten", an die Speer "als junger Mann" geglaubt haben mag?

Man mag so etwas nicht mehr lesen: Nicht die Variationen über Albert Speer als den enigmatischen, pseudo-faustischen Technokraten, der irgendwie zu konzentriert aufs Bauen war, als daß er gemerkt hätte, was in der Welt so los war; nicht, daß es "rätselhaft" bleibe, warum er 1942 den Job des Rüstungsministers angenommen hat, und ob er - der im September 1942 persönlich die Millionen für den Ausbau von Auschwitz genehmigte - womöglich etwas von der Schoa gewußt haben mag.

Das Buch ist keine Apologie des Vaters, aber es überschreitet die Sphäre des Ungefähren, der lebenspraktisch bequemen, womöglich notwendigen Trennung zwischen dem privaten und dem "historischen" Vater nicht entschieden genug. So bleibt es ein halbherziges Dokument, tastend, seltsam mutlos und an entscheidenden Stellen immer noch stumm. Die Ko-Autorinnen Margit Knapp und Sabine Seifert hätten das spüren und korrigieren müssen.

Man erfährt ansonsten allerhand über das Leben, die Familie und die Arbeit von Frau Nissen, lernt sie als sympathischen Menschen kennen, der gerne mal faul ist und dem es bei der Hundedressur an Autorität mangelt. Aber diese Passagen kann man nur achselzuckend lesen, denn darum geht es doch nicht. Das Buch bringt weder Aufklärung noch Trost; denn für die einzige wesentliche Frage, die, aus der das ganze Vorhaben seine Energie bezieht, gibt es keine Antwort: "Warum mußte er ausgerechnet mein Vater sein?"

NILS MINKMAR

Margret Nissen: "Sind Sie die Tochter Speer?". DVA. 225 Seiten, 19,90 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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