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Die alliierte Befreiung der KZ am Kriegsende machte das ganze Ausmaß des durch die NS-Verbrechen begangenen Zivilisationsbruchs deutlich. Ein halbes Jahrhundert danach gilt Deutschland als ein Musterbeispiel für eine gelungene Demokratisierung. Drei Etappen markieren die Übergänge: 1945/1949, 1968 und 1989/1990. Anhand von individuellen Selbstzeugnissen und öffentlichen Auseinandersetzungen wird verdeutlicht, wie es die Deutschen vermochten, aus ihrer dunklen Vergangenheit hinaus Wege in eine moderne, liberale Gesellschaft zu finden.

Produktbeschreibung
Die alliierte Befreiung der KZ am Kriegsende machte das ganze Ausmaß des durch die NS-Verbrechen
begangenen Zivilisationsbruchs deutlich. Ein halbes Jahrhundert danach gilt Deutschland als ein Musterbeispiel für eine gelungene Demokratisierung. Drei Etappen markieren die Übergänge: 1945/1949, 1968 und 1989/1990. Anhand von individuellen Selbstzeugnissen und öffentlichen Auseinandersetzungen wird verdeutlicht, wie es die Deutschen vermochten, aus ihrer dunklen Vergangenheit hinaus Wege in eine moderne, liberale Gesellschaft zu finden.
Autorenporträt
Konrad Jarausch, geboren 1943, lehrt an der Universität von Chapel Hill, North Carolina, und ist Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2004

Die Umkehrer
Konrad Jarausch plaudert über die deutsche Wandlungsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg

Konrad H. Jarausch: Die Umkehr. Deutsche Wandlungen 1945-1995. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004. 500 Seiten, 29,90 [Euro].

Am Anfang war ein Grenzbeamter. Eine freundlich lächelnde vollbärtige Erscheinung am Frankfurter Flughafen Anfang der siebziger Jahre mit offenem Kragen und verrutschter Krawatte gab dem Autor einen ersten Hinweis auf eine "allgemeinere Transformation deutscher Gesellschaft und Kultur": Schüler, die nicht mehr vor ihren Lehrern kuschten, Kunden, die sich von Verkäufern nicht mehr alles gefallen ließen, Autofahrer, die sich an Baustellen alternierend einordneten, Frauen, die gegen den Kommandoton ihrer Männer aufbegehrten - ein Wandlungsprozeß, "der aus Deutschland ein angenehmeres Land machte". In dieser "Abwendung von aggressiven Tendenzen und vom autoritären Habitus" sieht Konrad Jarausch, Professor in Chapel Hill und Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam, eine entscheidende Entwicklung der deutschen Geschichte nach 1945. Er sieht darin nicht weniger als die "Rehabilitierung der Deutschen nach Hitler". Ihren Zeitpunkt, ihre Ursachen und ihren Erfolg zu erklären ist der Anspruch dieses Buches.

Im Grunde geht es dabei um die zentrale sozialkulturelle Entwicklung des Wertewandels, den bereits die zeitgenössische Soziologie thematisiert hat. Helmut Klages hat ihn mit der noch immer treffendsten Formulierung als eine Verschiebung des Gefüges allgemein akzeptierter Normen und Werte von "Pflicht- und Akzeptanzwerten" zu "Freiheits- und Selbstentfaltungswerten" beschrieben. Die Ergebnisse dieser Wertewandelsforschung werden in diesem Buch jedoch ebensowenig berücksichtigt wie andere wesentliche Erkenntnisse der zeitgenössischen Sozialwissenschaften. Sie haben aber für die Zeit ihrer etablierten wissenschaftlichen Existenz, also seit den ausgehenden fünfziger und vor allem seit den siebziger Jahren, ein ganz neuartiges Maß an schon zeitgenössisch erhobenem Wissen über die Gesellschaft hervorgebracht, auf dem die zeithistorische Erarbeitung aufbauen kann.

Überhaupt steht dieses Buch auf teils unebenen, teils wackeligen Fundamenten. Unkommentiert wird aus einer Fülle von Selbstzeugnissen und Zeitungsartikeln zitiert, und was die Literatur betrifft, so werden Bücher, aber nur wenige Aufsätze angeführt, und immer wieder bleibt die Darstellung hinter dem Stand der Forschung zurück. Methodisch wird eine Mischung aus "individueller Erfahrungsgeschichte und Analyse des öffentlichen Diskurses" zugrunde gelegt; in der Praxis wirkt dies jedoch eher eklektisch und kursorisch als systematisch fundiert. Alles in allem erscheint das Buch als eine autobiographisch grundierte (so wird als Beleg für Kontakte mit Nachbarländern auf "Schülerinnenfahrten nach Freijus, organisiert von der Mutter des Autors", verwiesen), weniger eine systematisch analysierende als teils recht freihändig assoziative, dezidiert normative und durchgängig werturteilende Geschichte, die häufig recht pauschal argumentiert (etwa "die Bevölkerung" als Kollektivsubjekt) und deren suggestive narrative Ausgestaltung zuweilen auf Kosten der wissenschaftlichen Präzision geht (etwa: "Die intensivsten Kontakte mit den Besatzungssoldaten hatten junge Frauen, die nach etwas menschlicher Wärme und Unterhaltung suchten"). Was die Gesamtdeutung der deutschen Geschichte angeht, so kritisiert Jarausch am Konzept der "Westernisierung", daß es sich um ein reduziertes Ideal handelt, das empirische Elemente wie Sklaverei, Imperialismus und harten Kapitalismus ausblendet. Dennoch wird der Begriff immer wieder verwendet. Kritisch steht er auch dem teleologischen Modernisierungsparadigma und der Sonderwegsthese gegenüber. Mit dem Titel der "Umkehr" wird schon metaphorisch der Anschluß hergestellt. In der Tat ist die "Rehabilitierung der Deutschen nach Hitler" letztlich nichts anderes als die Abkehr vom "Sonderweg", zumal der Bezugspunkt dieser Erzählung ausschließlich der Nationalsozialismus ist.

Als Zielperspektive dieser "Wandlungen" nach 1945, als Deutungskonzept und normativer Standard fungiert hier die "Utopie einer civil society", die Zivilgesellschaft in einem dezidierten Sinne als "zivilisierte Gesellschaft". Jarausch definiert sie, in Anlehnung an Jürgen Kocka, über gesellschaftliche Selbstorganisation, einen normierten zivilen Umgang unter Einschluß von Gewaltfreiheit auf der Ebene von Geselligkeit und Staatenbeziehungen, über kulturelle Zivilisiertheit im Sinne von Toleranz, Zivilcourage und Gemeinwohlverpflichtung, schließlich ungehinderten Markt und staatsbürgerliche Partizipation.

Jarausch erzählt eine Wandlungsgeschichte in drei Liberalisierungsschüben. Am Anfang standen die Befreiung vom Nationalsozialismus durch die Alliierten und die Zivilisierungsprogramme vor allem der Amerikaner. Der "eigentliche Durchbruch zur modernen Zivilgesellschaft", zu Emanzipation, Liberalisierung und Demokratisierung im Sinne der "Verinnerlichung" von Demokratie als Lebensform geschah aber, so eine der zentralen Thesen, in den sechziger Jahren, vor allem im Zusammenhang der Studentenbewegung um 1968 und des "Machtwechsels" hin zur sozialliberalen Koalition. Seine Bedeutung sieht Jarausch zwar mit dem Begriff der "Neugründung" der Republik "etwas überbewertet", faktisch aber wird genau diese Interpretation übernommen.

Dieser Liberalisierungsschub wird, über den Kontext von 1968/69 hinaus, einem größeren Zusammenhang von übergreifenden und auch vorgängigen sozialkulturellen Wandlungsprozessen zugeordnet. Diese bleiben allerdings letztlich blaß, weil die analytischen Kategorien fehlen, wie etwa der "Wertewandel" oder die zu plakativ benutzte Formulierung der "Dienstleistungsgesellschaft". Hinzu kommen dann auch sachliche Fehler wie zum Beispiel die Einschätzung, der Regierungswechsel 1982 habe einen "bitteren Nachgeschmack" hinterlassen, "da ein Rückzug aus dem Kabinett im Grundgesetz nicht vorgesehen war und Neuwahlen erst im folgenden Jahr stattfanden". Vielmehr war der Regierungswechsel genau so, wie er im Parlament geschah, im Grundgesetz vorgesehen, das allerdings deshalb gebogen wurde, weil ebendiese parlamentarisch-demokratische Norm in der politischen Öffentlichkeit nicht mehr akzeptiert wurde und daher Neuwahlen herbeigeführt wurden, die die Verfassung für diesen Fall überhaupt nicht vorsah.

Der dritte Schritt in die Zivilgesellschaft fand dann, so Jarauschs Deutung, 1989/90 mit der "Bürgerrevolution" in der DDR statt, wo zwar - unterschwellig ist Kritik zu vernehmen - durch die Wende zur Wiedervereinigung "die eigene Zukunftsgestaltung aufgegeben" wurde. Immerhin war es "der letzte, aber noch unvollständige Schritt zur Wiedererlangung einer zivilisatorischen Normalität". Hier wüßte man nun gern mehr, wo in der deutschen Geschichte der Bezugspunkt für eine "wieder"erlangte "Normalität" liegt. Dies bleibt allerdings argumentativ ebenso inkonsistent wie Teile der zugleich aber durchaus weitgespannten und erfrischend unorthodoxen Bilanz deutscher Zivilität in einem normativen, am ehesten "linksliberal" zu nennenden Sinne. Unvollständigkeiten der Liberalisierung werden in Form von Lerndefiziten erkannt, seien es Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus oder die Blockierung von Einwanderung, aber auch die Hemmung von Marktwirtschaft durch zunehmende, nicht zuletzt sozialstaatliche Regulierungen. Andererseits werden Lernüberschüsse konstatiert: ein ideologisierter Pazifismus mit "irritierendem moralischem Überlegenheitsanspruch", der die internationalen Anforderungen an deutsche Außenpolitik blockierte, oder ein Antinationalismus, der die affektive Bindung an den Staat behindert, oder ein naiver Multikulturalismus und die Unterschätzung von Gewaltpotentialen. Mit Blick auf die gegenwärtigen Probleme in Deutschland stellt Jarausch die genuine Neuartigkeit des Globalisierungsdrucks und seiner Auswirkungen auf Arbeitsbeziehungen, Sozialstruktur und Sozialstaat heraus. Dafür seien neue Antworten und Lösungen erforderlich, weil der hergebrachte Bezug auf die diktaturbezogene Zivilität nicht mehr greift. Daran ist viel Richtiges. Zugleich isoliert dieses Argument den Zeitraum bis etwa 1995, womit eine elegante Rettung des Liberalisierungsparadigmas bewerkstelligt ist. Aber auch für diese Zeit lassen sich Probleme der Liberalisierung im Selbstbezug feststellen, die den Prinzipien der Zivilgesellschaft zugleich entgegenwirkten: der Verlust der Kategorie des Gemeinwohls durch zunehmende Individualisierung und Pluralisierung; der Verlust an Eigeninitiative und Subsidiarität durch den allzuständigen Sozialstaat; neue Konformitätszwänge und Tabus der politischen Kultur; die meßbare Rückläufigkeit von Leistungsbereitschaft und Pflichtwerten unter der Dominanz von Freiheits- und Selbstentfaltungswerten; und die Herausbildung einer kinderarmen Gesellschaft. Diese Phänomene sind untrennbar verbunden mit so fundamentalen Entwicklungen wie der Verbreitung von Freiheitsräumen und Selbstbestimmungsmöglichkeiten, der Veränderung der Geschlechterbeziehungen hin zu einem gleichberechtigteren Verhältnis, der Liberalisierung der Kindererziehung oder dem Wandel vom Obrigkeitsstaat zum "Bürgerservice", angefangen mit dem vollbärtig-unvorschriftsmäßigen Grenzbeamten.

ANDREAS RÖDDER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.10.2004

Die erzwungene Läuterung der Deutschen
Mit Hilfe von Comic-Heftchen und Amerikahäusern: der beschwerliche demokratische Neubeginn nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
Demokratie ist erlernbar. Freilich muss eine Gesellschaft, die sich demokratisch organisiert, so weit wie möglich frei sein von Hass und Größenwahn, schränkt Bertrand Russell ein, und sich frei machen von Furcht und Unterwürfigkeit. Deutschland benötigte hierfür zwei Versuche. Erst 1945, nach zwei verlorenen und von Deutschen angezettelten Kriegen und nach abermaliger Intervention der Siegermächte, gelang die Umkehr. Freilich nicht freiwillig. Demokrat war 1945 ein Schimpfwort. Tief verwurzelt war in breiten Bevölkerungsschichten die Abneigung gegenüber Demokratie und Pluralität, gegenüber westlichen Werten und westlicher Kultur.
Wie beschwerlich sich der demokratische Neubeginn im Nachkriegsdeutschland gestaltete, schildert Konrad Jarausch in seinem Buch. Wer das Dasein in Schutt und Asche nicht anders ertragen konnte als in totaler Apathie und Gleichgültigkeit, in dumpfem, missmutigen Schweigen, „biederte sich nun servil den Besatzungsmächten an”. Aufrechte, nicht kompromittierte Christen oder Sozialdemokraten seien dagegen höchst selten, schreibt der Autor, der Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam ist. Anhand der Etappen 1945/49, 1968 und 1989/90 wird der Weg Deutschlands von der Barbarei in die Zivilisation nachgezeichnet.
Der Westen als Norm
Zunächst in Westdeutschland wuchs ein demokratisches Selbstverständnis behutsam heran, 40 Jahre später - nach einem Umweg, halb Diktatur, halb Volksherrschaft - folgte der Osten Deutschlands. „Bei der Beurteilung dient die westdeutsche Entwicklung als Norm, so dass die immer besser erforschte DDR-Geschichte noch nicht wirklich in die allgemeine Nachkriegsgeschichte integriert ist.”
Die Lektüre des Buches drängt nicht den Verdacht auf, dass der Autor den großen Bruch wagt. Warum auch? Die Flucht ins Private; die innere Verweigerung, die meist das Karriere-Ende bedeutete, aber nicht Internierung oder Tod; Petitionen und Arbeitskonflikte, die durchaus Erfolg haben konnten: All dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass das SED-System „keinen eigentlichen Raum für zivile Selbsttätigkeit ließ”. Letztendlich durchgesetzt hat sich der Gesellschaftsentwurf, der Eigentum anerkennt und Eigeninitative belohnt, der eine pluralistische Willensbildung respektiert und einer breiten Mehrheit materiellen Wohlstand ermöglicht. Dabei blieb vieles, was sich im Rückblick als logische Konsequenz der Überlegenheit des westdeutschen Systems darstellt, 1945 dem Zufall und dem Lauf der Geschichte überlassen.
Die Ausgangssituation war für alle Deutschen dieselbe: Nachdem die schockierenden Bilder aus den befreiten Konzentrations- und Vernichtungslagern um die Welt gegangen waren und vom scheußlichen Zivilisationsbruch der Deutschen Zeugnis ablegt hatten, hätten sich die als unbelehrbar eingestuften Deutschen über einen Karthago-Frieden à la Morgenthau kaum zu beklagen gehabt. Doch Hunger dürfe nicht herrschen, wo die amerikanische Flagge weht, notierte General Lucius D. Clay, stellvertretender US-Militärgouverneur, in seinen Erinnerungen; und Demokratie ließe sich bei Hungerrationen nicht entwickeln. Die Frage der Not wurde losgelöst von der Frage nach der Schuld. Umerziehung war das Gebot der Stunde.
Jarausch spricht von einer erzwungenen Läuterung. Der Autor, der in den 60er Jahren dem Muff der Nachkriegszeit entfloh, in die USA ging und Professor an der University of North Carolina wurde, beschreibt anhand von Tagebüchern, Biografien und Gesprächen mit Zeitzeugen eindrucksvoll dieses einzigartige und „atemberaubende Experiment der sozialen Pazifizierung” und Rezivilisierung einer ganzen Nation. Dass Entnazifizierung und Umerziehung an Grenzen stießen, war abzusehen. Ein gewichtiger Grundstein für die Rückkehr Westdeutschlands in den Kreis der zivilisierten Staaten aber war gelegt.
Und der Osten? „Erst die Einsicht, dass der entstehende Satellitenstaat eigene Entwicklungsperspektiven brauchte, stoppte die gigantische Ausplünderung, die das ostdeutsche Bruttoanlagevermögen auf etwa drei Viertel des Vorkriegsstandes reduzierte”, schreibt der Autor, wobei er aus dem großen Fundus der Fachliteratur schöpft und sich allzu häufig in eine recht allgemeine und ober-flächliche Schilderung der sozio-ökonomischen Gesellschaftsgeschichte verliert.
Comic-Heftchen, Blue-Jeans, Hollywood-Filme, Amerikahäuser und Selbstbedienungsläden, Ratenzahlung, Sit-in und Tech-in: All dies galt „christlich-konservativen Tugendwächtern als Warnung vor westlicher Dekadenz”. Demo-kratie als formales Regierungssystem - damit hätten sie sich in der Zwischenzeit arrangiert. Aber eine Demokratisierung der Gesellschaft führe zwangsweise zum Verlust der Freiheit, zitiert Jarausch Bruno Heck, den früheren Generalsekretär der CDU.
„Widersprüchliche Modernisierungsschübe” überschreibt er den zweiten Teil seines Buches und zeichnet hierin ein durchaus kritisches und distanziertes Bild des 68er-Aufbruchs. Er entzieht dem Jugendprotest das Verklärende und Mythische. Sein Fazit: „Das politische Scheitern ermöglichte jedoch den Abbau autoritärer Strukturen, die Verbreitung emanzipierter Lebensformen und einen Zuwachs an Partizipation, die die westdeutsche Kultur tiefgreifend veränderten.” Kann derartiges als gescheitert gelten? Wohl kaum.
Prüfsteine der Zivilität
Teil drei ist dem Scheitern des realsozialistischen Experiments gewidmet. Das Ansinnen, ein „besseres Deutschland” zu schaffen (Stichwort: Antifaschismus) scheiterte, da in Ostdeutschland die „Diskrepanz zwischen radikaldemokratischer Rhetorik und repressiver SED-Politik” immer deutlicher zu Tage trat. Der zivilgeschichtliche Aufbruch ging einher mit dem Verlust der Utopie und der Suche nach Normalität. Deutschland war wieder vereint, und die Hauptstadt kehrte an alte Stätte zurück.
Der Weg vom Dritten Reich in die Berliner Republik: Konrad Jarausch macht sich seine Gedanken über demokratischen Verfassungspatriotismus, über den Streit um Einwanderung, über Prüfsteine der Zivilität. Dem Leser bleibt nach der Lektüre die Gewissheit, dass in Deutschland in den vergangenen Jahren ein gehöriges Maß an demokratischem Selbstverständnis herangewachsen ist. Eine Garantie gegen Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und den Wunsch nach einer starken Hand ist das nicht. Demokratische Spielregeln, die Verantwortung Schwächeren gegenüber und der Minderheitenschutz stehen immer wieder auf dem Prüfstand.
GODEHARD WEYERER
KONRAD H. JARAUSCH: Die Umkehr. Deutsche Wandlungen 1945-1995. DVA München 2004. 504 Seiten, 29,90 Euro.
Demokratie-Erziehung auf Amerikanisch: Jugendliche spülen ihr Essgeschirr in einem Sommerlager der US-Army im oberbayerischen Lenggries. Das Programm lief in den ersten Nachkriegsjahren unter dem Titel „German Youth Activities”.
SZ-Archiv
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Diese "gedankenreiche" Studie von Konrad Jarausch kann Axel Schildt nur empfehlen. Denn sie biete nicht nur "pointierte" Zeitgeschichte voller "wertvoller Anregungen", sondern stelle auch einen politischen wie moralischen Ansatz vor, "dessen liberale Weltoffenheit beeindruckt". Das Kernthema der "Wandlungen" ist die Rückkehr Deutschlands zur Zivilgesellschaft, die sich vor 1933 schon auszubilden begonnen hatte, dann aber durch den Nationalsozialismus weitgehend verschwunden war. Jarausch beschreibe diese mehrstufige "Aufhellung der politischen Kultur" mit dem Überblick eines Beobachters von außen, ergänzt durch eine "intime Kenntnis" der deutschen Forschung, der Quellen und Diskussionen, aber auch der "außerwissenschaftlichen Alltäglichkeit". Rundum gelungen also, meint der Rezensent, dem auch der "fragend diskursive" Stil des Autors gefällt, der zur Diskussion anregt.

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