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Produktdetails
  • Verlag: DVA
  • Originaltitel: Irlanda
  • Seitenzahl: 206
  • Deutsch
  • Abmessung: 195mm
  • Gewicht: 304g
  • ISBN-13: 9783421053268
  • ISBN-10: 342105326X
  • Artikelnr.: 24106406
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.09.2000

Die Rache des Schattenwesens
Knisternde Kleider: Espido Freires Romandebüt "Die Cousine"

Das Ende kommt jäh: Natalia stößt die Cousine vom Turm. Einen Moment glaubt sie den Körper der verhaßten Rivalin in der Luft schweben zu sehen. Ein animalisches Kreischen, und der schöne Mädchenleib liegt zerschmettert am Boden. Scheinheilig schluchzt Natalia ein wenig, als die Retter auf den Turm klettern. Ein Unglück. Kein Fünkchen von Verdacht bleibt an der Rächerin hängen. Nur als die Eltern ihre Tochter wieder wohlbehalten in den Armen halten, wundern sie sich einen Augenblick, mit welcher Inbrunst sie das Herausquellen des Blutes aus Irlandas Körper beschreibt.

Eine faszinierende Story. Ungewöhnlich durch ihr anarchisches Programm. Merkwürdig in ihrer Phantasie. Spannungsreich durch ihre Erzählweise. Kein Wunder, daß die erst 26jährige Debütantin Espido Freire für ihren Erstling "Die Cousine" von der spanischen Presse gefeiert und mit dem Premio Planeta ausgezeichnet wurde, dem höchstdotierten spanischen Literaturpreis. Die junge Autorin untersucht mit erstaunlicher Kaltblütigkeit den Selbstfindungsprozeß eines Mädchens an der Schwelle zum Erwachsenenalter. Zugleich seziert sie die scheinbar ausgelassenen, unter der fröhlichen Oberfläche aber gewalttätigen Initiationsrituale, denen Natalia, das junge Mädchen, im Kreise von Freundinnen, Cousinen und Cousins ausgeliefert ist. Sie tut es mit bösem Blick und einem ausgeprägten Sinn für das psychologische Detail.

Gewiß, es gibt auch Passagen, die allzu züchtig mädchenhaft erzählt und mit allerlei Brokatspitzen geschmückt sind; es gibt Ausflüge ins verwunschen Märchenhafte; ab und zu wird es schwül in diesen Erzählräumen, so bombastisch sind die symbolischen Verzierungen. Ein paar Mal irrlichtert ein altertümlicher Erzählton im Stil der großen Klassiker. Aber das sind Anfängerschwächen, die keineswegs dominieren. Es spricht für das Talent der Debütantin, daß sie sich - kaum ausgerutscht - auch schon wieder auffängt.

Kühn ist, wie sich Espido Freire in ihrem Erstling gleich an die letzten Themen wagt: Tod, Selbstfindung, Eifersucht, Rivalität. Natalia, die junge Protagonistin, hat eben ihre Schwester verloren, die an einer tödlichen Krankheit litt. Sie soll, um die Krise zu überwinden, mit Cousinen und Freunden den Sommer in einem verlassenen Landhaus verbringen, abgeschnitten von der Zivilisation, nur auf sich selbst zurückgeworfen. Alles riecht hier nach Verfall, alles zeugt vom Glanz vergangener Zeiten. Das Haus inmitten von Blumen und schattigen Bäumen, in dem früher einmal die Großmutter mit ihrem Amethystkollier und der Großvater mit dem silbernen Spazierstock regierten, soll verkauft werden. Ein rätselhafter Ort, imprägniert von einer morbiden Atmosphäre.

Espido Freire verwandelt den Erzählraum unversehens in einen psychischen Hallraum. Vor der ländlichen Kulisse treffen die beiden Gegenspielerinnen aufeinander: Natalia, die Einsame, Todessüchtige, Verstummte und ihre Cousine Irlanda, die Strahlende, Siegesgewisse, Erfolgreiche. Aber sind sie überhaupt Gegenspielerinnen? Oder nur Abspaltungen ein und derselben Person? Ist, was mit der Tötung der einen endet, die Geburt der anderen? Die Autorin, die ihrer Figur nicht ohne Berechnung den sprechenden Namen Natalia gegeben hat, läßt es in der Schwebe. Natalia, das Schattenwesen, wird im Kreise der Freunde schon bald zur Außenseiterin. Ein sonderbares Mädchen, das seine Energie darauf verwendet, Pflanzen zu sammeln, zu pressen und mit Etiketten zu beschriften, während seine Freunde sich vergnügen. Ihr Verhältnis zu Irlanda ist von Neid und Eifersucht vergiftet. Ihr Haß auf die lebenspralle Cousine und die Abscheu vor sich selbst, die von den Ritualen des Lebens Abgetrennte, bricht plötzlich durch, als sie die Cousine beobachtet, wie sie bei der Geburt eines Kalbes hilft.

Irlanda, die Herrschsüchtige, quält die Cousine, wo sie kann. Natalia freundet sich - eine Art Seelenverwandtschaft - mit Gabriel an, einem Jungen mit Augen von gespenstischer Starre. Auch sein Leben ist von Todeserfahrung grundiert. Als Kind hatte er mitangesehen, wie sich sein Vater erschoß. Irlanda zerstört die zarte Beziehung. Als sie ihrer Cousine eröffnet, daß Gabriel die Nächte längst in ihrem Zimmer verbringe, kommt es zur Krise. Stürzt sich die Betrogene auf der Stelle auf die Quälerin? Vernichtet sie die despotische Gegenspielerin? Lange Zeit bewegen sich die Gegner wie in Trance. Hier zeigt sich, wie geschickt die junge Autorin die Fäden führt; wie sich der Konflikt entladen wird, bleibt zunächst offen: Natalia will zwar die Rivalin zerstören, ebenso aber sich selbst.

Der Kampf zwischen Todestrieb und Lebenstrieb, das Duell zwischen der Lust auf Destruktion und dem Versuch, sich selbst zu erlösen, manifestiert sich in blitzschnell evozierten Zeichen. Einmal tötet Natalia die Schildkröte, die ihrer sterbenden Schwester gehört - ein Attentat auf die bildhafte Verkörperung unbeugsamer Vitalität. Ihr Versuch, sich selbst eine Identität zu geben, verrät sich in der Gier nach den alten Kleidern der Großmutter, die sie in den verschlossenen Truhen im Landhaus gefunden hat. Daß Irlanda sich radikal dem Leben und der Sexualität verschrieben hat, zeigen die weißen Kleider und Brautschleier, die sie für sich aus dem Stapel gewählt hat. Der Konflikt zwischen dem Vitalen und dem Morbiden läßt sich auch an der Zeichensprache der Zimmer ablesen: Natalia weigert sich, das rote Schlafzimmer zu bewohnen; sie zieht es vor, in einem Zimmer vor sich hin zu dämmern, in dem die Stofftapeten langsam verschimmeln. Die Tötung der Cousine wiederum und damit der radikale Entscheid zur schmerzvollen Geburt des eigenen Ich und der Durchbruch der verschütteten Sexualität manifestiert sich lange im voraus in der Phantasie der blutüberströmten, weißen Kleider Irlandas, welche Natalia zwanghaft umtreibt.

Kein Zweifel, die junge Autorin aus Bilbao, die von Kindheit an der Musik zugetan war und Gesangsunterricht nahm, ist auch literarisch ein Talent.

PIA REINACHER.

Espido Freire: "Die Cousine". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Ilse Layer. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart und München 2000. 206 S., 34,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

"Lakonisch und etwas angeödet bilanziert der Rezensent mit dem Kürzel "ebl", worum es in dem Erstlingswerk der Spanierin Espido Freire geht: "Natalia steht auf (manchmal bleibt sie aber im Bett), geht spazieren und botanisiert (oft), unterhält sich mit den anderen (selten), denkt nach und träumt (meistens)." Besagte Natalia soll in einem Sommer auf dem Land in Gesellschaft von Freunden und Verwandten über den Tod ihrer Schwester hinwegkommen. Schon die Überschrift der Rezension "Grosse Langeweile" deutet an, dass es so wirklich spannend nie wird, auch wenn der Plot laut "ebl." auf eine dramatische Enthüllung zusteuert. Auch die Übersetzung von Ilse Layer ist nach Auffassung des Rezensenten zu eng gefasst und sorgt für zusätzliche Ungelenkigkeiten.

© Perlentaucher Medien GmbH"
"Eine faszinierende Story. Ungewöhnlich durch ihr anarchisches Programm. Merkwürdig in ihrer Phantasie. Spannungsreich durch ihre Erzählweise." Pia Reinacher in der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung'

"In 'Die Cousine' hat [...] Espido Freire Magie, Witz und Melancholie so kunstvoll miteinander verwoben, dass er sich liest wie ein zauberischer Tagtraum - aus dem man nur widerstrebend wieder auftauchen mag." Brigitte

"Da schreibt eine junge Autorin bereits in ihrem ersten Roman mit einer literarischen Reife, ohne dass wir auf den Zauber und den Charme der Jugendlichkeit verzichten müssen." Harald Loch in der 'Saarbrücker Zeitung'

"Sprachlich virtuos, sehr schlicht und doch so genau, so tief empfunden auf den Punkt gebracht. Und dabei spannend bis zur allerletzten Zeile. [...] Mit 'Die Cousine' hat [Espido Freire] ihr Meisterstück abgeliefert und sich in die erste Garde europäischer Schriftsteller eingereiht - für mich die Entdeckung dieses Literatur-Frühlings." Elke Jansen in der 'Recklinghäuser Zeitung'