Marktplatzangebote
7 Angebote ab € 10,00 €
  • Gebundenes Buch

Mit seiner Studie über »Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich« (1996) hat Hans Mommsen eine der Grundlagen für die derzeit leidenschaftlich geführte Debatte über die Zwangsarbeiter in der deutschen Wirtschaft der NS-Zeit und deren »Entschädigung« gelegt. Darüber hinaus hat Mommsen mit wichtigen Studien über die Sozialdemokratie im Habsburgischen Vielvölkerstaat, über den Weg von Weimar nach Auschwitz, über den Nationalsozialismus und die deutsche Gesellschaft, über den deutschen Widerstand bis hin zu Arbeiten über die junge Bundesrepublik immer wieder grundlegende Anstöße zum…mehr

Produktbeschreibung
Mit seiner Studie über »Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich« (1996) hat Hans Mommsen eine der Grundlagen für die derzeit leidenschaftlich geführte Debatte über die Zwangsarbeiter in der deutschen Wirtschaft der NS-Zeit und deren »Entschädigung« gelegt. Darüber hinaus hat Mommsen mit wichtigen Studien über die Sozialdemokratie im Habsburgischen Vielvölkerstaat, über den Weg von Weimar nach Auschwitz, über den Nationalsozialismus und die deutsche Gesellschaft, über den deutschen Widerstand bis hin zu Arbeiten über die junge Bundesrepublik immer wieder grundlegende Anstöße zum Verständnis des 20. Jahrhunderts gegeben und mit seinem leidenschaftlichen Engagement Beachtung in weiten Teilen der politisch und historisch interessierten Bevölkerung gefunden.
Autorenporträt
Dr. phil. Hans Mommsen, geboren 1930 in Marburg/ Lahn, wurde 1968 zum ordentlichen Professor für Neuere Geschichte an die Universität Bochum berufen; 1996 emeritiert. Er ist Mitglied der British Academy und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, darunter "Die verspielte Freiheit. Der Weg der Republik von Weimar in den Untergang 1930-1933" (1989).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2000

Absturz des Systems
Hans Mommsens Aufsätze über den Nationalsozialismus und über die "Deformation" der deutschen Gesellschaft seit 1918

Hans Mommsen: Von Weimar nach Auschwitz. Zur Geschichte Deutschlands in der Weltkriegsepoche. Ausgewählte Aufsätze. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999. 439 Seiten, 58,- Mark.

Hans Mommsens Aufsätze aus den letzten 25 Jahren beanspruchen nicht, "die deutsche Entwicklung in der Weltkriegsepoche systematisch zu durchleuchten". Statt dessen beleuchten sie wichtige Teilaspekte. Sein Psychogramm zu den Kräfteverhältnissen am Ende der Weimarer Republik verrennt sich nicht ins Volkspädagogische angeblicher Alternativen zur verhängnisvollen Entscheidung der Hindenburg-Kamarilla für Hitler. Nach Mommsen war nur ein autoritäres Regime beziehungsweise eine Militärdiktatur in der Lage, die ökonomisch-politische Implosion des Staates aufzufangen. Ohne daß er explizit darauf verweist, war eine Rückkehr zum Parlamentarismus schon dadurch blockiert, weil nach dem Wahldebakel der NSDAP vom November 1932 die Hitler-Partei mit den Kommunisten gemeinsam die absolute Mehrheit im Reichstag besaßen. Gleichzeitig nahmen in den Mittelparteien Ohnmacht und Selbstzweifel zu, welche nach dem 30. Januar 1933 zur Kapitulation der Parteien "in glanzloser Resignation" (Theodor Heuss) führten. Das Vielspältige des Widerstands zeigt sich im Nein der SPD zum Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933 und im Ja ihrer Rumpffraktion am 17. Mai zu Hitlers "Friedensrede". Für Mommsen scheiterte die Weimarer Republik nicht an Hitler, "sondern Hitler war die letzte Konsequenz ihres Scheiterns".

Mommsen lastet dem Bürgertum - zumal den konservativen Eliten - an, daß es vor Hitlers Selbstverharmlosung und Versöhnungsinbrunst intellektuell und moralisch versagte, indem es die eigenen Traditionsbestände geradezu willig von Hitlers Vorstellungen bedienen ließ. In den Forderungen etwa des Alldeutschen Verbandes von 1894 nach Ellbogenfreiheit im Ostraum und völkischer Flurbereinigung sichtet Mommsen die Frühbeete nazistischer Ideologie. Reichen aber die Verweise auf Imperialismus, Nationalismus, Rassenmythos und Antisemitismus allein zur Anklage des "Bürgertums" aus? Bildete nicht auch die Visionsmacht des "Sozialismus" eine weitere Zugbrücke, über welche die politische Pestilenz des völkisch geschlossenen Willens als Klassenmacht in das Vernünftige eindrang? "Die Ordnung, die 1789 als fortschrittlich ihren Weg antrat", so Horkheimer 1939, "trug von Beginn an die Tendenz zum Nationalsozialismus in sich." Die Verneinung der Gleichheit der Menschen, die innere Geschlossenheit der Rassenklasse oder Klassenrasse als Voraussetzung für Selbstbehauptung durch Hegemonie führte zur Synthesesuche von Sozialismus und Nation als Reflexion einer "neuen Zivilisation" (Zeev Sternhell), auf die die Geisteskrise der Jahrhundertwende zutrieb.

Wer zudem heute von Nationalsozialismus als Faschismus spricht, scheint die Neugier auf den Konkordanzcharakter des nationalen Sozialismus wegsperren zu wollen. Zugleich fällt er hinter den Forschungsstand zurück. Der Begriff Faschismus muß für das System Mussolinis reserviert bleiben. Wird der "Sozialismus" gerade wegen dessen nazistischer Adaption auch bei Hans Mommsen auffällig abgeschirmt? So viel versagendes Bürgertum kann es allein zahlenmäßig in Deutschland kaum gegeben haben, wenn man auf die Ergebnisse der Reichspräsidentenwahl vom April 1932 blickt. 36,4 Millionen abgegebene Stimmen verteilten sich auf den Gesinnungsmonarchisten Hindenburg, den rechtsextremen Hitler und den linksextremen Thälmann. Später hat Hans Werner Richter (Gruppe 47) bitter daran erinnert, daß nach dem 30. Januar 1933 nicht wenige ihr rotes Hemd für ein braunes weggaben.

Noch stärker als bei Mommsen sollte die deutsche Diktatur zum Begreifen ihrer Singularität in eine Dimension gestellt werden, die Thomas Mann in "Bruder Hitler" als "Primitivierungsprozeß" Europas benannt hat. Wilhelm Mommsen vermerkte 1951 in seiner Geschichte des Abendlands, daß Faschismus und Nationalsozialismus Methoden und Mittel übernahmen, "die der Bolschewismus ausgebildet hatte, im besonderen das ,Einparteiensystem', das schon sprachlich ein Widerspruch ist. Nationalsozialismus und Faschismus sind ebensowenig ohne den Aufstieg des Bolschewismus zu denken, wie die Tatsache, daß der ganze Süden und Osten Europas von totalitären Systemen beherrscht wurde". Mark Mazower, der vom Europa der Kriegsepoche als "dunklem Kontinent" spricht, leitet sein neues Buch ein: "Besonders der Nationalsozialismus paßt weit besser zu den Hauptströmungen nicht nur der deutschen, sondern auch der europäischen Geschichte, als den meisten Menschen lieb ist." Und Tony Judt erinnert die Gesinnungstüchtigen aller Couleur daran, daß - mag dies auch obszön sein - die Fakten stimmen und gelten müssen. Vor diesem Gebot besteht besonders Mommsens glanzvolle Studie über den Reichstagsbrand und über van der Lubbe. Ebenfalls sind die Einzeluntersuchungen zum Ausnahmezustand als Herrschaftstechnik des Dritten Reiches lichtvoll.

Im Beitrag über Hitlers Stellung im Herrschaftssystem unterstreicht Mommsen, daß Hitler jedes Zähmungskonzept unterlief und nicht von Konkurrenten bedrängt war. Selbst nach dem 20. Juli 1944 stieg Hitlers Popularität noch steil an. Die amorphe Struktur der auf Hitler zugerüsteten Herrschaft machte diesen jedoch in dem Maße zum "schwachen Diktator", in welchem er seine Macht legibus absolutus gegen sein Wissen vom kommenden Untergang mobilisierte und die Gravitationsgesetze der Realpolitik im Vabanque-Spiel verachtete. "Nach außen blieb Hitlers Suprematie unangetastet" (Mommsen).

Sich auf der Grenze zwischen Tatsachenstrenge und Überrationalisierungsgefahr hin und her bewegend, sieht Mommsen früh in der "systematischen Einübung von Gewalt auf allen denkbaren Politikfeldern das System folgerichtig in eine unbeschränkte Barbarei abdriften". Aus ihr wird nach den Fehlschlägen der Zwangsauswanderung der Juden, ihrer geplanten Verbringung ins Madagaskar-Reservat zuletzt die "Endlösung" der europäischen Judenfrage realisiert, welche für Mommsen ebensowenig wie die ausgreifende Ostsiedlung "von langer Hand geplant war". "Umvolkungs"-Pläne und die rassistische Vernichtungsmaschinerie hatten ihre letzte Zwecksetzung in der Sinnleere eines Rassenutopismus, der sich in der militärischen Agonie des "Dritten Reiches" geradezu zur Vernichtungsmission als Eskalationsreflex hypertrophierter Ausweglosigkeit steigerte. "Der Absturz des Systems", so Hans Mommsen, "ist eben nicht einfach auf das Werk einzelner Personen oder einer Personengruppe zurückzuführen, sondern beruht auf einer komplexen gesellschaftlichen und politischen Deformation, die spätestens 1918 einsetzte."

An solchen Urteilen zeigt sich das Attraktive und Problematische der Aufsätze zugleich: Sie verdichten oft eher, als daß sie duldsam erklärend entfalten. Die Lesergier nach Einsichten bleibt zuweilen auch ungesättigt, wenn man beispielsweise liest: "Im Unterschied zur sowjetischen Zwangsumsiedlung vollzog sich die ,Endlösung' im Schatten formeller und großenteils faktischer Geheimhaltung, was für den Archipel Gulag gerade nicht zutraf. Insofern sind die Gleichsetzungen, die Stéphane Courtois im ,Schwarzbuch des Kommunismus' vornimmt, irreführend, so wenig der zutiefst verbrecherische Charakter beider Regime in Frage steht."

MANFRED FUNKE

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In seiner Rezension (in der nicht an jeder Stelle deutlich wird, inwiefern er die Überlegungen Mommsens referiert oder eigene Gedanken äußert), weist Manfred Funke zunächst darauf hin, dass es sich hier um Aufsätze Mommsens aus den letzten 25 Jahren handelt. Der Autor selbst habe mit dieser Sammlung keineswegs den Anspruch erhoben, `die deutsche Entwicklung in der Weltkriegsepoche systematisch zu durchleuchten`, sondern "wichtige Teilaspekte" behandelt. Dem Rezensenten scheint dabei zu gefallen, dass Mommsen sich nicht in Überlegungen verliert, was damals anders hätte verlaufen können, sondern lieber aufzeigt, warum ein "autoritäres Regime beziehungsweise eine Militärdiktatur" die geradezu zwangsläufige Folge des Scheiterns der Weimarer Republik war. Nicht ganz einverstanden scheint Funke jedoch mit Mommsens Anklage gegen das Bürgertum, dem er eine besondere Verantwortung an Hitlers Aufstieg zuweist - Funke würde auch den Sozialisten eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung zuschreiben wollen. Ohne auf Einzelheiten einzugehen hebt Funke insbesondere Mommsens Aufsätze zum Reichstagsbrand und van der Lubbe sowie zum "Ausnahmezustand als Herrschaftstechnik des Dritten Reiches" als besonders erhellend hervor. Insgesamt kritisiert er allerdings, dass Mommsens Studien oftmals eher "verdichten (...) als dass sie duldsam erklärend entfalten".

© Perlentaucher Medien GmbH…mehr