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Die dramatische Geschichte einer Berliner Unternehmerfamilie in den Wirren des 20. Jahrhunderts
Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs: Der Berliner Fabrikant Hermann Kypscholl wähnt sich auf der Seite der Gewinner, seiner Familie fehlt es an nichts, und bei Feiern mit illustren Gästen in der Wannsee-Villa fließt Sekt in Strömen. Tochter Anna steht vor einer Karriere als Rassenforscherin; Sohn Otto, der eigentlich Maler werden will, wird von seinem Vater in die Wehrmacht gezwungen und "sichert" in Europa Kunstwerke für Nazigrößen. Doch nach 1945 ist nichts mehr, wie es war: Anna wird vermisst,…mehr

Produktbeschreibung
Die dramatische Geschichte einer Berliner Unternehmerfamilie in den Wirren des 20. Jahrhunderts

Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs: Der Berliner Fabrikant Hermann Kypscholl wähnt sich auf der Seite der Gewinner, seiner Familie fehlt es an nichts, und bei Feiern mit illustren Gästen in der Wannsee-Villa fließt Sekt in Strömen. Tochter Anna steht vor einer Karriere als Rassenforscherin; Sohn Otto, der eigentlich Maler werden will, wird von seinem Vater in die Wehrmacht gezwungen und "sichert" in Europa Kunstwerke für Nazigrößen. Doch nach 1945 ist nichts mehr, wie es war: Anna wird vermisst, Otto sitzt im Kriegsverbrechergefängnis, und die Teilung Deutschlands schlägt eine Schneise in die Familie. erst in den 1960er Jahren finden Annas Tochter und Ottos Sohn zusammen, aber beide leiden unter den Wunden, die der Krieg gerissen hat.

Herrliche Zeiten ist ein monumentaler Roman über Anpassung, Widerstand und Deformierungen an Leib und Seele. In epischer Sprache und mit psychologischer Tiefenschärfe zeichnet Norbert Leithold Aufstieg und Fall einer großbürgerlichen Familie über drei Generationen hinweg und entwirft ein lebendiges Panorama vom "Dritten Reich" bis in die 1968er in West und Ost.
Autorenporträt
Norbert Leithold, geboren 1957, Schriftsteller und Historiker. Leithold forschte zu den Lebensborn-Heimen in der NS-Zeit und ist Kenner der politischen Verhältnisse am Weimarer Hof der frühen Goethezeit.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.05.2014

Wie man im Dritten Reich mit Kunstraub Geld machte
Norbert Leithold erzählt die Geschichte seiner Familie und restauriert nebenbei eine barocke Stadtvilla

Norbert Leithold empfängt im weitläufigen Flur und verweist auf die Hausschuhpflicht beim Betreten der Holztreppe. Auf dem Umschlag seines Romans "Herrliche Zeiten" ist ein Stück Terrasse einer herrschaftlichen Villa am Berliner Wannsee zu sehen. Leitholds eigene Stadtvilla in Ludwigslust ist ein Barockbau aus der Zeit, als der Hof von Mecklenburg-Schwerin in Lulu, wie die Leute hier sagen, residierte. Derzeit ist das Haus halb Wohnung, halb Baustelle. Vor drei Jahren hatte seine Frau entdeckt, dass das Gebäude zum Verkauf stand, und verliebte sich in die halbe Ruine.

Die beiden haben sich kennengelernt, als Leithold vor Gericht stand und sie darüber berichtete. Er nahm ihren Namen an, um sich gleichsam eine neue Existenz zu schaffen. Aber die Vergangenheit mischte sich immer wieder ein. Zuletzt, als Leithold seine Biographie des Grafen von Goertz veröffentlichte, ein gutes Buch über den Hauslehrer am Weimarer Hof, der das Verhältnis zwischen Goethe und Anna Amalia aus der Nähe betrachtete und später Geheimagent für den Preußenkönig Friedrich II. wurde. Das Buch stand 2010 auf der Liste für den Leipziger Buchpreis, wurde dann aber wieder gestrichen, da der Autor unter seinem früheren Namen Norbert Bleisch in den neunziger Jahren pornographische Filme mit minderjährigen Jungen gedreht hatte. Dafür kam er vor Gericht und ins Gefängnis.

Damals begann er auch, den Roman seiner Familiengeschichte zu schreiben. 1200 Seiten in anderthalb Jahren. Ein Problem für jeden Verlag, die Sache blieb liegen. Leithold schrieb den als islamkritisch diskreditierten kleineren Roman "2040", dann widmete er sich Goertz und Friedrich II.: Vor zwei Jahren erschien in der Anderen Bibliothek sein kulturgeschichtliches Lexikon über den großen Preußenkönig, das nicht nur ein besonders schönes Buch ist, sondern sich auch im Neuigkeitswert heraushob aus der Unzahl von Veröffentlichungen zu Friedrichs dreihundertstem Geburtstag. Aber auch in der Zeit, als Leithold als Historiker wahrgenommen wurde, ließ ihn das Manuskript der Familiengeschichte nie los. "Herrliche Zeiten" erwuchs daraus, noch immer ein dickes Buch, aber vom Ursprungsprojekt vollkommen emanzipiert.

Leithold führt über die große Treppe durch viele Türen, bis in den Salon. Aus allen Epochen hat er beim Restaurieren Zeugnisse gefunden: "Wenn ausgerechnet ein Historiker unter den Dielen seines Hauses bündelweise herzogliche Akten findet, klingt das wie ein schlechter Plot, aber es ist die reine Wahrheit." Den Satz könnte Leithold auch über seinen Roman sagen. "Herrliche Zeiten" erzählt die Geschichte der großbürgerlichen Familie Kypscholl von 1937 bis 1968. Der Vater wird im Zweiten Weltkrieg als Uniformschneider für die Wehrmacht reich. Seine Tochter Anna ist fasziniert von der Rassenlehre der Nationalsozialisten und versucht, im Ostpreußischen ein Lebensborn-Heim aufzubauen. Der Sohn Otto, der als Maler einen jüdischen Zeichenlehrer hatte, wird wie von selbst hineingezogen in den Kunstraub der Nationalsozialisten, erst in Polen, dann in Frankreich, dann in Russland. Alle Figuren Leitholds überschreiten Grenzen. Sie tun es ohne Unrechtsbewusstsein und werden doch schuldig. Leithold ist das sehr vertraut.

Wenn dann auch noch der Widerstand gegen die LPG in der DDR und Studentenunruhen im Westen im Buch eine Rolle spielen, der Missbrauch im katholischen Internat und der Kulturkampf im Sozialismus, Simon Wiesenthals Recherchen, um die Täter des Holocausts zu finden, der Eichmann-Prozess und die Geschichte des Kunstfälschers Han van Meegeren, dann scheint das auch für fünfhundert Seiten etwas viel. Aber fast alle Figuren haben Vorbilder in Leitholds Familie. "Nichts ist wirklich erfunden", sagt er.

Gern zeigt er dann auch noch seinen Arbeitsplatz, zwei Räume neben dem Salon. Ein bisschen sieht es dort aus, als würde Friedrich an seinem Bureau Plat in Sanssouci Briefe verfassen. Leithold schreibt immer mit der Hand, mit einem Füllfederhalter als Erbstück seiner Mutter. Das braucht Zeit. Die Geschwindigkeit seines Romans aber ist deutlich schneller, rasend geradezu. Es bleibt nicht einmal mehr Zeit für Anführungszeichen bei der wörtlichen Rede. Alles fließt ineinander und eilt von Katastrophe zu Katastrophe. Man könnte auch sagen: von Motiv zu Motiv. Musik habe ihn inspiriert, sagt Leithold. Sein Schreiben sei wie Musik. Vor allem Richard Strauss' Oper "Salomé" meint er damit, die im Roman auch immer wieder auftaucht.

Norbert Leithold stammt aus Schwerin und galt schon in der DDR als Autor mit Zukunft. In der Kindheit diente ihm eine Garage voller Antiquitäten und Kunst als Spielplatz. Dass es Raubkunst war, begriff er erst viel später. Kein Sperrmüllhaufen in der Stadt war vor ihm sicher. Je mehr in der DDR Altes zerschlagen wurde, desto mehr sei er zum "Fanatiker des Bewahrens" geworden, sagt er. Und beinahe wäre er bei einem Glasmaler sogar noch in die Fälscherszene gelangt.

Vieles von dem, was Leithold einst bei Nacht und Nebel gerettet hat, steht jetzt auf seinem Villenbauplatz. Und nun rettet er auch das Haus selbst. Er tut dies im Wortsinn. Als Stuckateur von Beruf, der am Schweriner Theater Kulissen hergestellt hat, will er in seinem Haus irgendwann eine Ludwigsluster Tradition wiederbeleben: die Pappmaché-Herstellung. Ludwigsluster Pappmaché war so beständig, dass sie jeder Witterung trotzte. Ein bisschen so ist auch "Herrliche Zeiten" geraten. Man glaubt nicht, dass diese wilde Szenenfolge als Roman hält. Aber sie tut es. Und sie endet in einem derart furiosen Trommelwirbel, dass man sich gewünscht hätte, es stünde als letzter Satz, was Birk Meinhardt in seinem ostdeutschen Familienroman "Brüder und Schwestern" so frech schrieb: "Wird fortgesetzt".

FRANK PERGANDE

Norbert Leithold: "Herrliche Zeiten". Roman.

DVA, München 2014. 544 S., geb., 22,99 [Euro].

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"... diese wilde Szenenfolge endet in einem derart furiosen Trommelwirbel, dass man sich gewünscht hätte, es stünde als letzter Satz 'Wird fortgesetzt.'" FAZ Frankfurter Allgemeine

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Norbert Leithold hat mehr als zehn Jahre an diesem Raubkunst-Roman gearbeitet, man täte ihm Unrecht, diesen nur als das Buch zur Affäre Gurlitt oder zum Fall Beltracchi zu lesen, meint Rezensent Harry Nutt in seiner wohlwollenden Besprechung. "Herrliche Zeiten" erzählt von einer Aufsteiger-Familie in der NS-Zeit: Der Vater macht mit der Herstellung von Uniformen ein Vermögen, die Tochter steigt als Rassebiologin auf, und der Sohn scheitert zwar als Maler, macht aber mit Kunstraubzügen Karriere in der Waffen-SS. Die historischen Fakten sieht Rezensent Nutt geschickt mit romanhaften Elementen verknüpft, wenn auch nicht immer mit gleicher Intensität. Der zweite, nach dem Krieg spielende Teil kommt ihm dann zwar arg konstruiert vor, und auch der erste sei nicht immer frei von Klischees, dennoch empfiehlt Nutt das Buch, vor allem wegen seines "großen Stoffes".

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