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Mit beeindruckenden Beispielen russischer Filmarchitektur zeigt Janina Urussowa, wie auf dem Reißbrett und vor der Kamera die Utopie einer sozialistischen Großstadt erschaffen wurde. Was sich im realen Moskau nie verwirklichen ließ, nahm im Kino virtuell Gestalt an.
Im Jahr 1939 drehte der sowjetische Regisseur Viktor Morgenstern den Dokumentarfilm "Moskau". Der Film endet mit einer Sportparade vor dem größten Bauwerk der Stalin-Epoche, dem Palast der Sowjets im zukünftigen Moskau. Dass dieser dokumentarische Bericht auf Straßen aufgenommen worden ist, die nur als Kulissen vorhanden waren,…mehr

Produktbeschreibung
Mit beeindruckenden Beispielen russischer Filmarchitektur zeigt Janina Urussowa, wie auf dem Reißbrett und vor der Kamera die Utopie einer sozialistischen Großstadt erschaffen wurde. Was sich im realen Moskau nie verwirklichen ließ, nahm im Kino virtuell Gestalt an.

Im Jahr 1939 drehte der sowjetische Regisseur Viktor Morgenstern den Dokumentarfilm "Moskau". Der Film endet mit einer Sportparade vor dem größten Bauwerk der Stalin-Epoche, dem Palast der Sowjets im zukünftigen Moskau. Dass dieser dokumentarische Bericht auf Straßen aufgenommen worden ist, die nur als Kulissen vorhanden waren, schien die Zeitgenossen nicht zu stören. Dieses Beispiel zeigt, wie in Russland nach der Oktoberrevolution die Utopie einer sozialistischen Großstadt - verkörpert im 'Neuen Moskau' - erschaffen wurde. Da die Umgestaltung der realen Stadt aber nur schwer und langsam zu verwirklichen war, kamen Architektur und Film zu Hilfe. Als mediale Inszenierung entstand so eine "terra socialistica": eine Idealstadt der Zukunft. Janina Urussowa erzählt die interessante Geschichte dieser virtuellen Urbanisierung. Sie rekonstruiert die mentalen Muster der sozialistischen/russischen Kultur, die hinter den Kulissenentwürfen zu entdecken sind. Das faszinierende, zum Teil er stmals veröffentlichte Bildmaterial wurde in künstlerischer Weise zur Geltung gebracht.
Autorenporträt
Janina Urussowa, geboren 1967 in Kirow, Studium der Architektur an der Moskauer Hochschule für Architektur (MARChI), wissenschaftliche Mitarbeit am Institut für Theorie und Geschichte der Architektur und des Städtebaus in Moskau, Promotion am Institut für empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen, Tätigkeit als freie Kulturwissenschaftlerin in Ausstellungs- und Forschungsprojekten in Dresden, Berlin und Hannover. Seit 2001 für die Siemens AG in Moskau tätig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.07.2004

Im Atelier gedreht, im Kommunehaus gezeigt
Gehen und Gesehenwerden: Janina Urussowa untersucht die Darstellung Moskaus im frühen Film

"Moskau selbst war schon eine Zwiespältigkeit - da der herrliche Rote Platz mit seinen Mauern und Zwiebeltürmen, etwas wunderbar Tartarisches, Orientalisches, Byzantinisches und darum Urrussisches, und daneben wie eine fremde Horde von amerikanischen Riesen moderne, übermoderne Hochbauten. Nichts ging zusammen. Alles war zu lange alt und träge und verrostet gewesen und wollte jetzt mit einem Ruck modern, ultramodern, supertechnisch werden. Durch diese Eile wirkte Moskau überfüllt, überbevölkert und wirr durcheinandergeschüttelt." So beschreibt Stefan Zweig die architektonische Gemengelage Moskaus in dem Vierteljahrhundert nach der Oktoberrevolution. Wie es zu dieser Gemengelage kam, hat die Kulturwissenschaftlerin Janina Urussowa beschäftigt.

Ihre Chronologie umfaßt drei Phasen. Da war der frühe Holzweg "einer unnatürlichen Verbindung von proklamiertem Sozialismus und realem Kapitalismus"; er gebar Repräsentationsbauten westlichen Stils an den großen Prospekten, hinter denen die neu ausgerufene Kapitale wucherte. Es folgte eine kulturelle Neubesinnung im Zeichen des Konstruktivismus, dem Eldorado der Ingenieure und Avantgardekünstler. Wenige Entwürfe wurden umgesetzt, die Ideen aber blieben zukunftsweisend.

Mit dem zweiten Fünfjahresplan wechselt die Parteispitze noch einmal das Medium. Nun beginnt die dritte Phase. Hintangestellt wird die Idee einer Urbanisierung der Stadt zum Wohle ihrer Bewohner, der Moskowiter, denen, wie in den besten Teilen dieser Studie herausgearbeitet ist, wie allen anderen Bewohnern des Landes die Erfahrung einer modernen Großstadt fehlte. Gegen das Konzept einer Ruralisierung der Stadt setzt sich das Phantasma einer mit symbolischer Pracht geschmückten Metropole durch. Real gebaut wird in den dreißiger Jahren die U-Bahn und die Landwirtschaftsausstellung, die jeder Moskau-Besucher zu bestaunen hat. Noch wirkungsträchtiger erscheint den stalinistischen Funktionären die "Virtualisierung der Stadt" im dazu neu entdeckten Medium Film.

Entworfen wird am Reißbrett, gedreht wird im Atelier, gesehen wird schließlich im Kommunehaus der Sozgorod, der sozialistischen Stadt, die am besten - auf der Leinwand funktioniert. So will es das Konzept. De facto läßt sich der Kinozuschauer damit nicht auf Dauer "dynamisieren", so zwangskollektiviert er auch neu erstanden sein mag. In der Kunst bleibt es dem Individuum überlassen, ob Inhalt und Form zusammengehen oder in unterschiedliche Richtungen streben.

Der Betrachter eines Films gleicht das Gesehene gleichwohl zwangsläufig mit seiner außerfilmischen Erfahrung ab. Dazu ist der Wissenschaftler nicht verpflichtet. Ein größerer Erkenntnisgewinn als die Mechanik der Utopien avantgardistischer und stalinistischer Couleur ist die Analogie von filmischem und architektonischem Erleben. Was sich anhand des reichen Materials an ästhetischen Befunden aufdrängt, wird aber nur selten in weiter gehende Hinweise überführt: Hat Eisenstein etwa von Münsterberg und Mach profitiert? Wäre dann nicht auch das psychologisierte Erleben von Architektur, wie es von der Forschungsrichtung August Schmarsows entwickelt wurde, in das Verständnis von Filmen einzubeziehen? Wäre umgekehrt nicht auch Camillo Sittes Klassiker zum Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen ein Äquivalent zum Filmerleben, das gleichfalls aus "Gehen und Sehen" besteht?

Was ist weiter von einem filmwissenschaftlichen Buch zu halten, in dem der Name René Clair konstant falsch geschrieben ist? Das durch eine üppige Bebilderung glänzt, doch kein Bild mit Sicherheit zuordnen läßt, weil jegliche Beischrift fehlt? Das eine adrette Gestaltung aufweist, die der Argumentation des Textes an keiner Stelle auf die Sprünge hilft? Diese Eindrücke schmälern den Ertrag enormen Fleißes und jenes seltenen Gutes, das früher einmal Filmkunde hieß. Die Gefahr kulturwissenschaftlicher Arbeiten: Sie verwässern ihren Gegenstand, weil so vieles auf einmal zu ihrem Gegenstand wird.

THOMAS MEDER

Janina Urussowa: "Das Neue Moskau". Die Stadt der Sowjets im Film 1917-1941. Böhlau Verlag, Köln 2004. 450 S., 425 S/W-Abb., geb., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Thomas Meder ist nicht begeistert. Vor allem die formalen Schludrigkeiten von Janina Urussowas "Das Neue Moskau" erregt seinen Unmut. So sei der Name Rene Clair "konstant falsch geschrieben", und die "üppige Bebilderung" des Buches verpuffe, da sich "kein Bild mit Sicherheit zuordnen lässt, weil jegliche Beischrift fehlt". Die "adrette Gestaltung" helfe "der Argumentation des Textes an keiner Stelle auf die Sprünge". Was Meder hingegen konzediert, ist "enormer Fleiß". Mit diesem gehe Urussowa der Frage nach, wieso Moskau in architektonischer Hinsicht nach der Oktoberrevolution so uneinheitlich wirkte. Dazu unterteile die Autorin die architekturgeschichtliche Entwicklung der Stadt in drei Phasen: 1. eine "unnatürliche Verbindung von proklamiertem Sozialismus und realem Kapitalismus", aus dem "Repräsentationsbauten westlichen Stils an den großen Prospekten" hervorgegangen seien; 2. "eine kulturelle Neubesinnung im Zeichen des Konstruktivismus"; 3. das "Phantasma einer mit symbolischer Pracht geschmückten Metropole". Den Großstadtgeist der Moskowiter haben demnach die stalinistischen Funktionäre durch die "Virtualisierung der Stadt im dazu neu entdeckten Medium Film" beflügeln wollen. Allerdings habe sich der Kinozuschauer damit nicht wirklich "dynamisieren" lassen, "so zwangskollektiviert er auch neu erstanden sein mag". Bei Urussowas Untersuchung des Verhältnisses von Film und Architektur setzt Meders inhaltliche Kritik an: "Was sich anhand des reichen Materials an ästhetischen Befunden aufdrängt", werde "nur selten in weiter gehende Hinweise überführt". So schlage auch hier die "Gefahr kulturwissenschaftlicher Arbeiten" voll durch: "Sie verwässern ihren Gegenstand, weil so vieles auf einmal zu ihrem Gegenstand wird."

© Perlentaucher Medien GmbH
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