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Während "Neue Sachlichkeit" als Stilrichtung der Weimarer Republik bislang fast ausschließlich auf die Malerei und Architektur bezogen wurde, beschäftigt sich dieses Werk mit der neusachlichen Literatur. An programmatischen Texten - u.a. von Alfred Döblin, Erich Kästner, Egon Erwin Kisch, Bertolt Brecht und Lion Feuchtwanger - wird erstmals gezeigt, dass schon in den frühen 20er Jahren ein Diskurs um "Sachlichkeit" in der Literatur einsetzt, der unabhängig von der bildenden Kunst zu sehen ist. Die Autorin leistet grundlegende Arbeit für eine Neubewertung der "Neuen Sachlichkeit" in der…mehr

Produktbeschreibung
Während "Neue Sachlichkeit" als Stilrichtung der Weimarer Republik bislang fast ausschließlich auf die Malerei und Architektur bezogen wurde, beschäftigt sich dieses Werk mit der neusachlichen Literatur. An programmatischen Texten - u.a. von Alfred Döblin, Erich Kästner, Egon Erwin Kisch, Bertolt Brecht und Lion Feuchtwanger - wird erstmals gezeigt, dass schon in den frühen 20er Jahren ein Diskurs um "Sachlichkeit" in der Literatur einsetzt, der unabhängig von der bildenden Kunst zu sehen ist. Die Autorin leistet grundlegende Arbeit für eine Neubewertung der "Neuen Sachlichkeit" in der Literatur. Im untersuchenden Teil arbeitet sie die ästhetischen Mittel und die Programmatik neusachlicher Literatur (z.B. Antiexpressionismus, Reportagestil, Präzisionsästhetik, Entsentimentalisierung) differenziert heraus. Der Quellenband dokumentiert die zentralen programmatischen Texte und lässt die verschiedenen Positionen, Erklärungsmuster und Definitionen von "Neue Sachlichkeit" aus dem z eitgenössischen Verständnis heraus deutlich werden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.09.2001

Nüchtern, präzise, neutral
Standardwerk: Sabina Becker erforscht die Neue Sachlichkeit

Immer wieder ist in den letzten Jahren der Verdacht geäußert worden, der germanistischen Literaturwissenschaft kämen die Gegenstände abhanden, so als seien alle auch nur einigermaßen wichtigen Forschungsfelder hinlänglich sondiert und bearbeitet. Wie wenig dies zutrifft, zeigt die Habilitationsschrift der Saarbrückener Privatdozentin Sabina Becker, die sich der Neuen Sachlichkeit annimmt, gleich in zweifacher Weise: Zum einen macht sie deutlich, was auf diesem Gebiet bisher alles nicht getan worden ist, und zum andern bietet sie endlich eine solide Basis für die notwendige weitere Reflexion der neusachlichen Literatur.

Damit soll nicht der Eindruck erweckt werden, als sei die Neue Sachlichkeit bisher ein Stiefkind der germanistischen Forschung gewesen. Seit den sechziger Jahren erschien eine Vielzahl von einschlägigen Studien; das entsprechende Verzeichnis in der Arbeit von Becker, das noch nicht einmal vollständig ist, zählt fast zweihundert Titel. Der größere Teil von ihnen widmet sich einzelnen Aspekten, Autoren und Werken der Neuen Sachlichkeit. Einige, wie die von Horst Denkler und Karl Prümm, versuchen aber auch, ein Gesamtbild zu skizzieren, und andere, insbesondere die von Helmut Lethen und Jost Hermand, kommen zu sehr dezidierten und kritischen, aber auch fragwürdigen Wertungen.

Von diesen Studien hebt sich die Arbeit von Sabina Becker vor allem durch zwei Momente ab. Sie versucht, den in den zwanziger Jahren geführten Diskurs über die Neue Sachlichkeit in einer möglichst umfassenden und auch weit zurückgreifenden Weise zu rekonstruieren. Außerdem bemüht sie sich, die Neue Sachlichkeit nachdrücklicher als bisher und auf einer sehr viel breiteren Quellenbasis als ausdifferenziertes poetologisches Konzept nachzuzeichnen und als Schlußstück der klassischen, durch die Probleme der Industrialisierung und Urbanisierung geprägten Moderne auszuweisen. Daß die Arbeit damit auch einen wichtigen Beitrag zur Mentalitätsgeschichte der Weimarer Republik leistet, ist ein Anspruch, der im Vorwort der Arbeit ganz zu Recht erhoben wird.

Die Neue Sachlichkeit ist hauptsächlich ein Phänomen der Weimarer Republik. Bald nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, als die Zeitgenossen von Pathos und Phrasen genug hatten, wurde "Sachlichkeit" zur kulturellen Dominante - und blieb es trotz mancher Kritik und einiger frühzeitiger Todeserklärungen bis zum Ende der Weimarer Republik, ja sogar darüber hinaus, wie vor allem die Exilliteratur zeigt. Der Beginn des Sachlichkeitsdiskurses und der Bemühungen um eine neue, nach-realistische und nach-naturalistische sachliche Schreibweise liegt allerdings erheblich früher. Er manifestiert sich in den programmatischen Schriften des "Werkbunds" und des Architekten und Ornamentkritikers Alfred Loos, nicht zuletzt aber auch in den frühen poetologischen Schriften Alfred Döblins. Vor diesem Hintergrund, den Becker erstmals zur Geltung bringt, erweist sich die gängige These, daß "Sachlichkeit" durch die 1923 konzipierte und 1925 realisierte Mannheimer Ausstellung "Neue Sachlichkeit / Deutsche Malerei seit dem Expressionismus" zum Leitwort der Epoche erhoben worden sei, als doppelt irreführend: Weder markiert diese Ausstellung den Durchbruch der Neuen Sachlichkeit, geschweige denn ihren Beginn, noch kommt der Malerei und der Kunstwissenschaft die Avantgardistenrolle zu. Das Sachlichkeitskonzept bildete sich - vor dem Hintergrund des verlorenen Kriegs - im wechselseitigen Austausch zwischen den verschiedenen Künsten und Wissenschaften heraus. Besonders gut spiegelt sich dieser Vorgang in einem Brief, den Max Weber am 24. November 1918 an Otto Crusius schrieb: Es komme jetzt, so Weber, auf die Wiederherstellung "jener ganz nüchternen und moralischen ,Anständigkeit'" an, die als der "schwerste Kriegsverlust" zu beklagen sei, und die Voraussetzung dafür heiße: "Ablehnung aller geistigen Narkotika jeder Art, von der Mystik angefangen bis zum ,Expressionismus'. ,Sachlichkeit' als einziges Mittel der Echtheit".

Die Wendung gegen den Expressionismus war ein erstes Kennzeichen der Neuen Sachlichkeit. Weitere Postulate und Prinzipien kamen hinzu: "neuer Naturalismus", Nüchternheit, Präzisionsästhetik, Realitätsbezug und Aktualität, Reportagestil, Beobachtung, Antipsychologismus, Neutralität oder Objektivität, Dokumentarismus, Tatsachenpoetik, Bericht, Gebrauchswert, Entsentimentalisierung, Entindividualisierung. Jeder dieser Schlüsselbegriffe wird von Becker in je eigenen, zwischen sechs und zwölf Seiten umfassenden Kapiteln durch Quellenmaterial im Licht der Forschungsliteratur reflektiert. Die Kapitel sind sehr informativ und tragen dazu bei, daß der Terminus "Neue Sachlichkeit" einen präzisen Sinn bekommt; die gängige Rede von der "sogenannten" Neuen Sachlichkeit, die nicht mehr als ein leeres Schlagwort gewesen sei, hat keine Legitimität mehr.

Ein Teil der oben genannten Leitbegriffe wird in einem zweiten Durchlauf noch einmal bedacht, und zwar im Licht der Kritik an der Neuen Sachlichkeit, die gegen Ende der zwanziger Jahre einsetzte und von der marxistischen Linken, vertreten etwa durch Brecht und Benjamin, wie von rechtskonservativen Gruppierungen betrieben wurde. Die marxistische Linke vermißte an der Neuen Sachlichkeit den revolutionären Impetus und den agitatorischen Zug, bezichtigte sie der Tendenzlosigkeit und reaktionären Gesinnung; die rechtskonservativen Kritiker warfen ihr vor, unaristokratisch, unpersönlich, kollektivistisch, großstädtisch, massenorientiert und unnational oder gar antinational zu sein; linke wie rechte Kritiker stimmten überein, daß es der Neuen Sachlichkeit an der Kraft zur künstlerischen Gestaltung, zur Entwicklung von gesellschafts- oder lebensrelevanten Perspektiven mangele: Vorurteile, die sich festsetzten und noch einen Teil der jüngeren germanistischen Forschungsliteratur prägten.

Mit dieser, insbesondere mit den Studien von Lethen, setzt sich Becker in einem nüchternen, aber doch bestimmten Ton auseinander und stellt einige gut eingebürgerte Ansichten über die Neue Sachlichkeit in Frage: etwa die These, daß Sachlichkeit zur Kälte tendiert und sich gegen Menschlichkeit und Solidarität versperrt habe, oder die Ansicht, daß die Neue Sachlichkeit sich zu den sozial und kulturell problematischen Technisierungs- und Rationalisierungsprozessen nur affirmativ verhielt und dadurch jenen Herrschaftsprozeß billigte, der im Faschismus mündete. Im Gegensatz zu derartigen Thesen kommt Sabina Becker zu dem Befund, daß die Neue Sachlichkeit bei einer "partiellen Akzeptanz der gesellschaftlichen Gegebenheiten" den Versuch unternahm, "die Gesellschaft von einem avancierten Standpunkt aus zu hinterfragen und zu beurteilen", und daß dies "in den zwanziger Jahren als die reflektierteste Form kritischer Aufklärung" galt.

Insgesamt wird die Reflexion der Neuen Sachlichkeit durch Beckers materialreiche und analytisch überzeugende Studie, die in Kürze als Standardwerk gelten wird, auf ein neues Niveau gehoben und auf eine sehr breite und tragfähige Basis gestellt. Abgeschlossen ist die Revision der Neuen Sachlichkeit damit aber nicht. Beckers Arbeit fächert das poetologische Konzept der Neuen Sachlichkeit systematisch auf und profiliert es vorzugsweise mit Hilfe programmatischer und kritischer Schriften. Seine Realisierung in literarischen Werken ist eine andere Sache und muß nun erneut in den Blick genommen werden. Ob man Alfred Döblins 1929 erschienenen Roman "Berlin Alexanderplatz" als "Prototyp neusachlichen Schreibens" betrachten soll, wie Sabina Becker meint, und nicht vielmehr als eine genialische Kombination traditioneller und avantgardistischer Seh- und Schreibweisen, die allen exklusiven Zuweisungen zu einem Stilprinzip vielfach widerspricht, ist doch sehr die Frage.

HELMUTH KIESEL

Sabina Becker: "Neue Sachlichkeit". Band 1: Die Ästhetik der neusachlichen Literatur (1920-1933). Band 2: Quellen und Dokumente. Böhlau Verlag, Köln 2000. 437 und 467 S., geb., 188,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ulrike Baureithel geht ziemlich hart mit dem Buch ins Gericht. Zunächst einmal stört es sie enorm, wie die Autorin die gesamte Sekundärliteratur der letzten dreißig Jahre als "wenig erkenntnisreich erledigt". Außerdem schlicht nicht überzeugend findet sie, dass Becker die "ästhetischen Merkmale", die sie der Neuen Sachlichkeit zuschreibt, allein aus der Literatur ohne Berücksichtigung von anderen Künsten "destillieren" will. Denn ein richtiges ästhetisches "Programm" lässt sich nach Meinung der Rezensentin bei der "krampfartigen" Isolierung des literaturwissenschaftlichen Diskurses gar nicht herausfiltern. Ihre Beschränkung auf die Betrachtung der Literatur "rächt" sich dann auch, wie die Rezensentin meint, zumal Becker kaum auf die literarischen Texte als solche eingehe. Und so lautet ihr abschließendes Urteil, dass sich der Terminus Sachlichkeit nicht als "poetische Kategorie" verwenden lässt, nicht zuletzt weil es ihn schon viel länger gebe als seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Einzig, dass die Autorin mit dem verbreiteten Vorurteil aufräumt, die Gegner der Neuen Sachlichkeit seien allein unter den "Linken" zu finden gewesen, hebt die Rezensentin lobend an der Studie hervor.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Die Fülle teilweise unbekannter Quellen, die Becker systematisch erschließt und in einem separaten Dokumentenband auszugsweise abdruckt, stellt eine Reihe gängiger Forschungsmeinungen neu zur Diskussion. (...) Im Unterschied zum Großteil der bisherigen Forschung orientiert sie sich zudem nicht an der durch die Zeitgenossen vorgegebenen Kritik an der Neuen Sachlichkeit, sondern lässt die Exponenten der Bewegung (einschließlich jener, die wie Roth, Feuchtwanger oder Brecht ihre eigene neusachliche Phase später kritisch revidierten) selbst zu Wort kommen. (...) Die klare Gliederung, die schnörkellose Argumentation und vor allem die ausführlichen Register machen Beckers Werk zu einem unentbehrlichen Handbuch." (Hans-Georg von Arburg, Das Argument 242/2001, 09.04.2002) "Die Monographie wertet mehr als 600 zeitgenössische Quellen aus (...), von denen eine Auswahl im Textband abgedruckt ist; er ist entsprechend der Analysekriterien geordnet und stellt eine höchst willkommene, reichhaltige Quellensammlung zur literarischen Neuen Sachlichkeit dar. Hier trifft man auf bekannte und berühmte Texte von Benjamin bis Reger und Roth, aber auch viele Fundstücke, die zum Weiterstudium einladen (...). Die Diskussion um die Neue Sachlichkeit kann auf der nun gesicherten Quellenbasis ihrer literarischen Programmatik fortgesetzt werden." (Walter Fähnders, Zeitschrift für Germanistik, N. F. 1, 2002, 09.04.02)