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Dieses Buch ist eine erste grundlegende Analyse der spätbyzantinischen Gesellschaft (1260-1460). Fundiert und anschaulich, aber ohne Anspruch auf Vollständigkeit, beschreiben die beiden Autoren Struktur, Dynamik und Wandel der spätbyzantinischen Gesellschaft sowie das Mit-, Neben- und Gegeneinander verschiedener gesellschaftlicher Gruppen (Aristokratie, Bürokratie, aristokratisches Unternehmertum, Gebildete, Mittelschicht und Volk). Erhöhte Aufmerksamkeit widmen sie dabei den Gruppen, die das Bild der Gesellschaft in besonderer Weise prägen. Für die Zeit bis etwa 1360 ist dies die…mehr

Produktbeschreibung
Dieses Buch ist eine erste grundlegende Analyse der spätbyzantinischen Gesellschaft (1260-1460). Fundiert und anschaulich, aber ohne Anspruch auf Vollständigkeit, beschreiben die beiden Autoren Struktur, Dynamik und Wandel der spätbyzantinischen Gesellschaft sowie das Mit-, Neben- und Gegeneinander verschiedener gesellschaftlicher Gruppen (Aristokratie, Bürokratie, aristokratisches Unternehmertum, Gebildete, Mittelschicht und Volk). Erhöhte Aufmerksamkeit widmen sie dabei den Gruppen, die das Bild der Gesellschaft in besonderer Weise prägen. Für die Zeit bis etwa 1360 ist dies die Mittelschicht, die in anderen Epochen weit weniger profiliert und fassbar ist. Ab 1380 rückt dann ein neu entstehendes aristokratisches Unternehmertum in den Vordergrund. Über den ganzen Zeitraum spielt überdies eine ausgeprägte Bildungselite eine herausragende Rolle. Dem heutigen Leser wird eine spätmittelalterliche Gesellschaft vorgestellt, deren dynamische Strukturen und Lebensformen auch in der G egenwart unter veränderten Vorzeichen nichts von ihrer Aktualität verloren haben.
Klaus-Peter Matschke ist Professor für Mittelalterliche und Byzantinische Geschichte an der Universität Leipzig.
Franz Tinnefeld ist Professor für Byzantinistik an der Universität München.
Autorenporträt
Klaus-Peter Matschke ist Professor für Mittelalterliche und Byzantinische Geschichte an der Universität Leipzig. Sein Buch "Die Gesellschaft im späten Byzanz" (mit Franz Tinnefeld) gilt als Standardwerk.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.07.2001

So halten wir es in Ostrom
Ohne Gruppenzwang: In Byzanz gehörte dazu, wer dazugehörte

Im Jahr 1204 besetzten Lateiner Konstantinopel, raubten und plünderten nach Herzenslust - der Papst hat sich im Mai in Athen dafür entschuldigt - und krönten einen der ihren, einen gewissen Balduin von Flandern, zum Herrscher. Der Spuk dauerte siebenundfünfzig Jahre. 1261 gelang es den Byzantinern, eher durch Zufall als durch militärische Stärke, die Lateiner zu vertreiben. Für die folgenden zwei Jahrhunderte gab es wieder ein byzantinisches Reich mit Hauptstadt Konstantinopel - bis diese im Jahr 1453 von den Türken erobert wurde. Zwei Byzanz-Historiker, Klaus-Peter Matschke und Franz Tinnefeld, haben sich zusammengetan, um die byzantinische Gesellschaft in diesen zwei Jahrhunderten zu analysieren. Es geht ihnen nicht um die Schlachten, die es noch zu verlieren galt, oder um den Bürgerkrieg, der im vierzehnten Jahrhundert unter den Byzantinern tobte, auch nicht um die zahlreichen außenpolitischen Klimmzüge und kirchenpolitischen Schachzüge jener Zeit. Deren Geschichte ist längst geschrieben. Inspiziert haben sie vielmehr die "Gruppen, Strukturen und Lebensformen" der Gesellschaft.

Mit einer breit, auf Mikro- und Makroebene angelegten Sozialgeschichte der späten byzantinischen Gesellschaft betreten die Autoren ein Terrain, auf dem bislang nur einige Probebohrungen vorgenommen wurden. Zusammengetragen haben die zwei Pioniere - aus Briefen, Urkunden und anderen Schriften - Informationen über Namen, Lebenswege, Tätigkeiten, Ansichten, Unternehmungen, Reisen, Kontakte, Familienverhältnisse, Besitztümer, Titel, Ämter byzantinischer Menschen.

Damit aus diesem wohlgefüllten Pool von Daten und Nachrichten eine "Sozialgeschichte" entsteht, bedarf es einer Leitidee. Die Autoren haben "Gruppen" dazu erkoren. Als solche Gruppe machen sie die Aristokraten aus, bei denen "die Grenze, die sie von anderen gesellschaftlichen Gruppen trennt, klarer zu erkennen und zu bestimmen" ist. Nur "klarer", nicht "klar", weil in Byzanz - im Gegensatz zum Westen - die Zugehörigkeit zur Aristokratie nicht juristisch oder durch Grundbesitz oder Geburt definiert ist. Die wirtschaftenden byzantinischen Subjekte in Gruppen zu fassen ist noch schwieriger. Die Mesoi, eine Art "Mittelschicht", tauchen schemenhaft im vierzehnten Jahrhundert auf und sind eine Weile in Gewerbe und Handel tätig, um dann sang- und klanglos zu verschwinden. Statt ihrer findet man später "aristokratische Unternehmer". Alle großen Adelsfamilien sind im fünfzehnten Jahrhundert kommerziell, im Handel, in der Seefahrt, im Import oder im Bankgeschäft, engagiert. Aber zu einer "Gruppe" mit erkennbarer Selbst- und Fremdbeschreibung wachsen sie nicht zusammen.

Bleiben die "literarisch Gebildeten" im späten Byzanz. Die 174 Personen, denen die Autoren Mitgliedschaft in der Intellektuellen-Gruppe bescheinigen, sind höchst unterschiedlicher Herkunft und Stellung im Leben, haben gelegentlich durch Lehrer-Schüler-Verhältnisse etwas miteinander zu tun, korrespondieren zwar fleißig, verfügen aber weder über eine Organisation noch über spezifische Kennzeichen wie Kleidung, Eide, Abzeichen, Rituale. Wie auch? Literarisch Gebildete sind doch häufig zugleich Aristokraten und Grundbesitzer. Und einfache Leute werden Bürokraten, literarisch Gebildete und Unternehmer. Und Kleriker betätigen sich als Politiker und Handelsleute. Und aristokratische, gebildete Politiker werden Mönche. Und wer das nicht alles gleichzeitig schafft, probiert es nacheinander.

Mobile Gesellschaft

Die Viten vieler Byzantiner - dies wird durch Matschkes und Tinnefelds Untersuchungen deutlicher als je zuvor - zeugen von verblüffend hoher Flexibilität, von Karrierechancen, von denen man in anderen Gesellschaften nur träumen konnte und kann, von Kompatibilität - simultaner oder sukzessiver - kirchlicher, politischer, militärischer, mönchischer und merkantiler Lebensformen. Leichter wäre es, einen Sack Flöhe zu hüten, als die Menschen im späten Byzanz in "Gruppen" einfangen zu wollen.

Aus dem Befund kann man die - naheliegende - Konsequenz ziehen, das Konzept "Gruppe" aufzugeben. Entwickelt und erprobt wurde der Begriff "Gruppe" für das westliche Mittelalter, und zwar als Gegenkonzept zu der älteren, an offiziellen Hierarchien orientierten politischen Geschichtsschreibung. Westmediävisten (insbesondere im Umfeld von Otto Gerhard Oexle) entdeckten und analysierten soziale Gebilde, die sich durch Selbstbeschreibung und Repräsentation, mentale und memoriale Praktiken, normative Vorgaben und Usancen als Gemeinschaft konstituieren und von ihrer Umwelt abgrenzen. Diesen Verbänden, so die mit der Bottom-up-Sicht einhergehende Vermutung, seien die Gestaltung, Veränderung und Bewegung der Gesellschaft ebenso, wenn nicht eher zu verdanken als der Politik "von oben". Das ist für den Westen mit seinen Zünften, Gilden, Bruderschaften, Universitäten sicherlich eine angemessene Form, Gesellschaft zu beschreiben.

Rückt man jedoch Byzanz mit diesem Konzept zu Leibe, so gerät man nicht nur in die beschriebenen Schwierigkeiten, Gruppen überhaupt ausfindig zu machen. Vielmehr zeitigt ebendieser Befund fatale Folgen: Wenn denn die Erfolgsstory des Westens tatsächlich auf dessen Fähigkeit beruhte, dynamische soziale Gruppen unterhalb der "Staatsebene" zu bilden, dann können die Byzantiner nicht mithalten - was die Autoren immer wieder konstatieren: "Der Entwicklungsabstand zum spätmittelalterlichen Westen . . . ist also unübersehbar." "Einem so bedeutenden Universalgelehrten wie . . . hatte Byzanz nichts Vergleichbares entgegenzustellen." "Auf sich allein gestellt, ist das spätbyzantinische aristokratisch geprägte Unternehmertum ein Nichts und wohl kaum lebensfähig, in Kooperation mit einem potenten Seniorpartner und wegekundigen Vorreiter ist es zu mancher überraschenden Leistung in der Lage."

Was aber berechtigt, verpflichtet oder stiftet zwei Historiker eigentlich an, mit dem Gruppenkonzept, das von westlich denkenden Menschen für eine westliche Gesellschaft entwickelt wurde, eine ganz andere Gesellschaft zu überziehen? Wenn dieses Konzept für Byzanz offenkundig nicht paßt, sind dann die Byzantiner daran schuld? Oder nicht vielmehr das Konzept, dessen begrenzte theoretische Reichweite eben darin offenkundig wird, daß es nur für eine und nicht für andere Gesellschaften verwendbar ist? Der Typus von Gruppe, der sich im westlichen Mittelalter beobachten läßt - Zünfte, Conjurationes, Mönchsgemeinschaften und andere mehr -, ist weder eine Naturnotwendigkeit noch eine Gesetzlichkeit in der Evolution von Gesellschaft. Er ist vielmehr eine und vermutlich historisch einmalige, zeitlich und örtlich begrenzte Form, Gesellschaft zu strukturieren. Eine Form, die nicht wahrscheinlicher ist, nicht von vornherein mehr Erfolg verspricht, nicht "potenter" ist als jede andere unter unzähligen Möglichkeiten, eine Gesellschaft zu segmentieren, zu stratifizieren, zu differenzieren und am Laufen zu halten.

Byzantinische Trennschärfe

Daß gerade diese Form sogar zwei Mal und gleichzeitig in der Geschichte vorkommen soll - und dies, obwohl die Menschen des Westens und des Ostens wenig Kontakt miteinander hatten und, wenn doch, überwiegend feindlichen -, wäre eine Verdopplung des Unwahrscheinlichen. Statistisch nicht unmöglich, aber etwa so wahrscheinlich, als wären der römische Kaiser und der byzantinische Kaiser am selben Tag in einem Fluß ertrunken. Wenn also der Begriff "Gruppe" nicht taugt, dann gilt es, die byzantinische Gesellschaft mit anderen Parametern zu vermessen. Versuchsweise etwa so: "Aristokrat ist man und wird man nur dann, wenn das die Aristokratie so sieht und so will", sagen die Autoren. Das ist zu wenig für eine "Gruppe" im westlichen Sinn, zeugt aber keineswegs von einer "byzanztypischen Unschärfe gesellschaftlicher Grenzen". Im Gegenteil. Schärfer als durch die eigenen, autonomen - der Vorgaben des Rechts und der Geburt oder der Demonstration durch Urkunden und Abzeichen gar nicht bedürftigen - Strukturen kann sich ein Teil der Gesellschaft kaum konstituieren und reproduzieren.

Ähnliches gilt für die "Literaten". Weder Herkunft noch soziale Position, weder universitas noch Verbrüderungen verbanden sie. Doch sie "grenzten sich als Bildungselite vom Volk ab". Wie denn? Die Grenze muß man jenseits des Gegenständlichen und Sichtbaren suchen. Sie verlief im Reich der Kommunikationen, die sich nicht durch Organisation, Mitgliedschaft oder Repräsentation bestimmen ließen, sondern allein durch ihre Orientierung an Wissen und Wahrheit. Wenn diese Kommunikationen "in einer Zeit des politischen Niedergangs" anhielten und sich sogar durch heftige Kontroversen verdichteten und steigerten, so ist dies gerade nicht, wie Matschke und Tinnefeld meinen, ein "deutliches Merkmal einer ,Kulturkrise'", sondern eher ein Indiz für die hohe Autonomie und Stabilität des Diskurses, der sich durch banale Krisen der Umwelt, wie einen "politischen Niedergang", mitnichten stören läßt.

Die Grenze, welche die Weisheit-Wissen-Wahrheit-Kommunikationen vom Gerede und Getümmel der Welt trennte, war dicht und dauerhaft, so dicht, daß sie weder durch Recht und Regeln etabliert und befestigt noch durch Zeichen und Kleider visualisiert werden mußte. Auch wenn man die Schranken und Barrieren nicht so leicht sehen und greifen kann - "grenzenlos" war die byzantinische Gesellschaft gewiß nicht. Das Material zur Neuvermessung der Grenzverläufe haben Matschke und Tinnefeld großzügig und großflächig zur Verfügung gestellt. Sie haben es sogar mit einigen Scherzen gewürzt: Durch ein unglückseliges bibliographisches Abkürzungssystem verstümmeln die Autoren sich selbst zu "MatschHaus" und "TinnKrise" und verballhornen liebe Kollegen zu "BurgMagdMalad" oder "SchreinProst"; "FögDenk" nimmt die Rezensentin als Aufforderung gerne an.

Dem hoch komplexen Material haben die Autoren auch Entwicklungslinien, Tendenzen und dauerhafte Strukturen abgerungen. Eines haben sie nicht getan: Konstantinopel von den Kategorien, Maßstäben, Formen und Vorbildern des Westens befreit. Byzanz bleibt lateinisch beherrscht, nicht mehr von Balduin, sondern - Ironie der Geschichte - von zwei Byzantinisten.

MARIE THERES FÖGEN

Klaus-Peter Matschke, Franz Tinnefeld: "Die Gesellschaft im späten Byzanz". Gruppen, Strukturen und Lebensformen. Böhlau Verlag, Köln 2001. 444 S., geb., 98,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Byzanz-Historiker Klaus-Peter Matschke und Franz Tinnefeld haben sich zusammengetan, um die byzantinische Gesellschaft in den Jahren 1261-1453 nach Gruppen, Strukturen und Lebensformen gründlich zu analysieren, berichtet Marie Theres Fögen, die sich diesem Unterfangen mit einer sehr langen Besprechung widmet. Die auf einer Mikro- und einer Makroebene angelegte Sozialgeschichte hat für Fögen ein erstaunliches Ergebnis zutage gefördert: Die Lebenswege vieler Byzantiner zeigen demnach eine verblüffende Flexibilität und Kompatibilität. "Leichter wäre es, eine Sack Flöhe zu hüten, als die Menschen im späten Byzanz in 'Gruppen' einfangen zu wollen", meint die Rezensentin. Dass die Autoren die Byzantiner an einem westlich geprägten "Gruppenkonzept" messen und zu dem Schluss kommen, im Vergleich zu späteren Gesellschaften seien die Byzantiner rückständig gewesen, nimmt Fögen ihnen allerdings etwas übel. Und auch ihr "unglückseliges bibliografisches Abkürzungsverzeichnis" mit der Verballhornung der eigenen Namen und derer von "lieben Kollegen" mag Fögen nicht gutheißen.

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