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Mehr als für andere Völker Europas war für die Deutschen das 20. Jahrhundert durch tiefgreifende politische und gesellschaftliche Krisen gezeichnet. Diese kulminierten in den vier großen Umbrüchen der Jahre 1918, 1933, 1945 und 1989. Renommierte Historiker und Politikwissenschaftler diskutieren in diesem Band die großen historischen Einschnitte des letzten Jahrhunderts. Die Autoren, die sich auf einer international besetzten Tagung der Alexander von Humboldt-Stiftung trafen, stellten sich folgenden Fragen: Welcher Art waren die Umbrüche? Was hatten sie gemeinsam? Wie hat sich nach jedem dieser…mehr

Produktbeschreibung
Mehr als für andere Völker Europas war für die Deutschen das 20. Jahrhundert durch tiefgreifende politische und gesellschaftliche Krisen gezeichnet. Diese kulminierten in den vier großen Umbrüchen der Jahre 1918, 1933, 1945 und 1989. Renommierte Historiker und Politikwissenschaftler diskutieren in diesem Band die großen historischen Einschnitte des letzten Jahrhunderts. Die Autoren, die sich auf einer international besetzten Tagung der Alexander von Humboldt-Stiftung trafen, stellten sich folgenden Fragen: Welcher Art waren die Umbrüche? Was hatten sie gemeinsam? Wie hat sich nach jedem dieser Umbrüche die Wahrnehmung und Erklärung der vorausgehenden verändert? Dieses Buch liefert nicht nur profunde Antworten auf diese Fragen, sondern gibt zugleich auf einzigartige Weise Einblick in die zentralen Probleme der Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Autorenporträt
Dr. Dr. h.c. Wolfgang Schieder ist em. Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Köln.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2001

Bleibende Narben
Zäsuren in der deutschen Zeitgeschichte

Dietrich Papenfuß, Wolfgang Schieder (Herausgeber): Deutsche Umbrüche im 20. Jahrhundert. Redaktion Petra Terhoeven. Böhlau Verlag, Köln Weimar Wien 2000. 691 Seiten, 148,- Mark.

Der Titel des umfangreichen Sammelbands bezieht sich auf die "deutschen Umbrüche" der Jahre 1918, 1933, 1945 und 1989. Nur wenige Texte gehen jedoch mehr als kursorisch auf die Frage der Zäsur als geschichtswissenschaftlicher Hilfskonstruktion ein. Um so augenfälliger ist, wie Moshe Zimmermann in einem der beiden einleitenden Aufsätze die mit festen Jahreszahlen verbundenen Fragen und Paradoxien vorführt. Er klopft die deutsche und die jüdische Geschichte auf die vorgegebenen Jahreszahlen hin ab und zeigt, daß viele Entwicklungen und Ereignisse mit den Grenzpunkten nicht erfaßt werden können.

So sei nicht zu leugnen, daß in Deutschland seit 1933 eine "präzedenzlose" und sprunghafte Zunahme "spezifisch jüdischer Kulturtätigkeit" festzustellen sei, die "aber letztlich nur von Zynikern als Einleitung einer echten Kulturrenaissance bezeichnet werden" könne. Ähnliche Schwierigkeiten sieht Zimmermann für die Jahre 1918 und 1933, die von vielen deutschen Juden als weniger bedeutsam wahrgenommen wurden als die "Judenzählung" 1916: Sie habe "eine tiefe, bleibende Narbe im Selbstbewußtsein der deutschen Juden hinterlassen" und erkläre "auch die mentale Bereitschaft des deutschen Judentums", sich "bereits seit 1916 gewissermaßen auf eine ,Rückkehr des Mittelalters' vorzubereiten".

Zimmermanns häufig eher in Frageform formulierte Beobachtungen weisen ebenso wie die Einführung von Wolfgang Schieder auf die Grenzen der vorwiegend politisch bestimmten chronologischen Einschnitte. Entsprechend überschreiten auch einige Untersuchungen den zeitlichen Rahmen der mit Jahreszahlen überschriebenen und von Petra Terhoeven jeweils kurz und prägnant eingeleiteten vier Kapitel. Die meisten Autoren orientieren sich darüber hinaus an den fast schon sprichwörtlichen sozialen Kontinuitäten etwa "von Stalingrad zur Währungsreform" und verweisen auf andere zentrale Daten wie den Kriegsbeginn 1939, das "eigentliche Gründungsjahr der DDR" 1948, das vor allem von zeitgenössischen Protagonisten als Zäsur hervorgehobene Jahr 1968 oder die ersten Schritte der Regierung Gorbatschow zu Glasnost und Perestrojka 1985/86.

Die einzige einhellig auch über die deutschen Grenzen hinweg angenommene Zäsur ist der von George Kennan als "Urkatastrophe des Jahrhunderts" bezeichnete Erste Weltkrieg. Allerdings reklamiert Richard Bessel noch erheblichen Klärungsbedarf. Er läßt verschiedene Gesellschaftsbereiche Revue passieren und charakterisiert dabei die "Konzeption der Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert als einer Geschichte von Zusammenbrüchen" in aller Vorsicht als "bemerkenswert".

Zwischen 1914 und 1918 sowie infolge des Krieges habe es bekanntermaßen nur wenige Veränderungen in Verwaltung, Wirtschaft, Universitäten und Kirchen gegeben. Der demokratische Aufbruch bei den Wahlen Anfang 1919 sei nicht von Dauer gewesen, sondern eher eine "flüchtige Veränderung der öffentlichen Stimmung". Auch für verschiedene gesellschaftliche Einzelbereiche zweifelt Bessel an der Tiefe des Bruchs: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit etwa seien vor und nach 1918 öffentlich virulent gewesen - obwohl die Gebietsverluste nach 1918 "das vorläufige Ende Deutschlands als multinationaler Staat" markierten.

Die Erfahrungen und psychosozialen Einstellungen der demobilisierten Frontsoldaten hätten nicht zwangsläufig zur "Brutalisierung der politischen Sprache und Praxis" führen müssen, weil sich die meisten von ihnen doch nichts sehnlicher als die Rückkehr ins zivile Leben wünschten. Bessel weist zwar gerade in diesem Kontext auf die demokratischen und zivilen Spielräume der Weimarer Republik hin, verortet die "Tragödie" von 1918/19 aber dennoch "gerade in dieser Dissonanz: der in der deutschen Bevölkerung stark ausgeprägte Wunsch nach einer geordneten Welt fast mythischen Charakters, die angeblich vor 1914 existiert hatte".

Die Mischung verschiedener Themen und Methoden, wie sie Bessel und einige andere Autoren mit ihrem Blick auf Politik-, Wirtschafts-, Verwaltungs-, Kultur-, Erfahrungs- und auch Alltagsgeschichte vorführen, verdeutlicht den Nutzen und die Grenzen von zeitlich eindeutigen Zäsuren. Außerdem fällt implizit ein Urteil über die zuweilen spitzfindigen Debatten zum Verhältnis zwischen Politik- und Sozialgeschichte, die mehrere Jahrzehnte lang von inzwischen alternden Vertretern der Historikerzunft ausgefochten oder als Ersatz für andere Auseinandersetzungen vorgeschoben wurden. Ganz offensichtlich sind alle Versuche substanzlos, einzelne methodische und thematische Vorlieben gegen andere auszuspielen, da die Politik im 20. Jahrhundert keinen Gesellschafts- und Lebensbereich unberührt ließ, gleichzeitig aber auch keiner von ihnen je im politisch-institutionellen Handeln aufging.

Die Themenpalette des Aufsatzbandes reicht von einer Untersuchung zur "erzieherischen Rolle von Sammelbildern" aus Zigarettenschachteln über den Lebenslauf einflußreicher Politiker wie Gustav Stresemann und Friedrich Ebert und die Wahrnehmung der NSDAP durch die politischen Parteien in Polen in den dreißiger Jahren bis zur Tätigkeit der "Grünen Liga" in Mecklenburg-Vorpommern in den achtziger und neunziger Jahren. Ohne allzu friedliche Assoziationen über die von Brutalität gezeichnete deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts hervorzurufen, wirkt das gelungene Buch im ganzen wie ein bunter Blumenstrauß zeithistorischer Studien.

DAMIAN VAN MELIS

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Damian van Melis findet diesen Aufsatzband gelungen. Ein "bunter Blumenstrauß zeithistorischer Studien", dessen Themenpalette von Politik-, Wirtschafts-, Verwaltungs-, Kultur- und Erfahrungsgeschichte bis zur Alltagsgeschichte reiche. Die meisten Autoren orientierten sich an den gängigen Kontinuitäten. Beispiel: Von Stalingrad zur Währungsreform. Nur die einleitenden Aufsätze von Wolfgang Schieder und Moshe Zimmermann verwiesen auf die Grenzen "der vorwiegend politisch bestimmten chronologischen Einschnitte". Melis lobt auch die vier Kapitel, in denen die Aufsätze des Buches zusammenfasst sind und von Petra Terhoeven "kurz und prägnant" eingeleitet würden. Die Mischung verschiedener Themen und Methoden verdeutlichten in den unterschiedlichsten Gebieten sowohl Nutzen als auch Grenzen von zeitlichen Einschnitten.

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