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Kein anderer deutscher Politiker ist so notorisch unterschätzt worden wie Helmut Kohl. Seine rhetorischen Fähigkeiten waren begrenzt, als Intellektueller ist er nicht auffällig geworden, und sein Provinzlertum berührte viele Deutsche eher peinlich, als der "Oggersheimer" 1982 in aufgeräumter Stimmung die Weltbühne betrat. Doch während Kohl anfangs noch Spott und Häme auf sich zog, belehrte er seine Gegner rasch eines Besseren und gewann vier Bundestagswahlen hintereinander. Kein anderer Kanzler der Bundesrepublik hat länger regiert als er, und als "Kanzler der Einheit" und großer Europäer ist…mehr

Produktbeschreibung
Kein anderer deutscher Politiker ist so notorisch unterschätzt worden wie Helmut Kohl. Seine rhetorischen Fähigkeiten waren begrenzt, als Intellektueller ist er nicht auffällig geworden, und sein Provinzlertum berührte viele Deutsche eher peinlich, als der "Oggersheimer" 1982 in aufgeräumter Stimmung die Weltbühne betrat. Doch während Kohl anfangs noch Spott und Häme auf sich zog, belehrte er seine Gegner rasch eines Besseren und gewann vier Bundestagswahlen hintereinander. Kein anderer Kanzler der Bundesrepublik hat länger regiert als er, und als "Kanzler der Einheit" und großer Europäer ist ihm auch in den Geschichtsbüchern sein Platz sicher.
Was aber war das Geheimnis Kohls, dem sich so viele überlegen fühlten, die ihm dann unterlagen? Scharfsinnig und luzide, zugleich unbestechlich in der kritischen Analyse geht Patrick Bahners dem Phänomen Kohl auf den Grund und findet einen ebenso begnadeten wie unerbittlichen Machtmenschen, der alles um sich herum verschlingt und die Interessen seiner Partei distanzlos mit dem eigenen Machterhalt gleichsetzt. In funkelnder Prosa seziert Bahners den "Charakter der Macht" und zeigt einen Meister der Anpassung und Steuerung in Aktion, der am Ende in der Geschichte ankommt, weil er sich ihr ganz veräußert.
Autorenporträt
Patrick Bahners ist verantwortlicher Redakteur für Geisteswissenschaften in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", deren Feuilleton er von 2001 bis 2011 geleitet hat
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.09.2017

PATRICK BAHNERS, Redakteur im Feuilleton dieser Zeitung, hat ein Buch über Helmut Kohl geschrieben. Nach der Methode der klassischen Historiker, auf dem Weg des Charakterstudiums, versucht er dem Formlosen von Kohls Erscheinung beizukommen. Die Liebe des Kanzlers zur Geschichte erwies sich 1989 als glückliche, was aber nicht Kohls Austritt aus der kleinen Welt der Bundesrepublik bedeutete. In Kohls Europapolitik, deren Erfolg heute zweifelhaft scheint, findet der Biograph denselben mit aller Macht über das Vorgefundene hinausdrängenden Zug, der schon den Aufstieg des Pfälzers in der CDU prägte. Angela Merkel, die ihn stürzte, ist seine Schülerin. Ein ausführliches Kapitel schildert die Spendenaffäre, die Kohl nach seiner Abwahl einholte, als ultimative Charakterprobe. Kohls schärfste Kritiker wie Wilhelm Hennis erkannten seine Stärken am besten. Unwahrscheinlich, aber wahr: Als Parteipolitiker erlangte Kohl historische Größe. (Patrick Bahners: "Helmut Kohl". Der Charakter der Macht. Verlag C. H. Beck, München 2017. 314 S., br., 18,- [Euro].)

F.A.Z.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.09.2017

Immer
im Mittelpunkt
Bei Patrick Bahners ist Helmut Kohl ganz Staatsmann,
die Politikstrategie des Kanzlers kommt aber zu kurz
VON WERNER WEIDENFELD
Die ganze Strahlkraft europäischer Symbolwelt kam zur Geltung, als der Ehrenbürger Europas, Helmut Kohl, zu Grabe getragen wurde. Ein Gedenkakt im Europäischen Parlament mit etlichen würdevollen Reden vom Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker bis hin zum ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton; dann die Überfahrt von Straßburg nach Speyer mit bildhaften Parallelen zur Beerdigung Konrad Adenauers 1967. Die politische Klasse hielt für einen Moment den Atem an – und viele Millionen Beobachter ebenso. So wird man erneut auf die Frage gestoßen: Was macht die spezifische Qualifikation des Staatsmannes Helmut Kohl eigentlich aus? Die Frage nach seinem politisch-strategischen Profil, seiner besonderen historischen Leistung für Deutschland und Europa steht ebenso zur Beantwortung an wie der Blick auf die Entwicklungsfähigkeit dieses machtpolitischen Talents aus der Pfalz. Angesichts des nun erneut zugespitzten Fragehorizonts greift man gespannt nach der neuen Kohl-Biografie aus der Feder des FAZ-Journalisten Patrick Bahners, der Helmut Kohl über viele Jahre begleitend beobachten konnte.
Bei Beginn der Lektüre drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass besondere Freude weniger die nach dem Geheimnis von Helmut Kohl suchenden Leser haben werden, sondern eher die philosophischen, insbesondere geschichtsphilosophischen Seminaristen. Denn es werden lang und breit zitiert: Jacob Burckhardt, Max Weber, Machiavelli, Caesar, Montesquieu, Rousseau, Görres … und andere mehr. Zwar folgt das Buch der großen chronologischen Struktur der Biografie Helmut Kohls – Aufstieg, Opposition, Regierung, Einheit, Europa, Sturz –, aber die Systematik des Machtphänomens bestimmt eher im Detail die Komposition des Textes, der je nach machtsystematischer Erkenntnis dann zeitlich sprunghaft ist. Man merkt bald: Eigentlich geht es dem Autor vorrangig um den Charakter der Macht – Helmut Kohl ist nur der Lieferant des Materials.
Manches, was einem Kenner des Machtphänomens Kohl unter den Nägeln kitzelt, taucht leider erst spät im Buch auf, erst am Ende, nachdem man als Leser schon ungeduldig aufgeben wollte: Kohl als Sprecher der Modernisierer und dann, wie er viele Unterstützer und Kooperationspartner gewann, indem er sie nach ihrer historischen Biografie befragte: „Aber wer ihn kennenlernte, wurde sofort gefragt, wo er herkam, und merkte, dass Kohl über die Geschichte der Heimatregion seines Gegenübers mindestens ebenso viel wusste wie über die dortigen Ortsverbände der CDU.“ Und Kohl vergaß auch nie, seine dominante, kraftvolle Körpersprache einzusetzen. Hier hätte zusätzlich eine andere machtpolitische Raffinesse Kohls Erwähnung verdient: Er rief bei vielen, auch unbedeutenden Funktionsträgern direkt persönlich an, ohne sich vom Vorzimmer vermitteln zu lassen. Das beeindruckte das Gegenüber regelmäßig. Oder er hielt dem Gesprächspartner lange Vorträge über ihre Heimatgeschichte, so auch den amerikanischen Präsidenten, insbesondere Bill Clinton. Man lauschte ihm ergriffen und dankbar, weil man viele neue Erkenntnisse geliefert bekam.
Patrick Bahners beschreibt die Fähigkeit Kohls, seit früher Jugend eine ihn unterstützende Machtinfrastruktur aufzubauen, Talente ausfindig zu machen, Loyalitäten der Kooperation zu bilden. Diese Unterfütterung der Macht war noch viel intensiver, noch viel weiter ausgebreitet, als es im Buch erwähnt wird, das sich auf einige wenige Namen allgemeiner Bekanntheit beschränkt wie Biedenkopf, Weizsäcker, Herzog. Die Welt des Helmut Kohl hatte einen weitaus größeren, intensiveren, komplexeren Machthorizont. Bezeichnend dafür war auch, wie er sich auf die Suche nach einem – so Kohl wörtlich – „strategischen Kopf“ machte, um Europa zu retten. Und schließlich fand er ihn gemeinsam mit Mitterrand: Jacques Delors.
Sehr gut kann der Leser Kohl als Gestalter der deutschen Einheit und als Mann der Einigung Europas erkennen. Aber auch dort hätte man weitere Informationen vermitteln können: Kohls Kunst, unmittelbar nach dem Mauerfall kriegerische Aktionen zu verhindern, oder Kohls präzise operative Detailaktionen deutschlandpolitischer Art nach seinem Besuch in Dresden am 19. Dezember 1989, nachdem er bis dahin eher zögerlich gewesen war.
Bei der Darstellung der europapolitischen Erfolge unterläuft dem Autor ein Fehler, wenn er schreibt: „Helmut Kohl war 61 Jahre alt, als er am 7. Februar 1992 seine Unterschrift unter den Vertrag von Maastricht setzte. Er durfte glauben, die Aufbauarbeit einer Generation zum Abschluss gebracht zu haben.“ Dies genau glaubte Kohl nicht. Es ging ihm um die politische Union Europas – und die hatte Maastricht zu seinem Leidwesen eben nicht erbracht. Die Wirtschafts- und Währungsunion allein würde auf Dauer die gewünschte Stabilität des Kontinents nicht erbringen. Wenige Wochen vor Maastricht hatte er noch unter Beifall im Deutschen Bundestag ausgerufen, es sei „abwegig“, die Wirtschafts- und Währungsunion ohne politische Union als stabil anzunehmen. Die Defizite von Maastricht bescherten Kohl ein ernstes Arbeitsprogramm – nicht den Abschluss eines historischen Projekts.
Eine weitere Begabung Kohls verdient vertiefte Erwähnung: die Antizipation von Machtkonstellationen. Er beriet ab 1977 kontinuierlich mit Genscher, wann und wie die FDP die sozialliberale Koalition verlassen werde. Als es für Helmut Kohl wegen der innerparteilichen Lage in der Union nicht opportun erschien, den Kampf um die Kanzlerkandidatur für 1980 gegen den ehrgeizigen Franz Josef Strauß aufzunehmen, schlug er, der Partei- und Fraktionsvorsitzende, den Ministerpräsidenten Niedersachsens, Ernst Albrecht, vor. Dieser verlor am 2. Juli 1979 in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sehr klar gegen Strauß. Nach einer solchen drastischen Niederlage des Partei- und Fraktionsvorsitzenden wären die meisten Politiker gleichsam wie selbstverständlich zurückgetreten – nicht aber Helmut Kohl. Er konnte bereits jedem Besucher am Tag dieser verheerenden Niederlage als Gegenargument den genauen Zeitablauf vortragen, wie er – Kohl – 1982 Kanzler werde.
Patrick Bahners zitiert im Schlussteil seines Buches einen Satz von Friedrich Hebbel, den man passend als Summe der machtpolitischen Beobachtungserkenntnisse zu Helmut Kohl anführen kann: „Das Genie ist ein geborener Mittelpunkt.“ So war Helmut Kohl in all seinen Stationen, in all seinen Kämpfen – um die Nachfolge Peter Altmeiers als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, um die Nachfolge von Rainer Barzel als CDU-Vorsitzender, um die Nachfolge von Helmut Schmidt als Bundeskanzler, bei der Antwort auf den Mauerfall, bei der Rettung Europas aus der Eurosklerose: Das Machtgenie Helmut Kohl stand immer im Mittelpunkt.
Werner Weidenfeld ist Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung der Universität München.
Kohl vergaß auch nie,
seine dominante, kraftvolle
Körpersprache einzusetzen
Der Vertrag von Maastricht
war für den Kanzler mitnichten
der Abschluss eines Großprojekts
Patrick Bahners:
Helmut Kohl. Der Charakter der Macht. Verlag
C.H. Beck, München 2017, 314 Seiten, 18 Euro.
Eine Aufnahme von Helmut Kohl aus dem Jahr 1993. Der CDU-Politiker war Bundeskanzler von 1982 bis 1998.
Foto: Regina Schmeken
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"Angesichts der jüngsten Wahlergebnisse (...) mag es sich empfehlen, den ausgefuchsten, sogar jesuitischen Band nicht so sehr mit Blick aufs Sachdimensionale zu lesen, sondern aus Interesse fürs einschlägig Machtcharakterliche."
Stefan Gärtner, Junge Welt, 11. Oktober 2017