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Der Briefwechsel zwischen Stefan George und Karl und Hanna Wolfskehl ist der einzige der Georges gesamte Lebenszeit begleitet. Die tiefe Freundschaft zwischen den beiden Dichtern, die aus ihren Briefen spricht, die Offenheit des Austauschs und die Bezüge der Korrespondenz zur allgemeinen Kultur- und Literaturgeschichte zwischen Jahrhundertwende und Ende der Weimarer Republik machen aus dieser Edition eine Quelle von einzigartigem Wert. Die sorgfältige, gründlich kommentierte Edition umfasst insgesamt 860 Korrespondenzstücke, die im Stefan George Archiv Stuttgart lagern. Den Briefwechsel…mehr

Produktbeschreibung
Der Briefwechsel zwischen Stefan George und Karl und Hanna Wolfskehl ist der einzige der Georges gesamte Lebenszeit begleitet. Die tiefe Freundschaft zwischen den beiden Dichtern, die aus ihren Briefen spricht, die Offenheit des Austauschs und die Bezüge der Korrespondenz zur allgemeinen Kultur- und Literaturgeschichte zwischen Jahrhundertwende und Ende der Weimarer Republik machen aus dieser Edition eine Quelle von einzigartigem Wert.
Die sorgfältige, gründlich kommentierte Edition umfasst insgesamt 860 Korrespondenzstücke, die im Stefan George Archiv Stuttgart lagern. Den Briefwechsel zeichnen nicht nur Dauer (1892-1933) und Intensität aus, sondern auch die sehr persönliche Einbeziehung von Hanna Wolfskehl. Diese ganz eigene Verbindung zwischen George und der Frau des Freundes ist in der Forschung bislang weitgehend unbekannt. Wer sich für das literarische München um die Jahrhundertwende, für Schwabinger Umtriebe, für Liebe, Dichtung, Freundschaft und Verrat im Umfeld der Korrespondenzpartner interessiert, wird dieses Werk mit großem Gewinn lesen.
Autorenporträt
Birgit Wägenbaur ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Stefan George Archiv in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart.

Ute Oelmann leitete von 1987 bis 2014 das Stefan George Archiv in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Lorenz Jäger entdeckt in dem von Birgit Wägenbaur und Ute Oelmann herausgegebenen Briefwechsel zwischen Stefan George und Karl und Hanna Wolfskehl einen frauenhaften Stil, der ihn an Goethes Mutter erinnert. Natürlich meint Jäger die Briefe Hanna Wolfskehls, die ihm inmitten des Verhandelns hochernster esoterischer Dichtungsgeschäfte sehr wohltun und den Band für ihn zu einem "Entzücken" machen, das er nicht nur der Forschung gönnen möchte, sondern auch der allgemeinen Leserschaft. Im Übrigen begegnen ihm die Spannungen zwischen den Männern, die zu keinem Happy End führen, wie Jäger feststellt. Allein der Entzifferung der berüchtigten Karl Wolfskehlschen Handschrift wegen scheint ihm die editorische Leistung hinter dem Band enorm zu sein.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2015

Das Mysterium im Sonderdruck

Der Briefwechsel von Stefan George und Karl Wolfskehl hat manche besonderen Stil-Rosinen: Es sind die Briefe von Wolfskehls Frau Hanna.

Von Lorenz Jäger

Anja Mendelssohn, eine der großen Graphologinnen des vergangenen Jahrhunderts, analysierte in ihrem Buch "Der Mensch in der Handschrift" (1928) auch eine Probe von Karl Wolfskehl, die sie in den Abbildungsteil aufgenommen hatte. Diese Schrift, so schrieb sie, "bedarf geradezu eines Schlüssels, um überhaupt gelesen werden zu können". Und jeder, der einmal das kühne, fast schon expressionistische Bild einer Seite dieses Dichters und Essayisten gesehen hat, wird ihr nur ratlos zustimmen können. Um so höher ist die Leistung der beiden Herausgeberinnen Birgit Wägenbaur und Ute Oelmann zu veranschlagen, die diesen Schlüssel finden mussten. Stefan George, an den die Briefe gerichtet waren, gelang es nicht immer, auch nicht Friedrich Gundolf, der sie zeitweise im Auftrag des Meisters zu beantworten hatte.

So lesen wir denn in einem von fremder Hand verfassten, von George, seinem Buchgestalter Melchior Lechter sowie von Reinhold und Sabine Lepsius unterzeichneten Brief (18. November 1903, als Absender fungiert eine "Gesellschaft der Berliner Empfänger Wolfskehlscher Briefe"): "In anbetracht des umstandes, dass es auf keinem friedlichen und gütlichen weg zu erreichen war, dass Karl Wolfskehl an seine freunde leserliche briefe schreibe, - des umstandes, dass durch die schlechte schrift die äußerste nervosität bei den neugierigen empfängern hervorgerufen wurde, und die kostbarsten stunden in unfruchtbarer abmühung vergeudet wurden" - kurz, angesichts all dieser Kalamitäten ergeht der Beschluss, ihm alle Briefe zurückzusenden, die bestimmten formalen Kriterien nicht genügen, ihm großformatiges Briefpapier auf Kosten der "Gesellschaft" zur Verfügung zu stellen, und schließlich wird förmlich erklärt, die Verwarnung richte sich nur gegen den "schreibenden", nicht den "persönlichen" Wolfskehl.

Der Geist des Kreises um George war also keineswegs immer von der feierlichen, steifen und steilen Tonlage der Meisterverehrung bestimmt. Schon in den Briefen, die zwischen Wolfskehl und Gundolf gewechselt wurden, konnte man vor vierzig Jahren die witzigsten, fast Friedrich-Schlegelhaften Dinge finden, und noch kürzlich ließ die Veröffentlichung der Aufzeichnungen von Clothilde Schlayer, die dem Meister in dessen letzten Lebensjahren den Haushalt führte, wieder einen andern Ton finden: voller Zuneigung und sprachlich eigentümlichen Prägungen, oft ironisch getönt, nie aber hämisch.

Und so ist es auch in diesem Briefwechsel eine Frau, Hanna Wolfskehl, die inmitten der hochernsten esoterischen Dichtung andere Saiten anschlägt. Auf die Mahnkarte der "Gesellschaft" hin schrieb sie George: "Ich auch hab mich diebisch gefreut und will nur hoffen dass meine Feder trotz der grossen Wirbligkeit die die Zeit über uns alle hin & hertanzen liess - hübsch brav und ordentlich bleibt und alles treu vermelde." Dann aber kommt sie auf die Dichtung: "Ihre (!) letztes Buch - ich darfs sagen, weil ichs so liebe - scheint mir gerad jetzt das nächste - Ihr nächstes und mir auch zunächst - es ist das ein Gefühl was ich nicht gut umgränzen kann - aber ich möcht sagen - hier am meisten scheint mirs als wärs für mich geschrieben und diese eingebildete Pretention macht mich so glücklich dass ich besser sein kann als irgend wann und es ist nur weil dies Buch mir ist." "Der Karl" arbeite "als emal" an einer gemeinsam geplanten Anthologie, auch von Gundolfs Besuch ist Gutes zu berichten: "Hier ist er schön & rührend gewesen wie noch nie oder besser lang nit." Dieser im wundervollsten Sinne frauenhafte Stil - ein wenig mag er an Goethes Mutter erinnern - macht die Lektüre des Bandes zu einem Entzücken, das nicht nur der Forscher und Germanist, sondern auch das allgemeine Publikum empfinden wird.

Die Zusammenarbeit von George und Wolfskehl betraf die "Blätter für die Kunst" und die dreibändige Anthologie "Deutsche Dichtung", mit der die Ahnenreihe Georges konstruiert wurde: Jean Paul, Goethe und "Das Jahrhundert Goethes". In diesen letzten Band wurde auch Heine aufgenommen; als er seine persönliche Auswahl an Wolfskehl meldet, schreibt George: "Die folgenden bringen also meinen ganzen Heine: die schönsten farben dieser verwesten seele . . ." Man kann vom George-Kreis nicht reden, ohne das Verhältnis von Deutschen und Juden zu beleuchten, das hier für einen Augenblick versöhnt zu sein schien.

Dabei waren die zerreißendsten Spannungen schon da. Als es um die Aufnahme von Prosagedichten Alfred Schulers in die "Blätter" ging, wollte dieser - aus dem Kreis der Münchner "Kosmiker" - nicht mit seinem Namen zeichnen, sondern mit einem Hakenkreuz, der Swastika, die Wolfskehl in seinem Brief an George skizzierte. Und aus Basel unterzeichnete Wolfskehl eine Ansichtskarte an George: "per me Karol. Ulait. Foliat. Zionist." Er hatte am Zionistenkongress als Berichterstatter der "Münchener Allgemeinen Zeitung" teilgenommen ("Foliat." bezieht sich auf die "Blätter", "Ulait." auf seine Dichtung "Ulais", 1897). Aus seinen gleichzeitigen Briefen an Gundolf geht hervor, wie positiv der Eindruck war, den er damals vom Zionismus erhielt.

Denn er war ganz von der hohen Idee des Dichters als Seher bestimmt, und in verschiedenen Epochen seines Lebens konnte es sich um die Antike und die alten Götter handeln oder um den Gott des Alten Testaments. Als er sein Vermögen durch die Inflation verloren hatte, musste er das, was er vom "geheimen Deutschland" wusste und ahnte, in Feuilletons ausmünzen. Manchmal berührten sich Literaturbetrieb und dichterische Geheimlehre schon vorher, im Dezember 1908 schrieb ihm George: "Eine probe Ihres Mysteriensonderdruckes erhalten Sie in die nächsten Tagen die Auflage aber erst nach dem erscheinen des gesamtbandes der für ende januar angekündigt ist."

Dieser Briefwechsel hat kein Happy End. Spätestens nach 1918 dünnt er aus. Zuletzt, 1933, sind beide - gesundheitlich angeschlagen - in der Schweiz, eigentlich wäre die Entfernung kein Hindernis für einen letzten Besuch. Er fand nicht statt.

"Von Menschen und Mächten. Stefan George - Karl und Hanna Wolfskehl. Der Briefwechsel 1892 - 1933".

Hrgs. Birgit Wägenbaur und Ute Oelmann. C.H. Beck Verlag, München 2015. 879 S., geb., Abb., 49,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.10.2015

LITERATUR
Der spröde Weihenstefan
In der jetzt veröffentlichen Korrespondenz Stefan Georges mit Karl und
Hanna Wolfskehl bleibt der Dichter blass – und seine Briefpartner glänzen
VON JENS MALTE FISCHER
Nach einer bekannten Anekdote lautete die Anweisung der Studiochefs an Hollywoods Drehbuchautoren in der großen, alten Zeit: mit einem Erdbeben beginnen und dann langsam steigern. An diese Regel hat sich Karl Wolfskehl in seinem Briefwechsel mit Stefan George gehalten. Gleich im ersten Brief, den der Gießener Germanistikstudent Wolfskehl, 23 Jahre alt, an den ein Jahr älteren, in einem kleinen Kreis bereits von einer geheimnisvollen Aura umwitterten Lyriker George richtet, heißt es: „Wenn es Einen Dichter giebt den ich mit Ihnen vergleichen möchte, so ist es Göthe in seiner vornehmsten ernstesten Schaffenszeit.“ Und George antwortet sogleich mit der ihm angemessenen Haltung, der junge Verehrer müsse sich für seine Begeisterung keineswegs genieren.
  Mit dem von Birgit Wägenbaur und Ute Oelmann herausgegebenen Briefwechsel zwischen Stefan George und Karl sowie seiner Frau Hanna Wolfskehl, der sich von 1892 bis zum Tod Georges 1933 erstreckt, liegt nun der bei Weitem voluminöseste Briefwechsel mit Zeugnissen Georges vor. Wer bisher edierte Briefwechsel von George kennt, wird nicht verwundert sein, dass man auch hier feststellen muss: Der Briefschreiber George, um es vorsichtig auszudrücken, leidet nicht unter Exhibitionismus oder Bekennerwut. Wer sich tiefe Blicke in das Leben oder gar in die psychische Befindlichkeit des bedeutenden, wenn auch nach wie vor von Geheimnissen umhüllten Dichters erhofft, wird auch in diesem Briefwechsel trotz seines Umfangs kaum fündig werden, wie auch schon nicht in den bisher bekannten, etwa mit Friedrich Gundolf oder Hugo von Hofmannsthal. Aber auch dies ist ja bereits ein aussagekräftiges Symptom. Nicht nur ist die Zahl der Briefe von Wolfskehl an George deutlich höher als umgekehrt; vor allem unterscheidet sich deren Ausführlichkeit.
  Die Briefe Georges sind knapp, kurz, meistens durchaus wortkarg, diejenigen Wolfskehls dagegen oft ausufernd und enthusiastisch. Hinzu kommt, dass George sich gerne auf Postkarten beschränkt, die den Raum notwendig begrenzen, und relativ häufig auch seine ergebenen Jünger benutzt, die beispringen, um entweder dem Meister ihre Handschrift zu leihen oder auch in seinem Namen an Wolfskehl zu schreiben. Zunächst ist dies Carl August Klein, später Friedrich Gundolf, „unser geliebter junger Dichter, der Ephebe“, wie Wolfskehl mit durchaus kupplerischem Anklang schreibt. Dann treten Max Kommerell und Frank Mehnert an diese Stelle. Kurz gesagt: Nicht wegen seiner Briefstilkunst ist Stefan George in die Geschichte der deutschen Literatur eingegangen, Karl Wolfskehl hingegen darf ihr auch als Briefschreiber zugerechnet werden, wenn er auch heute viel unbekannter ist als sein Meister, gehörte er zu ihren großen, Respekt gebietenden Gestalten.
  Wolfskehl stammte aus einer Darmstädter deutsch-jüdischen Familie, war promovierter Germanist und sicherlich der polyhistorisch Belesenste und Gebildetste im George-Kreis. Seine Bibliomanie und dementsprechend auch seine Bibliothek waren legendär. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs konnte er aufgrund eines reichhaltigen Erbes als Privatgelehrter existieren. George soll über ihn gesagt haben: „Man hätte aus der Fülle der Wolfskehlschen Geistes- und Seelensubstanz drei komplette Genies machen können. Der liebe Gott verabsäumte jedoch, diese brodelnde Masse rechtzeitig aufzuteilen.“
  Im Gegensatz zu vielen Schicksalsgenossen war sich Karl Wolfskehl seiner jüdischen Wurzeln bereits als junger Mann bewusst, noch bevor er im Jahre 1933 sein wohl bekanntestes Werk verfasste, den Gedichtzyklus „Die Stimme spricht“, mit seiner dezidierten Hinwendung zum Judentum. Wolfskehl, der sich einmal als „jüdisch, römisch, deutsch zugleich“ bezeichnet hatte, ging zunächst ins italienische Exil und dann, als sich die italienische Judenpolitik verschärfte, so weit weg von Europa wie möglich, nämlich nach Neuseeland. Dort ist er 1948 gestorben und liegt in Auckland begraben unter einem Stein, der in römischen und hebräischen Lettern seinen Namen und die zwei Worte „Exul Poeta“ trägt.
  Die Briefe Wolfskehls an George mögen den Leser von heute gelegentlich befremdend anmuten, wenn der Ton allzu verehrend-enthusiastisch wird. Ganz am Anfang ihrer Freundschaft heißt es etwa, als es Gerüchte um eine mögliche Auswanderung Georges gibt: „Lieber Stefan, Verehrter und Geliebter, ich wage nicht auch nur wie zu einer Möglichkeit hierzu aufzublicken und ich erkläre Ihnen daß es nimmer geht. Daß ich sie nimmer lasse. Daß ich kein Opfer kenne, das solches zu hindern mir zu schwer wäre. Sie haben den einzigen Punkt berührt in dem ich mich nicht bangen lasse. Sie dürfen nicht von uns ziehen. Wir sind unlöslich verkettet.“
  Das Wort ‚Geliebter‘ soll nicht in die Irre führen. Zur homoerotisch getränkten Zone des George-Kreises gehörte Karl Wolfskehl nun überhaupt nicht. Der Frauenverehrer und Frauenversteher Wolfskehl war in seiner Zuneigung zu allem Weiblichen eine zentrale Gestalt der Münchner Boheme um 1900. Franziska zu Reventlow – auch sie erlag seinem Charme, oder auch umgekehrt – hat in ihrem Roman „Herrn Dames Aufzeichnungen“ den dionysisch tanzenden Wolfskehl der berühmten Schwabinger Faschingsfeste mit seiner mächtigen Gestalt und dem dunklen Bart eindrücklich geschildert, dessen früh auftretende Augenschwäche seinen Blick für Bücher und Frauen nicht beeinträchtigte.
  Wolfskehls Briefe sind in ihrer Sprachmächtigkeit und ihrem Farbenreichtum ein großer Gewinn dieser ebenso kompetenten wie liebevollen Edition. Der andere sind die Briefe seiner Frau Hanna. Ganz vergleichbar jenen Gerty von Hofmannsthals im Briefwechsel Hofmannsthals mit Hermann Bahr sind auch die Briefe von Hanna Wolfskehl die reine Freude. Auch sie verehrt den Meister, und die Sympathie wird, wie selbst am spröden George zu merken ist, durchaus erwidert, aber ihre Bewunderung steigert sich nicht zur Verzückung wie bei ihrem Ehemann. Ihre Briefe gehören zu den Höhepunkten des Bandes: witzig, lebhaft, dabei immer nüchtern, realistisch dem Alltag gegenüber, die Verstiegenheiten Georges, des „Weihenstefan“, wie er genannt wurde, nicht immer ernst nehmend und der Welt ringsum sehr viel näher, als es der Ehegatte je war.
  Wolfskehl, so ist er vielfach gesehen worden, fungierte über eine längere Zeit als eine Art intellektuelle Hilfskraft für George, der ihn für zahlreiche Dienste einsetzte. Seine Stellung im George-Kreis bleibt dennoch eine besondere. Im Gegensatz zu den späteren Jüngern ist er nahezu gleichaltrig und hat seinerseits ein hohes Selbstbewusstsein. Man lasse sich von den adorierenden Wendungen der Briefe nicht täuschen: Wolfskehl hatte seinen eigenen Kopf und seine eigenen Entscheidungen; in vielem war er mit George einig, wenn es, nach anfänglicher Sympathie, um den
„üblen Modepoeten“ Hofmannsthal ging, erst recht beim aus tiefster Seele gehassten Rudolf Borchardt. Aber wenn George das Interesse Wolfskehls für Schriftsteller wie Richard Dehmel oder Detlev von Liliencron massiv ablehnte, ließ sich Wolfskehl davon keineswegs irritieren.
  Und als Wolfskehl in den Zwanzigerjahren, nachdem ein Großteil des Familienvermögens verloren gegangen war, sich selbst, seine Frau und die Töchter mit journalistischen Arbeiten über Wasser halten musste, machte George ihm deutlich, dass so etwas unter der Würde von Georgianern sein musste (er hatte als Familienloser und auf einen festen Wohnsitz Verzichtender leicht reden). Wolfskehl war, das zeigen die Briefe, dadurch zwar tief getroffen, widersprach aber mannhaft.
  Der Briefwechsel und offensichtlich auch die Beziehung hatten zwischen 1892 und etwa 1910 den Höhepunkt ihrer Intensität erreicht. Beide verblassen danach trotz aller beschwörenden, flehenden Rufe von Wolfskehl nach Zuwendung. Der alternde George hat vermehrt ergebene Jünger, die nicht so selbständig sind wie Wolfskehl. Der denkt etwa gar nicht daran, die freundschaftliche Verbindung zu Friedrich Gundolf, der vom Meister und vom Kreis verstoßen wird, aufzukündigen, er intensiviert sie im Gegenteil. Auch wenn es dafür hier kein Zeugnis gibt: George muss das als schweren Affront aufgefasst haben.
  Der Briefwechsel endet trostlos: Wolfskehl, der das Nazi-Unheil und die Judenverfolgung früher als andere kommen sieht, fragt im Juni 1932 bei seinem Meister an, wie er sich gegenüber der Bedrohung gerade und vor allem der deutschen Juden verhalten solle, ob er ihm etwa zur Emigration rate (sicherlich hoffte Wolfskehl auf Bestärkung dieser Absicht). Aus Berlin lässt George diesen Hilferuf kühl von einem Jünger beantworten: Das allgemeine Durcheinander sei gewiss groß, aber Wolfskehl scheine sein persönliches Schicksal doch zu düster zu sehen. Es blieb Wolfskehl erspart, jenen Briefentwurf Georges vom Frühsommer 1933 kennenzulernen, in dem er auf Avancen der neuen Regierung dilatorisch reagierte, aber doch zugab, er leugne die „Ahnherrschaft der neuen nationalen Bewegung“ keineswegs.
  Im Herbst 1933 befand sich Wolfskehl sozusagen in Sichtweite des letzten Aufenthalts von Stefan George in der Nähe von Locarno. Seine immer dringlicher werdenden Flehrufe, ihm einen Besuch zu gestatten, wurden von George und seiner Umgebung abgewehrt. Zur Beerdigung des Meisters kamen Karl und Hanna Wolfskehl dann doch noch in letzter Minute in Minusio an.
Stefan George / Karl und Hanna Wolfskehl: Von Menschen und Mächten. Der Briefwechsel 1892 – 1933. Herausgegeben von Birgit Wägenbaur und Ute Oelmann. Verlag C. H. Beck, München 2015. 879 Seiten, 49,95 Euro.
Die Briefe Georges sind knapp,
kurz, wortkarg – Wolfskehl
schreibt ausufernd enthusiastisch
Die Briefe von Wolfskehls Ehefrau
Hanna sind eine Entdeckung:
witzig, lebhaft, realistisch
Der Enthusiast
und der Unnahbare:
Karl Wolfskehl (oben)
und Stefan George.
Fotos: SZ; picture-alliance/dpa
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"Bei dem in vorbildlicher Weise edierten und höchst ansprechend gestalteten Band handelt es sich nicht nur um das voraussichtlich letzte bedeutende Quellenwerk der George-Literatur, sondern darüber hinaus um eine unerschöpfliche Fundgrube zu den Anfängen der literarischen Moderne."
Thomas Karlauf, Die ZEIT, 17. Dezember 2015

"Wolfskehls Briefe sind in ihrer Sprachmächtigkeit und in ihrem Farbenreichtum ein großer Gewinn dieser ebenso kompetenten wie liebevollen Edition (...) Die Briefe von Hanna Wolfskehl [sind] die reine Freude."
Jens Malte Fischer, Süddeutsche Zeitung, 28. Oktober 2015

"Dieser im wundervollsten Sinne frauenhafte Stil [...] macht die Lektüre des Bandes zu einem Entzücken, das nicht nur der Forscher und Germanist, sondern auch das allgemeine Publikum empfinden wird."
Lorenz Jäger, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Oktober 2015