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Érika hat sich auf einer namenlosen Insel verschanzt, um sie herum Vulkane, Touristen und Dromedare. Jeden Tag spricht sie ihre Gedanken und Erlebnisse auf ein Tonbandgerät - 22 Aufnahmen, die sich an Alex richten, und wenn die Sprache an Grenzen stößt, bleiben stets die Geräusche und Klänge in Érikas Umgebung. Viele Jahre waren Érika und Alex einander Vertraute, vielleicht Liebende, und definitiv ein Künstlerpaar, das nicht nur seine Arbeiten miteinander teilte, sondern auch eine Dreiecksbeziehung mit der jungen Kunststudentin Karen. Sie hat Alex und Érika voreinander beschützt und…mehr

Produktbeschreibung
Érika hat sich auf einer namenlosen Insel verschanzt, um sie herum Vulkane, Touristen und Dromedare. Jeden Tag spricht sie ihre Gedanken und Erlebnisse auf ein Tonbandgerät - 22 Aufnahmen, die sich an Alex richten, und wenn die Sprache an Grenzen stößt, bleiben stets die Geräusche und Klänge in Érikas Umgebung. Viele Jahre waren Érika und Alex einander Vertraute, vielleicht Liebende, und definitiv ein Künstlerpaar, das nicht nur seine Arbeiten miteinander teilte, sondern auch eine Dreiecksbeziehung mit der jungen Kunststudentin Karen. Sie hat Alex und Érika voreinander beschützt und seltsamerweise wahre Nähe ermöglicht. Karens Tod wirft viele Fragen auf, nun muss Érika wissen, wer sie ohne Alex ist und warum sie die sterbenskranke Karen eigentlich verstoßen hatte. Doch nicht nur die Vergangenheit bestimmt Érikas Gegenwart, sondern auch neue Begegnungen - mit der Hausangestellten Pilar oder dem Tierarzt Dr. Adrian, der plötzlich eine zentrale Rolle in ihrem Leben spielt. Und auch Bruno und Vanessa, in deren Haus Érika zu Gast ist, nötigen ihr unliebsame Wahrheiten auf.
Durch ein ungewöhnliches Erzählformat, eine Mischung aus Erinnerung, Reflexion und Fantasie, gelingt es Carola Saavedra, mit klarer Sprache und in lakonischem Ton die klassische Beziehungsvorstellung infrage zu stellen. Was wir unser Selbst nennen, kann wohl niemand entwirren, aber wir können immer wieder Zuflucht suchen, und zwar auf Inseln, seien sie nun real oder frei erfunden.
Autorenporträt
Carola Saavedra, 1973 in Santiago (Chile) geboren und seit ihrem dritten Lebensjahr in Brasilien verwurzelt, Schriftstellerin und Übersetzerin, hat in Deutschland Kommunikationswissenschaft studiert und lebt heute in Rio de Janeiro.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2013

Die Liebe funktioniert nur mit einem Dritten
Wer sagt denn, dass Brasilianer über Indianer und Favelas schreiben müssen: Carola Saavedra hat mit "Landschaft mit Dromedar" einen schönen Künstlerroman verfasst

Liebe, das sei allein eine Sache zwischen zwei Personen; ein Dritter würde dabei nur stören, glaubte einst Sigmund Freud. Von wackeren Polyamoristen einmal abgesehen würde dem großen Wiener Analytiker hier wohl niemand widersprechen. Dennoch finden sich in der Denkgeschichte immer wieder Stimmen, wonach die Rolle des Dritten ein wenig komplexer ist. "Zwei werden durch den Dritten getrennt und verbunden", heißt es etwa bei Novalis. Der französische Philosoph Michel Serres behauptet sogar, dass Liebende ohne einen Dritten gar nicht kommunizieren könnten - nur dass diese als vermittelndes Medium fungierende dritte Partei immer auch ein unaufhebbares Rauschen mitproduziere.

In Carola Saavedras Roman "Landschaft mit Dromedar" produziert der, oder besser: die Dritte die Störung erst, als sie als Medium ausfällt. Bis dahin hat die Studentin Karen den beiden weltberühmten Konzeptkünstlern Alex und Érika eine neue Blüte ihrer Produktivität beschert und eine stabilere Freundschaft dazu. Denn "Beziehungen gibt es nur so. Zu dritt", sinniert im Rückblick die Ich-Erzählerin Érika, "es muss immer einen Dritten geben, der, indem er ausgeschlossen wird, eine Verbindung zwischen den beiden anderen herstellt. Einer muss immer ausgeschlossen werden. Bei uns war es Karen."

Gerade Érika hat von der Erweiterung der symbiotischen Künstlerfreundschaft zur Triade profitiert: Zuvor immer nur in Alex' Windschatten, konnte sie sich erstmals aus ihrer künstlerischen Abhängigkeit lösen, gewann Eigenständigkeit. Wozu Karen, eine Schülerin von Alex, einfach nur da sein musste, als "Zeugin unseres Gesprächs, unserer Handlungen" - in der Kunst wie im Bett: "Dort, in diesem Augenblick, mit ihr verbunden, mit ihrem Haar, ihrem Körper, war es möglich, dass wir uns einander annäherten, ohne uns zu zerstören. Wir beide."

Zu Beginn des Romans ist Karen bereits tot, gestorben an Krebs. Ihr Verlust stürzt das Künstlerpaar in eine Krise. Érika hat sich, ohne Alex, auf eine namenlos bleibende Insel zurückgezogen. Im Ferienhaus ihrer Galeristin Vanessa versucht sie, Antworten auf quälende Fragen zu finden. Wie der, warum sie, als Karen ihr von ihrer Erkrankung erzählte, jeden Kontakt zu ihr abbrach. Und sogar noch einen glücklichen Nachmittag mit dem nichtsahnenden Alex verbrachte. Oder der, was nun aus dem Künstlerpaar werden soll, ohne Karen. Bedeutet ihr Tod nicht auch das Ende von Érika und Alex? Und warum wird ihr die tote Karen, deren "Warum machst du das?"-Anrufe sich noch immer auf Érikas Anrufbeantworter befinden, immer gegenwärtiger? Damit eng verbunden sind ästhetische Fragen: Ist Kunst, wie Alex behauptet, allein abhängig vom Betrachter und dem Zusammenhang, in den er ein Objekt stellt? Ist Bedeutung stets abhängig von ihrem Kontext? Macht Wissen schuldig?

Wie Érika bald erkennt, entspricht die Topographie ihres Exils, eine Wüstenlandschaft mit erloschenen Vulkanen, recht genau ihrer desolaten Künstlerseele. Mit ihren Emotionen ging sie zeitlebens so sparsam um wie die Dromedare, die die Touristen über die Insel schleppen, mit dem Wasser. Karens Gefühle dagegen hat sie, wie wohl auch Alex, nie wirklich ernst genommen. Die junge Frau war nicht mehr als ein "Schoßhündchen" des Künstlerduos, wie Vanessas Mann Bruno spottet. Bald entwickelt sich Érikas nachgeholte Trauerarbeit zu einem Selbstfindungsprozess, bei dem ihre Identität als Künstlerin auf den Prüfstand gerät. Zumal die Insel Érika die Chance eines Neuanfangs bietet, in Person eines Tierarztes. Bei ihm, der von der Kunstszene keine Ahnung hat und Érika für eine verlassene Lehrerin hält, findet sie erstmals Gefallen an der Vorstellung eines ganz anderen Lebens.

Verriete es nicht der Hinweis auf dem Schutzumschlag, nichts deutete darauf hin, dass die Autorin dieses faszinierenden Künstler- und Liebesromans Brasilianerin ist. Von einschlägigen Publikumserwartungen, lateinamerikanische Autoren sollten nur über Indianer, Favelas und Schrumpfköpfe schreiben, distanzierte sich Carola Saavedra, Jahrgang 1973, unlängst in dem Essay "Vom Exotischen und anderen Wundern", der im Heft Nummer 133 der österreichischen Zeitschrift "Lichtungen" erschienen ist. Carola Saavedras Themen sind die ganz großen, die Liebe, der Tod und die, mit Robert Musil gesprochen, "rettungslose Einsamkeit des Ichs"; die Vorbilder der Autorin, die lange in Europa lebte und in Deutschland Publizistik studierte, reichen von Jorge Luis Borges bis W. G. Sebald und Thomas Bernhardt.

"Landschaft mit Dromedar" ist bereits Saavedras dritter Roman, aber ihr erster in einem deutschen Verlag; Maria Hummitzsch hat ihn aus dem Portugiesischen in ein geschmeidiges Deutsch übertragen. Mehr noch als durch seinen Plot reizt der Text durch seine ambitionierte Erzählkonstruktion: Érikas Reflexionen und Erinnerungen sind an ihren Partner, Alex, gerichtet, aber nicht etwa geschrieben, sondern gesprochen, in zweiundzwanzig Aufnahmen auf ein Tonbandgerät, über Tage und Wochen hinweg. Weil, so Érika, die gesprochene Sprache es eher als die Schrift erlaube, aus allen vorgefertigten Bedeutungszusammenhängen herauszutreten. Und weil es auch auf die Geräusche im Hintergrund ankomme: vom Wind, der über die Insel fegt, über die Stimmen von Bruno und Vanessa bis zu Érikas Weinen. Einmal hört man Alex, wie er auf Érikas Anrufbeantworter spricht und sie bittet, sich endlich bei ihm zu melden.

Freilich liegen Érikas Aufnahmen in Schriftform vor, was die Frage aufwirft, wer sie transkripiert hat. Érika selbst? Oder Alex? So changiert der Roman für den Leser irritierend zwischen dem mündlichen und dem schriftlichen Medium, könnte ebenso das Skript für ein Hörspiel wie für ein Einpersonenstück auf der Bühne sein. Zuletzt erfährt man aber, dass sich das Aufnahmegerät in einem leeren, halbdunklen Raum befindet - und das Ganze somit eine Kunstinstallation zu sein scheint. Von Érika, die sich mit ihr endgültig von Alex befreit? Oder von Alex, der aus Érikas Aufnahmen ein neues Kunstwerk macht? Auch in diesem Fall entschiede der jeweilige Zusammenhang über die Deutung.

OLIVER PFOHLMANN

Carola Saavedra: "Landschaft mit Dromedar".

Roman.

Aus dem Portugiesischen von Maria Hummitzsch. Verlag C.H. Beck, München 2013. 176 S., geb., 17,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Carola Saavedras dritter Roman erzählt nur vordergründig ein Beziehungsdrama, erklärt Eberhard Geisler. Denn hinter dieser Fassade reflektiert die Autorin über Kunst, Literatur und die Existenz darin, führt er weiter aus. Wenn es um eine Installationskünstlerin geht, die sich beim Dokumentieren von Straßen- und Naturgeräuschen per Aufnahmegerät vom Konzept der musealisierbaren Kunst zugunsten eines offeneren, zerstreuteren, nicht mehr an Werksbegriff und Botschaften orientierten Konzepts verabschiedet, so gilt dies auch für diesen Roman und seine Autorin, die sich in der Kunst des beiläufigen Schreibens übt, erfahren wir von Geisler. Kunst erscheint hier nicht mehr als etwas Definitives - umso schillernder die Paradoxie, dass ein Roman das "Bewusstsein solcher Marginalität" qua Niederschrift fixiert.

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