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Die legendären "Hannah-Dialoge" von Günther Anders erstmals veröffentlicht Nach dem Tod seiner ersten, schon 1937 von ihm geschiedenen Ehefrau Hannah Arendt im Dezember 1975 begann Günther Anders in Erinnerung an jene glückliche erste Zeit des Zusammenlebens, seine Notizen aus den Berliner Ehejahren ab 1929 durchzusehen und im Gedenken an Hannah, die er zur ersten und einzigen Liebe seines Lebens verklärte, die philosophischen Gespräche zu rekonstruieren, die sie damals miteinander geführt hatten. Diese "Hannah-Dialoge", die bislang nur in der Handschrift vorlagen, werden hier erstmals von…mehr

Produktbeschreibung
Die legendären "Hannah-Dialoge" von Günther Anders erstmals veröffentlicht
Nach dem Tod seiner ersten, schon 1937 von ihm geschiedenen Ehefrau Hannah Arendt im Dezember 1975 begann Günther Anders in Erinnerung an jene glückliche erste Zeit des Zusammenlebens, seine Notizen aus den Berliner Ehejahren ab 1929 durchzusehen und im Gedenken an Hannah, die er zur ersten und einzigen Liebe seines Lebens verklärte, die philosophischen Gespräche zu rekonstruieren, die sie damals miteinander geführt hatten. Diese "Hannah-Dialoge", die bislang nur in der Handschrift vorlagen, werden hier erstmals von Gerhard Oberschlick ediert. Ein ausführlicher Essay von Christian Dries beleuchtet die Lebens- und Denkwege von Hannah Arendt und Günther Anders und hilft, die Dialoge in das Lebenswerk der beiden Protagonisten einzuordnen.
Autorenporträt
Günther Anders, 1902 bis 1992, zählt zu den bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Im deutschen Sprachraum ist seine geistige wie politische Radikalität ohne Beispiel. Günther Anders war «der wahrscheinlich schärfste und luzideste Kritiker der technischen Welt» (Jean Améry), sein Hauptwerk ist «Die Antiquiertheit des Menschen».

Christian Dries hat mit einem Werk über Günther Anders, Hannah Arendt und Hans Jonas promoviert und ist Verfasser einer Monographie über Günther Anders (2009).

Gerhard Oberschlick war Herausgeber der Zeitschrift FORVM, in der Günther Anders in seinen letzten Lebensjahren viel publiziert hat. Er ist Nachlaßverwalter von Günther Anders.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.2012

Fensterlos sind die Monaden, und unglücklich Liebende können von ihnen lernen
Versuch der Annäherung an die Frau der frühen Jahre: Die Aufzeichnungen von Günthers Anders über Hannah Arendt aus dem Nachlass

"Ihr grünäugiger Ghettoblick der Verwunderung setzt bei ihr stets dann ein, wenn sie Zeugin einer Leistung wird, deren sie trotz ihrer außergewöhnlichen Gaben selber nicht fähig ist." Der Satz stammt von dem Philosophen und Schriftsteller Günther Anders, mit dem Hannah Arendt von 1929 bis 1937 verheiratet war. Er eröffnet das verlockend betitelte Buch "Die Kirschenschlacht. Dialoge mit Hannah Arendt", das Gerhard Oberschlick herausgegeben hat. Es ist eines der befremdlichsten Bücher über Hannah Arendt. Doch man liest es mit Gewinn, wenn man es als Buch über den Autor begreift, über das Elend, erfahren zu müssen, dass man für die Geliebte der Nicht-Genügende ist. Das schmerzt lebenslänglich. "Die Kirschenschlacht" ist ein tief bewegendes Buch über Günther Anders.

Anders lernte Arendt 1924 in Marburg kennen, als beide die Vorlesungen Heideggers besuchten, mit dem Arendt zu dieser Zeit liiert ist. Darum hat sie für den brillanten Studenten Anders, der damals noch Günther Siegmund Stern hieß, keine Augen. Erst 1929 trifft sie ihn auf einem Maskenball in Berlin wieder. Arendt gibt seinem intensiven Werben nach; sie heiraten rasch. Doch die von Anders anvisierte intellektuell fundierte Lebens- und Denkgemeinschaft, wie seine eigenen erfolgreichen Eltern sie lebten, entsteht nicht, denn Hannah lässt sich nicht zähmen. Darauf bezieht sich das der "Kirschenschlacht" vorangestellte Motto, ein Einzelblatt aus dem Nachlass von Anders: "Gewonnen habe ich Hannah auf dem Ball mit der im Tanzen gemachten Bemerkung, daß Lieben derjenige Akt sei, durch den man etwas Aposteriorisches: den zufällig getroffenen Anderen, in ein Apriori des eigenen Lebens verwandle. - Bestätigt hat sich diese schöne Formel freilich nicht."

Wenn man Anders glauben kann, ging es nach der Hochzeit so weiter wie auf dem Maskenball. Die Eheleute bezogen eine winzige Wohnung in Drewitz bei Potsdam. Anders arbeitete an einer systematisch angelegten philosophischen Anthropologie, während Arendt ihre eigene Situation mit Hilfe eines Buches über Rahel Varnhagen in den Griff zu bekommen suchte. Die Wohnung hatte einen Zwergenbalkon, auf dem die Eheleute beim Kirschenentsteinen philosophische Schlachten schlugen. Anders hat nachher alles gewissenhaft aufgeschrieben und, so soll man glauben, diese Notizen durch alle Fluchten, Wanderungen, Umzüge hindurch bewahrt.

Als Arendt im Dezember 1975 einem Herzinfarkt erliegt, ist Anders erschüttert. Seit 1937 war er von ihr geschieden, und hinter ihm lag ein aus vielen Gründen und an vielen Ungetümen gescheitertes Leben. Zu den Höhepunkten dieses Lebens gehörten die Balkongespräche 1929/30, als alles noch möglich schien. Darum sucht Anders im Dezember 1975 diese Notizen hervor und beginnt sie in Dialoge zu verwandeln, die er 1984 noch einmal überarbeitet. "Wie viel von Hannah darin ist", schreibt Anders, "kann ich nicht mehr bestimmen: Der Versuch, Hannahs schon damals ganz eigenständigen Denk- und Sprachstil wieder herauszurufen, ist mir nicht gelungen, nur der, ihre Gestik zu schildern."

Im zweiten der vier Erinnerungsfragmente, die Anders Dialoge nennt, geht es dann auch gleich los mit seinen Auslassungen über den Zerfall der Welt in endlos viele Monaden, die solipsistisch vor sich hin leben. Die Qualle vor Swinemünde weiß nichts vom Mond. "In der Zufälligkeit des Beispiels bestand natürlich die Pointe meiner Erläuterung. Und das war der Klugen natürlich völlig klar." Im dritten Fragment geht es weiter mit seiner Beweisführung zur Irrelevanz des Menschen, hinter der sich seine Attacke auf Heidegger verbirgt. Anders bezichtigt ihn wie alle andern Hochschulphilosophen der Eitelkeit, "philosophische Anthropologie" zu betreiben. Darunter versteht er eine "politische Verblendungsmethode", die prätendiert, dass der Mensch metaphysisch ernst genommen werden muss. Diese Strategie diene den Mächtigen zur Erhaltung der Macht, weil sie durch Prätendieren der metaphysischen Zentralität des Menschen (Singular) die real in totaler Abhängigkeit von ihnen existierenden Menschen blind machen können "gegen die Tatsache, dass sich ,um sie' eben einfach nichts ,dreht'."

Anders gibt sich hier klassenkämpferisch, exponiert Arendts politische Naivität und Heideggers politischen Konformismus und versucht sich selbst als vom akademischen Establishment abgewiesener Außenseiter an die revolutionäre Spitze zu setzen: "Jedenfalls ist der Singular der ,Philosophischen Anthropologie' die akademische Methode, vermittels deren man die zwei ungern zugestandenen Tatsachen ,Klassengesellschaft' und ,Kolonialvölker' aus der Welt schaffen kann."

Mit Grobgestricktem dieser Art steuert Anders dann auf den Hurra-Patriotismus des Ersten Weltkriegs zu, der auch führende Intellektuelle erfasste, und deutet an - Seitenhieb auf Heidegger aus der Rückschau -, dass dies auch im sich abzeichnenden Faschismus wieder der Fall sein werde.

Und dann kommt der vierte Teil, den Anders absurderweise "Akademisches Nachwort" betitelt. Er öffnet ganz unerwartet eine Falltür in die Abgründe der Seele von Anders. Auf der Textoberfläche nimmt er seine 1929 geäußerte Anschauung vom Zerfall der Welt in isolierte Monaden zurück und beweist mit Hilfe von Textzitaten, dass Leibniz die Monaden gar nicht als "fensterlos" sah, sondern sie "nicht nur miteinander verbunden, aufeinander bezogen, sondern geradezu ,aufeinander aus' sind".

Es ging Anders darum, zu Hannah durchzudringen. Doch es gelang ihm nicht, das spürte er 1929/30. Er war monadisch isoliert. Als Anders und Arendt drei Jahre später im Pariser Exil lebten, stand es schlimm zwischen den beiden. Arendt wandte sich Heinrich Blücher zu. Christian Dries schreibt Blücher in seinem Nachwort eine an Heidegger erinnernde "maieutische Brutalität" zu, mit deren Hilfe er Arendt zur Arbeitsdisziplin erzog. Das hätte Anders auch brauchen können.

Ganz am Schluss kam es trotzdem noch zu einer bescheidenen Annäherung von Anders und Arendt in Briefen über den Atlantik. Sein rekonstruierter Dialog mit Hannah Stern ist das Dokument einer lebenslangen Obsession und Verzweiflung. In der Rekonstruktion versucht Anders, Hannah noch einmal in seine Welt zurückzuholen. Es gelingt ihm zwar nicht. Aber in der "Kirschenschlacht" behält er immerhin das letzte Wort.

SUSANNE KLINGENSTEIN

Günther Anders: "Die Kirschenschlacht". Dialoge mit Hannah Arendt.

Verlag C. H. Beck, München 2011. 143 S., Abb., br., 16,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Immerhin, in der "Kirschenschlacht", diesem kleinen Büchlein aus der Erinnerung, behält Günther Anders das letzte Wort, schreibt Susanne Klingenstein in ihrer Rezension, aber eigentlich liest sie die "Schlacht" als den Text eines sehr traurig gescheiterten Liebenden, denn "Hannah lässt sich nicht zähmen". Sie hat ihn bald verlassen. So sehr Anders ihr mit seiner Philosophie der Monaden und am Ende mit einer Aufweichung dieser Philosophie auch imponieren will: Hannah geht zu Blücher, und gegen Heidegger vermag er schon gar nichts. Für Klingenstein ist dies Buch bei aller Traurigkeit eine gewinnende Lektüre, "eines der befremdlichsten Bücher über Hannah Arendt" - aber ein sehr rührendes über Günther Anders.

© Perlentaucher Medien GmbH