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Zum 300. Geburtstag des schottischen Philosophen, Ökonomen und Historikers David Hume (1711-1776) erscheint Gerhard Stremingers große Biographie, die einzige umfassende Darstellung in deutscher Sprache, in einer überarbeiteten Neuauflage. David Hume gilt als einer der einflussreichsten Denker des 18. Jahrhunderts. Als radikaler Empirist wandte er sich kritisch gegen den Rationalismus und die metaphysischen Spekulationen seiner Zeitgenossen und plädierte stattdessen für eine "experimentelle", allein auf Beobachtung und Erfahrung gegründete Methode. Detailliert und anschaulich zeichnet…mehr

Produktbeschreibung
Zum 300. Geburtstag des schottischen Philosophen, Ökonomen und Historikers David Hume (1711-1776) erscheint Gerhard Stremingers große Biographie, die einzige umfassende Darstellung in deutscher Sprache, in einer überarbeiteten Neuauflage.
David Hume gilt als einer der einflussreichsten Denker des 18. Jahrhunderts. Als radikaler Empirist wandte er sich kritisch gegen den Rationalismus und die metaphysischen Spekulationen seiner Zeitgenossen und plädierte stattdessen für eine "experimentelle", allein auf Beobachtung und Erfahrung gegründete Methode. Detailliert und anschaulich zeichnet Streminger Humes Werdegang nach und entwirft zugleich das politische, gesellschaftliche und kulturelle Panorama einer ganzen Epoche. Er verknüpft die Lebenserzählung mit ebenso fundierten wie verständlichen Einführungen in sämtliche Schriften Humes, macht deutlich, warum seine Fragestellungen noch heute herausfordern, und richtet sein besonderes Augenmerk auf Humes weitreichende Religionskritik.
Autorenporträt
Gerhard Streminger, geb. 1952, lehrte Philosophie an der Karl-Franzens-Universität in Graz und an der University of Minnesota in Minneapolis. Er hat u. a. "Adam Smith" (1989) sowie "Gottes Güte und die Übel der Welt. Das Theodizeeproblem" (1992) veröffentlicht.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ludger Lütkehaus begrüßt diese gründlich überarbeitete und erweiterte Ausgabe von Gerhard Stremingers erstmals 1994 erschienener Biografie des schottischen Philosophen, Ökonomen und Historiker David Humes. Bisweilen fordert die Lektüre vom Leser wegen der manchmal nicht einfachen Diktion etwas Geduld, warnt der Rezensent. Die große Stärke von Stremingers Buch sieht er aber darin, dass sie den Zusammenhang von Person, Werk und Zeitalter lebendig macht und erhellt. Besonders hebt er die Darstellung von Humes Krankheits- und Erkenntnisgeschichte sowie seiner Religionskritik hervor. Das fast 800 Seiten umfassende Standardwerk bietet zu Lütkehaus' Freude auch die deutsche Erstübersetzung von Humes Journal seiner Deutschlandreise im Jahr 1748.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.10.1995

Der Heilige des Skeptizismus
Gerhard Streminger schreibt die Lebensgeschichte des Philosophen David Hume

Wie nach ihm Ludwig Wittgenstein hat David Hume den Weg von der Kritik der Denkarten zur Verteidigung der Lebensformen beschritten. Gerhard Streminger, Humes jüngster Biograph, weist auf die beiden gemeinsame Überzeugung hin, "die Philosophie werde in größte Schwierigkeiten geraten, wenn sie nicht im täglichen Leben verwurzelt ist". Die Skepsis findet in der alltäglichen Evidenz den Prüfstein der Wahrheit; das tägliche Leben des Skeptikers wird zur Probe auf die Geltung seiner Philosophie. Das hat Konsequenzen für die Rezeption. Das Leben geht vorüber; soll die Philosophie nicht ebenso vergehen, muß das Zeugnis ihrer Bewährung bewahrt werden. Ihre Wahrheit war zu Lebzeiten des Philosophen augenfällig. Nach seinem Tod wird sie legendär.

Hume und Wittgenstein sind moderne Heilige. Ihre Jünger haben die Kunde von ihren guten Taten und ihrer weißen Seele verbreitet. Die Kränkung, die in der Erkenntniskritik liegt, wird erträglich durch den Trost der Anweisung zum seligen Leben. Die entscheidende Stunde im Leben des Heiligen ist die letzte. Seit der Schilderung, die Adam Smith am 9. November 1776 in einem Brief an William Strahan gegeben hat, gilt Humes Tod als Beweis dafür, daß auch ein Ungläubiger glücklich sterben kann. Auch Stremingers Darstellung kulminiert in der Sterbeszene. Die Tradition las den Tod des Sokrates als Ankündigung von Christi Martyrium. Hume stirbt wirklich heiter wie Sokrates. Das Kruzifix in der Schule der Philosophen wird abgehängt.

Streminger, der die Werke Humes in der Folge ihrer Veröffentlichung erörtert, schickt dem Todesbild noch einen Abriß der postumen Schriften hinterher, der Abhandlungen über den Selbstmord und die Unsterblichkeit der Seele. Nicht um sein Seelenheil hat Hume sich gesorgt, sondern um seinen Nachruhm; er hat verfügt, daß seine Selbstbiographie allen Werkausgaben voranstehen solle. Die einzige Unsterblichkeit ist die literarische. Stremingers Schlußkapitel trägt den Titel "Kritik der Religion". Er bezeichnet das Interesse des Verfassers, der 1992 mit einer Schrift über den Grund des Mißlingens aller philosophischen Versuche in der Theodizee hervorgetreten ist. Humes Religionskritik ist für ihn keine vergangene Erscheinung des Denkens, sondern beschreibt eine gegenwärtige, ja zeitlose Aufgabe. So erklärt sich das ungewöhnliche Verfahren, daß Streminger nicht nur Humes Argumente gegen die Offenbarung referiert, sondern eigene hinzusetzt. Das Leben des Heiligen ist nicht wirklich vergangen, sondern ein nie veraltendes Beispiel.

Gewöhnlich verdammt man eine Biographie, wenn man sie eine Heiligenvita nennt. Hier verhält es sich einmal anders. Der gerechte Zorn, mit dem Streminger "die Perversion menschlicher Gefühle durch den religiösen Fanatismus" beklagt und "die Machenschaften der Dunkelmänner" verfolgt, hat ein packendes Buch hervorgebracht, an dem sich die Geister scheiden werden. Der Verfasser verschmäht die antiphilosophischen Sedative der Philosophiegeschichte, Kontextualisierung, Historisierung und Relativierung. Seine Rede ist ja, ja, nein, nein. Wer meint, das Kreuz habe noch niemandem geschadet, lese Stremingers Vermutungen über die Wirkungen der calvinistischen Höllendrohung auf die Seele des kleinen David.

Was Humes Lehre von der Bändigung der gewaltsamen Leidenschaften der calvinistischen Psychologie verdankt, wird dabei nicht verschwiegen. Auch wird Humes Kampf gegen die eigenen ungeselligen Leidenschaften geschildert. Zu jener gelassenen Menschenfreundlichkeit, die das von der Religion der Menschheit verheißene Heil ist, führt eine enge Pforte. Von ihrem christlichen Gegenstück unterscheidet sie, daß Humes gewaltiger Leibesumfang wie durch ein Wunder seinen Einlaß nicht erschwerte. Erst durch die Anfechtungen wächst der philosophische Glaube; auch in der realistischen Anthropologie reicht Stremingers Buch an die höchsten Beispiele der Hagiographie heran.

Alter pastoraler Weisheit entspricht auch die in der philosophischen Fachliteratur beispiellose Anschaulichkeit, mit der der Denker und seine Lebenswelt gezeichnet werden. Der Biograph des großen Empirikers qualifiziert sich als liebevoller Beobachter. Dabei vergißt er den allegorischen Bildsinn nicht. Edinburgh, das im Laufe der Lebenszeit Humes aus gotischer Enge in klassizistische Weite strebte, wird zum Sinnbild der schottischen Gesellschaft, der der Kampf gegen Engländer, Könige und Naturgewalten einen demokratischen Instinkt überliefert hatte und der die Aufklärung nun durch Hume und seine Freunde Ferguson und Smith ferne Horizonte erschloß. Die ausführlichen Darlegungen zur schottischen Geschichte sind ein weiterer Zug, den man im Werk eines Fachphilosophen nicht erwartet. Dabei folgen sie aus der Entwicklung von Humes Philosophie, wie Streminger sie schlüssig darlegt, aus der Wendung zur Geschichte.

Der Autor der in Deutschland einst vielgelesenen "Geschichte Englands" wird heute von deutschen Einführungen in Humes Denken nicht behandelt, als wären der Philosoph und der Historiker zwei Personen - was Humes Kritik der Subjektphilosophie gewiß zu weit treibt. Die Erkenntniskritik, so vermag Streminger zu zeigen, führte Hume zu der Frage, worauf das menschliche Zusammenleben denn gründet, wenn die Menschen weder durch eingeborene Ideen verbunden sind noch durch eine rationale Ethik gelenkt werden können. Die künstlichen Tugenden des sozialen Umgangs müssen historisch erlernt werden. Die Historiker der schottischen Aufklärung schreiben die Geschichte der Zivilisierung der Lebensformen. Ihre Absicht ist auch die Zivilisierung des eigenen halbbarbarischen Landes, wie sie die Union mit England ermöglicht.

Diese Verwurzelung der philosophischen Historiographie im täglichen Leben des Vereinigten Königreiches bleibt bei Streminger allerdings undeutlich. Gerade die liebevollen Schilderungen aus der schottischen Historie behindern paradoxerweise die Bestimmung von Humes Rolle in der Geschichte seines Landes. Die Sympathie ist nach Hume eine Voraussetzung der Erkenntnis. Wenn Streminger sich aber durch seine Schottlandliebe zur antikolonialistischen Polemik gegen die englische "Befriedung" des Hochlands hinreißen läßt, so wäre in dieser Optik Hume als Agent der Kolonialisierung anzuklagen. Die Historiographie der schottischen Aufklärung liefert - bei aller Kritik am vulgären Freiheitsglauben der Engländer - geradezu die Theorie der Integration Schottlands in einen modernisierenden Staat, der die Freiheit des Marktes schützt und keine Sondergewalten wie die Clans dulden kann.

Vom England des achtzehnten Jahrhunderts hat Streminger leider keine deutlichen Begriffe. Insbesondere hindert ihn das apokalyptische Szenario vom Kampf zwischen Lichtfreunden und Finsterlingen, das für das Schottland von John Knox ein Minimum an Plausibilität besitzen mag, am Verständnis der englischen Nationalkirche, die der Schwarzweißmalerei das Grau-in-Grau vorzieht. Berühmt ist jener Bischof, dem seine Grabplatte nachrühmt, er habe das Evangelium vierzig Jahre lang ohne Enthusiasmus gepredigt. Der Enthusiasmus, die Schwärmerei, ist neben dem Aberglauben die zweite Hauptgröße in Humes Soziologie der Religion. Wenn Hume den "enthusiasm" individueller Inspiration ebenso tadelt wie die "superstition" des hierarchischen Dogmatismus, dann setzt diese via media die Straße der Anglikaner fort, die den protestantischen Sekten und dem Katholizismus dieselbe Unterwanderung der Sozialordnung vorwarfen.

Für Streminger ist es "schwierig, zu verstehen", daß die Erzbischöfe von Canterbury und Armagh den Autor der "Geschichte Englands" in Schutz nahmen. Aber diesen Kirchenpolitikern, Garanten des Bundes von Thron und Altar, kam entgegen, daß Hume religiöse und bürgerliche Zwietracht denselben antisozialen Leidenschaften anlastete. Humes Begründung der staatlichen Autorität aus der Skepsis hat eine anglikanische Tradition. Den gebildeten und eleganten Kirchenfürsten, die bis fast auf den heutigen Tag die anglikanische Kirche beherrschen, war Heiligenverehrung immer ein Signal des Extremismus. Der Kult der protestantischen Märtyrer befeuerte den Puritanismus; die Heiligenbilder, die John Henry Newman aufrichtete, standen an der Straße nach Rom. Der ungläubige David Hume war ein geheimer Kirchenlehrer der Anglikaner, wie es Machiavelli für die Jesuiten gewesen sein soll, aber vielleicht doch kein Heiliger.

Trotzdem wollen wir Stremingers Vita lesen, nicht nur der reichen Illustrationen und reicheren Fußnoten wegen. Dieses Buch strahlt jene Begeisterung aus, die aller reine Eifer vermittelt. Der Enthusiasmus der Vernunft war schon zu Humes Zeiten die edelste Form der Schwärmerei. PATRICK BAHNERS

Gerhard Streminger: "David Hume". Sein Leben und sein Werk. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 1994. 715 S., Abb., geb., 98,- DM.

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