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Mal durch einen Heilzauber - der uns in diesem Fall in den Merseburger Zaubersprüchen erhalten geblieben ist -, mal durch einen Wetter- oder Schadenszauber, aber auch mit Hilfe noch ganz anderer magischer Methoden haben die Menschen im Mittelalter und der frühen Neuzeit versucht, ihr eigenes Leben, ihre Mitmenschen und ihre Welt zu beeinflussen. Helmut Birkhan hat ein spannendes Buch über magische Praxis und ihre Denkvoraussetzungen geschrieben, in dem er anhand zahlreicher konkreter Beispiele die Welt der Zauberer und Hexen wieder lebendig werden lässt und auch die Einstellung, Ängste und Reaktionen ihrer Zeitgenossen beschreibt. …mehr

Produktbeschreibung
Mal durch einen Heilzauber - der uns in diesem Fall in den Merseburger Zaubersprüchen erhalten geblieben ist -, mal durch einen Wetter- oder Schadenszauber, aber auch mit Hilfe noch ganz anderer magischer Methoden haben die Menschen im Mittelalter und der frühen Neuzeit versucht, ihr eigenes Leben, ihre Mitmenschen und ihre Welt zu beeinflussen. Helmut Birkhan hat ein spannendes Buch über magische Praxis und ihre Denkvoraussetzungen geschrieben, in dem er anhand zahlreicher konkreter Beispiele die Welt der Zauberer und Hexen wieder lebendig werden lässt und auch die Einstellung, Ängste und Reaktionen ihrer Zeitgenossen beschreibt.
Autorenporträt
Helmut Birkhan ist emeritierter Professor für Ältere deutsche Sprache und Literatur an der Universität Wien sowie wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.09.2010

Der Abwehrzauber hat nichts von seinem Reiz verloren
Helmut Birkhans Darstellung der Magie im Mittelalter zeigt auch, wie lebendig deren Denkmuster blieben

Hundert Jahre war es schon her, dass die Franken die Taufe genommen hatten, als Gregor, Bischof von Tours, darüber berichten musste, wie er und seine Amtsbrüder mit Magiern und Wahrsagern zu kämpfen hatten. In Tours selbst versagte ein Meister der Schwarzen Kunst zwar bei der Heilung von Gichtkranken, konnte aber verblüffend wiedergeben, was andere im Geheimen geredet hatten. In Paris bot ein Magier dem Oberhirten Heiligenreliquien an, doch fand man in seinem Sack Kräuterwurzeln, Maulwurfszähne, Mäuseknochen, Bärenklauen und Bärenfett. Einer jungen Wahrsagerin konnte der Bischof von Verdun den Dämon nicht austreiben, ihrer Verfolgung entzog sie sich dadurch, dass sie Asyl bei der Königin Fredegunde fand.

Was Gregor von Tours beschreibt, war freilich kein schwerer Abschied vom Heidentum, denn auch in späteren Zeiten ließ sich die angebliche Kunst, anderen mit unnatürlichen Mitteln seinen Willen aufzuzwingen (Magie), oder (vorher) zu sehen, was sonst verborgen war (Mantik), nicht ausrotten. Vom Glauben daran war keine Gruppe der Gesellschaft ausgenommen, auch der Klerus und selbst die Bischöfe nicht. Der französische Prälat Guido Fulcodii konsultierte einen Wahrsager, nachdem er Kardinal geworden war (1261), um zu wissen, ob ihm sein Amt gelingen werde, und als ihn gar ein schwieriges Konklave in Abwesenheit 1265 zum Papst wählte (Clemens IV.), wiederholte er, der als harter Mann und kühler Jurist bekannt ist, seine illegitime Anfrage.

1520 stellte Johannes Gerlach alias Dr. Faustus dem Bamberger Bischof Georg für zehn Gulden Honorar ein Horoskop. Keineswegs haben dann Humanismus und Reformation dem Teufelsspuk ein Ende gemacht. Zu Goethes Zeiten führte die Apotheke zu Weimar Bocksblut, Skorpionöl und gebrannte Frösche als vorgebliche Arzneien, und in Dresden wurde 1761 Wolfsleber, Fuchslunge, gebrannter Maulwurf und sogar Menschenfett zum Kauf angeboten.

Ein Mittel zur Beherrschung der Weißen und Schwarzen Magie konnte darin liegen, sie in das Repertoire frommen Verhaltens zu integrieren. Deshalb wurden Bibelverse als Amulette verwendet, die gegen Krankheit, Verhexung und Zauberei schützten. Was aber soll man davon halten, dass selbst ein freier Geist und großer Gelehrter wie Gottfried Wilhelm Leibniz geweihte Gegenstände des katholischen Kults im Abwehrzauber instrumentalisierte? Wie er seinem Adlatus berichtete, habe er bei einer Seefahrt auf dem Mittelmeer 1689/90 mit Erfolg einen Rosenkranz räuberischen Mördern entgegengehalten. Doch, so grübelte noch vor einiger Zeit Hans Blumenberg, wieso führte Leibniz die geweihten Perlen überhaupt mit sich?

Dem vielbehandelten Thema "Magie im Mittelalter" widmet der Wiener Germanist Helmut Birkhan eine Darstellung mit weitgestreuten Beispielen. Er geht dabei den "Denkmustern" der Magie, der Mantik und des Aberglaubens überhaupt nach und trennt, was eigentlich nicht sachgerecht ist, als Literaturwissenschaftler die "Magie der Gelehrten im Mittelalter und der Frühen Neuzeit" von den Zeugnissen für die "Magie im Volksglauben". Besonders verdienstvoll sind Birkhans Hinweise auf die fortwährende Geltung der Magie in unseren Tagen. Zwar muss man nicht darüber aufgeklärt werden, dass weniger begabte Fussballer die Trikots der Könner eigentlich deshalb zu ergattern suchen, weil sie die Kraft des Genies auf sich selbst umleiten möchten. Wer aber wusste schon, dass der gesellschaftliche Zwang, dem Niesenden Gesundheit zu wünschen, genauso auf die Alltagsmagie der Römer zurückgeht wie der Glaube daran, durch Daumendrücken einem geliebten Menschen Glück verschaffen zu können?

Wer die Wirkung anonymer Kettenbriefe selbst erfahren hat, die Unheil demjenigen prophezeihen, der sie nicht weitersendet, wird vielleicht die Suggestion der mittelalterlichen "Himmelsbriefe" besser verstehen können, zumal die früheren anders als die heutigen Empfänger davon überzeugt waren, dass ihr Umgang mit dem verblichenen Schriftstück sehr wohl beobachtet und kontrolliert wurde. Keineswegs der Folklore, sondern einem nicht unbedenklichen Zweig gegenwärtiger Wissenskultur gehört das Fortleben der "magia diabolica" an.

Seitdem König Salomon im Judentum, bald auch im Islam zugeschrieben wurde, den Tempel von Jerusalem nur mit Hilfe von Magie errichtet zu haben, sind Dutzende von Schriften entstanden, die unter dem Namen des alttestamentlichen Königs die Praxis der Theurgie lehren, durch die Gott zum Kampf gegen Dämonen und Geister gezwungen werden soll. Über mittelalterlichen Handschriften salomonischer Zauberliteratur gebeugt, rätseln noch heute Esoteriker an Formeln der enonischen Geheimsprache, und während sich in den USA eine "Church of Satan" auf die gleichen Texte beruft, verteidigt ein Einsichtiger im Internet seine Arkanwissenschaft gegen leichtsinnigen Umgang mit Anrufungsformeln durch Neugierige. Indessen hat sich mit dem "Engelwerk" Glaube und Praxis der Dämonenbeschwörung am Rand der römischen Kirche selbst eingenistet.

Die Magie lässt sich ebenso wenig ausrotten wie der Mythos, doch kann man sich nicht mit der beliebten Schlussfolgerung begnügen, das Mittelalter höre eben nicht auf, und in der gewohnten Distanzierung der Moderne von ihr liege selbst ein Abwehrzauber. Vielmehr muss man erkennen, dass Magie und Mantik eine Auffassung vom inneren Zusammenhang des Kosmos und der diesen bestimmenden Kräfte zugrunde liegt, die durch die Entdeckung der Transzendenz vor zwei- bis dreitausend Jahren nicht ausgelöscht wurde. Die radikale Trennung von Diesseits und Jenseits, von Teil und Ganzem, von entrücktem Gott und zur Selbstbestimmung gezwungenem Individuum, die unter anderem allen monotheistischen Religionen zugrunde liegt, hat sich, auch wenn zu ihren Errungenschaften Aufklärung und Wissenschaft als Forschung zählen, noch lange nicht vollständig durchgesetzt. Kein Wunder, dass selbst Leibniz beiderlei Denken in sich vereinte.

MICHAEL BORGOLTE

Helmut Birkhan: "Magie im Mittelalter". Verlag C. H. Beck, München 2010. 205 S., Abb., br., 12,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Michael Borgolte gibt so einiges an Lektürefrüchten preis, die er in Helmut Birkhans Buch über die Magie und die Mantik im Mittelalter geerntet hat. Der Wiener Germanist unterscheidet in seiner Untersuchung der mittelalterlichen "Denkmuster" allerdings nicht ganz "sachgerecht" Magie der Gelehrten und Magie des Volks, stellt der Rezensent, allerdings ohne erkennbaren Unwillen, fest. Als besonderes Verdienst rechnet er dem Autor an, dass er einen detaillierten Blick auf magische Denkmuster von heute wirft, und hier nennt der Rezensent unter anderem Kettenbriefe, Daumendrücken oder Trikotwechsel nach dem Fußballspiel. Am Ende gelangt Borgolte zu der Gewissheit, dass sich "Magie ebenso wenig ausrotten lässt wie der Mythos" und entdeckt hier mit Birkhan eine "Auffassung" vom inneren Kosmoszusammenhang, die wohl so bald, trotz Aufklärung und Forschung, nichts aus der Welt schaffen wird.

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