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Lateinamerika erkämpfte sich vor rund 200 Jahren seine Unabhängigkeit von den europäischen Kolonialmächten Spanien, Portugal und Frankreich. Von der Sklavenrevolution in Haiti über die langwierigen Unabhängigkeitskriege im spanischen Amerika bis hin zur unblutigen Emanzipation Brasiliens erzählt der Band die Geschichte Lateinamerikas an einem zentralen Wendepunkt in seiner atlantischen Verflechtung. Chronologisch aufgebaut beschreibt es politische Umbrüche und militärische Entscheidungsschlachten des Kontinents sowie die maßgeblichen Anführer wie Toussaint, Miranda oder Bolivar mit ihren…mehr

Produktbeschreibung
Lateinamerika erkämpfte sich vor rund 200 Jahren seine Unabhängigkeit von den europäischen Kolonialmächten Spanien, Portugal und Frankreich. Von der Sklavenrevolution in Haiti über die langwierigen Unabhängigkeitskriege im spanischen Amerika bis hin zur unblutigen Emanzipation Brasiliens erzählt der Band die Geschichte Lateinamerikas an einem zentralen Wendepunkt in seiner atlantischen Verflechtung.
Chronologisch aufgebaut beschreibt es politische Umbrüche und militärische Entscheidungsschlachten des Kontinents sowie die maßgeblichen Anführer wie Toussaint, Miranda oder Bolivar mit ihren abenteuerlichen und ungewöhnlichen Lebensgeschichten. Die Staatsgründungen, die sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hinzogen, wurden zwar durch den antikolonialen Widerstand geeint, aber durch die Ausgrenzung breiter sozialer und ethnischer Schichten, den Aufstieg des Caudillismus und die Ausbildung einer "Guerrilla" zeichnen sich bereits die Probleme ab, die Lateinamerika immer noch prägen. Vor dem Hintergrund des wachsenden Einflusses neuer indigener Bewegungen und der Wiederentdeckung des Bolivarismus gewinnt diese dramatische Epoche heute wieder Bedeutung und politische Aufmerksamkeit.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.05.2010

Zweihundert Jahre
Einsamkeit
Stefan Rinke hat ein faires, solides Buch über die Befreiung
Lateinamerikas von der Kolonialherrschaft geschrieben
Ein Buch über den amerikanischen Kontinent südlich der USA, in welchem ausgiebig von Revolution, aber mit keinem Wort von Che Guevara oder Salvador Allende die Rede ist, stellt eine willkommene Abwechslung dar. Es ist die Befreiung von der Kolonialherrschaft bei Anbruch des 19. Jahrhunderts, die den Historiker Stefan Rinke von der Freien Universität Berlin beschäftigt; diese Serie von Umstürzen und Feldzügen hat in Lateinamerika schon im ersten Jahrzehnt ein Dutzend unabhängige Staaten hervorgebracht. Die meisten ihrer Anführer, Vorkämpfer oder Helden aber nahmen, wie die beiden oben Genannten, kein gutes Ende.
Toussaint L’Ouverture (Haiti) und Francisco de Miranda (Venezuela) gingen in europäischen Kerkern elend zugrunde. Der Befreier Simón Bolívar (Großkolumbien) erlag mit 47 Jahren auf der Flucht ins Exil der Tuberkulose und glaubte auf dem Sterbebett, sein lebenslanger Kampf sei vergeblich gewesen. Dom Pedro I., der junge Kaiser von Brasilien, wurde mit 32 Jahren zur Abdankung gezwungen und nach Portugal verbannt, wo er kurz darauf starb. Und der rebellische Priester Miguel Hidalgo (Mexiko) endete nicht nur vor einem Erschießungspeloton: Sein abgeschnittenes Haupt zierte ein Jahrzehnt lang, durch einen Käfig gegen Aasgeier geschützt, die Festungsmauer im Herzen von Guanajuato. Als das Exponat endlich abgehängt wurde, hatte die Revolution gesiegt und Mexiko seine Unabhängigkeit erlangt.
Aber warum „Revolutionen“? Der Autor benutzt für den kompliziert-chaotischen Unabhängigkeitsprozess in Lateinamerika diesen dehnbaren Begriff, der dort traditionell für Volkserhebungen ebenso wie für Kasernenputsche Verwendung findet. Doch Rinke tut dies mit Bedacht: Auch die Loslösung Nordamerikas von Großbritannien, die den Stürmen in Mittel- und Südamerika um dreißig Jahre vorausging, definiert sich schließlich als Revolution. Und war der Sklavenaufstand von 1793 auf der Antilleninsel Saint-Domingue, aus der vier Jahre später die armselige Republik Haiti hervorging, nicht eine Nachzündung der Französischen Revolution gewesen?
Als Lord Horatio Nelson 1805 in Trafalgar die spanische Armada zusammen mit der französischen Kriegsflotte versenkte, schaffte er eine Voraussetzung für den Untergang des iberoamerikanischen Kolonialreichs. Dieses hatte da immerhin schon drei Jahrhunderte bestanden. Somit war die Befreiung der Latinos von der Herrschaft Madrids ein Nebenprodukt des Krieges gegen Napoleon, jedoch keineswegs ein zufälliges: mit festem Blick auf die Märkte der Zukunft hatten die Briten schon seit Beginn des 18. Jahrhunderts die Unabhängigkeitsbestrebungen der in Übersee entstandenen, „kreolischen“ Eliten spanischer und portugiesischer Herkunft gefördert. Die Emissäre geheimer Offizierslogen und anderer Verschwörerzirkel aus Lateinamerika fanden in London stets weitblickende und großzügige Sponsoren.
Nur acht Monate nach ihrem Sieg bei Trafalgar aber war es paradoxerweise ein törichtes und fehlgeschlagenes Abenteuer der Briten am Rio de la Plata, das dem Unabhängigkeitsdrang der Einheimischen mächtigen Anschub gab. 1806 besetzten an die 10 000 englische Soldaten die reiche und schutzlose Hafenstadt Buenos Aires, deren spanischer Vizekönig sogleich ins Hinterland flüchtete. Die eingesessenen Kaufleute und Großgrundbesitzer aber setzten sich zur Wehr, mobilisierten die Einwohnerschaft, bildeten Milizen und zwangen die Briten zum Rückzug – auch im Jahr danach, als die Supermacht ihren Invasionsversuch wiederholte, ohne dass Spanien zugunsten seiner überseeischen Untertanen zu intervenieren vermochte.
Für die am La Plata geborenen Criollos (Kreolen) war das ein Triumph, der auch im übrigen Lateinamerika – so Stefan Rinke – die hemmenden Minderwertigkeitskomplexe gegenüber dem Mutterland beseitigen half. Am 25. Mai 1810 wurde in Buenos Aires der spanische Vizekönig von einer umjubelten Honoratiorenversammlung abgesetzt und eine Regierungsjunta gebildet, die nur noch symbolisch auf die Krone eingeschworen war. Zwei Jahre später gewannen die Befürworter der völligen Loslösung von Spanien die Oberhand und machten sich daran, auch Chile und Peru von den Königstreuen zu befreien. Im folgenden Jahrzehnt krachten in Lateinamerika die Kolonialreiche Spaniens und Portugals zusammen, und es entstand eine vollkommen neue, anfangs extrem unstabile und von Bürgerkriegen geplagte Staatenwelt, die in diesem Jahr die Vollendung ihres zweiten Jahrhunderts feiert.
„Zweihundert Jahre Einsamkeit“ betitelte der kürzlich verstorbene Argentinier Tomás Eloy Martínez sarkastisch seinen Aufsatz zum Bicentenario , zum zweihundertsten Jahrestag der Selbstbefreiung seines Heimatlandes, in der spanischen Zeitung El País . Die Anspielung auf den Erfolgsroman des Kolumbianers Gabriel García Márquez bezieht sich auf die provinzielle Weltferne und Realitätsblindheit, die der jahrelang in den USA lehrende Martínez seinen Landsleuten am Rio de la Plata unterstellt. Doch der Schriftsteller widerspricht seiner eigenen These: Noch vor achtzig Jahren habe das damals so fortgeschrittene Argentinien Anspruch auf Weltniveau erheben können – habe mehr Autos als Frankreich und mehr Telefone als Japan besessen (per capita, versteht sich). Heute hingegen, so Martínez, treibe die Republik nur noch dahin, von der populistischen Demagogie seines abgestandenen „Peronismus“ benebelt, und werde längst von den Nachbarn Brasilien und Chile – mit ihren gefestigten politischen Institutionen – in der wirtschaftlich-sozialen Entwicklung überholt.
Freilich äußern auch andere weltläufige Intellektuelle aus Lateinamerika sich so gnadenlos wie Tomás Eloy Martínez, wenn sie über ihr eigenes Land urteilen müssen – sogar manche Brasilianer oder Chilenen. Das Bizentenarium bietet unzähligen Latinos immer neue Anlässe zur Selbstkasteiung, und Stefan Rinkes „Revolutionen in Lateinamerika“ könnte ihnen – trotz der Bemühung des Autors um Fairness und politische Korrektheit – auch als eine Art Leitfaden für Flagellanten dienen. Schon Alexis de Tocqueville, der große Entdecker der anglo-amerikanischen Zivilisation, meinte bei Betrachtung der Nachbarländer im Süden, es gebe „keine unglücklicheren Völker auf Erden“. (Den Karneval in Rio muss er wohl verpasst haben – aber der ist schließlich Flucht vor dem Alltag.)
Dem Sieg der jeweiligen Befreier waren im hispanischen Südamerika immer gleich Bürgerkrieg und Zerfall und erneutes, mühseliges Zusammenraufen gefolgt. Unmittelbar vor seinem Tod am 9. November 1830 schrieb Simón Bolívar an einen seiner Generäle: „Amerika ist für uns unregierbar. Wer der Revolution dient, pflügt das Meer.“ Diese schöne Metapher der vollkommenen Vergeblichkeit zeugt nicht nur von der Resignation Bolívars, der den Traum von einem konföderierten Lateinamerika – unter seiner oder unter anderer Führung – längst ausgeträumt hatte.
Wie Rinkes minutiöse und solid-akademische Darstellung begreiflich macht, fehlten für eine solche Einheit alle Voraussetzungen. Und diese Unfähigkeit war keine bloße Zeiterscheinung: Der Aufstieg von Caudillo-Gestalten bis ins 21. Jahrhundert hinein, der Schlachtenbummler-Nationalismus, die ethnischen Gegensätze, der Mangel an Bürgersinn, die Ausgrenzung der Unterschichten – oder ihre Anfälligkeit für den Populismus –, die Missachtung der Gesetze, die endemische Korruption . . . Was an wirtschaftlichem Wachstum erzielt wird, macht die Bevölkerungsexplosion wieder wett, die auch für unablässigen Migranten-Nachschub beim großen Steeplechase in Richtung USA sorgt. Nichts spricht dafür, dass mit zweihundert Jahren Verspätung ein „bolivarisches“ Lateinamerika entstehen könnte. Das antiimperialistische Verbrüderungsgefuchtel des Venezolaners Hugo Chávez – der immer mehr einem karibischen Mussolini gleicht – , stößt schon beim hochindustrialisierten Nachbarn Brasilien, unter dem linken Lula, auf unüberwindliche Abneigung. CARLOS WIDMANN
STEFAN RINKE: Revolutionen in Lateinamerika.Wege in die Unabhängigkeit 1760-1830. Verlag C. H. Beck, München 2010. 392 Seiten, 29,95 Euro.
Von Haiti bis Brasilien:
Die meisten Revolutionäre
nahmen kein gutes Ende
Unregierbar und korrupt?
Das Jubiläum bietet immer neue
Anlässe zur Selbstkasteiung
Dieses Graffiti an der Wand des Aztekenstadions in Mexiko City zeigt die Unabhängigkeits-Helden Miguel Hidalgo (rechts) und Jose María Morelos. Foto: AP
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Stefan Rinke hat mit "Revolutionen in Lateinamerika" ein Standardwerk geschrieben, meint Frauke Böger. In dem Buch gehe es nicht, wie zunächst vermutet werden könne, um Ereignisse wie die kubanische Revolution. Im Fokus stehe vielmehr der Einfluss der Französischen und Amerikanischen Revolutionen auf Lateinamerika im 18. und 19. Jahrhundert (beispielsweise der sich daraus entwickelnde Sklavenaufstand auf Haiti). Zwar wären mehr Zitate und Illustrationen zur Unterfütterung der Analysen wünschenswert gewesen. Doch die Rezensentin ist sich sicher, dass das Werk, welches mit Ansätzen zu einer Ideengeschichte über die reine Zusammenfassung der Ereignisgeschichte hinausginge, jedem Leser einen "sehr gut lesbaren" Einstieg in diesen wichtigen Abschnitt der lateinamerikanischen Geschichte biete.

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