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"Ich wollte die Aufregungen, den friedlichen Gleichklang und die Unruhe in einer bäuerlichen Welt beschreiben. Die Welt derjenigen, die den Reichtum einer Existenz erlebten, in der sie überall befreiende Gottheiten sahen: im Wind, im Regen, im Knospen der Mandelbäume, im Sternenhimmel", sagte Guiseppe Bonaviri vor vielen Jahren über sein frühes Meisterwerk, den Roman "Der Schneider von Mineo". Nun kehrt der große, aus Sizilien stammende Schriftsteller und Kardiologe Bonaviri mit seinem meisterhaften Alterswerk "Die blaue Gasse" in die Welt seiner Kindheit, die Welt von Mineo zurück. Lyrisch…mehr

Produktbeschreibung
"Ich wollte die Aufregungen, den friedlichen Gleichklang und die Unruhe in einer bäuerlichen Welt beschreiben. Die Welt derjenigen, die den Reichtum einer Existenz erlebten, in der sie überall befreiende Gottheiten sahen: im Wind, im Regen, im Knospen der Mandelbäume, im Sternenhimmel", sagte Guiseppe Bonaviri vor vielen Jahren über sein frühes Meisterwerk, den Roman "Der Schneider von Mineo". Nun kehrt der große, aus Sizilien stammende Schriftsteller und Kardiologe Bonaviri mit seinem meisterhaften Alterswerk "Die blaue Gasse" in die Welt seiner Kindheit, die Welt von Mineo zurück. Lyrisch und präzise, mit einer durch die Erinnerung geschärften Intensität beschreibt Bonaviri eine heute versunkene Wirklichkeit, die magisch-bukolische Sphäre seiner sizilianischen Kindheit. Er schreibt über den Vater, den Schneider, die Mutter, die Geschwister, über den zyklischen und unsterblichen Naturalismus der Bauern, die über das Schlachten der Zicklein und den geschnittenen Mohn Geigenstücke komponieren. Er erzählt von schrulligen Verwandten, über Geburt und Tod und erste Liebe. Was man über antike Kulturen sagte, daß ihre Dimension nicht die Geschichte, sondern der Kosmos ist, das gilt auch für die Kinder des Schneiders von Mineo, die in der blauen Gasse lebten: Sie bewohnen den Kosmos.
Autorenporträt
Annette Kopetzki, geboren in Hamburg, war Lektorin für deutsche Literatur in Italien und promovierte über literarische Übersetzung. Veröffentlichungen und Seminare über interkulturelle Germanistik und Übersetzungstheorie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2006

Stilleben der Elemente
Schwerelos: Giuseppe Bonaviris sizilianische Elegie / Von Oliver Jungen

Sizilien ist ein fernes Land. Auch wenn nur unmerklich abgerückt vom Festland, ruht es geheimnisvoll in sich. Nichts könnte die Urtümlichkeit der größten Insel des Mittelmeeres stärker akzentuieren als der gewaltige, brodelnde Vulkan. Hier war es, wo Empedokles seine Lehre entwickelte, nach der alles Bestehende, den Urkräften Liebe und Haß ausgesetzt, aus den Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft zusammengemischt ist. Durch viele Hände ist das Eiland gegangen, seit 1861 gehört es zum Königreich Italien. Der Fortschritt überquerte die Straße von Messina nur zögerlich. In den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts noch prägte die Insel eine archaisch-bäurische Kultur. Auf zauberhafte Weise versetzt uns nun der 1924 geborene Sizilianer Giuseppe Bonaviri in ebendiese Zeit, wofür auch seiner souveränen Übersetzerin Annette Kopetzki Dank gebührt.

Mit seinem elegischen Alterswerk "Die blaue Gasse" (das Original erschien 2003), das eine im schönsten Sinne naive Gesellschaft beschreibt, hat Bonaviri der entschwindenden Welt seiner Herkunft ein Denkmal gesetzt. Der in Italien berühmte, nach neun Romanen und vielen Gedichtbänden auch als Nobelpreiskandidat gehandelte Schriftsteller kennt die Windungen des menschlichen Herzens genau. Schließlich hat er sein ganzes Leben lang zugleich als Kardiologe gearbeitet: vormittags Operationen, nachmittags Musenritt. Darauf mag die eigentümliche Version von Bonaviris "Neoverismo" zurückzuführen sein: Genaueste Beobachtungen überlagern sich mit einer ins Überwirkliche ausgreifenden Phantasie.

Der Roman ist eine doppelte Rückkehr. Bereits in seinem ersten Buch, "Der Schneider von Mineo", hat Bonaviri 1954 die magische Atmosphäre seiner Geburtsstadt eingefangen. Bereits diese Erzählung durchzog ein feiner Pantheismus, doch war sie noch sehr dialogisch angelegt. Fünfzig Jahre später schlägt Bonaviri eher meditative Töne an: Seine stilistische Reife ist überall zu spüren und wirkt doch nirgends aufdringlich. Im Zentrum steht der Erzähler als sehr junger Mann im Kreise seiner Geschwister und Gefährten. Es geschieht viel, jedoch durchweg Alltägliches.

Und der Autor nimmt sich Zeit. Die "Affodillen" etwa läßt er ihren Klang entfalten, schließlich sind Pflanzen und Menschen in dieser Metaphysik des Lebens nur Partikel derselben umfassenden Natur. Neben den Schattengeistern behauptet sich ein einziger Mythos, der Schulstoff und Inhalt des Marionettentheaters gleichermaßen ist: der Sieg Kaiser Karls des Großen (des Christentums) über das Sarazenenheer ("Oh, elender Mohammedaner"), wie ihn das "Rolandslied" schildert, freilich hier eher in der chaotischen Feenwelt von Ariosts "Rasendem Roland" angesiedelt.

Die Handlung folgt dem etwa zehnjährigen Helden auf seinen Wegen durch die Stadt, über die Felder, in die Höfe der Nachbarn. Das verleiht dem Erinnerungsbuch einen spielerischen, aber keineswegs harmlosen Zug: Spiele sind das Schatten- und Sternesammeln ebenso wie das Zerschießen von Eidechsenköpfen. Einige Bedeutung kommt zudem Entdeckerspielen mit erotischer Komponente zu. Verboten wirken sie nicht. Vielmehr durchkreuzen sich protowissenschaftliches Experimentieren und Prophetie: "Ich muß noch erklären, daß Pino derjenige von uns war, der voraussagen konnte, ob wir in Zukunft Töchter oder Söhne zeugen würden, wenn er unser Glied von mehreren Seiten betrachtete."

Frei von Hemmungen scheinen vor allen Dingen die Unterhaltungen, ob der Gegenstand nun Steine, Fäkalien, Körpergerüche oder Genitalien sind. Bonaviri spricht im Namen einer instinkthaften Sinnlichkeit, die diesseits ihrer ästhetischen Neukodierung liegt. So werden wir (mit den Figuren) Zeugen einer permanenten Osmose der Elemente. Auch Farben und Gerüche - Lapilli senden "den Wohlgeruch eines neugeborenen Kindes" aus - durchdringen sich, ebenso die Körper auf verschiedene Weise: Plazentablut wird zu Vitamintränken verarbeitet, und ein Greis nuckelt an den strotzenden Brüsten einer jungen Mutter.

Organisiert ist der Roman in zwei Teilen, wovon der erste vor allem dem Monat Mai, also der Fahrt der Familie Bonaviri auf das nahe gelegene Landgut, gewidmet ist, der zweite - nach dem Ertrinken des Sommers in schweren Gewittern - dem Oktober und dem Leben in Mineo selbst. Diese Welt kennt kein Außen. Einzig der funkelnd unwirkliche Name "New York" ragt in sie hinein. Dort hat die Mutter des Helden, Giuseppina, vor dessen Geburt einige Jahre gearbeitet. Obwohl große Teile der Handlung im Jahre 1935 angesiedelt sind - in diesem Jahr ereignet sich ein tragischer Unfall -, hören wir beispielsweise nichts von Mussolinis berserkerhaftem Überfall auf Äthiopien.

Viel näher als alle Politik ist den Einwohnern Mineos das Herbeischaffen des Trinkwassers, das Gewimmel der Kellerasseln, das Backen des Brotes, das Weben der Leichentücher. Bonaviri skizziert einfühlsam eine Gesellschaft vor aller Entfremdung. Daß aus dem sizilianischen Patronat die Mafia hervorging, spielt denn auch keine Rolle. Doch auch das volle Leben in Schollennähe ist hart. Tuberkulose und Wundstarrkrampf sind nur zwei der lauernden Feinde, die der Mediziner benennt.

Letztlich dominiert das Vanitas-Motiv Bonaviris mit großem Gewinn zu lesenden Roman. Immer wieder wandelt sich der Text unvermittelt zur Klage, zum Nachruf auf die drei inzwischen verstorbenen Geschwister, zum Mantra: "Meine Schwester Mariuccin (jetzt ist sie tot, wie mein Bruder, wie Vincenzina)."

Erst in Empedokles' sizilianischer Synthese von Sein und Werden, von Parmenides und Heraklit, zeigt sich schließlich die Vergänglichkeit in ihrer ganzen Gewalt. Alle Dinge sind in ständiger Auflösung begriffen. Das apostrophierte Blau ist nichts anderes als der Zustand des Übergangs, "so daß es für uns Kinder wegen des feinen bläulichen Nebels, der die ganze Gasse erfüllte, aussah, als würden sogar die Häuser sich in die Luft erheben". Die Schwerelosigkeit öffnet sich in den letzten Zeilen zum Nirwana: Eine "männliche Stimme" ruft angesichts des aschfarbenen Dämmers aus: "Es ist das Nichts, nur das Nichts." Doch eine Frauenstimme setzt zuletzt den Glauben an den Zyklus des Lebens dagegen: ",Das Licht wird wiederkommen.' Niemand hörte sie, nur ich und mein Bruder, der jetzt nicht mehr ist."

Giuseppe Bonaviri: "Die blaue Gasse". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Annette Kopetzki. C. H. Beck Verlag, München 2006. 279 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

" Verzaubert schlägt Rezensent Oliver Jungen Guiseppe Bonaviris "elegisches Alterswerk" wieder zu, das ihn in die archaisch-bäurische Kultur des Siziliens der dreißiger Jahre, seine "im schönsten Sinne naive Gesellschaft" zurückversetzt hat. Sein besonderes Aroma verdankt der Roman Jungens Beschreibung zufolge dem darin beschriebenen ständigen Zustand des Übergangs, der Vergänglichkeit. Pralles Leben stoße an Verfall, die Liebe an den Tod. Die Handlung des zweigliedrigen Roman folgt, so der Rezensent, zunächst seinem etwa zehnjährigen Protagonisten auf dem Weg durch die Stätten seiner Kindheit. Teil eins sei vor allem dem Monat Mai gewidmet: wenn die Familie auf ihr Landgut fährt. Teil zwei spiele im Oktober in der Stadt. Doch ziehe sich der überblickte Zeitraum bis in die Gegenwart hin, wo der Rezensent den inzwischen über achtzigjährigen Autor den Tod seiner Geschwister beklagen hört. Die Schwerelosigkeit, die der Rezensent dem Roman bescheinigt, öffnet sich für ihn in den letzten Zeilen schließlich zum Nirvana. Übersetzerin Annette Kopetzki wird mit dem Prädikat "souverän" ausgezeichnet.

© Perlentaucher Medien GmbH"