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Im vorliegenden Band beleuchten 18 Autoren aus den Gebieten Psychiatrie, Medizin, Justiz, Rechtswissenschaft, Theologie und Literaturwissenschaft grundsätzliche Aspekte zum Thema "Suizid und Suizidversuch".Es geht um den Umgang mit Patienten und Angehörigen nach versuchtem und vollendetem Suizid; es geht um den Umgang mit der Justiz, wenn es nach einer suizidalen Handlung (in einer Klinik) zu staatsanwaltlichen Ermittlungen kommt; es geht um die schwierige Grenze zwischen Selbsttötung und Behandlungsverweigerung mit Todesfolge und ihre ethischen und rechtlichen Konsequenzen. Ferner wird der…mehr

Produktbeschreibung
Im vorliegenden Band beleuchten 18 Autoren aus den Gebieten Psychiatrie, Medizin, Justiz, Rechtswissenschaft, Theologie und Literaturwissenschaft grundsätzliche Aspekte zum Thema "Suizid und Suizidversuch".Es geht um den Umgang mit Patienten und Angehörigen nach versuchtem und vollendetem Suizid; es geht um den Umgang mit der Justiz, wenn es nach einer suizidalen Handlung (in einer Klinik) zu staatsanwaltlichen Ermittlungen kommt; es geht um die schwierige Grenze zwischen Selbsttötung und Behandlungsverweigerung mit Todesfolge und ihre ethischen und rechtlichen Konsequenzen. Ferner wird der Suizid von Ärzten thematisiert, der gar nicht so selten geschieht und die Mitarbeitenden im Mikrokosmos Krankenhaus erschüttert, meist ohne dass dies ausreichend zur Sprache gebracht wird.Für Juristen, Ärzte, Pflegepersonal, Klinikmitarbeiter und Interessierte.
Autorenporträt
Prof. Dr. jur. Gabriele Wolfslast ist Universitätsprofessorin am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht der Justus-Liebig Universität Gießen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2006

Selbsttötung, selbstbestimmt
Gabriele Wolfslast und Kurt Schmidt erörtern den Suizid

In der aktuellen deutschen Debatte über Sterbehilfe und Euthanasie kommt der Frage, ob ärztlich begleiteter Suizid zulässig sein soll, wachsende Bedeutung zu. Das ist bemerkenswert, weil der Suizid selbst in der Öffentlichkeit ein nur wenig beachtetes Thema ist. Angesichts der mindestens elftausend Toten, die in Deutschland jedes Jahr aufgrund eigenen Entschlusses sterben, ist dieses Desinteresse nur schwer nachzuvollziehen. Der Band "Suizid und Suizidversuch", der aus einer Vorlesungsreihe hervorgegangen ist, mißt dem Thema die Bedeutung bei, die es verdient. Das Buch schärft den Blick für relevante Fragestellungen in diesem Themenfeld und gibt wertvolle Anregungen für eine mögliche intensivere Beschäftigung.

Viele der in diesem Band vertretenen Autoren präsentieren erfahrungsgesättigte Analysen, die eng mit ihrer praktischen Arbeit verwoben sind und deren Brisanz offensichtlich ist. Das gilt für Peter Netz' Arbeit zu "Suizidalität im Alter", die auf seinen Erfahrungen als Gerontopsychiater in der Westfälischen Klinik Gütersloh beruht. Im Gegensatz zu vielen Medizinern begreift er Suizidalität nicht als Krankheit, sondern sieht ihre Ursache in einer krisenhaften Zuspitzung einer als ausweglos empfundenen Lebenssituation.

Gefährlich erscheint dem Autor Netz daher eine stillschweigende gesellschaftliche Toleranz gegenüber dem Suizidgedanken im Alter. "Diesem wohlwollenden Verständnis in der Öffentlichkeit gegenüber Suiziden älterer Menschen ist eine Haltung des Gewährenlassens eigen, versehen mit dem Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht des Menschen." Aber was heißt hier genau Selbstbestimmung, und in welchem Umfang ist sie gegeben? Netz sucht der floskelhaften Verwendung des Autonomiebegriffs eine phänomenologische Betrachtung entgegenzusetzen. Zwar habe jeder Suizid einen Freiheitsanteil, gleichwohl geschehe gerade diese Tat im Sog einer als eingeschränkt erlebten Freiheit. Deswegen plädiert Netz für ein "antisuizidales Klima" als wirkungsvollste Form der Primärprävention.

Auch andere Mediziner, die hier zu-Wort kommen, weisen auf den Zusammenhang von Suizidrisiko und potentiell freiheitsmindernden Faktoren wie Depressionen, unbehandelte Schmerzen oder soziale Isolation hin - Umstände, die vermuten lassen, daß hier jemand nicht etwa auf der Höhe seiner Möglichkeiten entscheidet (wie dies die undifferenzierte Verwendung der Suggestivvokabel Selbstbestimmung nahelegt), sondern aus einer mehr oder weniger stark empfundenen Zwangslage heraus. Natürlich heißt das nicht, daß der Wille der Menschen, die nicht mehr leben wollen, als unbeachtlich ignoriert werden darf. Es ergibt sich daraus aber, daß die mit einem Suizidversuch konfrontierten Ärzte und Angehörigen sich nicht einfach auf die Stereotype Selbstbestimmung zurückziehen können - als sei es in der konkreten Situation häufig nicht gerade das Gefühl mangelnder Selbstbestimmung, das Suizide auslöst.

Der Gießener Psychotherapeut Christian Reimer, dem der Band auch einen stark psychologisierenden Beitrag über das Verhältnis von Freiheit und Krankheit verdankt, skizziert in seinem Aufsatz über die "Problematik der Helfer-Suizidant-Beziehung" einige der Schwierigkeiten, die Therapeuten mit dem lebensmüden Patienten haben, da sie einerseits helfen wollen, andererseits den Patientenwillen zu respektieren haben. Auch wenn das Gros der Patienten nach Reimers Auffassung dringend auf Hilfe angewiesen ist, warnt er vor Illusionen: Nicht alle Suizide werden sich verhindern lassen, und auch die Ablehnung von Hilfsangeboten muß respektiert werden.

Die Aufsätze des Bandes, die sich mit rechtlichen Aspekten befassen, orientieren sich stark an den Haftungsrisiken der Ärzte, die insbesondere bei Suizidversuchen von bereits psychiatrisch behandelten Patienten relevant werden können, wie der Beitrag des Münchner Kriminologen Heinz Schöch zeigt. Der Münchner Rechtsanwalt Klaus Ulsenheimer hat angesichts dieser Problematik seinen Aufsatz gleich auf "Verhaltensempfehlungen für Ärzte nach Suizid und -versuchen" reduziert. Für die Debatte und das allgemeine Publikum weitaus ergiebiger ist die Analyse des ehemaligen BGH-Richters Klaus Kutzer, der sich mit der unterschiedlichen Behandlung von "Normalpatienten" und Suizidpatienten durch das Recht auseinandersetzt: Während die von ihm so genannten "Normalpatienten" lebensrettende ärztliche Behandlung ablehnen dürfen, wird verlangt, daß Ärzte den Suizidenten auf jeden Fall behandeln. Kutzer billigt diese unterschiedlichen Anforderungen grundsätzlich, weil der Wille zum Suizid in den allermeisten Fällen nicht frei verantwortlich gebildet worden ist.

Wenn aber klar (!) erkennbar sei, daß der Suizid einem freien Entschluß entspringt, will Kutzer die Hilfspflicht des Arztes suspendieren und zu diesem Zwecke eine "Klarstellung" in den Paragraphen 323c StGB aufnehmen, der die "Unterlassene Hilfeleistung" unter Strafe stellt: "Hilfe ist nicht erforderlich, wenn ein Suizid nach ernsthafter Überlegung zur Beendigung schwerer Leiden begangen wird."

Die Beiträge der Ärzte in dem Band zeigen allerdings gerade, wo die Probleme einer solchen Generalklausel liegen. Die Ergänzung, die Kutzer vorschlägt, negiert faktisch auch da eine Pflicht zur Hilfeleistung, wo diese Hilfeleistung den Anlaß für die Suizidabsicht beseitigen könnte. Kutzer will den "nach ernsthafter Überlegung" gefaßten Entschluß, sich umzubringen, gegen ärztliche Hilfsmaßnahmen absichern. Kann man ernsthaft annehmen, es gebe einen unernsten Entschluß zum Suizid? Die Frage ist doch nicht die nach dem Ernst, sondern die nach der Freiheit und Vermeidbarkeit des Entschlusses. Kutzer bezieht in seine Überlegungen nicht ein, daß eben auch soziale Isolation, schlecht behandelte Schmerzen oder Depressionen Anlaß "schwerer Leiden" sind. Soll hier keine Pflicht zur Hilfeleistung gelten?

Die Gefahr seines Vorschlags ist denn auch, daß er im Ergebnis die von Peter Netz zuvor kritisierte Haltung des Gewährenlassens fördert und Schwerstkranken Unterstützung und Ermutigung entzieht. Das Problem hat Kutzer selbst anklingen lassen - bedauerlicherweise aber nicht mit Blick auf die Behandlungspflicht des Arztes beim Lebensmüden, sondern nur mit Blick auf die Problematik des ärztlich unterstützten Suizids. Da fordert Kutzer nämlich den "notwendigen Lebensschutz gerade für Schwache und kostenaufwendig zu pflegende Schwerstkranke, die nicht durch eine Erwartungshaltung der Gesellschaft oder ihrer Nahumgebung in den Freitod gedrängt werden dürfen".

An Stellen wie dieser wünscht man sich als Leser, daß die Autoren in ihren Beiträgen Bezug aufeinander genommen hätten. Das, was in der Vorlesungsreihe möglich war, die Beiträge durch die Diskussion miteinander zu verknüpfen und weiterzuführen, hätte dann auch im Buch noch besser gelingen können.

OLIVER TOLMEIN.

"Suizid und Suizidversuch". Ethische und rechtliche Herausforderung im klinischen Alltag. Herausgegeben von Gabriele Wolfslast und Kurt Schmidt. Verlag C. H. Beck, München 2005. 258 S., br., 24,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Oliver Tolmein begrüßt die überwiegend praxisorientierten Beiträge des von Medizinern, Psychologen und Juristen verfassten Bandes. Hier würden wichtige Argumente zu einem wenig beachteten Thema ausgetauscht. Interessant sei beispielsweise die Warnung des Gerontopsychiaters Peter Netz vor einem unreflektiert verwendeten Begriff der freien Selbstbestimmung, der die partikularen Unfreiheiten ignoriere und zu einem "wohlwollenden" laissez faire-Klima führen könne. Eher kontraproduktiv ist aus Sicht des Rezensenten dagegen der Beitrag des ehemaligen BGH-Richters Klaus Kutzer, der den Paragrafen im Strafgesetzbuch zur "Unterlassenen Hilfeleistung" relativieren möchte, um Ärzten eine Absicherung zu geben. Die Formulierung "nach ernsthafter Überlegung" gehe aber genau wieder von jenem unreflektierten Freiheitsideal aus, das in anderen Beiträgen kritisch hinterfragt werde. Insofern bedauert der Rezensent, dass die Autoren nicht auf die Beiträge ihrer Kollegen eingehen.

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