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David Winkler wächst in Anchorage, Alaska, auf, ein stiller Junge mit einer Vorliebe für Schnee und die Schönheit der Eiskristalle. Manchmal kann er Ereignisse sehen, bevor sie eintreten werden - ein Mann mit einer Hutschachtel wird von einem Bus angefahren werden, er wird sich in eine Frau in einem Supermarkt verlieben. Als David davon träumt, daß seine neugeborene Tochter in einer Flut ums Leben kommt, während er versucht sie zu retten, flieht er panisch aus Cleveland, wo die Familie inzwischen lebt. Kann er so den Lauf der Dinge ändern? Mittellos, allein und ohne Gewißheit, ob seine Tochter…mehr

Produktbeschreibung
David Winkler wächst in Anchorage, Alaska, auf, ein stiller Junge mit einer Vorliebe für Schnee und die Schönheit der Eiskristalle. Manchmal kann er Ereignisse sehen, bevor sie eintreten werden - ein Mann mit einer Hutschachtel wird von einem Bus angefahren werden, er wird sich in eine Frau in einem Supermarkt verlieben. Als David davon träumt, daß seine neugeborene Tochter in einer Flut ums Leben kommt, während er versucht sie zu retten, flieht er panisch aus Cleveland, wo die Familie inzwischen lebt. Kann er so den Lauf der Dinge ändern?
Mittellos, allein und ohne Gewißheit, ob seine Tochter überlebt hat - der Ohio ist tatsächlich in Cleveland über die Ufer getreten -, wohnt Winkler auf einer karibischen Insel bei einem Ehepaar mit einer Tochter, die sich um ihn kümmern. Schließlich ist es die Tochter, die ihn in die Welt zurückholt, um nach den Menschen zu suchen, die er verlassen hat. 25 Jahre nach seiner Flucht kehrt Winkler zurück nach Amerika.
Autorenporträt
Anthony Doerr, 1973 in Cleveland geboren, gilt als literarisches Talent. Doerr erhielt den Black Warrior Review Literary Prize, den Discover Prize, die Princeton s Hodder Fellowship, zweimal den O. Henry Prize, den Young Lions Award und den Rom-Preis der American Academy of Arts and Letters. Er lebt mit seiner Frau und zwei Söhnen in Boise, Idaho.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2006

Der kurzsichtige Hellseher
Odyssee eines Wassermanns: Anthony Doerr versucht in seinem Debütroman, dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen

Was also würde man tun, wenn man wüßte, was das Schicksal bereithält? Oscar Wilde ließ in "Lord Arthur Savilles Verbrechen" den Helden seinem prophezeiten Verbrechen geradezu entgegenhasten; andere halten es wie Ödipus und fliehen panisch vor dem, was sie zu ereilen droht. Die Frage, ob der Mensch die Macht besitzt, in sein eigenes Schicksal einzugreifen oder ihm zu entkommen, ist so alt wie der Glaube und die Literatur. Der amerikanische Schriftsteller Anthony Doerr, Jahrgang 1973, rückt sie ins Zentrum seines ersten Romans. Denn "Winklers Traum von Wasser" ist ein Albdruck vom Ertrinken.

Dieser David Winkler aus Anchorage, Alaska, ist ein seltsamer Kauz, ein Einzelgänger, der weder in der Schule noch an der Universität Freunde findet. Dabei erzählt der stark kurzsichtige Junge mit der hellseherischen Begabung niemandem von seinen verstörenden Erlebnissen im Schlaf: "Träume, die nach dem Aufwachen lange blieben und sich in den Tagen danach immer wieder bei ihm in Erinnerung brachten, als könnte das, was bevorstand, es nicht abwarten, zu Vergangenheit zu werden, oder als ob die Gegenwart sich auf die Zukunft stürzte, begierig auf das, was geschehen würde." Winkler hat aber nicht nur tödliche Visionen, träumt nicht nur von Menschen, die überfahren werden, sondern im Traum sieht er in einem Supermarkt auch die Frau, die er einmal heiraten wird. Und weil seine Träume immer in Erfüllung gehen, so unwahrscheinlich ihre Umsetzung auch nach dem Aufwachen erscheinen mag, sieht er seine Ahnungen als Wissen an. Der schlimmste Traum ist der, in dem es ihm nicht gelingt, seine Tochter vor dem Ertrinken zu retten.

Das Paradoxe daran ist, daß Winkler Wasser liebt: "Wasser war seine Zuflucht - nicht nur eine heiße Dusche, die Kondenstropfen an seinem Fenster oder der Anblick des Knik Arm an einem Herbsttag, sondern darüber zu lesen, es in einer Pipette zu sammeln, es einzufrieren oder zu sublimieren." Doch die Sicherheit, die ihm diese Beschäftigung vermittelt, trügt: "Wasser war eine unberechenbare, launische Substanz: nichts Festes, nichts Permanentes und nichts, was so war, wie es schien."

Doch zunächst einmal geht er mit der Frau eines anderen, die er tatsächlich im Supermarkt kennengelernt hat, nach Cleveland, und sie bekommen ein Kind. Doch als der Regen einsetzt, bis nicht nur der Keller, sondern auch die Straßen unter Wasser stehen und der Ohio über die Ufer tritt, packt Winkler das Entsetzen. In Panik verläßt er das Haus, geradezu zwanghaft treibt es ihn fort, immer weiter weg von seiner Familie. Was der Leser sofort begreift, erkennt Winkler erst viele Jahre später: daß sein Davonlaufen nicht der verzweifelte Versuch war, das Schicksal zu verändern, indem er sich selbst aus der Gleichung nahm, sondern Schwäche und Lebensangst. Die Buße jedoch folgt unmittelbar: Winklers Flucht führt ihn in die Karibik, wo er ein Vierteljahrhundert lang als Hotelgärtner sein Leben fristet.

Das Vergehen von Zeit, unablässig und unveränderlich wie der Kreislauf des Wassers, ist das zweite Thema dieses nachdenklichen Romans. Doch die Zeit, die Winkler mit härtester körperlicher Arbeit totschlägt, und auch die Ferne helfen ihm nicht, die Angst abzuschütteln - davor, daß sein Traum trotz allem wahr geworden und seine Tochter Grace tot ist. Doerrs Protagonist verharrt in seiner Schreckstarre - bis ihn erneut ein Traum heimsucht, in dem ein junges Mädchen ertrinkt, Naaliyah, die Tochter von Freunden.

Monatelang wacht er über ihr Kommen und Gehen, und im entscheidenden Moment ist er es, der sie rettet - obwohl er es im Traum nicht vermochte. Erst da begreift er, daß man dem Leben nur begegnen kann, indem man es gestaltet, daß er das Schicksal verändern kann, es vielleicht sogar abzuwenden vermag. Er beschließt, nach Amerika zurückzukehren und nach seiner Frau und seiner Tochter zu suchen. Und mit der Hoffnung kehrt auch seine Sehnsucht nach Schnee zurück: "Flocken, die zu Boden wirbeln. Wie winzige getrocknete Blüten. Wie Engel, die auf die Erde herabsteigen."

Daß wir uns da bereits in der Mitte dieses umfänglichen Romans befinden und daß es weitere hundertachtzig Seiten dauern wird, bevor Winkler tatsächlich einem Menschen aus seiner Vergangenheit gegenüberstehen wird, ist die eklatanteste Schwäche des Romans. Denn Doerr versteht es nicht, Winklers langen Weg zurück ins Leben für den Leser kurz zu halten, sondern verstrickt sich nach den betäubend arbeitsreichen Jahren im Warmwasser der Karibik in endlosen Beschreibungen eines Polarwinters, den Winkler mit seiner Ersatztochter Naaliyah, einer besessenen Insektenforscherin, am Yukon verbringt, bevor er endlich bereit ist, die weiteste Strecke zurückzulegen: die emotionale Reise zu seiner Tochter, für deren vermeintlichen Tod er ein Vierteljahrhundert lang gebüßt hat. Hier flackert ein letztes Mal Shakespeares Lear auf, der seine Tochter Cordelia sträflich unterschätzt. Zwar leistet Winkler tätige Abbitte dafür, daß er seine Familie einst im Stich gelassen hat, doch für seine inzwischen gestorbene Frau und auch für seine Tochter kommt seine Einsicht zu spät: Eine Annäherung gelingt nur mit dem ahnungslosen Enkel.

Anthony Doerr, der 2002 viel Lob für den Erzählband "The Shell Collector" einheimste, schreibt Sätze von eigentümlicher Schönheit, die von Sprachmacht ebenso zeugen wie von schier überfließender Liebe zum Detail. Leider schreibt er schlicht zu viele davon. So eindringlich und berückend die verschiedenen Aggregatzustände von Wasser auch beschrieben werden, verwässern all diese Betrachtungen des überempfindlichen Wettermannes Winkler doch die existentielle Frage, die den Roman vorantreibt. Hatte einen das Bangen um das tatsächliche Schicksal der Tochter zunächst noch über manche Handlungsflaute hinweggetragen, wird Winklers Odyssee quer durch die Vereinigten Staaten auch durch die merkwürdige Familienzusammenführung am Schluß nicht gerettet. Denn da ist aus einem Schicksal längst der Lauf der Dinge geworden.

Anthony Doerr: "Winklers Traum von Wasser". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Judith Schwaab. Verlag C.H. Beck, München 2005. 486 S., geb., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Petra Pluwatsch erinnert an die Veröffentlichungsgeschichte von Doerrs Debütroman: Nur ein paar wohlwollende Rezensionen habe es gegeben, als das Werk 2005 zum ersten Mal in Deutschland erschien. Inzwischen hat Doerr für den Bestseller "Alles Licht, das wir nicht sehen" den Pulitzer-Preis erhalten, für die Rezensentin gehört er zu den großen US-Autoren. So erscheint "Winklers Traum vom Wasser" hierzulande erneut, und Pluwatsch traut dem Roman nun einen größeren Erfolg zu. Schließlich verrate schon dieses Debüt das Talent des Autors. Doerr erzähle so genau, dass es beinahe wehtue, schreibt Pluwatsch - wobei es ihrer Meinung nach trotzdem nicht geschadet hätte, ein paar Passagen zu streichen. Zwar sei das Buch weniger brillant als Doerrs Erfolgsroman, doch man erkenne die Lust am Spiel mit der Sprache, und so sei das Ergebnis ein interessantes Buch, das die Lektüre definitiv lohnt.

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"Ich liebe dieses wunderbare Buch - seine Andersartigkeit, seine Besessenheit, seine wunderschönen Sätze." Monica Ali