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Alexander Stilles schonungsloses Portrait Silvio Berlusconis liefert die entscheidenden Details aus dessen Karriere. Es ist darüber hinaus die ungeschönte Bestandsaufnahme unserer politischen Kultur im Zeichen der Wirtschaftsbosse und der Konsumgesellschaft.
Alexander Stilles brillantes Portrait Silvio Berlusconis liefert die entscheidenden Details aus dessen Karriere. Es ist zugleich die ungeschönte Bestandsaufnahme unserer politischen Kultur im Zeichen der Wirtschaftsbosse und der Konsumgesellschaft. Am 26. Januar 1994 hielt Silvio Berlusconi, damals Italiens reichster Mann,…mehr

Produktbeschreibung
Alexander Stilles schonungsloses Portrait Silvio Berlusconis liefert die entscheidenden Details aus dessen Karriere. Es ist darüber hinaus die ungeschönte Bestandsaufnahme unserer politischen Kultur im Zeichen der Wirtschaftsbosse und der Konsumgesellschaft.
Alexander Stilles brillantes Portrait Silvio Berlusconis liefert die entscheidenden Details aus dessen Karriere. Es ist zugleich die ungeschönte Bestandsaufnahme unserer politischen Kultur im Zeichen der Wirtschaftsbosse und der Konsumgesellschaft.
Am 26. Januar 1994 hielt Silvio Berlusconi, damals Italiens reichster Mann, Großgrundbesitzer und Medienfürst, eine Fernsehrede, die gleichzeitig in seinen drei privaten TV-Sendern ausgestrahlt wurde: Der Wirtschaftsboss erklärte den überraschten Italienern, er werde eine politische Partei gründen und für das Ministerpräsidentenamt kandidieren. Seine Rede hielt er bereits im Stil eines Ministerpräsidenten - nur hatte der Wahlkampf noch gar nicht begonnen. Berlusconi ist nicht der erste, aber der virtuoseste Spieler auf der Klaviatur der Medien. Die vierte Macht im Staate - er machte sie zur ersten und alles entscheidenden - in seinem Sinne natürlich. Alexander Stille, einer der hellsichtigsten amerikanischen Journalisten und wiekaum einer mit den italienischen Verhältnissen vertraut, schildert den Aufstieg Berlusconis zur Macht und die Mittel, die ihm dafür recht waren, aber er zeigt auch, daß der Gebrauch, den Berlusconi von den Medien machte, längst in der US-amerikanischen, von Oligarchen dominierten Politik etabliert war. Berlusconis Popularität in Italien beruht auch darauf, daß er das Klientelwesen, ein an die Familie erinnerndes Modell von Abhängigkeit, perfektioniert hat. Der italienische Staat wird als "italienischer Familienbetrieb" vom Padrone Berlusconi "zum Wohle aller" geführt - wie lange noch? Stilles Berlusconi-Biographie ist mehr als eine Lebensgeschichte, es ist das Bild einer Epoche, die Analyse unserer politischen Kultur im Zeichen der Superreichen und der Konsumgesellschaft.
Autorenporträt
Alexander Stille, geboren 1957, Studium in Yale und an der Columbia University. Lebt heute als freier Journalist in New York City. Buchveröffentlichungen, 1992 Auszeichnung mit dem Los Angeles Times Book Award for History.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.04.2006

Kein Weltmann
Ministerpräsident Berlusconi hat das alte Klientel-Italien nicht abgeschafft, sondern mit neuen Mitteln fortgesetzt

Unternehmer, die in die Politik gehen, hat es in der Geschichte demokratischer wie undemokratischer Staaten immer wieder gegeben. Insofern stellt Ministerpräsident Berlusconi, der sich in diesen Tagen einer Wahl zu stellen hat, keine Ausnahme dar. Und doch ist er ein Solitär unter allen Unternehmer-Politikern der Geschichte. Wie kein anderer zuvor hat er seine unternehmerische Potenz rücksichts- und bedenkenlos für seine politische Karriere genutzt. Und vor allem: Wie kein anderer hat er mediale Macht und Politik zu einer untrennbaren Einheit verschweißt. Da Demokratien, zumindest im Prinzip, von der möglichst sauberen Trennung der gesellschaftlichen Sphären leben, ist Berlusconis politisches Abenteuer von Anfang an als eine gefährliche Anomalie gesehen worden. Das hat - zumal hierzulande, wo Unternehmer ohnehin grundsätzlich einen schlechten Ruf haben - eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Phänomen Berlusconi dauerhaft verhindert.

Da kann ein Buch des amerikanischen, italienstämmigen Journalisten Alexander Stille Abhilfe schaffen. In den stärksten Teilen ist der Autor bemüht, das Betriebsgeheimnis des unternehmerischen wie politischen Neuerers Berlusconi zu entschlüsseln. In vierzehn äußerst materialreichen Kapiteln zeichnet Stille den Weg des Mannes nach, der Italiens politische Landschaft nachhaltig verändert hat. Obwohl am Ende Kritik und ein wenig auch Abscheu eindeutig überwiegen, läßt sich Stille die Neugier nicht nehmen: Er bleibt beharrlich auf der Spur eines Rätsels.

Ziemlich zu Anfang berichtet Stille von einem langen Interview, das er 1996 mit Berlusconi in dessen prächtiger Repräsentationsvilla in Arcore bei Mailand geführt hatte. Es war eine bizarre Situation: Mit nie erlahmendem Elan präsentierte sich der damalige Oppositionsführer, der sich mit aller Kraft in die Politik gedrängt hatte, als eine altruistische Lichtgestalt. Seinen - durchaus auch eigennützigen - Weg in die Politik zeichnete er als einen Opfergang im Interesse seiner geliebten Italiener. Alle Versuche Stilles, ihn auf die dunkleren Seiten seiner Biographie - etwa seine nachweisbaren Verbindungen zur Mafia oder den offenkundigen Interessenkonflikt zwischen dem Unternehmer und dem Politiker Berlusconi - anzusprechen, scheiterten kläglich. Der Mann bewies eine große Fähigkeit, alles an sich abprallen zu lassen, nicht zu antworten, auszuweichen, ja zu lügen - und sich zugleich als verfolgte Unschuld zu geben.

Woher diese Chuzpe? Sie hat wohl einen sehr persönlichen Ursprung. Berlusconi besitzt eine schier uneindämmbare Kraft der Selbstsuggestion. Aus den früher regelmäßig stattfindenden Motivationsgesprächen, die er seinen Mitarbeitern angedeihen ließ, ist ein bezeichnendes Zitat überliefert: "Wenn ihr am Morgen in den Spiegel schaut, müßt ihr euch unbedingt gefallen, gefallen, gefallen!" Man könnte darin das Lebensmotto sehen, dem Berlusconi mit eiserner Entschlossenheit selbst gefolgt ist. Er gefällt sich, er hält sich für den Größten, für einen, der im Wortsinne Wunder vollbringen kann, für einen, dem nichts schiefgeht. Und in dieser Haltung ist er durch keine sperrige, widersprüchliche Realität zu beeinträchtigen. Berlusconi ist die Verkörperung von Werbung, die in den Endlosschleifen steter Wiederholung Wirklichkeit schafft.

Vielleicht muß man in ihm eine Art Revolutionär sehen, der in seinen ersten zwanzig Unternehmerjahren Italien stärker verändert hat, als das zuvor in einem halben Jahrhundert moderner Nachkriegsentwicklung geschehen ist. In diesem heute alt und entrückt erscheinenden Italien war die moderne Konsumgesellschaft durch drei Kräfte am endgültigen, alle Schranken niederreißenden Durchbruch gehindert: durch die katholische Kirche und ihren konservativen Wertekosmos; durch die - ein halbes Jahrhundert lang regierende - christlich-demokratische Partei und ihre sozialklientelare Politik sowie durch die kommunistische Partei, die sich als strenge Erziehungsberechtigte der arbeitenden Klasse verstand. Diese im Grunde patriarchale Welt brach Berlusconi mit dem Mittel des Fernsehens auf. Nach eher mühevollen Anfängen als kleiner Immobilienhai verlegte er sich schon früh aufs Fernsehgeschäft, und sah sich daraus durchaus in historischer Mission. Er wollte, alles andere als konservativ, alle Kräfte des permissiven Hedonismus entfesseln und das Fernsehen, das bisher unter strenger staatlicher Obhut fast etwas Pädagogisches hatte, zum Medium aller Medien machen. Er war in Italien der erste, der nicht mit schlechtem Gewissen, sondern lustvoll aufs private Fernsehen setzte: Ihm - und nicht den Bewohnern der elitären Gutenberg-Galaxis - sollte die Zukunft gehören. Berlusconi verbündete sich erfolgreich mit dem kleinen Mann und vor allem der kleinen Frau.

Daß er 1993/94 in die Politik ging (und binnen zwei Monaten seine erfolgreiche, nach dem Fußballschlachtruf "Forza Italia" benannte Antiparteien-Partei aus dem Boden stampfte), ist oft mit Berlusconis Notlage erklärt worden: Kräftig verfilzt mit dem alten politischen System, habe er mit dem Weg in die Politik nach Hebeln gesucht, sich vor möglicher Strafverfolgung zu schützen und sein verschuldetes Firmenimperium zu retten. Das ist ein Teil der Wahrheit - und Stille breitet ihn überzeugend in all seinen Verästelungen aus: Nach der Lektüre kann niemand mehr ernsthaft behaupten, Berlusconi sei ein Saubermann.

Zu den Stärken von Stilles Buch gehört es aber, daß er es nicht bei dieser - den Berlusconi-Kritikern kommoden - Einsicht beläßt. Er porträtiert Berlusconi auch als eine avantgardistische, in die Zukunft weisende Figur. Der ehemalige Nachtclub-Sänger auf Mittelmeerkreuzfahrten hat früh mit äußerst feinem Gespür verstanden, welche Wendung man der Politik "im Zeitalter nachlassender Partizipation" geben kann: Die Politik im herkömmlichen Sinne wird von der medialen Welt geschluckt. Sie muß sich nicht mehr an realen Erfolgen, sondern am Unterhaltungswert messen, und am besten ist sie präsidial verfaßt, also auf eine unumschränkte Führungsfigur zugeschnitten. Kein Wunder, daß mancher in Berlusconi einen konsumistisch abgeschliffenen Wiedergänger Mussolinis zu erkennen meinte.

Stille, Sohn von Ugo Stille, einem ehemaligen Chefredakteur des "Corriere della Sera", zeichnet ausführlich nach, wie unverblümt (und zum Teil mit großem Erfolg) der oligopolistische Fernsehmann Berlusconi dann auch noch in die Medien der Gutenberg-Galaxis eingegriffen hat. Und im Schlußteil zeigt er ein eigentümliches Paradox auf, das Berlusconi von der Anomalie fast wieder zum italienischen Normalfall macht. Angetreten als einer, der auf radikale Weise unternehmerische Logik und Effizienz in die Politik bringen wollte, hat er - wie viele Regierungen zuvor - so ziemlich das Gegenteil getan. Den großen Sprüchen sind allenfalls kleine Taten gefolgt. Statt der prophezeiten Klarheit machte sich wieder die alte Klientelpolitik breit. Berlusconi wurde, so die Wahlforscher, überdurchschnittlich von kleinen Selbständigen (Ladenbesitzer, Handwerker, kleine Geschäftsleute) gewählt, also im Milieu derer, die sich seit eh und je durchschlängeln müssen, die Staat und Großindustrie für räuberische Unternehmungen halten und deswegen ohne Gewissensbisse den Fiskus übers Ohr hauen, wo sie nur können. In Berlusconi haben diese Leute einen der Ihren erkannt. Der Neuerer Silvio Berlusconi, der Italien wirklich revolutioniert hat, erweist sich am Ende als einer, der das alte, verklebte Klientel-Italien nicht abgeschafft, sondern mit neuen Mitteln fortgesetzt hat. Kein Weltmann, sondern ein durchaus provinzieller Italiener.

THOMAS SCHMID

Alexander Stille: Citizen Berlusconi. Aus dem Englischen von Karl Heinz Siber. Verlag C.H. Beck, München 2006. 383 S., 24,90 [Euro]

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.03.2006

Der Verkäufer
Alexander Stille und Paul Ginsborg - zwei Sichtweisen, das Phänomen Berlusconi zu ergründen
Von Henning Klüver
Am 29. September wird Silvio Berlusconi siebzig Jahre alt. Ob er diesen Geburtstag noch als italienischer Ministerpräsident feiern kann oder als Oppositionsführer - oder gar als Privatunternehmer, der nach einem über zehnjährigen Ausflug in die Politik an die Spitze seiner Firmengruppe zurückgekehrt ist -, darüber werden die Parlamentswahlen in Italien am 9. und 10. April entscheiden. Italien erlebt gerade einen Wahlkampf, der sich wie bereits vor fünf Jahren auf die Auseinandersetzung des Einzelkämpfers Silvio Berlusconi mit einer buntscheckigen Koalition aus Oppositionsparteien zuspitzt, die diesmal von Romano Prodi angeführt wird, der sich jeden Tag schwerer tut, seine Führungsfähigkeiten unter Beweis zu stellen. Was bittere Ahnungen für eine mögliche Mitte-Links-Regierung aufkommen lässt.
Die medialen Aktivitäten Berlusconis der vergangenen Wochen zeigen allerdings, dass sich der italienische Ministerpräsident bewusst ist, diese Wahlen noch verlieren zu können. Noch sind seine Auseinandersetzungen mit der Justiz nicht abgeschlossen, obgleich es ihm in dieser Legislaturperiode gelungen ist, einer Reihe von Verurteilungen durch auf ihn und seine Mitarbeiter zugeschnittene Gesetze abzuwenden. Das gilt auch für die Sicherheit seiner Unternehmensgruppe. Ihre Existenz, und damit die Zukunft der Familie Berlusconi, ist auf Gedeih und Verderb mit den juristischen Verstrickungen des Chefs verbunden, der wiederum sein persönliches Schicksal zur Staatssache erklärt hat.
Der geschilderte Hintergrund, die Interessenkonflikte Berlusconis und seine Zukunftsaussichten, stehen im Mittelpunkt zweier Bücher. Das eine, „Citizen Berlusconi” von Alexander Stille im Beck-Verlag erschienen, verrät die zentrale These des Autors bereits im Titel: Berlusconi als der moderne „Citizen Kane”. Charles Foster Kane war im Film von Orson Welles die Umschreibung des Medienmagnaten und Präsidentschaftskandidaten William Randolph Hearst.
Stille, Amerikaner italienischer Abstammung, fasziniert die Karriere des Sohnes eines kleinen Bankangestellten vom Bauunternehmer zum Medientycoon und politischen Superstar. Die Berlusconi-Story ist für ihn eine „der großen politischen Abenteuergeschichten des ausgehenden 20. Jahrhunderts”. Von Anfang an interessiert sich Stille für die Schattenseiten dieses Abenteuers: die Suche nach Rückendeckung bei Politik und Mafia für krumme Geschäfte, der Aufbau eines Medienimperiums, die juristischen Verstrickungen. Und schließlich der Sprung in die Politik, nachdem in Italien das alte Parteiensystem zusammengebrochen war und sich Mitte der neunziger Jahre eine linke Mehrheit abzeichnete, die - o Schreck - gewillt schien, Gesetze nicht nur zu erlassen, sondern sie auch anzuwenden. Um des Überlebens willen gründete Berlusconi mit Hilfe von Getreuen wie Marcello Dell’Utri seine eigene Partei. Er lernte die Regeln der politischen Mauscheltaktik, während die linken Politiker zu tun hatten, die Zeichen der gesellschaftlichen Veränderungen zu erkennen. Und so hielt sich Berlusconi auch nach dem ersten Machtverlust mit einer Umarmungstaktik über Wasser und bereitete 2001 seinen siegreichen Neustart vor.
Alexander Stille bewegt sich mit flotter Schreibe sicher im breiten Mainstream der Berlusconi-Kritik. Er erzählt nichts Neues, aber erzählt es gut. Die Originalfassung des Buches ist offensichtlich für Amerikaner geschrieben, denen man auch erklären muss, dass Tintoretto und Tiepolo „beides berühmte Meister” sind. Mit dem riesigen Berg von Fakten, den Stille vor sich her schiebt, geht er leider etwas ungenau um. Manchmal fehlen Belege von Zitaten, die Bibliografie ist ziemlich dürftig, Namen sind falsch geschrieben. Berlusconi wird von Stille für alles Mögliche verantwortlich gemacht, etwa auch für eine TV-Sendung wie das Strip-Quiz „Colpo Grosso” (heute fast ein Kult-Programm), das aber vom Sender Italia 7 ausgestrahlt wurde, der nichts mit Berlusconi zu tun hat.
Hier und da purzeln auch Jahreszahlen durcheinander. So wird die Abberufung eines Chefredakteurs des Corriere della Sera von 2003 auf 1993 verschoben. Dass dies wie viele andere Ungereimtheiten keine Druckfehler sind, zeigt sich in dem ausdrücklichen Bezug auf die Auseinandersetzung mit Telecom/Pirelli um eine dritte Fernsehschiene „acht Jahre später”, also 2001. In der italienischen Ausgabe des Buches, die, zeitgleich mit der deutschen, bei Garzanti in Mailand erschienen ist, sind viele dieser Fehler ausgebessert. Sie ist zudem deutlich aktualisiert worden.
Der britische Zeithistoriker Paul Ginsborg ist da gründlicher und verlässlicher. Bei Wagenbach ist die deutsche Erstausgabe eines Essays über Berlusconi erschienen, dessen Untertitel fragt: „Politisches Modell der Zukunft oder italienischer Sonderweg?” Italien gilt wegen seiner labilen demokratischen Strukturen, wegen einer Gesellschaft, in der vormoderne Verhältnisse neben modellhaft höchst entwickelten Bereichen stehen, und seiner geografischen Lage zwischen Nord und Süd, zwischen Erster und Dritter Welt, als eine Art Labor für politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Hier finden Veränderungen oft schneller und radikaler statt. Das kann man bei der Einführung des Privatfernsehens ebenso beobachten wie bei der Neuordnung der Parteienlandschaft. Ist Berlusconi also ein Phänomen, das auch uns so ähnlich oder abgeschwächt blühen kann?
Zunächst analysiert Ginsborg, der an der Universität Florenz Europäische Geschichte lehrt, dieses Phänomen als werbewirksame Antwort auf eine gesellschaftliche Nachfrage nach Modernisierung. Berlusconi ist es gelungen, sich nach außen als Bruch mit der Vergangenheit darzustellen. Im Inneren paktiert er jedoch mit den alten politischen Kräften, die nach wie vor einer modernen sozialen wie liberalen Entwicklung Italiens im Wege stehen. So haben allein Berlusconis Unternehmen in den vergangenen Jahren von seiner Politik profitiert, während es dem „Unternehmen Italien” objektiv schlechter geht. Und das wäre der Hauptgrund für eine mögliche Wahlniederlage Berlusconis - und nicht etwa das überzeugende Angebot einer oppositionellen Alternative. Paul Ginsborg selbst hat wiederholt in der gesellschaftlichen Debatte gegen Berlusconi Stellung bezogen, sein Essay liefert auch eine Aufarbeitung der Fehler der außerparlamentarischen Oppositionsbewegung. Seinem Buch wurde von der deutschen Übersetzerin Friederike Hausmann ein hilfreiches Glossar angefügt.
Ginsborg warnt davor, wie übrigens Stille auch, den italienischen Ministerpräsidenten wegen seines Stils bei öffentlichen Auftritten und seinen Clownerien nicht ernst zu nehmen. Denn Berlusconi trifft genau damit das Bedürfnis weiter Bevölkerungskreise, sich in der Führung wiederzuerkennen. Jeder möchte von Berlusconi profitieren: Er soll für Reichtum sorgen, dafür, dass die eigenen Kinder erfolgreich sind, dass man Fähigkeiten wie Optimismus, Kühnheit, Sprachgewandtheit oder Durchsetzungskraft erwirbt. Er wird gewählt, weil er verschiedenen Gruppen Identifikationen anbietet und sich als deren Anwalt, nicht als Richter, präsentiert. Er verstellt sich nicht, wenn er immer wieder in seine Alltagsrolle schlüpft: die des sympathischen Verkäufers, von dem man sich gerne zum Konsum überreden lässt. Er macht den Menschen kein schlechtes Gewissen, sondern ermuntert sie, fröhlich und frei zu leben.
Dass man mit diesem konsumistischen Credo einen Staat wirtschaftlich in den Ruin führen kann, seine Freiheitsrechte eher beschneidet, statt sie auszuweiten, soziale Strukturen nicht um-, sondern vor allem abbaut, demokratische Kontrollen wie unnütze Deiche schleift und einer möglichen Totalisierung Tor und Tür öffnet, steht auf einem anderen Blatt. Leider bleibt Ginsborg die Antwort auf die eingangs gestellte Frage nach Modell oder Sonderweg offen. Das Ergebnis der Wahlen wird uns helfen, hier etwas klarer zu sehen.
Alexander Stille
Citizen Berlusconi
Aus dem Englischen von Karl Heinz Siber. Verlag C. H. Beck, München 2006. 383 Seiten, 24,90 Euro.
Paul Ginsborg
Berlusconi
Politisches Modell der Zukunft oder italienischer Sonderweg? Aus dem Englischen von Friederike Hausmann. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2005. 191 Seiten, 11,90 Euro.
Unternehmen Italien
Berlusconi gibt sich als sympathischer Anwalt der Interessen weiter Bevölkerungskreise, von dem man sich gerne zum Konsum überreden lässt. Selbst in dem ihm wenig wohlgesonnenen Turin mimte er bei der Schlusszeremonie der Olympischen Spiele den fröhlichen Tausendsassa.
dpa
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nicht unzufrieden zeigt sich Rezensent Henning Klüver mit Alexander Stilles kritischem Blick auf das Phänomen Berlusconi. Spürbar ist für ihn die Faszination, die Berlusconis Karriere vom Bauunternehmer zum Medientycoon und Politsuperstar auf den Autor ausübt. Er unterstreicht, dass sich Stille von Anfang auch für die Schattenseiten dieser Karriere interessiert, für die Suche nach Rückendeckung bei Politik und Mafia für krumme Geschäfte, den Ausbau seines Medienimperiums, die juristischen Verstrickungen. Dabei bewege sich Stille "sicher im breiten Mainstream der Berlusconi-Kritik". Auch wenn seine Berlusconi-Erkundung Klüver nichts Neues bieten kann, wertet er sie immerhin als "gut erzählt". Allerdings stört sich Klüver an zahlreichen Ungenauigkeiten und kleineren Fahler, die Stille unterlaufen sind.

© Perlentaucher Medien GmbH