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Das neue Buch des Kölner Medizinhistorikers Klaus Bergdolt zeigt die vielfältige und faszinierende Entwicklung der europäischen Medizinethik von der Antike bis zur Gegenwart. Der Blick in die Vergangenheit, der in der aktuellen Bioethik-Debatte bisher kaum eine Rolle spielt, sensibilisiert nicht nur gegen allzu schnelle Anpassungen an den Zeitgeist, sondern ruft in Erinnerung, daß es für viele medizinethische Fragestellungen keine Lösung ohne gewichtige Gegenargumente geben kann. Fragen der Medizinethik rücken zunehmend in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Während Philosophen,…mehr

Produktbeschreibung
Das neue Buch des Kölner Medizinhistorikers Klaus Bergdolt zeigt die vielfältige und faszinierende Entwicklung der europäischen Medizinethik von der Antike bis zur Gegenwart. Der Blick in die Vergangenheit, der in der aktuellen Bioethik-Debatte bisher kaum eine Rolle spielt, sensibilisiert nicht nur gegen allzu schnelle Anpassungen an den Zeitgeist, sondern ruft in Erinnerung, daß es für viele medizinethische Fragestellungen keine Lösung ohne gewichtige Gegenargumente geben kann. Fragen der Medizinethik rücken zunehmend in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Während Philosophen, Theologen, Politiker, Journalisten, Ärzte und Naturwissenschaftler den aktuellen Diskurs in der Bioethik nachhaltig beeinflussen, wurden medizin- und kulturhistorische Argumente bisher kaum berücksichtigt. Zwar war das Ethos der Ärzte und Naturforscher niemals einheitlich, doch lassen sich seit frühester Zeit, ungeachtet aller Diskontinuitäten und Brüche, charakteristische Argumentationsmuster aufzeigen. Auch wird die Brisanz mancher aktueller Probleme wie etwa der gesundheitsökonomischen Wertung von Lebensqualität oder der Diskussion über die Euthanasie in ihrer ganzen Dimension erst im Rückblick verständlich. Klaus Bergdolt ruft in Erinnerung, daß es für komplizierte medizinethische Fragestellungen kaum Lösungen ohne Widersprüche und legitime Gegenargumente geben kann. Oft genug war die Menschenwürde gerade dann in Gefahr, wenn Forscher, Politiker und wissenschaftlich geprägte Ethiker dem "gesunden Menschenverstand" folgten. Die Geschichte der medizinischen Ethik mahnt zur Toleranz, aber auch zu Vorsicht und Wachsamkeit.
Autorenporträt
Klaus Bergdolt, geboren 1947, lehrt als Professor am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität zu Köln. Der Medizin- und Kunsthistoriker war fünf Jahre lang Direktor des Deutschen Studienzentrums in Venedig. Seit 2005 ist er Vorsitzender des Trägervereins.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2004

Der Arzt als Geschäftsmann
Klaus Bergdolt prüft das Gewissen der Medizin

Es ist einige JahrE her, als mir mein früherer Hausarzt gestand, daß man als niedergelassener Mediziner in erster Linie Unternehmer sei. Man mag über eine solche Auffassung die Nase rümpfen und auf die ärztliche Ethik verweisen, die den Altruismus seit jeher beschwört, von dem in der Praxis aber meist wenig zu spüren ist, schon gar nicht in Zeiten, in denen im Gesundheitswesen gespart werden muß. Besser aber ist, man schaut einmal in der Geschichte der ärztlichen Ethik nach.

Dort lernt man, daß es in der Renaissance Stimmen im ärztlichen Lager gab, die es nicht als ehrenrührig ansahen, wenn ein Arzt als Geschäftsmann handelte und sein Ethos am Erfolg orientierte. Zu ihnen gehört, wie man jetzt beim Kölner Medizinhistoriker Klaus Bergdolt nachlesen kann, der italienische Arzt Gabriele Zerbi, der 1495 ein Buch mit dem Titel "Opus perutile de cautelis medicorum" veröffentlichte. In dieser vielbeachteten Schrift, in der vom vorbildlichen Arzt die Rede ist, wird empfohlen, daß man sich vor unordentlichen, unzuverlässigen und widerspenstigen Kranken hüten möge, da sie nur Probleme verursachten. Eine aussichtslose Therapie solle man nicht versuchen, um nicht seinem Ruf und damit seinem Einkommen zu schaden. Seine Honorarforderungen solle der Arzt nachdrücklich, aber im freundlichen und gemäßigten Ton vorbringen, am besten solange der Kranke Schmerzen habe.

Nicht nur über die pekuniäre Seite des Arztberufes und ihre ethische Problematik erfahren wir hier etwas. Es wird deutlich, daß viele der ethischen Fragen, die uns heute im medizinischen Alltag auf den Nägeln brennen, früher diskutiert wurden und die Argumente kaum besser geworden sind. Es waren keine geringen Geister, die sich mit schwer zu entscheidenden Problemen, die Krankheit und Gesundheit, Leben und Tod betreffen, auseinandergesetzt haben. So findet sich in den hippokratischen Schriften aus dem vierten Jahrhundert vor Christus der bemerkenswerte Satz: "Alle Kranken gesund zu machen ist unmöglich." Gleichwohl scheint die moderne Medizin häufig von dem Gedanken angetrieben zu sein - man denke an die Gentherapieforschung -, allen Menschen die Gesundheit wiederzugeben.

Daß es in der Medizingeschichte konkrete Utopien gegeben hat, die nicht unbedingt immer das Patientenwohl im Auge hatten, macht das Kapitel über die medizinische Aufklärung im achtzehnten Jahrhundert deutlich. Man forderte, daß der Arzt in erster Linie "Diener des Staates" sein sollte. Gesundheitserhaltung galt als erste Bürgerpflicht. Der "ideale Kranke", so Bergdolt, war "der passive Patient, dessen ,aufgeklärtes Verhalte'n sich im Gehorsam gegenüber dem Arzt bestätigte." Es gab Zeitgenossen, die dieser von Ärzten gepredigten Moral wenig Sympathie entgegenbrachten, wie Immanuel Kant. In seiner Schrift "Was ist Aufklärung?" (1784) wird die Patientenautonomie beschworen: "Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt usw.: so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig, zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen."

In einer Zeit, in der Skandale um "Todesengel" in Alten- und Pflegeheimen für Schlagzeilen sorgen und über ethisch erlaubte Formen der Sterbehilfe diskutiert wird, lohnt sich, wie Bergdolt betont, der Blick nicht nur in die jüngste Vergangenheit, sondern auch in Zeiten, die uns heute fern erscheinen, wie der Beginn der Moderne um 1500. Damals wurde in utopistischen Gesellschaftsentwürfen der Euthanasie-Gedanke, der antiken Ursprungs ist, aufgegriffen. Bis weit ins neunzehnte Jahrhundert lehnte die Mehrheit der ärztlichen Autoren eine aktive Sterbhilfe selbst bei schwersten Leiden kategorisch ab. Dann mehrten sich die Stimmen, die sich gegen eine ärztliche "Gefühlsethik" aussprachen und eine aktive Euthanasie forderten, und zwar längst vor 1933, wie am Beispiel Ernst Haeckels aufgezeigt wird. Dieser Arzt und Naturforscher vertrat die Meinung, daß man es mit unheilbaren Menschen ebenso wie mit treuen Hunden machen, nämlich diesen den "Gnadentod" geben solle.

Je weiter Bergdolt in der Geschichte der ärztlichen Moral voranschreitet, desto kürzer werden die behandelten Zeitabschnitte. Dem gesamten zwanzigsten Jahrhundert sind knapp fünfzig Seiten gewidmet. Das mag mancher Leser bedauern, doch ist in der Tat über den Nürnberger Kodex von 1947 und seine Vorgeschichte bereits viel geschrieben worden, während die älteren, nicht weniger interessanten moralischen Grundsatzdebatten unter Ärzten es verdienen, wieder ins Bewußtsein gerufen zu werden. Insofern wünscht man Bergdolts Blick zurück in die Vergangenheit viele Leser, die sich zwar leider nicht mehr so sehr für die Medizingeschichte interessieren, aber immerhin für medizinethische Fragestellungen.

ROBERT JÜTTE

Klaus Bergdolt: "Das Gewissen der Medizin". Ärztliche Moral von der Antike bis heute. C. H. Beck Verlag, München 2004. 377 S., 4 Abb., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.01.2005

Kunst der Vorsicht
Fallfragen: Klaus Bergdolt untersucht das Gewissen der Ärzte
Ob der gute Professor Brinkmann geahnt hat, dass er, historisch betrachtet, eher die Ausnahme als die Regel war? Dass der Arzt als Freund, Helfer und Tröster, wie ihn Klausjürgen Wussow in der „Schwarzwaldklinik” verkörperte, jüngeren Datums ist? Zu den menschheitsgeschichtlich zähesten Konstanten zählte lange die Kritik am Treiben der Ärzte, denen man schlichtweg alles zutraute. Sie töten, ohne dafür belangt zu werden, klagte Plinius der Jüngere, und Gregor von Nazianz pries sie glücklich, „weil ihre Erfolge die Sonne sieht, ihre Misserfolge jedoch die Erde verbirgt”.
Der Kölner Augenarzt, Religionswissenschaftler und Medizinhistoriker Klaus Bergdolt zielt auf 378 eng bedruckten Seiten den großen Wurf an. Gestützt auf ein kaum zu bändigendes, nur um den Preis zahlloser Fußnoten zu integrierendes Detailwissen, rapportiert er die Geschichte einer 2500-jährigen Krise. Von Platon bis Peter Singer dauert, Antike, Frühe Neuzeit, Drittes Reich und 21. Jahrhundert verbindet die Janusköpfigkeit der Heilkunst. Der Patient war immer auch Objekt der Begierde; Staat, Gesellschaft, Ärzteschaft zerrten an dem kranken Leib. Kein anderer Bereich lässt sich ähnlich umstandslos als angewandte Anthropologie und als angewandte Ethik begreifen. Ob es sich um aktuelle bioethische Fragen handelt, mit denen Bergdolt sein Buch beschließt (Wann beginnt menschliches Leben? Welcher Rang kommt dem Embryo zu?) oder um die klassische nach dem guten Leben und dem guten Sterben: Wann immer Ärzte das Forum betreten, provozieren oder intensivieren sie Debatten, die sie nicht allein bestreiten können; denn jeder Mensch ist potentiell auch Patient.
Hemmung durch Tradition
Zwei zentrale Sätze umreißen die Beweggründe dieses herkulischen Werkes. Der eine findet sich im Kapitel über „Medizin im Dritten Reich”. Bergdolt schreibt, die „systematische Ermordung von Menschen, für die heute der Name Auschwitz steht”, habe „in ärztlich geleiteten Pflegeheimen” begonnen - „ärztlich” ist das Schlüsselwort. „Dass”, wie es weiter heißt, „ Ärzte moralisch derart fallen konnten”, zieht sich als fundamentale Beunruhigung, als Denkantrieb und Irritation durch das ganze Buch. Der zweite zentrale Satz lautet, „das Paradigma des naturwissenschaftlichen Positivismus” habe sich spätestens im 19. Jahrhundert der Medizin bemächtigt, daher „gaben zunehmend die Ärzte selbst ihre traditionellen Hemmungen auf”. Traditionen können und sollen hier Handlungsspielräume verringern, hemmend auf den Ehrgeiz wirken, sich experimentierend unsterblich zu machen: „Historische Kenntnisse vermitteln eine hohe ethische Sensibilität”.
Wer solchermaßen vom Ende her denkt, läuft Gefahr, mit dem Finalismus auch den Fatalismus zu bedienen. Wenig mehr wäre dann der Ertrag des Buches als die Erkenntnis, dass die Welt schlecht eingerichtet ist und der Fortschritt über Leichen geht. Bergdolt entgeht der Gefahr, indem er die medizinische Praxis und den Diskurs darüber strikt voneinander trennt. Der 1518 mit Erasmus’ „Lob der Heilkunst” zögerlich einsetzende Stimmungsumschwung, der Aufstieg der Medizin vom dubiosen Gewerbe zur moralischen Wissenschaft war durch eine - oft von Außenseitern - tatsächlich praktizierte „philanthropisch-karitative Heilkunde” vorbereitet worden.
Bergdolt beginnt mit einem Exkurs über Thomas von Aquin und die Kardinaltugenden, und auch er selbst ist Thomist. So wie Thomas „Weisheit im Menschlichen” forderte, stärkt Bergdolt jene Traditionslinie, die den Ärzten die „Kunst der klugen Vorsicht” abverlangt. Doch für diese Programmatik findet der Zeitenwanderer zunächst nur wenige Mitstreiter. Platons Philosophenstaat hätte eine Diktatur der Gesunden und die Exilierung chronisch Kranker bedeutet, vergleichbar den Zuständen in Sparta, wo man schwächliche Säuglinge tötete und gesunden Senioren den Beischlaf mit jungen Frauen empfahl. Auch Campanella und Leibniz träumten von einer Gesundheitspolizei, die Lebensführung und Fortpflanzung überwacht, Luther riet dazu, einen geistig behinderten „Wechselbalg”, ein „Stück Fleisch, da keine Seele innen ist”, zu ertränken, und die Hauptfigur in Balzacs „Landarzt” findet Gefallen an der Idee, Geistesgestörte grundsätzlich zu sterilisieren.
Sie alle dachten von der Gesellschaft, von der gesunden Mehrheit her, rechtfertigten theoretisch, was Praxis wurde unter den Nationalsozialisten: Eugenik und Euthanasie, die Aussonderung, Ermordung oder Kastration des „lebensunwerten Lebens”. Sind somit die Vordenker der Vernichtung, sind Ernst Haeckel, Fritz Lenz, Hans K. Günther, Alfred Ploetz, Karl Binding und Alfred Hoche der logische Endpunkt einer unheilvollen Tradition?
Das liegt nahe, doch Bergdolt spricht vom „Traditionsbruch”, wo er doch mit seinen Prämissen alles Recht der Welt hätte, Kontinuität zu behaupten. Das 20. Jahrhundert ist eben beides, Bruch und Dauer. Ihr Ende findet - schon in den zwanziger Jahren - die praktische, vernunftkritische Tradition, die resistent blieb gegen die Zumutungen des Utopischen; unverändert aber beruht das „Menschenbild der messenden Ärzte” auf der bei Descartes vorgebildeten instrumentellen Vernunft. Der eigentliche Bruch ereignete sich dieser Lesart zufolge im 18. Jahrhundert, als eine genuin naturwissenschaftliche Medizin entstand - und mit ihr das Krankenhaus, „ein Experimentierfeld aufklärerischer Ärzte und Beamter, die von Zahlenspielen, Bilanzen und der planbar erscheinenden Volksgesundheit fasziniert waren”.
Was folgt aus Bergdolts klug geordneter, anschaulich präsentierter, flüssig referierter Faktensammlung für das 21. Jahrhundert? Das Paradigma der forschenden Ärzte scheint zu bröckeln. Paternalisierung und Medikalisierung, die Insignien der Obrigkeitsmedizin, sollen abgelöst werden vom mündigen Patienten. Doch die ökonomisch begründete Reform des Gesundheitswesens könnte das Gegenteil bewirken: die Rückkehr des Arztes als Aufsichtsperson.
ALEXANDER KISSLER
KLAUS BERGDOLT: Das Gewissen der Medizin. Ärztliche Moral von der Antike bis heute. Verlag C. H. Beck, München 2004. 378 Seiten, 29,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dass sich Ärzte bisweilen in erster Linie als Unternehmer fühlen ist kein Phänomen der Gegenwart. Rezensent Robert Jütte berichtet in seiner Besprechung von Klaus Bergdolts Geschichte der ärztlichen Ethik, dass es in der Renaissance Stimmen im ärztlichen Lager gab, "die es nicht als ehrenrührig ansahen, wenn ein Arzt als Geschäftsmann handelte und sein Ethos am Erfolg orientierte". Bergdolt behandle aber nicht nur die pekuniäre Seite des Arztberufes und ihre ethische Problematik, er verdeutliche auch, dass viele der aktuellen medizinethischen Fragen, das Thema Sterbehilfe etwa, bereits früher diskutiert wurden. Verständlich findet es Jütte, dass die behandelten Zeitabschnitte umso kürzer werden, je weiter Bergdolt in der Geschichte der ärztlichen Moral voranschreitet. Schließlich ist über den Nürnberger Kodex von 1947 und seine Vorgeschichte bereits viel geschrieben worden, meint der Rezensent, "während die älteren, nicht weniger interessanten moralischen Grundsatzdebatten unter Ärzten es verdienten, wieder ins Bewusstsein gerufen zu werden."

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