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Es war der spektakulärste politische Kriminalfall in der Geschichte der Bundesrepublik die Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Lutz Hachmeister hat für sein Buch über den "Boss der Bosse" zum ersten Mal zahlreiche Zeitzeugen, Wegbegleiter und Familienangehörige befragt sowie umfassend in Archiven recherchiert. Er versucht den ganz unterschiedlichen Facetten einer Persönlichkeit gerecht zu werden, deren Werdegang über das individuelle Schicksal hinaus ein Stück deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts widerspiegelt.

Produktbeschreibung
Es war der spektakulärste politische Kriminalfall in der Geschichte der Bundesrepublik die Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Lutz Hachmeister hat für sein Buch über den "Boss der Bosse" zum ersten Mal zahlreiche Zeitzeugen, Wegbegleiter und Familienangehörige befragt sowie umfassend in Archiven recherchiert. Er versucht den ganz unterschiedlichen Facetten einer Persönlichkeit gerecht zu werden, deren Werdegang über das individuelle Schicksal hinaus ein Stück deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts widerspiegelt.
Autorenporträt
Lutz Hachmeister arbeitet als Medienforscher, Regisseur und Produzent in Köln. Er war Direktor des Adolf-Grimme-Instituts und Leiter des Kölner Fernseh- und Filmfests.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.06.2004

Der Stellvertreter
Hanns Martin Schleyer – ein deutsches Leben
LUTZ HACHMEISTER: Schleyer. Eine deutsche Geschichte. Verlag C. H. Beck, München 2004. 447 Seiten, 24,90 Euro.
Für seine Dokumentation über Schleyer erhält Lutz Hachmeister den diesjährigen Grimme-Preis in der Sparte „Information und Kultur”. Nun folgt das Buch zum Film. Die hohen Erwartungen, die der Film geweckt hat, kann das Buch nur teilweise erfüllen. In seinem Bemühen, Leben und Karriere des Helden in die Zeitläufte einzubetten, gerät dieser mitunter nämlich völlig aus dem Blick.
Hachmeister hat zwar zahlreiche Archive durchforstet. Außerdem hat er die Witwe und die Söhne Schleyers interviewt und mit einigen Weggefährten gesprochen. Trotzdem drängt sich der Eindruck auf, dass Schleyer selbst vergleichsweise wenig schriftliche Spuren hinterlassen hat – vielleicht Ausdruck seiner Vorliebe für „mündliche Kommunikation” und „Gespräche unter Männern zu später Stunde”.
Die Jahre bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nehmen etwa die Hälfte des Buches ein. Mit Gespür für erhellende Details schildert Hachmeister Kindheit und Jugend des 1915 im badischen Offenburg geborenen und im „bürgerlich-klerikalen Milieu” aufgewachsenen Hanns Martin. Sein stramm deutschnationaler Vater, der im Mai 1933 der NSDAP beitrat, brachte es im „Dritten Reich” bis zum Landgerichtsdirektor. Schon vorher, im März 1931, war Schleyer jr., ein eher durchschnittlicher Schüler, der HJ beigetreten: „Was seine Laufbahn anging, war Hanns Martin immer sehr berechnend”, erinnerte sich sein ehemaliger Pfarrer.
Insofern war es nur konsequent, dass sich Schleyer, der bereits als Schüler „in die Welt des Verbindungswesens” eingetaucht war, im Juni 1933 der SS und mit Beginn seines Jurastudiums dem „waffenstudentischen Corps Suevia” anschloss. Als er sich im Machtkampf zwischen dem NS-Studentenbund und den Korporationen auf die Seite der Nationalsozialisten schlug, stand einer Karriere als Studentenfunktionär und hauptamtlichem Mitarbeiter des Reichsstudentenwerks nichts mehr im Wege. Über die Stationen Heidelberg und Innsbruck, wo er „nach mündlicher Anhörung” zum Dr. jur. promovierte wurde, und einem kurzen, wenig heldenhaften Intermezzo beim Militär landete er im Juni 1941, mit 26 Jahren, in Prag. Für die Nachkriegskarriere von größter Bedeutung war schließlich der Wechsel zum „Zentralverband der Industrie für Böhmen und Mähren”, wo er rasch zur „rechten Hand” des Verbandsvorsitzenden aufstieg. Immer wieder, so verdeutlicht Hachmeister, waren es einflussreiche Gönner und Förderer, die ihm behilflich waren.
Daran änderte sich auch nach dem Krieg und der Internierung durch die französische Besatzungsmacht nichts. Ein Bekannter aus Prager Jahren lockte ihn 1951 von der IHK Baden-Baden zu Daimler Benz, wo er in Fritz Könnecke, dem Vorstandsvorsitzenden, einen neuen Mentor und Fürsprecher fand. Innerhalb von neun Jahren avancierte er zum Personalchef des Unternehmens, zog aber 1970 trotz hochkarätiger Unterstützung im Machtkampf mit Joachim Zahn um den vakanten Vorstandsvorsitz den Kürzeren. Daraufhin kehrte Schleyer zur Verbandspolitik zurück: Als Chef des wichtigen Verbands der Metallindustrie Baden-Württemberg hatte er sich bereits erste Meriten erworben, Ende 1973 übernahm er zunächst das Amt des Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Anfang 1977 in Personalunion auch den Chefposten beim Bundesverband der deutschen Industrie. Damit war er endgültig zur Symbolfigur des westdeutschen Kapitalismus geworden – und damit zum Ziel der terroristischen „Roten Armee Fraktion”. Dem Entführten und den Entführern ist das letzte Kapitel gewidmet.
Heikle Aufgabe
So farbig viele der Schilderungen ausfallen, so blass bleibt letztlich die Hauptfigur. Über Schleyers „Unternehmensphilosophie” erfährt man nicht allzu viel; was ihn außer seinem Verhandlungsgeschick und seiner Trinkfestigkeit auszeichnete und die zahlreichen Gönner beeindruckte, vermag Hachmeister nicht überzeugend zu erklären. Geradezu enttäuschend ist schließlich das Kapitel über die Entführung und Ermordung Schleyers ausgefallen: Anstatt über Seiten die längst bekannten Biographien der Terroristen nachzuerzählen, hätte Hachmeister lieber berichten sollen, wie Unternehmer- und Verbandskollegen über einen eventuellen Austausch Schleyers gegen die Stammheimer Häftlinge dachten und ob es zu Kontroversen mit der Bundesregierung kam. Verdienstvoll ist jedoch, dass Hachmeister mit einigen Legenden wie der von der engen Beziehung zu Reinhard Heydrich aufräumt – und dass er sich überhaupt an diese heikle Aufgabe herangewagt hat.
WERNER BÜHRER
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2004

Aus dem Tod heraus erklärt sich nichts
Lutz Hachmeisters Schleyer-Biographie ist dort am stärksten, wo sie sich von Schleyer löst / Von Andreas Platthaus

Vergangene Woche wurde bekanntgegeben, daß Lutz Hachmeister für seine ARD-Fernsehdokumentation "Schleyer - Eine deutsche Geschichte" den diesjährigen Grimme-Preis in Gold erhalten wird. Die Jury zeichnet damit eine zeitgeschichtliche Arbeit aus, die statt einer These eine Darstellung in den Mittelpunkt setzt, die aus der Vielzahl der dokumentierten Stimmen und Quellen ein Panorama deutscher Geschichte geschaffen hat, das seinen Mittelpunkt in der Person von Hanns Martin Schleyer findet, sich aber nicht in dessen Biographie erschöpft. Hachmeister hatte das Ziel, um Schleyer ein halbes Jahrhundert deutscher Geschichte zu erzählen, die mit der politischen Sozialisation des 1915 Geborenen ihren Anfang nahm und mit der Zäsur seiner Ermordung durch die "Rote-Armee-Fraktion" am 18. Oktober 1977 endete. Danach war Deutschland nicht mehr wie zuvor. Die im Zuge des "Deutschen Herbstes" erlassenen Sicherheitsgesetze gelten bis heute, und das Beharren der sozialliberalen Regierung auf der Staatsraison ließ den deutschen Linksterrorismus scheitern - auch wenn seitdem weitere bittere Opfer zu beklagen waren.

Aus der Fülle des Materials, das Hachmeisters unter Mithilfe von Mathias von der Heyde, Stefan Krings und Christian Wagner seit 2002 durchgeführte Recherche erbracht hat, ist nun auch ein Buch entstanden, das den gleichen Titel trägt wie die Fernsehsendung, aber umfassender geraten ist und eine andere Gewichtung vornimmt. Denn wo die Filmdokumentation in der Entgegenstellung des Schleyer-Bildes von Verwandten, Freunden und beruflichen Weggefährten und dem seiner Entführer, Mörder und von deren Sympathisanten das Porträt eines für seine Zeit exemplarischen Deutschen zu zeichnen bemüht war, ist diese Einschätzung im Buch bereits vorausgesetzt. Wenn dies tatsächlich dem "Standard moderner Zeitgeschichtsschreibung" - so die ehrgeizige selbstgesteckte Zielsetzung Hachmeisters für sein Buch - entspricht, liegt etwas im argen.

Hachmeister betont von Beginn des Buches an, daß die Biographie eines Menschen nicht allein unter dem Eindruck von dessen Ermordung geschrieben werden sollte: "Es kommt schnell der Verdacht auf, biographische Recherchen über Schleyer besorgten das Geschäft der Terroristen, indem postum Ermittlungen gegen einen Mann angestellt würden, der in herausgehobenen Funktionen für die deutsche Herrschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert stand." Aber dieses Bedenken hat den Autor nicht gehindert, gerade die heiklen Gesichtspunkte in Schleyers Biographie - und das sind natürlich sein Engagement für den Nationalsozialismus und seine herausgehobene Position in den aus heutiger Sicht kaum noch nachvollziehbar ideologisch geprägten Arbeitskämpfen der sechziger Jahre - in den Mittelpunkt seiner Erörterungen zu stellen. Um es vorwegzunehmen: Das Dämonisieren ist nicht Hachmeisters Sache (mit einer Ausnahme). Sein Schleyer ist ein bisweilen erschreckend normaler Mensch, den sein Geschick oder sein Schicksal auf Posten verschlagen haben, denen er persönlich nicht gewachsen war.

Das ist eine Erkenntnis, die bei Hachmeister indes nur angedeutet wird - und auch das nur ganz am Schluß, wenn das Buch darüber berichtet, wie unglücklich Schleyer mit seiner erst zum 1. Januar 1977, also im Jahr seiner Ermordung, errungenen Position als Doppelpräsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und des Bundesverbands der Deutschen Industrie gewesen ist. Den Rückzug hatte er in einem seiner letzten Interviews schon angekündigt, und Hachmeister wurde von ungenannter Seite zugetragen, daß Schleyer damals geklagt hätte: "Leute, hätte ich das bloß nicht gemacht. Irgendwann muß das wieder auseinandergehen." Die Verhandlungsenergie Schleyers, der, wie Hachmeister nicht müde wird, zu erwähnen, mit Vorliebe nächtelang bei reichlich Zigarren und Alkohol debattierte, hatte in den beiden so gegensätzlich strukturierten Zentralorganisationen des Arbeitgeberlagers seine Grenzen gefunden. Es war nicht das erste Mal.

Sein Griff nach dem Chefposten bei Daimler-Benz scheiterte 1971, weil er nicht das taktische Geschick seines Vorstandskollegen Joachim Zahn besaß. Und in der scheinbar makellosen NS-Karriere des jungen Schleyer, die ihn 1933 von der Hitlerjugend direkt in die SS führte (der NSDAP trat er dagegen erst 1937 bei), dann auf die Leiterstelle des nationalsozialistischen Studentenwerks in Heidelberg und auf dieselbe Position in Innsbruck und Prag brachte, bevor er 1943 eine zentrale Aufgabe im Zentralverband der Industrie für Böhmen und Mähren übernahm, findet sich doch nie ein wirklicher Höhepunkt, der ihm mehr als nur regionalen Einfluß verschafft hätte. Schleyer gelangte nicht nach Berlin, wohin es etliche seiner Fürsprecher in der nationalsozialistischen Studentenorganisation geschafft hatten, und selbst wenn sowohl Innsbruck nach dem "Anschluß" als auch Prag im Jahr 1941, als Schleyer dort hinkam, ideologische Frontstädte waren, wohin das nationalsozialistische Regime keine wankelmütigen Kandidaten geschickt hätte, hatte Schleyer doch niemals einen Verantwortungsbereich, der ihn ins dunkle Herz der NS-Bürokratie eingebunden hätte. Das war nach 1945 sein Glück, ist aber auch Zeichen für fehlendes Talent, denn am Glauben an die Sache Hitlers scheint es Schleyer nie gemangelt zu haben.

Hachmeister widmet Schleyers Jugend im Vorlauf zum Nazi und seiner Karriere bis 1945 mehr als die Hälfte des Buches. Damit belegt er seine zentrale These, daß die Fähigkeiten, die Schleyers Aufstieg in der Bundesrepublik ermöglicht haben, in dessen Zeit als Studentenfunktionär und als Wirtschaftsorganisator im Protektorat ausgebildet worden sind. Hachmeister trägt zur Illustrierung jener Jahre eine Unmenge an Details und vor allem individuellen Lebensläufen von Mitstreitern Schleyers zusammen - wie er es im großen Kapitel zur Entführung und Ermordung wieder tun wird, nur dann werden es Kurzbiographien der Terroristen sein. Die Ausführungen zur NS-Studentenpolitik und zum ökonomischen Geschehen im besetzten Böhmen und Mähren sind veritable Einzelstudien geworden, in denen der Name Schleyer oftmals über Dutzende von Seiten gar nicht fällt, auch nicht fallen muß, weil hier der Untertitel - "Eine deutsche Geschichte" - das Leitbild der Historiographie abgibt.

Aber das zeitweise Ausscheiden Schleyers aus dem ihm gewidmeten Buch ist auch symptomatisch: Es gibt nicht viel über ihn zu erzählen. Mag sein, daß Schleyer die rechte Hand von Bernhard Adolf, der grauen Eminenz im Wirtschaftsleben des Protektorats, gewesen ist und nichts, was dieser durchzusetzen versuchte, ohne Schleyers Zuarbeit möglich gewesen wäre. Aber die Belege dafür bleibt Hachmeister schuldig. Seine Gewährsleute sind alte Prager Kameraden, die er selbst als unglaubwürdig diskreditiert, weil sie die Protektoratsgeschichte im nachhinein haben schönen wollen - im Verein mit Schleyer, der sich allerdings dem Ansinnen, selbst seinen Namen für eine entsprechende Publikation herzugeben, verweigert hat.

So ist in Hachmeisters Porträt doch noch ein gelinder Zug der Dämonisierung zu finden, der aber mehr den Defiziten der archivalischen Überlieferung als bösem Willen zuzuschreiben sein dürfte. Adolf Eichmann etwa, mit Schleyer aus Prager Tagen bekannt, fand 1959 unter falschem Namen Anstellung beim argentinischen Tochterunternehmen von Daimler-Benz, und Schleyer war damals Personalchef des Konzerns. Aber reicht das bereits für den Verdacht (den Hachmeister auch gar nicht erst ausspricht), das passe ins Bild der zweifellos von Schleyer protegierten Clique der mittleren NS-Verwaltungsränge aus Prag? Dafür war Eichmann denn doch eine Nummer zu groß.

Schleyer jedenfalls hatte subjektiv ein reines Gewissen; das bezeugen all seine Stellungnahmen zur eigenen NS-Vergangenheit; seine dreisten Verfälschungen des eigenen Lebenslaufs, die er als von den Franzosen Inhaftierter vornahm, kann man getrost als normal für die Zeit ansehen. Als Untersturmführer der SS war man zwar leidlich prominent eingestuft, aber eben doch keine Größe, deshalb bedeutete die Selbstdegradierung zum Oberscharführer, wie Schleyer sie vornahm, nur einen kleinen Schritt - mit allerdings großer Wirkung, wenn es um ein etwaiges Strafmaß ging. Schleyer schaffte es tatsächlich nach fast drei Jahren Inhaftierung, 1948 als minderbelastet aus dem Spruchkammerverfahren zu kommen.

Seine Karriere im folgenden kann man mit dem Satz von Franz Josef Strauß charakterisieren, daß man einem Volk, das das Wirtschaftswunder vollbracht habe, Auschwitz nicht vorwerfen könne. Hachmeister belegt an zahlreichen Beispielen den Erfolgsweg ehemaliger Nazis aller Ebenen im Wirtschaftsleben der Bundesrepublik. Die RAF hat daraus während der Entführung kein Kapital geschlagen, und Hachmeisters Gesprächspartner aus der ehemaligen Terrorszene äußern für dieses Schweigen heute kein Verständnis mehr. Aber 1977 war Schleyer (in seiner durchaus allgemein so wahrgenommenen physiognomischen Verkörperung des Kapitalisten) ein so naheliegendes Opfer der RAF, daß es für diese eine Frage von argumentativer Ökonomie war, das nicht noch einmal in den Vordergrund zu stellen, was sich ohnehin fast jeder dachte. Die Entführung hätte überdies durch eine Betonung von Schleyers wenig spektakulärer NS-Vergangenheit nichts von ihrer Unmenschlichkeit, Würdelosigkeit und ihrem Zynismus eingebüßt. Schon in dem Moment, in dem die Terroristen für die Verschleppung ihres Opfers die Ermordung von dessen Fahrer und Bewachern mit einkalkulierten, hatte sich die RAF von jeder politischen Rechtfertigung verabschiedet. Niemand außer Verblendeten konnte ihre Ziele danach noch ernst nehmen.

Hachmeister arbeitet diesen Umschlag einer gewissen Terrorismusromantik in Abscheu vor skrupellosem Kalkül sehr genau heraus. Leider erfolgte für ihn die Publikation von Helmut Kohls "Erinnerungen" zu spät, um die dortige Schilderung der Schleyer-Entführung noch zu berücksichtigen - besonders eines 1977 geführten Gesprächs zwischen Kohl und Schleyer, in dem sich beide gegenseitig versichert haben, daß sie im Falle einer Entführung niemals ausgetauscht werden sollten. Das macht Schleyers Rolle als Entführter noch trauriger und hoffnungsloser, als Hachmeister sie ohnehin schon angesichts der taktischen Erwägungen beider Seiten beschreibt. Solche Einfühlung in die kollektiven und individuellen Zwangslagen jener Jahre ist eine starke Seite dieses Buches; eine schwache ist die Sorglosigkeit, mit der einige sich widersprechende Daten und falsche Sachverhalte es bis in den Druck geschafft haben. Helmut Kohl war 1960 nicht Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Schleyer wurde laut Buch entweder im Studentencorps "Suevia" im Mai oder im Juni 1934 recipiert und elf Jahre später entweder im Juli oder im Dezember verhaftet, zum BDA-Präsidenten wird er wahlweise im Sommer oder im Winter 1973 gekürt. Und daß Schleyer CDU-Mitglied war, erfährt man nie. Dennoch ist diese Biographie lesenswert, auch wenn sie in ihrem Metier nicht denselben Rang besitzt wie Hachmeisters Fernsehdokumentation in dem ihren.

Lutz Hachmeister: "Schleyer". Eine deutsche Geschichte. Verlag C. H. Beck, München 2004. 447 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Ein "Wagnis" ist Lutz Hachmeister mit seiner Dokumentation der Schleyer-Entführung durch die RAF eingegangen, und alles in allem ist daraus eine "verdienstvolle Biografie" entstanden, findet Rezensent Wolfgang Kraushaar. Die fünf Kapitel, in denen sich der Autor Schleyers Werdegang bis zur Entführung und Ermordung widmet, seien ebenso umfangreich wie quellengesättigt, doch manchmal ein wenig "langatmig" und stellenweise "keineswegs lückenlos". Der Rezensent stört sich vor allem an einer These, die Hachmeister aufwirft. Der Autor, der für seinen Film zum gleichen Thema bereits den Grimme-Preis erhalten hat, setzt die Baader-Meinhof-Gruppe im Buch gleich mit "Hitler's Children" und "schießt" mit dieser weit reichenden und belegbaren Hypothese "über das Ziel hinaus".

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